Ukrainekrieg und der Hunger auf der Welt

Was hilft wirklich gegen den Welthunger?

Durch den Krieg in der Ukraine geriet das Welt-Hungerproblem wieder in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Folgen dieses Krieges sind erheblich, da die Ukraine zu den wichtigsten Exportländern für Getreide gehört. Doch die Reaktionen in der EU und in Deutschland sind teilweise absurd. Dabei ist längst bekannt, wie der Hunger weltweit bekämpft werden muss.

© Justus HarmMan kann sich nur wundern. Die EU erlaubte dieses Jahr, dass angesichts des Ukrainekriegs Ökobrachflächen mit Getreide bepflanzt werden dürfen. Und das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung setzt die EU-Neuregelungen zu Flächenstilllegung und Fruchtwechsel im kommenden Jahr für Deutschland einmalig aus, mit der Begründung, die Versorgung mit Lebensmitteln zu sichern. Es sollen also auf Kosten des Naturschutzes mehr Flächen zum Getreideanbau genutzt werden, während gleichzeitig zwei Drittel des hierzulande geernteten Getreides zur Fleischerzeugung verwendet wird und neun Prozent zur Energiegewinnung. Den von Hunger bedrohten Ländern, die in normalen Jahren mit Millionen Tonnen Weizen aus der Ukraine versorgt werden, helfen solche Maßnahmen nicht. Diese offenbaren eher den geringen Stellenwert, den die (immer noch bescheidenen) Bemühungen für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft in der EU und Deutschland haben.

Die Ausgangslage
2021 hungerten etwa 830 Millionen Menschen auf der Welt (Asien 510, Afrika 260, Lateinamerika und Karibik 42 Millionen); die Zahl der Menschen mit nicht sicherer Ernährung beträgt insgesamt circa zwei Milliarden. Dabei ist Hunger auch in den Industriestaaten nicht verschwunden. In Deutschland etwa sind immer mehr Menschen auf die „Tafeln" angewiesen, weil sie nicht genug zu essen haben. Erheblich mehr Menschen sind zudem mangelernährt, das heißt es stehen ihnen nicht alle notwendigen Nährstoffe in ausreichender Menge zur Verfügung.

Aber woran liegt es, dass mehr als zehn Prozent der Menschheit Hunger leidet? Darauf gibt es zwei sich widersprechende Antworten beziehungsweise Sichtweisen. Der einen Sichtweise zufolge gibt es zu wenig Nahrung für alle Menschen auf der Welt. Der anderen zufolge hat Hunger seine Ursache im fehlenden Zugang zu Nahrung und Ressourcen zum Nahrungsmittelanbau.

Gibt es etwa auf der Welt zu wenig Nahrung?
Was davon ist wahr? Um dies zu beantworten, gilt es Folgendes bedenken: Noch weit mehr als die 800 Millionen Menschen, die weltweit hungern, sind überernährt, nämlich mehr als zwei Milliarden Menschen. In Deutschland sind ein Viertel der Bevölkerung adipös, also stark übergewichtig – ein Prozentsatz, der sich seit 1980 mehr als verdreifacht hat. Und der Trend ist weiter ansteigend.

Ein zweiter Punkt ist, dass nur etwa ein Drittel des weltweit geernteten Getreides der menschlichen Ernährung dient. In Deutschland sind es sogar weniger als 20 Prozent, in der EU weniger als 25 Prozent!

Die eigentlichen Ursachen
Aus all dem wird ersichtlich, dass Hunger nicht eine Folge von zu wenig Nahrung auf der Welt sein kann, sondern ein Problem des fehlenden Zugangs zu Nahrung ist. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer davon ist die künstliche Preissteigerung durch Spekulation. In den Entwicklungsländern müssen Arme häufig 80 bis 90 Prozent des zur Verfügung stehenden Geldes für Lebensmittel ausgeben. Deshalb kann bereits eine geringfügige Erhöhung der Lebensmittelpreise durch Spekulation an den Börsen lebensbedrohend werden.

Eine generelle Ursache für Hunger ist der mangelnde politische Wille: Neben dem Versagen der zuständigen staatlichen Stellen sind oft auch die Industrienationen für den Hunger verantwortlich, wenn sie beispielsweise billige Nahrungsmittel in afrikanische Länder exportieren, welche dann die landeseigene Nahrungsmittelproduktion zerstören. So werden etwa Hühnerflügel und Tomatenerzeugnisse mit Unterstützung der EU von Europa nach Senegal exportiert. Paraguay zum Beispiel konnte sich noch vor wenigen Jahrzehnten selbst ernähren. Heute importiert das Land Nahrungsmittel im großen Maßstab. Zu all dem hinzu kommt neuerdings die Verwendung von Lebensmitteln zur Energiegewinnung.

Der Weg der Industrie
Das Argument, dass die Nahrungsmittelproduktion nicht für alle Menschen ausreiche, ist jedoch weiterhin mächtig. Verfochten wird es vor allem von den großen Konzernen des Agrobusiness, die in den armen, von Hunger bedrohten Ländern einen weiteren Absatzmarkt für ihre Produkte sehen. Sie argumentieren, dass die Zahl der Menschen immer noch zunimmt, während die Ackerflächen durch Versalzung, Wüstenbildung und Überschwemmungen abnehmen. Die Lösung liege in ertragreicheren Getreidesorten – Sorten, die nur mit den Methoden der Biotechnologie als gentechnisch verändertes Saatgut (sogenanntes gv-Saatgut) entwickelt werden können.

Seit 1996 wird gv-Getreide in der Tat in großem Stil angebaut, vor allem Soja und Mais. Und das Saatgut hierfür wird von den großen Chemiefirmen immer mit dem zugehörigen chemischen Spritzmitteln als Doppelpack verkauft.

Mittlerweile führt die EU beispielsweise jedes Jahr etwa 20 Millionen Tonnen Sojaschrot aus genveränderten Pflanzen (vor allem aus den USA und Südamerika) ein, der an Hühner, Schweine und andere Nutztiere verfüttert wird. Ähnlich ist die Situation in den anderen Industriestaaten. An der Situation der hungernden Menschen in den Anbaugebieten ändert sich dadurch natürlich nichts. Die Urwälder im Amazonasbecken und anderswo erleiden stattdessen durch das Niederbrennen der Waldflächen für den Sojaanbau große Verluste.

Das Problem der grünen Gentechnik

Studien zur Verträglichkeit von gv-Lebensmitteln bei Tierversuchen mit Ratten, Mäusen und Bienen haben gezeigt, dass gv-Tierfutter zu Schäden an inneren Organen und zu geringerer Fruchtbarkeit führen kann. Eine Studie aus Italien berichtet darüber hinaus, dass bei Ziegen, die mit gv-Soja gefüttert wurden, Spuren der künstlichen DNA in den Organen der Zicklein gefunden wurden, die ausschließlich mit der Muttermilch der Ziegen gefüttert wurden.
Doch damit nicht genug: Bislang konnte nicht einmal der Beweis erbracht werden, dass gv-Pflanzen höhere Erträge bringen. Nur in einigen Fällen konnte kurzfristig eine Ertragssteigerung erzielt werden. Für die Landwirte stellt sich die Situation noch einmal ganz anders dar: Sie müssen für viel Geld teures Saatgut und das zugehörige Spritzmittel kaufen und gelangen in kurzer Zeit in die totale Abhängigkeit der Saatgutfirmen.

Zwar wird seit Jahren behauptet, dass gv-Pflanzen weniger Spritzmittel benötigen. Doch abgesehen davon, dass im ökologischen Anbau überhaupt keine chemischen Spritzmittel verwendet werden, stimmt auch diese Behauptung nicht. Tatsache ist, dass bei Herbizidresistenz Unkräuter durch Anpassung unempfindlich gegen die ausgebrachten Spritzmittel (vor allem „Roundup" von Monsanto) werden. Es gibt deshalb mittlerweile über 20 sogenannte Superunkräuter, die nur noch mechanisch oder mit hochgiftigen Herbiziden bekämpft werden können. Gv-Pflanzen mit Insektenresistenz, die gentechnisch so verändert sind, dass sie ihr eigenes Insektengift herstellen, benötigen in den ersten Jahren zwar tatsächlich weniger Insektengift. Später entwickeln sich jedoch andere Insekten und andere Schädlinge, die gegen das Gift unempfindlich sind. So wird auch hier die Spirale der zusätzlichen Gifte weiter angekurbelt und keinesfalls Gifteinsatz gespart.

Laut Vorgabe der EU sollen konventionelle Landwirtschaft, Ökolandbau und Gentechnikanbau nebeneinander stattfinden können. Alle bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch, dass dies nicht möglich ist: Durch Bienen und Wind wird Pollen von gv-Pflanzen über viele Kilometer verbreitet.
 
Ein Wunder in der Wüste: Das ägyptische Unternehmen SEKEM fördert regenerative Landwirtschaft, kooperiert dabei mit mehr als 2000 Kleinbauern und lässt die Wüste wieder erblühen. In einer 'Economy of Love' werden Gewinne zur Förderung von Bildung und Kultur eingesetzt. © Justus Harm
Das Potenzial der kleinbäuerlichen Landwirtschaft
Wenn wir all dies berücksichtigen, verwundert es nicht, dass NGOs wie Oxfam, FIAN oder kirchliche Organisationen wie Misereor oder Brot für die Welt einen anderen Ansatz zur Bekämpfung des Hungers haben als die Industrie. Sie wissen: Der Kampf gegen den Hunger kann nur mit Einbindung der vor Ort lebenden Menschen erfolgreich sein; schon allein deshalb, weil Hunger regional und zeitlich gesehen unterschiedliche Ursachen hat und es keinen pauschalen Ansatz zu seiner Bekämpfung gibt. Ein Ansatz, so wissen wir mittlerweile jedoch, hilft immer: Der Weltagrarrat, ein von der UNO 2008 einberufenes Gremium von circa 500 Fachleuten, hat in seinem Abschlussbericht darauf hingewiesen, dass nicht die industriell, mit den Methoden der Biotechnologie betriebene Landwirtschaft ein Ausweg aus der Hungerkrise ist, sondern die kleinteilige, regional angepasste Landwirtschaft nach ökologischen Kriterien.

500 Millionen Kleinbauern erzeugen weltweit in etwa 70 Prozent aller Nahrungsmittel; die industrielle Landwirtschaft trotz ihrer angeblichen Effizienz nur etwa 30 Prozent. Es sind also vor allem die Kleinbauern, welche die Welt ernähren, und die meisten Menschen weltweit leben von der Erwerbsarbeit in einem kleinbäuerlichen Betrieb. Und doch sind gerade sie am meisten von Hunger und Armut bedroht. Etwa 80 Prozent der Hungernden leben im ländlichen Raum. „Kleinbauern werden weltweit in fast allen Ländern von der Politik benachteiligt", sagt Gertrud Falk von der Menschenrechtsorganisation FIAN.

Auch die EU-Agrarpolitik fördert vor allem die Agrarindustrie, und die internationalen Regeln für Saatgutrechte bevorteilen die großen Züchter gegenüber den Kleinbauern. Dabei benutzt die industrielle Landwirtschaft häufig chemische Spritzmittel und gv-Saatgut und ist damit für die Mehrzahl der Umweltschäden und den Ausstoß von Klimagasen verantwortlich. Die Förderung einer kleinbäuerlichen, ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft zahlt sich mehrfach aus. Sie verbessert die Ernährungssituation, reduziert Armut und mindert die Folgen des Klimawandels durch umweltverträglichen Anbau. Deshalb sollten Regierungen (und auch Konzerne) den Kleinbauern den Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Land und Wasser, Beratung, Märkten und lokal erzeugtem Saatgut sicherstellen Dies gilt insbesondere für Frauen. Studien zeigen, dass die Ernteerträge um ganze 20 bis 30 Prozent gesteigert werden können, wenn Frauen die gleichen Chancen wie Männer haben, Landwirtschaft zu betreiben.

Alles in allem können wir sagen: Die pauschale Forderung nach mehr Getreide hilft nicht weiter. Vielmehr lenkt sie von den eigentlichen Ursachen für Hunger ab. Die Krise durch den Ukrainekrieg sollte Anlass sein, uns dies wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Klaus Schöffel, Diplomphysiker, seit etwa 40 Jahren im Bund Naturschutz aktiv, davon 15 Jahre als Sprecher des regionalen Arbeitskreises Gentechnik. Referent zu den Themen ökologischer Anbau und biologische Lebensmittel.

Gesellschaft | Politik, 29.11.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2022 mit dem Schwerpunkt: Globale Ziele und Klimaschutz - Zeit, die Stimme zu erheben und endlich zu handeln? erschienen.
     
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