IT-Hardware – ressourcenschonend und fair?

Die IT-Branche muss umdenken

Die Hardware, die unsere digitale Welt unterstützt, führt zu Unmengen von Elektroschrott. Selbst wenn es gelingt, die Recyclingquoten zu steigern, stößt die Rückgewinnung der zum Teil wertvollen Ressourcen an ihre Grenzen. Die IT-Branche muss künftig auf Langlebigkeit setzen.

Langlebige Geräte sind robust und leicht zu reparieren und können über Jahre hinweg sowohl mit Ersatzteilen als auch mit Software-Updates unterstützt werden. © FairphoneBeherbergt Ihr Zuhause, wie viele andere, einen Friedhof für alte Elektronik? Eine dieser Schubladen oder staubigen Pappkartons, gefüllt mit verdrillten oder gebrochenen Kabeln, mit Steckern und Ladegeräten, die zu keinem Ihrer aktuellen Geräte passen, in einem Knäuel von Ohrhörern, alten Telefonen, MP3-Playern und anderen Apparaten, die nicht mehr funktionieren oder die Sie längst vergessen haben?

Mit fast 50 Millionen Tonnen pro Jahr ist Elektroschrott einer der am schnellsten wachsenden Abfallströme auf unserem Planeten. Jede:r europäische:r Bürger:in trägt im Durchschnitt 16 Kilogramm pro Jahr bei. Und 2019 beispielsweise wurden nur 17,4 Prozent des weltweit erzeugten Elektroschrotts nachweislich gesammelt und recycelt. Das Schicksal der restlichen 82,6 Prozent ist nicht dokumentiert, aber wir können erahnen, wo ein Großteil davon landete: in Schuhkartons und auf Mülldeponien. Das ist ein riesiges Problem – nicht nur für die Umwelt. Die Hardware, die unsere digitale Welt unterstützt, wird aus wertvollen Ressourcen wie Gold, Wolfram oder Seltenerdmetallen hergestellt, die von Bergleuten in Afrika oder Lateinamerika in stundenlanger, harter und oft gefährlicher Arbeit abgebaut wurden, die rund um den Planeten verschifft oder geflogen werden mussten und die allzu oft lange vor Ablauf ihrer eigentlichen Lebensdauer als Giftmüll auf Deponien landen.

Erste Schritte in die richtige Richtung
Um dieses Problem zumindest teilweise zu lösen, haben die Regulierungsbehörden der Europäischen Union vor kurzem beschlossen, dass in Europa verkaufte elektronische Kleingeräte bald mit einheitlichen Standard-USB-C-Ladeanschlüssen ausgestattet sein müssen, damit die Verbraucher:innen alle ihre Geräte mit demselben Kabel aufladen können.
 
Einige Monate zuvor, im März 2022, hatte das Europäische Parlament für austauschbare Batterien gestimmt. Selbst ohne den zusätzlichen Druck einer solchen Gesetzgebung am Horizont bewegen sich immer mehr Hersteller in Richtung nachhaltigerer Produkte – vielleicht, weil sich auch die Verbraucher:innen zunehmend bewusst werden, was in der Elektronikbranche schiefläuft. Es scheint, dass wir als Industrie und als Gesellschaft insgesamt beginnen, uns in die richtige Richtung zu bewegen. Endlich.

In den letzten Jahren ist die sog. „Kreislaufwirtschaft" zu einem beliebten Schlagwort geworden. Viele Menschen glauben jedoch fälschlicherweise, dass wir Kreislaufwirtschaft allein durch das Recycling der von uns gekauften Produkte erreichen können. Alte Dinge nehmen und sie in neue Dinge umwandeln – das klingt doch nach einer guten Möglichkeit, unser schlechtes Gewissen zu beruhigen, oder? Natürlich ist es unendlich viel besser, dafür zu sorgen, dass unsere Geräte ordnungsgemäß recycelt werden, als sie einfach wegzuwerfen oder dort aufzubewahren, wo keines der wertvollen Materialien wiederverwendet werden kann.

Recycling und nachhaltiges Produktdesign
Aber gerade bei IT-Hardware ist das nicht so einfach. Wie das Fraunhofer-Institut kürzlich in seiner Ökobilanz für unser neuestes Telefon, das Fairphone 4, bestätigt hat, fällt der Löwenanteil der CO2-Emissionen (rund 75 Prozent bei einem Smartphone) bereits bei der Herstellung eines neuen Produkts an. Und während Rohmaterialien in der Regel recht einfach wiederverwendet werden können, wird das Recycling umso schwieriger und teurer, je näher man einem fertigen Produkt mit mehreren Materialien und komplexer Montage kommt. Nehmen Sie zum Beispiel ein Smartphone: Nur ein kleiner Prozentsatz einer Handvoll Metalle kann mit unseren derzeitigen Recyclingverfahren und -technologien zurückgewonnen werden. Die Elektronikindustrie als Ganzes kann natürlich ihren Teil dazu beitragen, dies zu verbessern. Gemeinsam sind wir in einer guten Position, um durch das Produktdesign höhere Rückgewinnungsquoten zu erreichen. Die Nachfrage nach und die Verwendung von recycelten Post-Consumer-Materialien kann zudem dazu beitragen, Anreize für ein ordnungsgemäßes Recycling zu schaffen und ein entsprechendes Geschäftsmodell zu entwickeln. Letztendlich müssen jedoch alle mit anpacken – von den Regierungen über die Industrie bis hin zu Einzelpersonen –, um den Anteil der recycelten Abfälle zu erhöhen.

Die IT-Branche muss umdenken
2019 wurden nur 17,4 Prozent des weltweit erzeugten Elektroschrotts nachweislich gesammelt und recycelt. Das Schicksal der restlichen 82,6 Prozent ist nicht dokumentiert. © FairphoneDoch selbst wenn die Recyclingquoten in Zukunft steigen, wird dies wahrscheinlich nichts an der Tatsache ändern, dass viele Produkte nicht vollständig oder nicht so recycelt werden können, dass die Ressourcen ihr ursprüngliches Qualitätsniveau behalten. Und dabei sind die Kosten und die Umweltverschmutzung, die mit dem Recyclingprozess selbst verbunden sind, noch nicht einmal berücksichtigt.

Die IT-Branche muss sich also ändern. Um den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft und letztlich auch zu einer gerechteren Wirtschaft zu schaffen, müssen wir Produkte herstellen, die die Menschen gerne und möglichst lange nutzen können. Das kurzfristige Denken und die „Make-use-dispose"-Haltung, die das Geschäft so viele Jahre lang geprägt haben, müssen aufhören. Die Endlichkeit der Materialien, die Verletzlichkeit des Klimas und nicht zuletzt die Sorge um Gesundheit und Sicherheit der Menschen in der Lieferkette lassen uns keine andere Wahl.

Wie können wir dies also erreichen? Der erste Schritt besteht darin, Produkte zu entwickeln, die langlebig sind – Geräte, die robust und leicht zu reparieren sind und über Jahre hinweg sowohl mit Ersatzteilen als auch mit Software-Updates unterstützt werden können. Das Fairphone 4, unser neuestes Gerät, verfügt über eine 5-Jahres-Garantie und lässt sich ohne Werkzeug öffnen. Mit einem normalen Schraubendreher kann man dann zu Hause defekte Teile wie zum Beispiel den Akku, das Display oder den USB-C-Anschluss einfach ausbauen oder ersetzen. Das Fairphone 2, unser Gerät aus dem Jahr 2015, hat gerade ein Update auf Android 10 erhalten, so dass die Nutzer:innen ihr Telefon auch aus Software-Sicht weiter nutzen können.

Geschäftsmodelle, die auf Langlebigkeit setzen
Zweitens: Wir müssen unser Geschäftsmodell anpassen. Derzeit konzentrieren sich viele Unternehmen darauf, neue Geräte zu verkaufen, um Gewinne zu erzielen. Die Entwicklung von Telefonen, Computern und Kameras, die langlebig sind und weiter genutzt werden, wird als Hemmnis für neue Verkäufe und sogar als Kostenfaktor angesehen. Um dies zu ändern, müssen wir neue Ansätze wagen und ausprobieren, z.B. As-a-Service-Modelle oder neue Einnahmequellen aus dem Verkauf von Ersatzteilen und Upgrades, die Anreize für Langlebigkeit bieten. Bei Fairphone haben wir gezeigt, dass es eine Nachfrage nach fairer und nachhaltiger Elektronik gibt und dass es möglich ist, profitabel zu sein und gleichzeitig für die Menschen und den Planeten zu sorgen.

Ein Systemwechsel geschieht nicht über Nacht. Um die Branche wirklich umzukrempeln und das Problem des Elektronikmülls in den Griff zu bekommen, müssen Unternehmen, Gesetzgeber und Verbraucher:innen Hand in Hand arbeiten. Dann, davon bin ich überzeugt, wird die Kreislaufwirtschaft nicht mehr nur ein Schlagwort sein, sondern Realität werden.
 
Aus dem Englischen von Katrin Wippich
 
Eva Gouwens ist seit 2017 CEO von Fairphone, einem Unternehmen mit Sitz in Amsterdam, das sich der nachhaltigeren Produktion von Smartphones verschrieben hat. Sie ist Trägerin des B.A.U.M. | Umwelt- und Nachhaltigkeitspreises 2022 in der Kategorie „Digitalisierung".

Quelle: B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften

Technik | Green IT, 15.08.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2022 mit dem Schwerpunkt: Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft - Ist die Party vorbei? erschienen.
     
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