Kunst- und Kulturfestival abgebrochen

Was ist und was darf Kunst?

Das Kunst- und Kulturfestival, organisiert von der Künstlerinitiative "Kunst ist Leben”, das Ende Januar in Berg am Starnberger See stattgefunden hat, musste wegen öffentlichen Unterstellungen frühzeitig abgebrochen werden.
 
Von Carla Schiffbauer
 
Auftritt auf dem Festival in Berg. Viele Künstler konnten nicht mehr auftreten. © Nikolaus LeonardDie beiden Gründerinnen der Künstlerinitiative "Kunst ist Leben”, Philine Conrad (Schauspielerin und Schriftstellerin) und Marta Murvai (Violinistin) hatten in nur wenigen Wochen ein großes Kunst- und Kulturfestival mit vielen verschiedenen hochkarätigen Künstlern auf die Beine gestellt. Veranstaltungsort war der Marstall in Berg am Starnberger See. Die teilnehmenden Künstler waren Musiker (Klassik, Jazz, Barock, Tango), Schauspieler, Sänger, Kabarettisten, Filmemacher, Regisseure, Bildhauer und Maler.

Die Initiative "Kunst ist Leben” wurde im Mai 2021 von den zwei jungen Frauen gegründet, um Künstler zu vernetzten, die in der aktuellen Zeit in der Ausführung ihrer Arbeit schwer von den politischen Maßnahmen betroffen sind. Sie setzt sich dafür ein, dass Kultur auch in Krisenzeiten stattfinden kann. Unter dem Titel "Wir spielen weiter” wurden daher 40 Künstler aus ganz Deutschland in den Marstall geladen, um das Publikum ein Wochenende lang mit ihren Beiträgen zu beglücken.

Was aber passierte an jenem Tag Ende Januar?
Am Samstagvormittag füllt sich der Saal langsam mit Publikum. Über den gesamten Tag lassen sich die Gäste von den Auftritten der Künstler begeistern, unter anderem Kilian Forster (seit 2006 Intendant der Jazztage Dresden), Tobias Morgenstern (künstlerischer Leiter des "Theater am Rand” in Oderaue), Gitarrist und Sänger Jörg Seidel (Jörg Seidel Swing Trio) – und viele andere staatlich ausgebildete Musiker. Aus der Theater- und Filmbranche waren dabei: Burak Hoffmann (u.a. Staatstheater Wiesbaden) und Markus Böker (bekannt aus Film- und Fernsehproduktionen, u.a. Hauptkommissar bei "Die Rosenheim Cops”), und Regisseur Sebastian Heinzel mit seinem Film "Der Krieg in mir”, der vom ZDF mitproduziert wurde – um nur einige zu nennen.

Am Sonntag soll bis zum frühen Abend der zweite Tag des Festivals stattfinden. Doch dazu kommt es nicht. In der Nacht lesen die Veranstalter eine Nachricht auf einem lokalen Polit-Blog. Auf der Seite wird von der Veranstaltung abgeraten und heftige Unterstellungen formuliert. Der Pächter befürchtet, dass Leser des Blogs diesen Unterstellungen Glauben und Gehör schenken könnten, und bricht die Veranstaltung kurzerhand ab.

Ein Blog und seine Äußerungen
'Kunst ist Leben' nennt sich die Initiative der Veranstalter und schließt damit politische Statements nicht aus. © Screenshot kunstistleben.info, ShutterstockAuf dem Blog wurde zunächst auf das Festival hingewiesen, der Hinweis dann jedoch wieder von der Seite gelöscht mit der Begründung: "Kunst ist … das eher nicht”. Darunter steht in auffällig großen roten Lettern: "Inzidenz 2601. Diese Zahl läßt keinen Spielraum für ‘Querdenker- Folklore’”. Betrieben wird der Blog von der Wählergruppierung Q.U.H. die in Berg lokalpolitisch aktiv ist und sich als Partei begreift. Sie schreiben weiter: "Für einen ‘Feldzug der Kunst’ (...) wollen wir nicht werben. Dies ist nicht nur ein ungerechtfertigter Vergleich, sondern eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus”, und beziehen sich damit auf den Titel der Ausstellung des Künstlerkollektivs, das parallel zum Festival und als Teil dessen seine Arbeiten präsentiert.
 
Die Ausstellung war bereits am 21. Januar 2022 mit viel medialer Aufmerksamkeit eröffnet worden. In dem Manifest der Künstler steht an einer Stelle der Satz: "Die heutige Vereinnahmung der Kunst ist vergleichbar mit der Deklaration der „entarteten Kunst". Den Gedankensprung der Autoren des Blogeintrags zwischen dem Begriff "entartete Kunst” und einer Verhöhnung der Opfer der NS-Zeit, wollten die beiden Veranstalterinnen des Festivals gerne erfahren. Ein Gespräch oder eine Kontaktaufnahme haben jedoch nie stattgefunden.
 
Weiter schreibt der Blog: "Ebensowenig faszinieren uns Menschen, die aus Stücken lesen, die ‘Geistige Gefangenschaft’ heißen (...). Wir wollen auch keinen Musikern zuhören, die damit werben, auf Grund ihrer ‘kritischen Haltungen in Bezug auf die Coronamaßnahmen’ zusammengefunden zu haben. (...) Obendrein ist die Initiative verbunden mit der Aktion ‘#allesaufdentisch’. (...) Die SZ nannte diese eine  ‘hochgefährliche Querdenker-Folklore’ die FAZ spricht von ‘ein Kessel Schwurbel’.”
 
Wer entscheidet, was Kunst ist und darf? 
Der Verein Q.U.H. e.V. beschreibt sich selbst auf seiner Seite als: "Wir sind gerne mal quer, (...) grundsätzlich unabhängig, und (...) aus tiefstem Herzen heimatverbunden.”, wofür auch die Buchstaben des Vereinsnamens stehen. Redaktionell verantwortlich für den Inhalt des Blogs ist neben der ersten Vorsitzenden des Vereins und 3. Bürgermeisterin der Gemeinde Berg, Elke Link, der Autor Andreas Ammer, der sich selbst in seinem Profil als "Querdenker und Impulsgeber” vorstellt.
 
Das Fazit und die Konsequenz dieses Blog-Eintrags: Der Festivalsonntag konnte nicht mehr stattfinden. Die Künstler, die aus Schweden, Berlin, Bremerhaven, Köln, Düsseldorf, Gummersbach, Stuttgart, München, Dresden – kurz gesagt aus ganz Deutschland und über die Grenzen hinaus, angereist waren, mussten wieder abreisen – ohne aufzutreten.

Stellt sich die Frage: Was darf Kunst? Was ist Kunst? Was darf Kunst nicht? Und vor allem: Wer entscheidet darüber, was Kunst ist und was nicht? Nachdem der Blog auf seiner Seite über das Festival formuliert hatte: "Kunst ist das … eher nicht” wurde 18 Künstlern verwehrt, ihre künstlerischen Beiträge auf einer Bühne zu präsentieren. Künstler, denen es in der jetzigen Zeit finanziell nicht gut geht, die von Aufführungsverboten betroffen sind, teilweise seit zwei Jahren nicht mehr auf der Bühne gestanden sind, deren Arbeitsgrundlage von Seiten der Politik genommen wurde.

Was der Blog kritisiert, ohne sich mit Inhalten oder den Künstlern auseinandergesetzt zu haben, ist die kritische Haltung gegenüber der aktuellen Politik, den Maßnahmen und wie mit Künstlern und Kulturschaffenden umgegangen wird. Zu dieser Kritik stehen die Gründerinnen von "Kunst ist Leben”, Philine Conrad und Marta Murvai, weiterhin. Und auch zu dem bewusst gewählten Titel "Wir spielen weiter!” Sie werden wieder ein Festival organisieren. Im Mai 2022, dann in der Nähe von Berlin.

"Wir werden weiter spielen"
Philine Conrad. © Nikolaus Leonard Marta Murvai. © Nikolaus Leonard
Philine Conrad äußert sich zu den Vorkommnissen in Berg: "Wir werden weiter spielen. Und wir kommen wieder.” Am liebsten würde sie zum Jahrestag im Januar 2023 wieder ein Festival in Berg im Marstall organisieren. Als kraftvolles Zeichen und Statement. "Man kann uns das Auftreten nicht verbieten.” Kollegin Marta Murvai ist nach den Vorkommnissen in Berg nicht ganz so überzeugt, mit der Kunst an diesen Ort zurückzukehren: "Die Kunst, die wir auf die Bühne bringen, wird einen Ort finden, der die Quliatät unserer künstlerischen Arbeit mehr zu schätzen weiß.”
Wie auch immer die Entscheidung zu einem möglichen Festival-Revival in Berg ausfallen wird – die beiden jungen Frauen werden auf jeden Fall aktiv bleiben und sich weiter dafür einsetzen, dass die Kunst und Kultur in Deutschland lebendig, frei und allen Menschen erhalten bleibt.

Kontakt: Kunst ist Leben, Philine Conrad | kunstistleben@outlook.de | www.kunstistleben.info

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 08.03.2022

     
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