Erde ist Begegnung
Was das Ökosystem und unsere Existenz miteinander verbindet
Die Erde ist unser Zuhause. Nicht nur als „small planet", der seinen Kreis um die Sonne beschreibt, sondern als der Boden, der uns alle hervorbringt und nährt. Dieser Boden gehört zu den Bereichen des irdischen Lebens, die unsere industrielle Nahrungsproduktion am stärksten zerstört. Dass wir so mit ihm umgehen, liegt auch daran, dass wir ihn bloß für Staub halten, Sand, Steinchen, vielleicht ein bisschen Humus. Aber die Erde ist in Wahrheit Fleisch.

Das Wort „Erde" hat in allen europäischen Sprachen diese seltsame Doppelbedeutung: Einerseits bezeichnet es das lockere Substrat des natürlichen Bodens, wo er nicht felsig ist, andererseits meint es den ganzen Planeten – also die Welt, die wir bewohnen, und deren Boden überall von Leben bedeckt ist. Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit, die von vielen Sprachen geteilt wird: die Verbindung von "Erde” und "Mutter”, sei es als "Mutter Erde”, der Planet, oder die "Muttererde”, aus der alles zu wachsen vermag.
Es ist essentiell, dass wir uns diese Verbindung wieder vergegenwärtigen. Die Erde ist einerseits Mineral und sie ist andererseits Leben. Durchschnittlicher Mutterboden besteht nur zu 45 Prozent aus Mineral: Sandkörnern, Steinchen, Staub. Ungefähr ein Viertel dieses Anteils machen größere, kleinere und winzige Luftporen aus. Ein weiteres Viertel des Oberbodens ist Wasser. Der Humusanteil des Erdreichs beträgt gut vier Prozent. Ein halbes Prozent sind Wurzeln, also die den Boden bewohnenden Teile der Pflanzen. Nur ein Viertel Prozent sind Organismen. Diese sind zumeist winzig – und ungeheuer zahl- und artenreich.

So graben sich ausgewachsene Bäume jeweils etwa mit fünf Millionen aktiven Wurzelspitzen durch den Boden voran. Diese Haarwurzeln sind beständig in Bewegung, indem sie an ihrem Ende wachsen und dabei buchstäblich Wassertropfen und Nährstoffmoleküle jagen und verschlingen. Über unsere Köpfe, sanft mit den unbelaubten Zweigen in die Leere ausgreifend, scheint ein Baum ein statisches Gebilde zu sein. Unter der Erde aber, auch im Winter, ist er ein quicklebendiges Wesen. Für den Begründer der Evolutionstheorie Charles Darwin saß das Gehirn der Pflanze dort unten, in der Wurzelspitze: Mit Millionen Hirnen ausgestattet, durchstreifen die Wurzelhaare das Gemisch aus Mineral und Lebenssaft, das die Erde ausmacht. Der Baum selbst ist bereits nicht ein einziges Wesen, sondern ebenso sehr eine Vielzahl: eine Kolonie, ein Ökosystem. Pilze wiederum stiften zwischen den einzelnen Bäumen Beziehungen. Ein Teelöffel Walderde kann fünfzehn Kilometer Pilzmycelfäden enthalten, so winzig sind diese Zellschnüre, die sich nur unter mikroskopischer Vergrößerung beobachten lassen. Pilze wachsen in die Zellwände der Wurzeln hinein, um Stoffe direkt zwischen den Zellen auszutauschen. Andere Pilzausläufer schmiegen sich aufs Engste an die Oberfläche der Haarwurzeln an. Die Pilzfäden ihrerseits sind von winzigen Bakterien erfüllt, die mit dem Geflecht, das sie trägt, eine symbiotische Verbindung eingehen. Die Grenzen zwischen den Körpern lösen sich auf, wie bei den Bakterien in unserem Darm. Diese sind nicht wir selbst, und doch funktionieren sie als unser Körper. Sie sind Eindringlinge von außerhalb, und dennoch können wir nicht ohne sie existieren.
Die Pilz-Wurzel-Gemeinschaft, Mykorrhiza genannt, hat die flächendeckende Begrünung der Erde erst möglich gemacht. Die Erde zeigt somit, dass es keine wirklichen Grenzen zwischen dem organischen und dem mineralischen Anteil gibt. Der Boden besteht aus mikroskopisch kleinen so genannten Mikroaggregaten. Was Sand ist und was belebte Schicht, lässt sich darin kaum separieren – schon gar nicht, ohne ein solches Aggregat zu zerstören. Im Grunde gleichen solche mineralischen Zusammenschlüsse selbst Zellen in ihrer Mischung aus belebten und unbelebten Partikeln, und in ihrer Abgeschlossenheit nach außen. Die Zellen jedes Körpers sind umgekehrt wiederum mineralische Aggregate im Kleinsten: So schwappt, wie man inzwischen weiß, das Körperwasser nicht in Tröpfchenform durch die Zelle, sondern jedes Wasserteilchen ist individuell wie ein Einrichtungsgegenstand in die molekularen Strukturen der Zelle eingebaut.
Das Organische und das Anorganische sind nicht trennbar, das ist die Botschaft, die die Erde für uns bereit hält, wenn wir uns zu ihr hinab beugen und ihren Blick einnehmen. Wir sind Teil eines großen Körpers, den zu viel Eigensucht zerstört. Die Erde als ein Lebewesen zu begreifen, heißt zu verstehen, dass wir helfen müssen, das Ganze am Leben zu halten, um selbst existieren zu können.
Der Erde auf Augenhöhe begegnen: Vom 18. bis 20. Juni 2021 finden zum vierten Mal „Erdfeste" statt.

Hier finden Sie Informationen für am Mitwirken Interessierte: www.erdfest.org/de/mitwirken
von Andreas Weber
Umwelt | Umweltschutz, 01.06.2021
Dieser Artikel ist in In einer Zeit, in der Angst Einzug in der Gesellschaft hält, macht forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2021 Mut. - Sicher!? erschienen.

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