Fassungslos über die Unverhältnismäßigkeit
Die Sehnsucht nach Kunst
Ein Improvisationstheater in der Zeit von März bis November 2020 im Wechselbad der Gefühle. Erst Berufsverbot mit Lockdown 1. Dann nach der „Schockstarre" aktivieren der Kreativität: Absprachen, Erstellen von Hygienekonzepten, Onlineformate ins Leben rufen, Investition von Zeit und Geld. Letzteres war aber nicht mehr durch Einkünfte, sondern nur aus Rücklagen vorhanden. Wie gut, dass man vorgesorgt hat – aber man ist es ja in unserer Branche gewöhnt, selbstverantwortlich zu handeln. Dann nach langem Hin und Her eine kleine staatliche Unterstützung. Aufatmen.

Dann Ernüchterung! Die sowieso reduzierten Kapazitäten im Theater werden vom Publikum nur sehr schleppend genutzt. Angst, Uninformiertheit und Verwirrung durch ständig neue Regularien halten eine Menge Zuschauer vom Theaterbesuch ab. Jetzt durchhalten, positiv bleiben, das wird schon, es geht uns ja allen gleich. Also zumindest in unserer Branche.
Im Spätsommer kommt Hoffnung auf, es werden mehr Zuschauer, man kann wieder ein bisschen Geld verdienen. Vorher musste man bei jedem Auftritt Geld mitbringen, um das Personal für Gastro, Technik und Bühne zu bezahlen...
Und jetzt: Lockdown 2 – light...
Ja, die Infektionen steigen wieder, ja, es ist sicher nicht einfach als Regierung die absolut richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Kurve abzuflachen. Aber wieder trifft es die gleichen Branchen besonders hart – Gastronomie und Veranstaltungsbranche. Wir hatten doch alles getan, was in unserer Macht stand, um uns an alle Regeln zu halten und mitzuhelfen, dass es bei uns keine Ansteckungen gibt. Nachweislich soll es ja in allen Theatern so gewesen sein, dass niemand dort mit Covid-19 angesteckt wurde. Wir sind fassungslos. Gäbe es keine andere Lösung als den Lockdown 2 light? Eine der Begründungen für die Schließung der Bühnen lautet: Kontaktvermeidung im öffentlichen Nahverkehr auf der Fahrt zum Theater. Wir empfinden dies als einen Affront gegen das Zutun derer, die ihr Möglichstes zur Umsetzung von allem Nötigen in ihren Häusern getan haben, wenn man im Vergleich dazu die täglich drängenden Massen in den U- und S-Bahnen im Berufsverkehr und auf dem Weg zum Shopping sieht. Mehrerlei Maß wird angesetzt, wer soll und darf zur Arbeitsstelle fahren, wer nicht? Wer darf arbeiten und wer nicht? Wir Künstler wollen doch arbeiten! Reichen denn die Abstände und Einbahnwege an den Veranstaltungsorten immer noch nicht aus?
Wovon sollen wir leben?
Ich frage mich: Welche Branche erhält staatliche Finanzunterstützung wofür? Wer befindet sich in sicherer Kurzarbeit – oft noch mit zusätzlichen Privilegien –, und welcher Freiberufler steht bereits am Abgrund? Mich beschäftigt ebenfalls: Wer wird dies alles bezahlen? Unsere Branche zahlt auf jeden Fall mindestens doppelt, einmal jetzt und dann später durch Steuererhöhung, Insolvenzen und die daraus resultierende, niedrigere Auftragslage.
Und das Publikum, wo ist das? Wieso lässt es eigentlich zu, was man ihm und uns nimmt? Die Aktion „Ohne uns wird’s still" hat vielen gezeigt, wie es sich anfühlt, wenn ein Philharmonieorchester auf die Bühne kommt und einfach nur still ist, wenn ein Theaterensemble den Raum betritt und nichts sagt oder macht. Es kann leicht sein, dass wir nach der Krise dieses Mal nicht die ersten sind, die sich auf die Straße trauen und den Menschen wieder Mut und Freude bringen. Die Zugabe-Rufe sind leider viel zu leise!
Es reicht!!!

Aber freie Künstler, Beleuchter, Bühnenarbeiter können leider kaum Betriebskosten in Anrechnung setzen. Ein Problem, das bereits beim ersten Lockdown sichtbar war, dem aber von den Regierungen keinerlei Rechnung getragen wurde. So sind viele Kollegen in Schulden geraten. Das soll ja nun im zweiten Lockdown, liebevoll Mini-Lockdown genannt, geändert werden. Soloselbstständige und freie Künstler sollen 75 Prozent ihres Umsatzes eines vergleichbaren Monats in 2019 für den Monat November erhalten. Und dann? Das ist die entscheidende Frage: Werden die Zusagen der Regierungen vom 28. Oktober, die eigentlich viel zu spät kommen, nun greifen und unsere Branche retten?
Unsere Forderungen:
- Denken Sie über weiterreichende Unterstützungen für die Kunstbranche nach. Die gerade in Halle veröffentlichte Studie Restart 19 belegt, dass bei ausreichender Belüftung durchaus auch in größeren Häusern Veranstaltungen organisiert werden können.
- Setzen Sie sich mit einschlägigen Organisationen zusammen, wie zum Beispiel den Partnern in der Allianz der Freien Künste, um deren Forderungen umzusetzen.
- Schaffen Sie Finanzhilfen, die der gesamten Branche nützen, auch über den November hinaus, denn selbstständige Kulturschaffende müssen auch nach dem 1. Dezember 2020 noch Miete zahlen.
- Entwickeln Sie mit Sachverständigen Konzepte, die es möglich machen, dass auch größere Veranstaltungen wieder durchführbar werden.
- Helfen Sie uns, damit wir nicht in ein paar Monaten ein kulturell verarmtes Land geworden sind, vieles würde dann unwiederbringlich verschwunden sein. Das darf nicht geschehen.
Wir hoffen und bitten, dass einem wichtigen Wirtschaftszweig nicht die Lebensgrundlage genommen wird. Tragen Sie dazu bei, dass die Sehnsucht vieler Menschen nach Kunst bald wieder erfüllt werden kann. Ein Land ohne Kunst und Kultur geht langsam zugrunde.
Auszüge aus einem offenen Brief von Renate Hausdorf, Präsidentin des Paul-Klinger-Künstlersozialwerk e.V., Mitglied in der Allianz der Freien Künste | www.paul-klinger-ksw.de
Über die Not-Wendigkeit der Künstler
Bedingt durch die Corona-Auflagen leben wir zunehmend mit weniger Sozialkontakten und verbringen viel Zeit zu Hause. Zu diesem auferlegten Rückzug kommt verstärkend das kürzer werdende Tageslicht hinzu. Viele fühlen sich isoliert und der Depression nahe. Wenn es auch so scheint, dass diese Zeit nie enden wird – wir werden wieder aus dem Rückzug hinausfinden müssen! Zu Pestzeiten waren Spielleute und Gaukler die ersten, die eine traumatisierte Menschengemeinschaft aus den Häusern lockte. Sie wendeten die Not (not-wendig) und schafften damit wieder eine Basis für ein Miteinander.
Sabine Grimm, Harfenistin, Sängerin
Gesellschaft | Politik, 01.12.2020
Dieser Artikel ist in forum 04/2020 - Jetzt reicht's! erschienen.

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