Florian Henle

Energieversorgung im Quartier

Ganzheitliche, integrative und dezentrale Ansätze

Diesen Beitrag von Florian Henle, Polarstern GmbH, finden sie im B.A.U.M.-Jahrbuch 2020 - Nachhaltige Stadt. Unternehmen als Akteure im urbanen Raum
 
Ein ideales Testfeld, um die Energiewende in der Stadt voranzubringen, sind Quartiere. Hier wird im Kleinen erprobt und erforscht, was später Standard werden soll. So eröffnet etwa die Mieterstromversorgung zahlreiche sektorenübergreifende Verknüpfungsmöglichkeiten für klimafreundliche Smart Cities. Die im Quartier erzeugte Energie wird dann nicht nur zur Strom-, sondern auch zur Wärmeversorgung genutzt und kann durch Ladeangebote für Elektrofahrzeuge auch CO2-Emissionen im Verkehr reduzieren. Die vernetzte Steuerung der Anlagentechnik ist außerdem die Basis für smarte Lösungen, die den Alltag der Menschen sicherer, bequemer und effizienter machen. 
 
Zwei große Mieterstromprojekte von Polarstern zeigen, wie das Wohnen der Zukunft schon heute aussieht: das Quartier Lok.West in Esslingen und das Quartier Future Living® Berlin.
Energieeffizienz 
Lok.West ist das erste Quartiersobjekt, bei dem aus den Überschüssen der dezentralen Stromerzeugung mit PV-Anlagen und BHKWs in einem Elektrolyseur ´grüner Wasserstoff´erzeugt wird. © RVI GmbHIn Esslingen entsteht derzeit auf einem alten Güterbahnhofsgelände ein neues Wohn- und Geschäftsquartier namens Lok.West. Auf 26.500 Quadratmetern, einer Fläche größer als dreieinhalb Fußballfelder, werden bis 2022 fünf Gebäude gebaut mit rund 500 Ein- bis Vierzimmerwohnungen und privaten sowie öffentlichen Grünflächen und Höfen.
 
Das Besondere am Quartier Lok.West ist seine 100-prozentige CO2-Neutralität. Allein mit Energiesparmaßnahmen wäre das nicht erreichbar. Zwar verfügen die Gebäude über eine hoch wärmegedämmte Gebäudehülle, aber es muss auch lokal Strom erzeugt und vorwiegend im Gebäude genutzt werden, um die Klimaziele zu erfüllen. Reicht die vor Ort erzeugte Strommenge aus PV-Anlagen und BHKWs nicht aus, wird das Gebäude mit Ökostrom und Ökogas aus 100 Prozent erneuerbarer Energie versorgt. Insgesamt sollen in den Gebäuden bis zu 80 Prozent des Strombedarfs aus eigener Produktion gedeckt werden.
 
Lok.West ist das erste Quartiersobjekt, bei dem aus den Überschüssen der dezentralen Stromerzeugung mit PV-Anlagen und BHKWs in einem Elektrolyseur „grüner Wasserstoff" erzeugt wird. Solche Maßnahmen stabilisieren das Stromnetz und ermöglichen, Erzeugungs- und Lastspitzen im Stromsektor besser aneinander anzupassen. Der erzeugte Wasserstoff wird in eine Abfüllstation geleitet und steht so Tankstellen und lokalen Unternehmen zur Verfügung. Die bei der Elektrolyse anfallende Abwärme wird zudem über ein Nahwärmenetz direkt im Quartier genutzt. Außerdem kann bei Bedarf ein geringer Teil des Wasserstoffs in den BHKWs des Quartiers rückverstromt und somit zur Energieversorgung der Haushalte eingesetzt werden. Damit dient der Elektrolyseur entsprechend des Ansatzes Power-to-Gasto-Power gewissermaßen auch als Stromspeicher.
 
Das gesamte Projekt ist eines von sechs Leuchtturmprojekten, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aus mehr als 60 Bewerbungen ausgewählt wurde. Damit erhält es eine Förderung im Rahmen des Förderschwerpunktes „Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt". 
 
Eigenstromversorgung und Autarkie
Im zukunftsweisenden Quartier Future Living® Berlin realisiert Polarstern eine smarte Mieterstromversorgung mit integrierter Sektorenkopplung. Eine 190 Kilowatt Peak Photovoltaik-Dachanlage versorgt 69 Wohneinheiten und 20 Boarding House-Studios. Wird mehr Strom erzeugt als direkt genutzt werden kann, füllt der Solarstrom mindestens einen Batteriespeicher mit 170 Kilowattstunden nutzbarer Speicherkapazität.
 
Auch Wärmepumpen und Ladestationen eines Community E-Car-Sharing-Angebots werden mit Solarstrom versorgt. Das alles steigert den Direktverbrauch, zumal zur effizienten Wärmeversorgung auch 25 Wärmepumpen untereinander vernetzt sind.
 
Neben der optimalen Nutzung der verfügbaren Speicherkapazität spielt das Verbraucherverhalten bei der effizienten Energieversorgung eine wichtige Rolle. Um die im Energiekonzept budgetierte Eigenstromversorgung und Autarkie zu erzielen, muss Extremverhalten der Bewohner – sprich: sinnloser Energieverbrauch – vermieden werden. Nutzer in ihrem Verhalten anzuleiten und die Versorgung an ihren Bedarf anzupassen, sie mit Informationen zu unterstützen, das ist ebenfalls eine Funktion, die das Energie-Management-System leisten muss. Die Bewohner von Future Living® Berlin werden dabei von einem digitalen Wohnungsmanager auf einem festinstallierten Touchscreen unterstützt. Er zeigt ihnen u.a. den Strom-, Heizungs- und Wasserverbrauch für die einzelne Wohnung an, so dass sich die Bewohner daran orientieren können. Automatisierungen führen ferner dazu, dass sich beispielsweise die Heizung bei Nichtnutzung von Räumen ausschaltet.
 
Mieterstrom ist ein Steigbügel für die umfassende Energiewende in der Stadt. Sie unterstützt klimafreundliche Entwicklungen und Lösungen auch in anderen Sektoren und bietet dabei Vorteile für Immobilienbesitzer und Bewohner. So steigt nicht nur der Immobilienwert, auch die Energiekosten sinken und es eröffnen sich neue Geschäftsmodelle und damit Serviceangebote. Wer die Stadt der Zukunft mitgestalten will, kommt an vernetzten Mieterstromprojekten nicht vorbei. Quartierslösungen zeigen heute, wie es morgen bei uns aussehen kann. 
 
Florian Henle ist Mitgründer und Geschäftsführer des Öko-Energieversorgers Polarstern. Er verantwortet die Bereiche Geschäftsentwicklung, Energiewirtschaft, Finanzen und Marketing. Bei der Realisierung und Weiterentwicklung von Mieterstromprojekten setzt er auf eine intelligente und sektorenübergreifende Vernetzung.

Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften

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