Bernd Schleich
Umwelt | Klima, 10.06.2020
Wer wird Klassenbester?
Klimaneutralität von Unternehmen
Immer mehr Unternehmen erkennen die Wichtigkeit von Klima und Umweltschutz. Dies zeigen Initiativen wie die Entrepreneurs for Future oder die 2-Grad-Initiative. Auch Microsoft will ein Ausrufezeichen im globalen Wettbewerb der Unternehmen um Klimaneutralität setzen. Nicht nur die laufenden, sondern alle Emissionen seit Gründung der Firma sollen als Umweltbelastung entfernt werden. Das ist mal eine echte Ansage...
Die internationale Nachhaltigkeitsdiskussion hat den Klimaschutz auch in der Zeit von Corona zum Thema Nr. 1 deklariert. Jahrelang haben IPCC-Berichte zwar zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und des Unternehmenssektors dem Klimaschutz gegenüber geführt. Aber erst seitdem „Fridays for Future" und seine vielen Bündnispartnernnen auf der internationalen Bühne aufgetreten sind, hat das Thema richtig Fahrt aufgenommen. Keine neuen Fakten zur globalen Erwärmung haben so stark gewirkt wie die Wahrnehmung von fff als ernstzunehmendem „political change agent". Im Prozess der Bekämpfung des Klimawandels zeigt sich auch die fundamental wichtige Rolle der Unternehmen. Bisher ließ es sich komfortabel hinter dem Argument einrichten, erst einmal müsse die Politik die Rahmenbedingungen definieren, bevor Unternehmen proaktiv und über das Maß der gesetzlichen Anforderungen hinaus in der Vermeidung und Reduzierung ihrer Treibhausgas-Emissionen tätig werden müssen. Aktuell wird auch die Krise als Hinderungsgrund für ein konsequentes Umsetzen der Klimaziele von Paris instrumentalisiert. Doch dies kann und darf nicht sein, wenn wir nicht eine noch viel grundlegendere Krise heraufbeschwören wollen.
Genug Engagement ist nicht genug
Hinter der vom Greenhouse Gas Protocol abgeleiteten und international generell akzeptierten Vorgehensweise: vermeiden – reduzieren – kompensieren, versammeln sich ein Großteil der Unternehmen, die Klimaschutzprogramme veröffentlichen. Dabei ist Klimaneutralität immer dann erreicht,wenn am Ende des Prozesses eine ausgeglichene Klimabilanz ausgewiesen wird – unabhängig davon, wie hoch der jeweilige Anteil am Vermeiden, am Reduzieren oder Kompensieren ist. Auch eine hundertprozentige Kompensationsleistung der ermittelten Treibhausgas-Emissionen würde bereits zur „Klimaneutralität" des Unternehmens führen, ohne dass irgendein Engagement zur Vermeidung oder Reduzierung nachzuweisen wäre.
Greenwashing also, das Greta Thunberg Anfang Januar in einem Tweet als „Kompensations-Bluff" anprangert. Die CO2-Ausgleichswirtschaft verursache in diesem Fall „mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Schaden als Nutzen". Eine Position übrigens, die vom größten deutschen Kompensationsanbieter „atmosfair" geteilt wird. Umgekehrt gilt aber auch: Je größer der Anteil an vermiedenen oder reduzierten Emissionen an einer Treibhausgas-Bilanz ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine seriöse, wirklich an den Ursachen der Emissionen ansetzende Klimastrategie des jeweiligen Unternehmens handelt.
Was aber, wenn ein Unternehmen als Ziel nicht nur Klimaneutralität deklariert, sondern sogar „CO2-negativ" sein will? Bisher war in der Diskussion das anspruchsvollere Ziel nach „Klimaneutralität" noch das der „Netto-Null-Emission", also der unter anderem auch im „Green Deal" der EU formulierte Anspruch, Treibhausgas-Emissionen auf null herunterzufahren. Keine Emissionen mehr aus der Energieerzeugung, keine aus der Landwirtschaft, dem Verkehr oder Gebäuden, die nicht vollumfänglich durch natürliche Treibhaussenken (Wälder, Moore, Böden und Meere etc.) aufgenommen werden können.
Microsoft – besser als alle anderen?
Hinter den Kulissen und durchaus auch auf offener Bühne werden Unternehmen im Klimaschutz immer aktiver und treten mit teilweise höchst ambitionierten Klimaprogrammen an die Öffentlichkeit und in den Wettstreit, die Besten zu sein. Bisheriger Höhepunkt ist der Mitte Januar von Brad Smith, dem Präsidenten von Microsoft, vorgestellte Klimaplan, mit dem das Unternehmen anscheinend weit über das hinausgehen will, was bisher State of the Art in der Treibhaus- gas-Reduzierung von Unternehmen war.
„Klimaneutralität ist für uns nicht genug," erklärte Smith in einer der für Microsoft typischen Stageshows den erstaunten MitarbeiterInnen. Bis zum Jahr 2030 will Microsoft mehr Treibhausgase aus der Atmosphäre holen als es emittiert und bis 2050 sogar alle Emissionen, die es direkt und indirekt seit seiner Gründung 1975 jemals erzeugt hat. Interessant wird diese Aussage insbesondere dann, wenn man sich die Gesamt-Emissionen von Microsoft in Höhe von 16 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten (CO2eq) etwas näher anschaut. Nur ca. 100.000 Tonnen CO2eq sind direkte Emissionen (Scope 1), 4 Mio Tonnen sind indirekte Emissionen (Scope 2) aber 12 Mio Tonnen oder 3?4 aller Emissionen kommen aus der vor- und nachgelagerten Lieferkette (Scope 3), also von allen Zulieferungen bis hin zu den von den Kunden, die Microsoft-Produkte verwenden, generierten Emissionen, besonders durch Stromverbrauch.
Hier wird die Ankündigung wirklich spektakulär, denn in einem Dreischritt will Microsoft alle 3 Emissionskategorien zunächst bis 2025 klimaneutral und bis 2030 in einen „Netto Negativ"-Zustand gebracht haben, das heißt, es werden ab 2030 jährlich der Atmosphäre mehr CO2eq entnommen, als emittiert werden. Bis 2050 soll dieser Prozess darüber hinaus alle jemals emittierten CO2eq bis in das Gründungsjahr 1975 zurück in ein Netto Negativ gewandelt haben. Also auch alle Emissionen, die wir als Kunden von MS-Produkten weltweit seit 1975 generiert haben. „Climate Clarity", Klima-Wahrheit, nennt MS diesen Plan. Es ist ein großer Wurf und er setzt einen globalen Benchmark. Gestern noch als ambitioniert wahrgenommene Klimaprogramme internationaler Großkonzerne wirken, gemessen am neuen MS-Standard, jetzt äußerst bescheiden.
Wenn Facebook seine Emissionen in diesem Jahr um 75 Prozent reduzieren will und komplett auf Ökostrom umsteigt; wenn DHL bis 2025 seine CO2-Effizienz um 50 Prozent verbessern will und 70 seiner Kurzstreckenlieferungen über Fahrräder oder Elektrofahrzeuge abdecken will, ist dies im Vergleich zu dem neuen MS-Standard plötzlich überaus bescheiden – um nicht zu sagen: puppenstubenhaft klein. Natürlich muss auch die problematische Seite des Microsoft Vorstoßes betrachtet werden. Microsoft gesteht ein, dass dieser Plan nicht nur mit gigantischen Neu- und Wiederaufforstungsprogrammen, Kohlenstoffbindung in Wäldern und Mooren zu erreichen ist, sondern auch (und insbesondere?) durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung in Böden sowie direkte CO2-Gewinnung aus der Luft. Viele dieser Verfahren bergen enorme Umweltrisiken in sich und sind noch nicht hinreichend erforscht...
Aber selbst die vorhandenen Techniklösungen würden nicht annähernd ausreichen. Microsoft kündigt im Rahmen seines Klimaplans einen Investitionsfond zur Erforschung neuer, unproblematischer Technologien zur CO2-Neutralisierung an und stattet ihn für die nächsten 4 Jahre mit 1 Mrd. US-Dollar aus. In der Rezeption des Microsoft-Plans durch deutsche Medien spürt man sehr deutlich den Gegensatz des genuin US-amerikanischen Technikoptimismus gegenüber unserer weit verbreiteten Technikskepsis. Eine offene und spannende Situation allemal und endlich ein Anstoß für intensive Diskussionen technischer Lösungen und ihrer Folgen in der Öffentlichkeit.
Alle sind gefragt!
„Rund" wird der Microsoft-Klimaplan aber erst durch das angekündigte und versprochene Konzept einer breiten und ernsthaften Beteiligung der Microsoft-Mitarbeitenden und Microsoft-Kunden weltweit. Das Unternehmen geht mit einem weitreichenden Beteiligungsangebot auf seine Belegschaft zu und fordert sie auf, sich mit Ideen, Anregungen, aber auch Kritik in den begonnenen Prozess einzubringen. Eine bedeutende politische Dimension hat der Klimaplan von Microsoft ebenfalls. Man kann den Plan als Fehdehandschuh begreifen, den Microsoft der Trump-Administration in den Ring wirft. Nach dem Motto: Ihr könnt beschließen, was ihr wollt; ihr könnt den Klimawandel leugnen, so lange ihr wollt. Wir lassen uns als Unternehmen nicht davon abbringen, das aus unserer Sicht Richtige und Wichtige zu tun. Zum Wohle und zur Zukunftssicherung unseres Unternehmens.
Hinweis: Ausführliche Info über die Klimaneutralität von Unternehmen, das Greenhouse Gas Protocol sowie die Zusammensetzung und Messung der Scopes 1 bis 3 finden Sie in zahlreichen Beiträgen auf www.forum-csr.net
Bernd Schleich ist Mitglied des Gesamtvorstands B.A.U.M. e.V.
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Mit Klima-Konjunkturprogramm Wirtschaft krisenfester machen
68 große deutsche Unternehmen appellieren an die Politik, Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise mit ambitionierter Klimapolitik zu vereinen. Sie drängen auf die ambitionierte Ausgestaltung eines Green Deal sowie auf die Vorlage ambitionierter Klimaziele aller Staaten in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaschutzvertrag.
Die beteiligten Firmen sind namhafte Vertreter aus allen Branchen, darunter Schwerindustrie, Chemieindustrie, Maschinen- und Fahrzeugbau, Finanzbranche und große Unternehmen aus den Bereichen Gebäude und Mobilität. Zusammen beschäftigen sie in Deutschland knapp eine Million und weltweit über 3 Millionen Menschen und stehen für einen globalen Umsatz von etwa einer Billion Euro. „Die mittel- und langfristigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen als Reaktion auf die Corona-Krise sollten im Rahmen eines Klima-Konjunkturprogrammes auf unser gemeinsames Ziel einzahlen: eine resiliente Wirtschaft und Gesellschaft, die Klimaneutralität durch eine hohe Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit erreicht", sagt Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung 2°. „Die Unternehmen brauchen auch nach der Corona-Krise Planungs- und Investitionssicherheit, denn sie haben damit begonnen, ihre Geschäftsmodelle klimafreundlich auszurichten", so Nallinger weiter. Diese Investitionen in sichere Arbeitsplätze, heimische Wertschöpfung, Ressourcen- und Gesundheitsschutz gelte es zu schützen.Prof. Dr. Michael Otto, Präsident der Stiftung 2° und Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group sagt: „Die enormen Anstrengungen von Staat und Gesellschaft zum Schutz der Bevölkerung sowie der Wirtschaft im Zuge der Corona-Pandemie zeigen uns, was wir gemeinsam zur Bekämpfung einer globalen Bedrohung bewegen können. Klimaschutz als Modernisierungsprojekt für die Wirtschaft zu begreifen, kann jetzt eine wichtige Rolle zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise spielen – und gleichzeitig dazu beitragen, tiefgreifende Auswirkungen der Klimakrise zu vermeiden."
Auswahl von Statements beteiligter Unternehmen:
„Eine wirksame CO2-Bepreisung ist wie ein Klimakompass, um Geschäftsmodelle nachhaltig aufzustellen. Beim CO2-Preis darf es daher kein Zurück geben. Vielmehr muss eine sinnvolle Verzahnung mit einem Konjunkturprogramm für Klimaschutz und Nachhaltigkeit geschaffen werden.”
Dr. Frank Mastiaux Vorstandsvorsitzender, EnBW Energie Baden-Württemberg AG
„Ohne klimafreundliche Mobilität können wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen. Wir brauchen jetzt ein klares Bekenntnis aus der Politik, dass die bisherige Fahrtrichtung beibehalten wird. Mit einem Europäischen Green Deal und einem Klima-Konjunkturpaket lassen sich die nächsten Etappenziele deutlich besser planen.”
Olaf Schabirosky, CEO Hermes Germany GmbH
„Zwei Drittel der Wohngebäude in Deutschland müssen saniert werden, um unsere Klimaschutzziele einzuhalten. Mit einem ambitionierten Klima-Konjunkturprogramm, das innovative Produkte und Ideen beinhaltet, kann der Gebäudesektor einen sehr wichtigen Beitrag zur Erholung der deutschen Wirtschaft leisten und gleichzeitig sichere Arbeitsplätze für kleine und mittelständische Unternehmen schaffen.”
Andreas Engelhardt persönlich haftender Gesellschafter, Schüco International KG |
Dieser Artikel ist in forum 02/2020 - die Corona-Sonderausgabe - Einfach zum Nachdenken... und Handeln erschienen.
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