Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.09.2019
Bauern: Problemlöser statt Sündenbock
Dicke Luft in der Landwirtschaft und schlechtes Klima müssen nicht sein
Seit dem Volksbegehren Artenschutz herrscht dicke Luft in Bayern. Verbraucher mit Halbwissen sehen in Landwirten massive Umweltverschmutzer und tragen gleichzeitig durch den Kauf billiger Industrie-Lebensmittel zum großen Bauernsterben bei. Bauern fühlen sich am Pranger und schimpfen auf Konsumenten und Politik. Eine verzwickte Lage. forum sucht Auswege.

Zwei Generationen arbeiten auf dem Hof, damit alles so perfekt laufen kann wie beschrieben. Dennoch ist eine 40-Stunden-Woche ein ferner Traum. Der Arbeitstag beginnt um 5.00 Uhr morgens und endet oft erst 14 Stunden später. Das alles nehmen der Landwirt und seine Familie klaglos in Kauf. Doch immer mehr gesetzliche Vorschriften rauben ihm die Lust am „freien" Bauernleben. Und seit diesem Jahr ist er besonders sauer...
Ärger in Bayern
Im Süden Deutschlands herrscht dicke Luft: Seit der Verabschiedung des Volksbegehrens Artenvielfalt „Rettet die Bienen!" fühlen sich viele Landwirte entmündigt. Nicht zuletzt aufgestachelt durch geschickte Agitation von Lobbygruppen und Bauernverband gehen sie auf die Barrikaden und reißen demonstrativ Streuobstwiesen nieder, bevor ihnen der Naturschutz zukünftig weitergehende Vorschriften auferlegen kann. Sie sehen nicht ein, warum ihnen Termine für das Walzen ihrer Wiesen und die Berücksichtigung von Abstandsflächen zu Gräben von unkundigen Bürgern per Volksbegehren „aufgedrückt" werden. Die Folge: Die Kluft zwischen den Bauern und restlichen Bürgern wächst, der Ton wird schärfer. Auch der meines Cousins.
Dies ist für Thomas Prudlo, einen der Initiatoren des Volksbegehrens, völlig rätselhaft. Er hat mit Herzblut an dessen Inhalten mitgearbeitet, und da er selbst aus einer Allgäuer Bauernfamilie stammt, kennt er die Nöte gerade der kleineren Höfe. Aus seiner Sicht stehen die seiner Meinung nach geringen Belastungen der Bauern in keinem Verhältnis zur Aufregung, zumal ja nicht nur die Gesellschaft, sondern gerade auch die Bauern von einer intakten Natur profitieren. Man denke hier allein an die Bestäubungsleistungen von Bienen und Insekten.
Dass aber nicht nur von der Landwirtschaft, sondern auch von anderen Wirtschaftszweigen Belastungen für Mensch und Umwelt ausgehen, sollte in Zeiten von Klimawandel und Grundwasserbelastung allgemein anerkannt sein. Die Bauern fordern deshalb auch zu Recht von den Bürgern selbst mehr Einsatz für die Artenvielfalt, weniger Mähroboter und Glyphosat im Reihenhausgarten, Verzicht auf Flugreisen und SUV-Nutzung.
Größer, schneller, weiter

Gleichzeitig tobt der Preiskampf im Supermarkt, und die Schnäppchenjagd der Konsumenten wird über den Lebensmittelgroßhandel gnadenlos auf dem Rücken der Landwirte ausgetragen. Diese versuchen in diesem Kampf, durch hohe Investitionen und noch mehr Arbeit sowie durch modernste Technologie ihr Überleben zu sichern. Vergeblich! Zwischen 2005 und 2016 mussten rund vier Millionen kleinbäuerliche Betriebe schließen. Sie werden durch immer weniger, immer größere Betriebe ersetzt. Die Folgen für die Natur: Monokulturen auf immer größeren, maschinengerechten Feldern ohne Feldraine und Hecken, Massentierhaltung in immer größerer Zahl.
Die vermeintlich notwendige Spezialisierung birgt eine existenzielle Gefährdung durch starke Preisschwankungen der landwirtschaftlichen Produkte – nicht zuletzt wegen der weiträumigeren Handelsverflechtungen. Auch mein Cousin hat vor einigen Jahren aus Protest gegen immer weiter fallende Milchpreise tausende von Litern Milch „entsorgt". Ähnliche Vernichtungsaktionen zur Preisstabilisierung gibt es in der EU mit Tomaten, Orangen und anderen Lebensmitteln.
Der Trend und die Wünsche der Gesellschaft klaffen immer weiter auseinander. © Agrar-Atlas 2019, HBS
Es fragt sich, warum die EU ihre Landwirtschaft so sehr anheizt, dass ein Exportüberschuss auf Kosten der Umwelt erwirtschaftet wird. © Agrar-Atlas 2019, ECAll diese Entwicklungen werden und müssen kommen, um die Urbanisierung zu meistern. Doch vorher ruiniert der globale Wettbewerb von Lebensmitteln noch die letzten Reste regionaler, bäuerlicher Traditionen, belastet Boden und Grundwasser und verursacht einen gigantischen Transportaufwand. Er macht die Bauern zu Vasallen der Konzerne, verdirbt aufgeklärten Verbrauchern den Appetit und kostet vielen Menschen ihre Gesundheit. Kurzfristig werden wir dabei alle zu Verlierern und bezahlen die Zeche gemeinsam. Länderministerien und die EU versuchen deshalb seit Jahren – allerdings massiv beeinflusst von mächtigen Lobbyorganisationen – entsprechend einzugreifen.
Immer mehr landwirtschaftliche Betriebe geben auf. Der Trend muss gestoppt werden. © Agrar-Atlas 2019, DestatisZurück zum Status quo: Weltweit sehen Bauern sich bei fallenden Preisen gezwungen, immer mehr zu produzieren, um überleben zu können. Oft auf Kosten von Natur und Familie, nicht nur hierzulande sondern weltweit. Kakao mit einem dramatischen Preisverfall in den letzten Jahren ist ein trauriges Beispiel aus Afrika. Der Hunger in der Welt ist somit nicht ein Problem der global verfügbaren Lebensmittel, sondern eine Frage, wer sie sich leisten kann. Wir leisten uns den Luxus, zu viel zu essen und achten eher auf Quantität statt Qualität – mit den bekannten gesundheitlichen Folgen und einer offensichtlichen Zunahme der Dickleibigkeit.
Überproduktion, Marktregulierungen, Auslese nach optischen Gesichtspunkten, lange Transportwege und Verluste entlang der gesamten Wertschöpfungskette bringen weltweit 40 Prozent der erzeugten Lebensmittel auf den Müll. Wir leisten uns diesen Luxus sowie übervolle Kühlschränke, während gleichzeitig immer noch Millionen von Menschen auf dieser Welt hungern. Die einen kämpfen in Fitnessstudios verzweifelt gegen ihr Übergewicht, die anderen ums Überleben. Ein humanitärer Skandal...
Roboter erobern das Feld, und das Fleisch kommt aus dem 3-D-Drucker

Trotzdem breitet sich mit den Argumenten des Hungers, einer wachsenden Weltbevölkerung und nicht zuletzt des Umweltschutzes einer neuer Trend aus, der die Bauern in die Zukunft katapultieren soll: Die digitale Landwirtschaft 4.0. Sie macht vor allem im Silicon Valley neue Investorenmilliarden locker und soll der nächste große Hype mit folgendem Szenario werden: Selbstfahrende Maschinen bearbeiten unermüdlich das Land. Drohnen analysieren laufend die Felder und ermitteln mit künstlicher Intelligenz den Bedarf an Dünger. Sie entdecken Schädlinge im Frühstadium und bestimmen Spritzmittel oder setzen gar natürliche Feinde – zum Beispiel gegen den Maiszünsler – aus. Sie helfen, den perfekten Erntezeitpunkt und den erwarteten Ertrag zu berechnen. Der „Bauer" oder besser Produktionsingenieur sitzt derweil am Monitor und überwacht den High-Tech-Einsatz auf dem Feld und die Fleischproduktion am 3-D-Drucker oder im Fleischreaktor.
Das alles erfolgt nicht zuletzt auch mit dem Hinweis darauf, dass echte Kühe für den Klimawandel verantwortlich seien und die Massentierhaltung unmoralisch. Der erste Burger mit Fleisch aus dem Reagenzglas wurde denn auch – zum horrenden Herstellungspreis – publikumsgerecht von einem der Internetmilliardäre aus dem Valley tapfer verspeist. Er und sein Geld suchen neue Anlagemöglichkeiten...
Eine ferngesteuerte, mühelose Landwirtschaft, maschinengerechte Monokulturen, Einsatz von Robotern sowie Dünger und Chemikalien, patentiertes Saatgut und Gentechnologie versprechen denn auch riesige Profite. Nach der Herrschaft über unsere Daten kommt die computergestützte, absolute Kontrolle über unsere Nahrungsmittelversorgung. Schöne neue Welt...?
Nahrungskreisläufe in der Stadt
Zusätzlich soll das Essen – ebenfalls aus ökologischen Gründen – in die Stadt zurückkommen und in Kreisläufen produziert werden. Gemüsezucht bei künstlichem Licht, gedüngt mit dem Abwasser aus Indoor-Fischteichen, Insektenzucht unter Verwertung von Lebensmittelabfällen, Pilzzucht auf Kaffeesatz, Kompostwirtschaft und geschlossene Rohstoffkreisläufe in Hochhäusern unter den Schlagworten Vertical Gardening und Hydroponic sind angesagt.

Düngeverordnung, Flächenprämien, Tierzuchtregelungen, Bodenproben, Blühstreifen, Ausgleichsflächen und vieles mehr sollen helfen, die ärgsten Missstände zu beseitigen und das Schlimmste zu verhindern. Doch ein Zuviel an Regulierung führt dazu, dass Bauern sich mit einer unglaublichen Bürokratie konfrontiert sehen und mehr am Schreibtisch als auf dem Traktor sitzen. Das kostet Zeit und Rendite. Globale Saatgutkonzerne sowie Chemie- und Industrieunternehmen wollen „helfen" und bieten verlockende Problemlösungen. Doch die bäuerlichen Familienbetriebe verstricken sich damit häufig in Schulden und werden abhängig von den Saatgut-Pestizidkombinationen, Düngemitteln und Hightech-Angeboten weltweiter Monopolisten.
Angeblich können Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP den Bauern im Gegenzug helfen, ihre Erzeugnisse international vermarktbar zu machen. Doch die Folge ist, dass Agrarprodukte fremde Märkte überschwemmen können, wie es in Europa gerade im Fall von Rindfleisch aus den USA befürchtet wird. Doch auch wir exportieren – natürlich subventioniert – landwirtschaftliche Produkte, wie Hühner- oder Schweinefleisch, etwa nach China oder Afrika. Dort zerstören wir damit die gewachsenen Markt-Strukturen und Preise und bei uns zerstören wir durch die intensive Produktion die Bodengesundheit und Grundwasservorräte...
So gingen im letzten Jahr allein aus Deutschland über zwei Millionen Tonnen Schweinefleisch in den Export. Gleichzeitig drohen Deutschland Strafzahlungen wegen seiner Nitratüberschüsse. Die aktuellen Diskussionen über ein halbherziges Tierwohlsiegel und eine generell höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch wirken da eher wie ein Ablenkungsmanöver. Experten und Flächenstaaten fragen, warum der dichtbesiedelte Industriestandort Deutschland auf eine intensive, industrialisierte Landwirtschaft statt auf mehr Naturschutz und Naherholungsgebiete setzt. Doch der Geschäftsführer des deutschen Bauernverbades skandiert: „Wir schicken die Nachhaltigkeit dorthin zurück, wo sie hingehört, nämlich in den Wald."
Weitere Informationen über die Agrarindustrie finden Sie (kostenlos) in diesen Büchern.
All You can eat

Ein globaler Teufelskreis, und es gäbe noch viel zu erzählen, zum Beispiel, wie unsere Futtermittelimporte für das Abholzen des Regenwaldes verantwortlich sind, wie der Pestizideinsatz Bodenlebewesen und Artenvielfalt den Garaus macht, wie Flächenfraß unsere Heimat und Raffgier unsere Gemeinschaften zerstört. Da erscheint die eingangs erwähnte Wut der Bauern auf die Naturschützer fast wie eine Farce...
Save bees and farmers – Bienen und Bauern retten
Doch forum will nicht die Probleme, sondern Auswege aufzeigen. Es gilt, kurzfristig neue Lösungen zu finden, die gleichermaßen Bienen und Bauern, Natur und Gesellschaft, Wirtschaft und Verbrauchern zugutekommen. Eine verantwortungsbewusste Mischung aus Landwirtschaft 4.0, der Förderung bäuerlicher Strukturen, der Nutzung von traditionellem Wissen und dem Verzicht auf Chemikalien und Gifte.
Die Zeit eilt, denn der Artenverlust galoppiert und der Klimawandel ruft nach verstärktem Engagement. In Europa formiert sich dazu ein breites, zivilgesellschaftliches Bündnis zur Rettung der Artenvielfalt und der bäuerlichen Landwirtschaft. Organisationen aus ganz Europa reichten im August in Brüssel die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Save bees and farmers – Bienen und Bauern retten!" ein. Sie will den Einsatz gefährlicher Pestizide beenden und Bäuerinnen und Bauern bei der Umstellung zu einer gesünderen und umweltfreundlicheren Produktionsweise unterstützen. Die EU-Kommission hat nun zwei Monate zeit, die Bürgerinitiative zu prüfen. Sobald sie die Registrierung bestätigt, will das Bündnis innerhalb eines Jahres eine Million Unterschriften in Europa sammeln.
Es bleibt keine Zeit
Die Wissenschaft gibt den Aktivisten recht: Ohne tiefgreifende Veränderungen unserer landwirtschaftlichen Produktion, aber auch unserer Siedlungspolitik und Bodenversiegelung wird der Kollaps unserer Ökosysteme nicht aufzuhalten sein. Ein Viertel der Wildtiere Europas ist vom Aussterben bedroht, der Bestand der Feldvögel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten halbiert. Viele Bienenarten und andere bestäubende Insekten drohen auszusterben.
Und auch die Bauern drohen bald auf der „roten Liste" der gefährdeten Arten zu stehen. Gegenwärtig leiden ausgerechnet die vielfältigen bäuerlichen Betriebe unter der industriell ausgerichteten EU-Agrarpolitik. Bienensterben und Höfesterben haben damit dieselbe Ursache. Karl Bär vom Umweltinstitut München betont: „Die industrielle Landwirtschaft ist das Epizentrum des ökologischen Erdbebens, das uns erschüttert. Die Wissenschaft lässt keinen Zweifel daran, dass wir in der Landwirtschaftspolitik einen ganz grundlegenden Systemwandel benötigen, um Bienen und Bauern zu retten. Unsere neue EU-Bürgerinitiative wird ein Weckruf an die Politik, endlich die Interessen der Bevölkerung über die der Agrarkonzerne zu stellen."
von Fritz Lietsch

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