Sabine Braun

Die Welt nach Corona

Studien und Zukunftsperspektiven

Was kann die Welt aus Krisen lernen? Das wird zur entscheidenden Frage, wenn die Zeit der akuten Krisenbewältigung vorbei ist. Nachhaltigkeit könnte der Schlüssel für eine resilientere Wirtschaft sein, in der vorsorgender Naturschutz und angemessenes Wachstum keine Gegensätze sind.

Sabine Braun ist Geschäftsführerin bei der Nachhaltigkeitsberatung akzente © Sebastian Linder Sabine Braun ist Geschäftsführerin bei der Nachhaltigkeitsberatung akzente © Sebastian Linder
Corona ist ein Virus und keine Strafe Gottes für Ignoranz. Aber Ressourcenverschwendung und der Raubbau an der Natur haben zur Ausbreitung der Pandemie ganz sicher beigetragen, sie vielleicht gar erst ermöglicht. Und natürlich hat die Globalisierung die Krise begünstigt. Durch die in den vergangenen Jahrzehnten selbstverständlich gewordenen weltweiten Bewegungen von Menschen und Gütern konnte sich das Virus rasch verbreiten. 

Die arbeitsteilige Weltwirtschaft hat zwar einigen Schwellenländern eine rasante volkswirtschaftliche Entwicklung ermöglicht, allen voran China und Indien. Doch sie nahm zugleich Menschenrechtverletzungen und Umweltschäden in Kauf, für die sich niemand verantwortlich fühlt. Eine Studie des Internationalen Gewerkschaftsbundes wies 2016 eindrücklich darauf hin, wie die großen Unternehmen der Welt ein globales Geschäftsmodell auf Niedriglohnempfängern mit wenigen Rechten aufgebaut haben. Die Krise macht nun deutlich, in welchen Bereichen Politik und Wirtschaft seit Jahren Dinge verschleppt haben, die in einer globalen Wirtschaft inzwischen selbstverständlich sein sollten, wie etwa menschenrechtlich unbedenkliche Lieferketten. 

Abgesang und neue Perspektiven
Viele Publizisten erregen derzeit mit gewagten Thesen Aufmerksamkeit, denen zufolge die Globalisierung nach bisherigem Muster ausgedient habe, der Kapitalismus kollabiert sei und jetzt eine Post-Corona-Zeit eingeläutet werde, in der nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Der SPIEGEL etwa schrieb am 18. April „Das Virus wäre dann ein universaler, heilsamer Schock", fragt aber auch „Sind wir bereit für die Einsicht, dass wir unser Leben ändern müssen?" Viele verbinden mit solchen Fragen große Hoffnungen, aber sind sie wirklich berechtigt? Die Sehnsucht nach Normalität – sprich danach, wie es vorher war – ist vielleicht doch stärker als die Lehre, dass sich etwas ändern muss. Tatsächlich hat die Finanzmarktkrise 2007/08 gezeigt, dass sich nach einem kurzen Erschrecken das Szenario „Pause und Reset" durchsetzte.
 
Fast drei Viertel der in einem „Corona-Stresstest" befragten 117 Expertinnen und Experten im Panel der Initiative D2030 – Deutschland neu denken rechnen allerdings mehr oder weniger damit, dass nach der Pandemie ein Strukturwandel in Richtung Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung gelingt. Mit 45 Prozent die größte Zustimmung erfährt das Szenario „Neue Horizonte". Voraussetzung dafür, dass es Wirklichkeit wird, seien allerdings richtungsweisende Steuerungsmaßnahmen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sonst bestehe die Gefahr der rückwärtsgewandten Abschottung und Ausgrenzung, wie sie immerhin ein Viertel der Befragten befürchtet. In einem sind sich aber nahezu alle Experten einig: Eine Rückkehr zur alten Normalität werde es nicht geben. 

Nach der Krise ist vor der Krise 
Man kann angesichts der gegenwärtigen Debatten durchaus den Eindruck gewinnen, dass der Coronaschock die Weiterentwicklung in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz an den Rand drängt. Dabei kann Nachhaltigkeit zur Verhinderung künftiger Krisen entscheidend beitragen. Das gilt insbesondere dann, wenn es stimmt, was zwei aktuelle Studien nahelegen. Da sind zum einen Forschungen zu einem Zusammenhang zwischen hoher Luftverschmutzung und der Sterblichkeitsrate von Coronainfizierten. Wie unter anderem die Frankfurter Allgemeine berichtete, steige das Sterblichkeitsrisiko mit jedem zusätzlichen Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft zusätzlich um 15 Prozent. 
Zum anderen legt die WWF-Studie The Loss of Nature and the Rise of Pandemics nahe, dass der zunehmende Raubbau an der Natur und der Rückgang der Artenvielfalt durch menschliche Aktivitäten virenverursachte Pandemien auslösen und verstärken kann (deutsche Zusammenfassung). Prof. Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte bestätigte das: „Viren kommen immer häufiger, auch weil Lebensräume begrenzt werden, weil der Druck auf Ökosysteme wächst. Das wird nicht die letzte Krise dieser Art sein. Deswegen müssen wir uns für zukünftige Krisen wappnen." 

Das heißt, dass Umwelt- und Naturschutz gerade jetzt zu stärken wären. Wenig nützlich sind deshalb Forderungen wie beispielsweise der bayerischen Staatsregierung, sich jetzt auf die Krisenbewältigung fokussieren und zusätzliche regulatorische Belastungen vermeiden. Sie will unter anderem die Ausarbeitung von Sustainable-Finance-Strategien mindestens bis Ende 2020 aufschieben. Die Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt meint dagegen, es sei nicht ersichtlich, dass sich Nachhaltigkeitsrisiken verändern oder reduzieren würden. Das Merkblatt der BaFin zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken habe Fortbestand, die Geschäftsleitungen blieben in der Pflicht.

Plädoyer für eine grüne Transformation
Das Umweltbundesamt hat deshalb mit dem Corona Sustainability Compass einen Blog lanciert, der aus wissenschaftlicher Sicht auf die Chancen einer transformativen Post-Corona-Politik hinweist. Es ruft dazu auf, beim Corona-Krisenmanagement die noch viel größeren Herausforderungen für unsere Zivilisation wie Klimawandel, Ressourcenverschwendung und schwindende Artenvielfalt nicht aus dem Auge verlieren. Krisen, so das Umweltbundesamt, seien „Momente, in denen neue Bilder von einer besseren Zukunft entstehen können."
 
Zehn Thesen zu Nachhaltigkeit und Corona
akzente hat zehn begründete Thesen zu den Folgen der Coronakrise für nachhaltiges Wirtschaften verfasst. Lesen Sie die Begründungen und die dabei verwendeten Quellen im akzente-Blog.
  1. Lieferketten stehen auf dem Prüfstand.
  2. Klimaschutz bleibt Ziel.
  3. Ernährungskrise zeichnet sich ab.
  4. Kreislaufwirtschaft erlebt Neustart.
  5. Biodiversität gewinnt an Bedeutung.
  6. Regionale Konzepte punkten.
  7. Resilienz wird die neue Nachhaltigkeit.
  8. Sustainable Finance könnte stolpern.
  9. Digitalisierung setzt sich durch.
  10. Bürgerrechte rücken in den Fokus. 
Mit demselben Anliegen entstand ein bemerkenswertes Bündnis aus europäischen Umweltpolitikern, dem Europäischen Parlament, 28 Wirtschaftsverbänden und 37 Managern namhafter Unternehmen. Die Green Recovery Alliance forderte Mitte April in einem gemeinsamen Aufruf, die Wirtschaft in Europa nur in Form des vor der Krise beschlossenen „European Green Deal" wieder aufzubauen: „Der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft, der Schutz der Artenvielfalt und die Umgestaltung der Agrar- und Lebensmittelindustrie bieten die Möglichkeit zum schnellen Aufbau von Jobs und Wachstum – und können dazu beitragen, Gesellschaften widerstandsfähiger zu machen", heißt es. 

Die Initiatoren des Aufrufs sind sich einig mit dem Europäischen Rat, der Versammlung aller Staatschefs. Der forderte Anfang April in einer Stellungnahme an die EU-Kommission, dass finanzielle Unterstützung zu Lösung der Coronakrise nicht gegen die Prinzipien verstoßen dürfen, die im Green Deal vereinbart worden sind. Er appellierte, gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank einen Fahrplan für die Überwindung der Wirtschaftskrise zu erstellen. Zwar zeichnet sich aktuell die Verschiebung einiger Projekte zum Green Deal ab, doch an den zentralen Vorhaben des Klimaschutzes und der Umgestaltung des Finanzwesens (Sustainable Finance) hält die EU unbeirrt fest.

Auch die Leopoldina, die nationale Akademie der Wissenschaften, mahnte in ihrer Stellungnahme vom 13. April unter der Überschrift „Weichen stellen für Nachhaltigkeit", dass bestehende globale Herausforderungen wie Klima- und Artenschutz mit der Coronakrise nicht verschwinden würden. Deshalb sollten sich politische Maßnahmen „an den Prinzipen von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, Zukunftsverträglichkeit und Resilienzgewinnung orientieren". Beschlossene Maßnahmen dürften nicht abgeschwächt werden, wirtschaftliche Konjunkturprogramme müssten grundsätzlich mit den Zielen des europäischen Green Deals vereinbar sein. 

Zukunft durch Nachhaltigkeit
Die Entschiedenheit, mit der weltweit auf die Coronakrise reagiert wird, zeigt, dass der Mensch auch existenzbedrohende Krisen lösen kann. Das könnte Mut machen für die Gestaltung von Nachhaltigkeit und Klimaschutz, auch wenn man hier angesichts der ernüchternden Erfahrungen in der Finanzkrise skeptisch bleiben mag. Immerhin werden aktuell interessante Ansätze entwickelt, die auch lange nach Corona noch wegweisend sein könnten: So überlegt Österreich, Staatshilfen für die Lufthansa-Tochter Austrian Airlines von Leistungen des Unternehmens beim Klimaschutz abhängig zu machen. In Dänemark und Polen sollen nur Unternehmen unterstützt werden, die keinen Sitz in Steueroasen haben. Und die Stadt Amsterdam will ihre Post-Corona-Strategie gar an dem Nachhaltigkeitsmodell von Kate Raworth ausrichten, dem sogenannten Sustainability Doughnut.

Damit geraten neben dem Klimaschutz auch Themen wie soziale Gerechtigkeit, faire Bildungschancen und Steuerhinterziehung wieder mehr in den Fokus. Auch die Lieferkettenproblematik könnte volkswirtschaftlich in einem neuen Licht betrachtet werden. Und im unternehmerischen Nachhaltigkeitsmanagement könnte die Krise der Integration von Nachhaltigkeit in die Werte und die Strategie förderlich sein. Denn Resilienz und Zukunftsfähigkeit haben einen ganz neuen Klang bekommen und lassen sich nur zusammen mit Nachhaltigkeit denken. Das sieht auch die Beratungsgesellschaft McKinsey so und schrieb im April zu Klimaschutz und Corona, dass Unternehmen ihren Betrieb nun „widerstandsfähiger und nachhaltiger" machen müssten.

Ganz sicher wird Regulierung ein zentrales Thema bleiben, wenn der Staat mehr Kontrolle übernimmt. Immerhin hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt, dass man sich auf die selbstregulierenden Kräfte des Marktes nicht in allen Bereichen verlassen kann. Der Kapitalismus alter Prägung war schon vor der Krise schwer angeknackst. Nun könnten sich Überzeugungen durchsetzen, die auf die Verwirklichung einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft abzielen. Allerdings braucht es dafür den Zusammenhalt aller demokratischen Kräfte. Denn die Sorge, dass rechtsextremistische Gruppen die Skepsis und Sorge mancher Menschen ausnutzen, nimmt zu. Das Bundesamt für Verfassungsschutz zeigt sich bereits beunruhigt: Die Pandemie werde zum Anlass genommen, die Bundesregierung zu kritisieren, Verschwörungstheorien zu verbreiten und Migranten als Überträger des Virus zu brandmarken. Und dieses Szenario wollen wir alle nicht.
Von Sabine Braun

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