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Umwelt | Umweltschutz, 01.09.2019

Greenwashing mit Ozean-Plastik?

Vermeiden am Anfang, statt Plastik-Fischen am Ende

Immer mehr Unternehmen bieten Verpackungen oder Produkte aus Ozean-Plastik an und vermitteln Verbrauchern ein Gefühl der Umweltfreundlichkeit beim Einkauf von Einweg-Plastikprodukten. Doch nicht (nur) am Strand, auch hier vor Ort ist dringend Aktion angesagt. Die Recyclat-Initiative zeigt den Weg.

Viele Unternehmen werben mit 'umweltfreundlichen' Verpackungen aus Ozean-Plastik. © Martina MerzViele Unternehmen werben mit 'umweltfreundlichen' Verpackungen aus Ozean-Plastik. © Martina Merz
Im Moment werben Unternehmen damit, für die Herstellung von Shampooflaschen oder Textilien an Stränden gesammeltes Plastik verwendet zu haben. Soweit so gut. Allerdings ist Ozean-Plastik allein nicht der richtige Ansatz, um das Problem des Plastikmülls in den Meeren wirklich in den Griff zu bekommen. Das Aufsammeln von Plastik an Stränden ist zwar beileibe nicht falsch, aber das Kind ist dann bereits in den Brunnen gefallen. So viel Plastikmüll, wie täglich in die Meere gelangt, kann unmöglich wieder herausgeholt werden. Der größte Teil des Plastiks sinkt ohnehin auf den Meeresgrund oder befindet sich als Mikroplastik in der mittleren Meerestiefe. Dieses Mikroplastik lässt sich aus dem Meer nicht mehr herausholen, und deshalb muss der Ansatz lauten, zuallererst Plastikabfälle zu vermeiden, eine Wiederverwendung zu fördern und auch Nachfüllverpackungen anzubieten.

Ozean-Plastik darf nicht von tiefgreifenden Lösungsansätzen ablenken
Ozean-Plastik wird nur für einen winzigen Bruchteil von Verpackungen und Produkten eingesetzt und spielt beim täglichen Kerngeschäft und der Masse der Alltagsprodukte so gut wie keine Rolle. Es ist eher eine „grüne Blase", um dem Verbraucher zu suggerieren, dass Unternehmen etwas gegen den Plastikmüll tun, obwohl sie nach wie vor Problemverursacher sind. Der Einsatz von Ozean-Plastik ist für den Massenmarkt zum größten Teil nicht geeignet, weil das angespülte Material schadstoffbelastet sein kann. Da außerdem Art und Umfang der angespülten oder gefischten Kunststoffe unklar sind, besteht keine Planbarkeit zum Einsatz bei der Herstellung von Massenprodukten. Zudem ist das Sammeln und Verarbeiten von Ozean-Plastik bisher schlicht unwirtschaftlich und von Sponsoring abhängig. Viel wichtiger als die Promotion punktueller Showprodukte wäre es, wenn große Verpackungshersteller:
  • unnötige Umverpackungen vermeiden,
  • die Abfüllung von Produkten durch Verbraucher – wie in Unverpacktläden – fördern,
  • Nachfüllpacks anbieten,
  • Verpackungen recyclingfähig designen,
  • Recyclingmaterial aus dem Gelben Sack einsetzen.

Ozean-Plastik oder Gelber Sack?
Es ist dringend Zeit, neue Lösungen für unseren Plastikmüll zu finden! © RitaE, PixabayEs ist dringend Zeit, neue Lösungen für unseren Plastikmüll zu finden! © RitaE, Pixabay
Allein in der EU entstehen jedes Jahr rund 26 Millionen Tonnen Plastikmüll. Wenn überhaupt, wird dieser bisher auch bei uns nur minderwertig recycelt. Er wird also bald auch wieder zu Müll und endet schließlich in einer Verbrennungsanlage... oder in China oder Indonesien. Dass China im Januar 2018 beschlossen hat, die Einfuhr von Plastikmüll zu stoppen, ist eher eine gute Nachricht als ein Problem. Denn anstatt den Müll einfach zu verschiffen, zu stapeln oder zu verbrennen, müssen wir jetzt umdenken und nachhaltige Lösungen finden. Und wer, wenn nicht wir, als der Müll-Europameister, und wo, wenn nicht hier, im Land der Umweltschützer und Ingenieure, können neue Konzepte und Technologien entwickelt, erprobt und finanziert werden, um in Sachen Plastik radikal aufzuräumen? Pioniere wie die Recyclat-Initiative zeigen den Weg.

Ein Gelber Sack ist voller Wertstoffe
Seien wir ehrlich: Produkte in Haushalt und Industrie sind heute ohne Kunststoffe nicht vorstellbar – von der Lebensmittelverpackung über Kinderspielzeug bis hin zur Hightech-Maschine. Aber: Kunststoff wird aus Erdöl hergestellt. Das ist ein teurer und knapper Rohstoff. Recycling sollte daher allein schon aus ökonomischer Sicht viel mehr Bedeutung gewinnen. Eine wertvolle Quelle, um in Deutschland an „neuen" Rohstoff zu kommen, ist der „Gelbe Sack". Doch das Recycling seines wild gemischten Inhalts ist gar nicht so einfach und erfordert einen immens hohen Einsatz. Auf dem Weg vom Haushaltsabfall im Gelben Sack bis hin zum hochwertigen Kunststoffgranulat erfolgen zahlreiche Arbeitsschritte. Es beginnt mit dem Aufbau einer effizienten Sammellogistik, anschließend müssen moderne Sortieranlagen die verschiedenen Kunststoffe, Metalle und andere Materialien maschinell sortenrein voneinander trennen. Die große Herausforderung besteht darin, daraus Recyclingmaterial (Recyclat) zu gewinnen, das den qualitativen Anforderungen neuer Verpackungsmaterialien gerecht wird.

Eine Initiative setzt Standards
Die Recyclat-Initiative setzt sich dafür ein, Altplastik aus dem Gelben Sack für neue Verpackungen wiederzuverwerten. © fotoblend, PixabayDie Recyclat-Initiative setzt sich dafür ein, Altplastik aus dem Gelben Sack für neue Verpackungen wiederzuverwerten. © fotoblend, Pixabay
Schon 2012 etablierte sich mit der Recyclat-Initiative eine Kooperation, die Know-how bündelt, um Alt-Plastik aus der bisher für die Herstellung von Verpackungen ungenutzten Quelle Gelber Sack als Wertstoff aufzubereiten. Die Kernidee dabei war es, PET- und PE-Abfälle aus dem Gelben Sack – anders als bis dahin allgemein üblich – effektiv zu recyceln und somit in einen geschlossenen Material- und Produktionskreislauf zu führen. Das Konzept basierte auf High-Tech-Entwicklungen nach dem Cradle2Cradle-Prinzip. Das Besondere an der Initiative: Sie setzt bedingungslos auf Kooperation. Der Initiator der Recyclat-Initiative, Reinhard Schneider, hat die Entwicklung von Beginn an als „Open Innovation" angelegt, also dem Gedanken, „offen für alle" zu sein. Jeder kann – und soll – mitmachen, um diese sinnvolle Investition in die Zukunft erfolgreich voranzubringen – auch über die eigenen Branchengrenzen hinaus.
 
In diesem Sinne rufen die Partner der Recyclat-Initiative andere Unternehmen und Organisationen aktiv dazu auf, sich ihnen anzuschließen. Denn je mehr Unternehmen sich beteiligen und das Altplastik aus dem Gelben Sack für ihre Verpackungen verwenden, umso mehr Kunststoff wird in einem echten Kreislauf gehalten. Und wenn dann alle so denken und handeln, landet zukünftig – zumindest von uns – gar kein Plastik im Meer. Und als nächsten Schritt kann man sich dann gemeinsam dafür einsetzen, dass Know-how und Technologie weltweit verbreitet werden. Damit auch „von den anderen" kein Plastik mehr in den Ozeanen landet. Für ihre nachhaltige und innovative Entwicklung hochwertiger Recyclate ist die Initiative bereits mehrfach ausgezeichnet worden.

Plastik–Kreislauf statt Endstation Meer
 Je mehr Plastik in einem Wertstoffkreislauf gehalten werden kann, desto weniger landet im Meer. © flockine, Pixabay Je mehr Plastik in einem Wertstoffkreislauf gehalten werden kann, desto weniger landet im Meer. © flockine, Pixabay
Der Aktionsplan der Ellen MacArthur-Stiftung im Rahmen der „New Plastics Economy" bestätigt denn auch genau die Ansätze, die die deutsche Recyclat-Initiative seit Jahren erfolgreich verfolgt: Plastik ist ein Wertstoff! Wenn man ihn richtig verwendet, kann man ihn effektiv recyceln und vermeidet damit Verpackungsmüll. Doch dafür müssen Verpackungen nachhaltig gestaltet und in einem Wertstoffkreislauf gehalten werden können. Die Entwicklung dafür schreitet voran! Im Rahmen der Open Innovation der Recyclat-Initiative wird bereits hochmoderne Laserspektroskopie eingesetzt, um die PET-Abfälle so fein zu sortieren, dass sie zur Herstellung neuer, transparenter und sogar lebensmitteltauglicher PET-Verpackungen wiederverwendet werden können. Das gestiegene Bewusstsein, dass alle Materialien auch nach Gebrauch einen Wert haben, gibt bereits den richtigen Weg vor.

Die Sammlung von recycelbaren Kunststoffen wäre jedoch – gerade in Ländern mit einer schlecht ausgebauten Sammelinfrastruktur – viel einfacher, wenn gebrauchte Kunststoffmaterialien, ob im Konsum- oder Industriebereich, einen definierten Wert hätten. Weltweit gibt es bereits eine Reihe von Sammelsystemen, die zum Beispiel bei Getränkeflaschen gut funktionieren. Solche Systeme erreichen in verschiedenen Ländern eine Rücklaufquote von über 90 Prozent. Die Flaschen sind mit Pfandschema-Logos ausgestattet, und die Maschinen lesen die EAN-Codes, bevor sie das Pfand zurückgeben. Dieses Konzept gilt es auf Kunststoffverpackungen und andere Kunststoffartikel auszudehnen!

Blockchain im Kampf gegen Plastikmüll
WISeKey International Holding Ltd, ein Cybersicherheits-IoT-Plattformunternehmen, will gar seine Identity Blockchain-Technologie einsetzen, um für Kunststoffprodukte eine digitale Identität zu generieren. Hersteller und Anwender von Kunststoff sowie Verbraucher haben dann über eine App die Möglichkeit, Informationen über das Produkt und seine ökologischen Auswirkungen zu erhalten. Diese Informationen könnten auch auf ein internationales Pfandwertsystem ausgedehnt werden. „Wir sehen die dringende Notwendigkeit, die Ozeane vor Kunststoffabfällen zu schützen. Wir arbeiten deshalb mit globalen und lokalen Organisationen zusammen, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, die Recyclingbemühungen zu verstärken und die Kunststoffverschmutzung weltweit zu reduzieren", sagte Carlos Moreira, Gründer und CEO von WISeKey. Durch seine Teilnahme am „Race for Water Program" will er seine Technologie gemeinsam mit Marco Simeoni, dem Präsidenten des Programmes zur Lösung des Problems einsetzen. Sie setzen jetzt genauso wie viele andere Unternehmer ein Zeichen dafür, dass wir dem Plastikproblem auf allen Ebenen die Stirn bieten müssen. Im kommenden Heft berichten wir über den Aufbau von Pfandsystemen für Wasch- und Reinigungsmittelflaschen und den Aufbau von Nachfüllstationen im Handel.

Wichtiger Hinweis
forum berichtet laufend über Fakten und Lösungen in Sachen Plastik. Sie finden weitere Informationen über die Recyclat-Börse cirplus, über Bubble Barrier, das Plastik-Sammelsystem für Flüsse und über Race for Water zum Beispiel in der forum-Ausgabe 2/19. Bereits in früheren Ausgaben berichteten wir über Sammelinitiativen wie das Ocean Cleanup von Boyan Slat, über Marcella Hanschs Pacific Garbage Screening bis hin zu Günther Bonins Seekuh. All dies sowie aktuelle Nachrichten der Recyclat-Initiative, des Plastic Lab sowie Details zur Studie der Ellen MacArthur Foundation finden Sie hier.
 
Von Fritz Lietsch und Thomas Schäfer
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2019 - Social Business beseitigt Plastik-Müll und schafft neue Jobs erschienen.
     
        
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