„Fremde sind nur Freunde, die wir noch nicht kennengelernt haben“

Begegnungsprojekt 'Wie lebst denn Du'?

Über ein halbes Jahr hinweg trafen sich Jugendliche aus Bayern, Sachsen und Jordanien in einem Begegnungsprojekt. Die Begleitforschung von Prof. Dr. Constance Engelfried von der Hochschule München zu diesem zeigt, dass sich durch Begegnungsprojekte Konstruktionen und Zuschreibungen von Jugendlichen gegenüber dem vermeintlich „Anderen" bzw. „Fremden" verändern lassen. 

Internationale Begegnungen von Jugendlichen ermöglichten Freundschaften, wodurch Beziehungstiefe entstand (Foto: Constance Engelfried)24 Jugendlichen aus Bayern, Sachsen und Jordanien, die alle eine Ausbildung absolvieren und zum Teil aus Ländern wie Syrien, Sierra Leone und Afghanistan geflüchtet sind, trafen sich für jeweils eine Woche an verschiedenen Orten in Deutschland und Jordanien. Nach einigem zeitlichen Abstand fanden erneut Treffen statt. Das Begegnungsprojekt „Wie lebst denn Du? – Das Narrativ des Anderen kennenlernen" (NaAnke) ist eine Kooperation von Prof. Dr. Constance Engelfried von der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der HM und der German-Jordanian University (GJU). Erforscht wurde, wie sich das Verhalten und die Einstellungen von Jugendlichen zu den zunächst „Fremden" während eines Begegnungsprojekts änderten. Die Forschungen begleiteten das gleichnamige Begegnungsprojekt, das die Filmproduktionsfirma Terra Media Corp. initiierte und filmisch dokumentierte. 

Hip-Hop als Kommunikationsmittel 
In Workshops gestalteten die Jugendlichen zusammen Bilder zum Thema Heimat, begegneten sich über Tanzperformances oder machten miteinander Musik. „Hip-Hop war, vor allem für einige der Jungs, ein wichtiges Mittel der Kommunikation. Durch das gemeinsame Interesse, die Musik, stellten die Jugendlichen fest, dass es keine Rolle spielt, aus welchem Land jemand stammt oder welche Sprache er spricht", beobachtete Engelfried. 

Eines der Bilder der Jugendlichen, das während eines gemeinsamen Workshops entstand (Foto: Constance Engelfried)Durch die lange gemeinsame Zeit entstand bei den Teilnehmern eine Beziehungstiefe. Spezifische, pädagogische Settings wie Workshops in Kleingruppen oder ein Ausflug in das Flüchtlingscamp Zaatari, sechs Kilometer nahe der syrischen Grenze, konnten durch die wiederholten Treffen realisiert werden. Eine Chance für Engelfrieds Forschung: „Wir konnten das Verhalten und die Einstellungen der Jugendlichen im Projektverlauf mit unterschiedlichen Forschungsmethoden untersuchen und die verschiedenen Narrative an den einzelnen Orten oder zu diversen Themen freilegen", sagt die Forscherin. Narrative sind sinnhafte Erzählungen der einzelnen Jugendlichen über die vermeintlich „Anderen", die Werte transportieren und emotional aufgeladen sind.

Wiederkehrende Themen bei den Jugendlichen
Die vier HM-Forscherinnen des Projekts, Prof. Dr. Constance Engelfried, Maya Ostrowski, Maria Mayr und Stella Frank, setzten teilnehmende Beobachtung, die Analyse von Videomaterial sowie Experteninterviews mit den betreuenden Pädagogen als Forschungsmethoden ein. Bei der Analyse ihres Materials nutzten sie bewusst keine vorgefertigten Indikatoren, sondern suchten offen nach Kategorien, die eine wichtige Rolle für die Jugendlichen spielten. Unabhängig voneinander stießen sie auf die wiederkehrenden Themen Medienkritik, Flucht, Fremdheit und Alltagsrassismus, Geschlechterverhältnisse sowie Freundschaft. „Dass sich in allen drei Kontexten ähnliche Kategorien ergaben, war für uns ein Beleg, dass diese Form der qualitativen Wirkungsforschung optimal war, um Neues herauszubekommen", resümiert Engelfried. 

Freundschaften verändern Narrative
Durch das Eintauchen der Jugendlichen in die verschiedenen Lebenswelten sowie die durch die Workshops gefundenen gemeinsamen Interessen ergaben sich Freundschaften, durch die sich viele der zu Beginn des Projekts konstruierten Narrative veränderten. Dies formulierten die Jugendlichen zum Schluss mit dem Satz: „Fremde sind nur Freunde, die wir noch nicht kennengelernt haben". Ein Ergebnis für Maya Ostrowski, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts: „Dadurch, dass Jugendliche mit und ohne Fluchterfahrung in dem Begegnungsprojekt Freundschaften schlossen, zeigte sich dessen großes Potenzial und Relevanz für die Lebenswelten der Jugendlichen."

Prof. Dr. Constance Engelfried, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften, ist seit 20 Jahren Professorin für Theorie und Organisation der Sozialen Arbeit an der Hochschule München. Ihre Forschungsgebiete sind Kinder- und Jugendhilfe, Migration und Gender Studies, Organisation und Management. Sie ist außerdem Gutachterin der Heinrich-Böll-Stiftung und in der Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs aktiv.

Publikationen: Das Buch „Das Narrativ des Anderen kennenlernen. Intersektionale Wirkungsforschung in einem deutsch-jordanischen Jugendbegegnungsprojekt" erscheint Mitte Februar im Verlag Barbara Budrich, ISBN: 978-3-8474-2352-2. Auf der Begleit-DVD unter dem Titel „Wie lebst denn du?" sind alle Workshops filmisch dokumentiert. Das Material steht für Bildungsarbeit zur Verfügung.
 
Kontakt: Christiane Taddigs-Hirsch, Hochschule München | kommunikation@hm.eduwww.hm.edu


     
        
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