Wirtschaft | Führung & Personal, 01.06.2019
Gemeinwohl-Orientierung hilft Ihrem Unternehmen
Ethisches Wirtschaften und werteorientierte Führung sind Erfolgsfaktoren
Immer mehr Firmen lassen sich nach den strengen Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie auditieren und bewerten. Wir wollten wissen, welche Auswirkungen das auf ein Unternehmen hat und fragten Tobias Ott, den Geschäftsführer eines Publishing-Unternehmens, nach seinen Motiven für das Audit und den Auswirkungen auf das Unternehmen.
Tobias, Ihr habt Euch entschlossen, ein Mitgliedsunternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie zu werden und eine „Gemeinwohl-Bilanz" anfertigen zu lassen. Zunächst einmal: Was ist das eigentlich – die Gemeinwohl-Ökonomie?

… klingt nach Sozialromantik und ein bisschen naiv …
Keineswegs. Unternehmen, die nach den Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie wirtschaften, werfen einen 360-Grad-Blick auf das Unternehmen hinsichtlich aller „weichen Faktoren", und diese entscheiden mehr denn je über den Unternehmenserfolg, z.B. durch höhere Mitarbeiterzufriedenheit. Natürlich setzt die GWÖ eine Grundsehnsucht voraus, nämlich die Suche nach einem gerechten und nachhaltigen Wirtschaftssystem. Unser heutiger Wohlstand ist nicht nachhaltig, er basiert auf der Ausbeutung des Planeten und von zahllosen Menschen. Im Wachstumsglauben haben wir längst die planetaren Grenzen überschritten; wir müssen also etwas ändern. Diese Überzeugung teilen mittlerweile über 80 Prozent der Bevölkerung – somit natürlich auch die Kunden und Mitarbeiter der Unternehmen!
Wie wird aus der Sehnsucht eine andere Firma?
Viele der Ideen der GWÖ haben wir bei der pagina GmbH schon immer gelebt, z.B. hatten wir schon in den 80er-Jahren einen Anteil an einer Windkraftanlage erworben, um atomstrom- und CO2-frei produzieren zu können. Das wurde damals freilich belächelt. Der Windkraftanlage folgten viele weitere Schritte in Sachen Umweltschutz und soziales Engagement. Jetzt haben wir unser Firmenjubiläum zum Anlass genommen, unser Leitbild und unser Handeln von außen auditieren zu lassen. Wir wollen weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sein und gleichzeitig unseren Gemeinwohl-Effekt verbessern.
Ist die GWÖ nicht dennoch eine Umkehrung der unternehmerischen Motivation?
Nicht ganz. Sehr viele Unternehmer, vor allem in Familienunternehmen, handeln schon immer nachhaltig – wie sollte man sonst die Firma gut für die nächste Generation aufstellen? Da muss man nichts umkehren. Trotzdem: Das Geld ist in unserer Gesellschaft vom Mittel zum Zweck geworden. Wer die Tragweite dieses Satzes verstanden hat, wird eine innere Sehnsucht nach Veränderung verspüren. Um ein Beispiel aus einer anderen Branche zu bemühen: Wenn es wichtiger ist, möglichst viel Geld zu verdienen, anstatt wirklich die abgasärmsten Motoren herzustellen, ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Wenn ich als Vorstand einer Aktiengesellschaft daran gemessen werde, dass das Unternehmen vierteljährlich steigende Gewinne ausschüttet, werde ich mein Handeln automatisch danach ausrichten – und das kann auf Dauer nicht nachhaltig sein. Ich muss ständig günstigere Lieferanten suchen, obwohl ich eigentlich zufrieden bin, oder die bestehenden Partner im Preis drücken. Das änderte sich sofort, wenn „Lieferantenzufriedenheit" eines der Unternehmensziele wäre, an dem ich gemessen werde...
... und das ist bei pagina jetzt so?
Als Verlagsberater und Vorstufendienstleister haben wir nur wenige Lieferanten, insofern passt das Beispiel nicht so gut – aber ja: Diese Firmen sind für uns Partner, die wir wertschätzen und mit denen wir uns auch strategisch vernetzen. Das fühlt sich einfach anders an. Wir hatten in unserer Firma schon immer einen werteorientierten Führungsstil, und seit vielen Jahren steht in unserem Firmenleitbild, dass kurzfristige Gewinnmaximierung ausdrücklich kein Unternehmensziel ist. Vielmehr definieren wir uns als mitarbeiterzentriertes und innovationsgetriebenes Unternehmen. Wir haben als Firmenziel festgelegt, aktiv dazu beizutragen, dass der digitale Wandel der Gesellschaft auch für die Verlagsbranche gelingt. Das heißt, wir machen die Herausforderungen, denen sich die Branche gegenübersieht, systematisch zu unseren eigenen und suchen Lösungen. Damit sind wir sehr erfolgreich – aber aus rein kaufmännischer Sicht gäbe es einfachere Wege, sein Geld zu verdienen. Die Gemeinwohl-Ökonomie passt also gut zu unseren Überzeugungen – und sie zeigt uns auf, wo wir noch besser werden können. Sie passt aber auch gut zu unserer Branche.
Wieso „gut zur Branche"?
Aus zwei Gründen: Zum einen fließen „Sinn und gesellschaftliche Wirkung der Produkte und Dienstleistungen", wie es in der Bewertungsmatrix der GWÖ heißt, in das Bilanzergebnis ein. Und die Sinnhaftigkeit und gesellschaftliche Relevanz von Verlagsprodukten ist unbestreitbar. Ob in der Bildung, als Beitrag zum kulturellen Leben, in der Veröffentlichung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse oder als Freizeitbeschäftigung: Die Verlagsbranche ist aus einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft nicht wegzudenken und übernimmt eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Natürlich gibt es auch Verlage, für die wir aufgrund ihres Programms nicht arbeiten. Aber: Wer die Arbeit von Verlagen grundsätzlich in Zweifel zieht und als „Fake News" oder „Lügenpresse" abkanzelt, sägt an den Grundpfeilern einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Nicht umsonst ist Pressefreiheit ein Grundrecht. Verlage werden also schon von ihrem Geschäftszweck her in der Regel gute Gemeinwohl-Werte erhalten.
Na, das hängt doch auch etwas von den publizierten Inhalten ab …
Aus meiner Sicht versammelt die Verlagsbranche viele Menschen, die von ihren Grundwerten her ohnehin den Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie nahestehen. Damit meine ich keine politische Verortung; die Werte, die der Gemeinwohl-Idee zugrunde liegen, sind Grundbedürfnisse aller Menschen. Daraus aber ein verändertes Handeln abzuleiten, dazu bedarf es einer inneren Auseinandersetzung mit diesen Themen. Das ist ein intellektueller Prozess. Und wer in der Verlagsbranche arbeitet, hat in der Regel eine gewisse Disposition zur Reflexion …
Gibt es denn schon Rückmeldungen zu Eurer Gemeinwohl-Zertifizierung aus der Branche?
Die Reaktion ist durchweg positiv. Als wäre es ein längst überfälliger Schritt gewesen. Wer uns kennt, sagt häufig „aber so arbeiten Sie doch ohnehin", das freut uns natürlich. Allerdings kennen die wenigsten das konkrete Konzept – das führt dazu, dass wir viel häufiger als früher mit unseren Kunden über grundsätzliche, gesellschaftliche Themen ins Gespräch kommen. Man lernt sich auf ganz anderer Ebene kennen. Wie schon gesagt: Das Bewusstsein, dass ein Wirtschaftssystem, das auf Wachstum basiert, an seine Grenzen stößt, ist ja überall vorhanden. Die Sehnsucht ist groß, anders zu wirtschaften. Indem wir uns als erste Firma aus dem Verlags- und IT-Sektor gemeinwohl-bilanzieren lassen, wollen wir ein Zeichen setzen. Und Anreize bieten, dass andere es uns gleichtun.
… Anreize – was bringt das?
Ja, das ist ein Experiment. Das eigentliche Prinzip der Gemeinwohl-Ökonomie ist es ja, dass positives Handeln belohnt wird und sich in einem geringeren Steuersatz oder Vorrang in der öffentlichen Beschaffung oder Wirtschaftsförderung niederschlägt. Das ist derzeit noch weitgehend eine Vision. Also haben wir uns gefragt: Warum übernehmen wir das Prinzip nicht einfach selbst? Deshalb werden wir künftig für Firmen, die selbst eine positive Gemeinwohl-Bilanz vorweisen können, Sonderkonditionen anbieten. Das heißt, auch wir wollen positives Handeln belohnen – auch wenn wir natürlich wissen, dass wir nur im Kleinen wirken können. Aber es fühlt sich richtig an.
Du bist ehrenamtlich im Aufsichtsrat von Greenpeace. Auch dort habt ihr eine Gemeinwohl-Bilanzierung durchgeführt …
Nicht wir als Aufsichtsrat. Das hat ein tolles Team aus Hauptamtlichen zusammen mit Beratern gemacht. Aber wir haben im Aufsichtsrat die Entscheidung gefällt, uns bilanzieren zu lassen.
Warum? Eine gemeinnützige Organisation ist doch kein Wirtschaftsbetrieb?
Das stimmt – und die Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie haben auch nicht optimal auf eine Nichtregierungsorganisation gepasst. Aber von zwei, drei der insgesamt 20 Kriterien abgesehen lässt sich das Bewertungsraster ganz genauso anwenden. Es gibt mittlerweile auch Schulen und städtische Betriebe, die sich bilanzieren lassen. Es kommt nicht darauf an, ob alle Kriterien relevant sind. Die Bilanz ist eine hervorragende, aber auch schonungslose Möglichkeit, zu sehen, wo die Organisation oder das eigene Unternehmen steht. Dann kann man anfangen, an den Schwächen zu arbeiten. Das ist für eine Organisation wie Greenpeace genauso wichtig wie für jedes Wirtschaftsunternehmen.
Hat sich bei pagina durch die Gemeinwohl-Bilanz ganz konkret etwas verändert?
Es ist schwer zu sagen, welche Veränderungen ursächlich durch die Gemeinwohl-Bilanzierung angestoßen wurden. Das spielt aber auch keine Rolle. Die laufende Arbeit an der Unternehmenskultur ist für uns ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensentwicklung. Wir haben uns in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Verlagsberater für die digitale Transformation weiterentwickelt und gehören zu den führenden XML-Spezialisten der Branche.
Dieser Firmenumbau hat uns einiges abverlangt – so beschäftigen wir jetzt mehr Mitarbeiter in Softwareentwicklung und Projektmanagement als in der Medienproduktion, woher wir ursprünglich kommen. So eine Unternehmensentwicklung gelingt nur, wenn Firmenstruktur und Firmenkultur zusammenpassen und von den Kollegen unterstützt werden. Jetzt warten wir mit Spannung die erste Bilanz ab, die gibt uns zunächst einmal ein Schlaglicht, wo wir stehen und was es für Verbesserungspotenzial gibt. Viel interessanter wird dann die zweite Bilanz in ca. zwei Jahren sein: An dieser werden wir uns messen lassen, in welchen Feldern wir tatsächlich besser geworden sind.
Ein Interview von Fritz Lietsch
Tobias Ott ist Geschäftsführer der pagina GmbH in Tübingen und beschäftigt sich dort mit den Chancen und Risiken der digitalen Transformation für das Publishing. Seit 20 Jahren unterrichtet er an der Hochschule der Medien. 2011 wurde er in den Aufsichtsrat von Greenpeace berufen, dessen Sprecher er seit 2014 ist. Tobias Ott ist verheiratet und hat drei Kinder, mit denen er die Freizeit so analog wie möglich verbringt: Als Canyoning-Guide ist er mit seiner Familie in den Schluchten der Alpen unterwegs.
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2019 - Afrika – Kontinent der Entscheidung erschienen.

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