Weitblick in den Medien?
Im forum-Interview: Susanne Bergius über Journalismus und Nachhaltigkeit
Woran liegt es, dass wir in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht so recht in Fahrt kommen? Bekommen wir zu wenige Informationen aus den Medien, weil der Qualitätsjournalismus immer mehr an Boden verliert, oder sind die Menschen bei diesem Thema bereits abgestumpft und verunsichert? Das Netzwerk „Weitblick", der gemeinnützige Verband für Journalismus und Nachhaltigkeit, will hier mit aller Kraft gegensteuern. forum fragt Susanne Bergius, die geschäftsführende Vorstandsvorsitzende, nach Zielen und Hintergründen.
Frau Bergius, fehlt der Weitblick in Sachen Nachhaltigkeit bei den Medienmachern?
Medien lassen sich oft vom derzeit aktuellsten oder brisantesten Ereignis treiben, statt die Geschehnisse einzuordnen und zu relativieren. Die Gewichtungen von Journalisten sind dabei häufig paradox. Ja, es fehlt an vorausschauender Berichterstattung. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen:
Biologische Vielfalt ist die Grundlage menschlicher Existenz. Die verschiedenartigen Ökosysteme bieten Nahrung, Wasser, saubere Luft, Lebensraum und Schutz vor Hitze. Starke Eingriffe in diesen Reichtum gefährden die Menschheit. Darum hätte der Weltnaturschutzgipfel im November genauso prominent im Fokus medialer Aufmerksamkeit stehen müssen wie der Weltklimagipfel im Dezember. Zumal Klimaschutz ohne Artenschutz nicht möglich ist.
Aber nein: Zeitgleich zu den zweiwöchigen Verhandlungen von 169 Staaten zum UN-Übereinkommen über Biologische Vielfalt (CBD) im ägyptischen Scharm El-Sheich gab es im November ja den G20-Gipfel der wichtigsten Industriestaaten in Buenos Aires. In jenen Tagen drehte sich deshalb in den Medien alles um Wirtschaft und Handelsbeziehungen. Nur wenige thematisierten das CBD und die Erkenntnis, dass auf einer Erde ohne Pflanzen und Tiere keine Wirtschaft und kein Handel stattfinden können.
Hängt das an mangelndem Einblick oder Durchblick?
Es ist Aufgabe von Journalisten, Zusammenhänge aufzuzeigen und Verdecktes sichtbar zu machen. Gut dazu informieren können sie jedoch nur, wenn sie selbst gut informiert sind. Dafür sind Grundkenntnisse über komplexe Themen erforderlich und über mögliche gegenseitige Wechselwirkungen und Verflechtungen von vermeintlich kaum aufeinander einwirkenden Bereichen. Wer beispielsweise nicht weiß oder zumindest ahnt, dass für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen nicht nur Umsatz, Gewinn und Cashflow entscheidend sind, wird kaum von selbst darauf kommen, bei der Bilanzpressekonferenz zu fragen nach Instandhaltungsinvestitionen, dem Umsatzanteil umwelt- und sozialverträglicher Produkte, oder nach ökosozialen Haftungs- und Regulierungsrisiken in der Lieferkette.
Der mangelnde Überblick liegt unter anderem daran, dass Journalistinnen und Journalisten während ihrer Ausbildung selten das passende Rüstzeug erhalten: Rüstzeug für kritisches Denken, Zuhören, Nachbohren, Einordnen, Reflektieren – mit Blick auf das ressortübergreifende Querschnittsthema Nachhaltigkeit. Darum plädiert das Netzwerk Weitblick dafür, Module zu Nachhaltigkeit systematisch in die Aus- und Fortbildung einzubauen, die für die spezifischen Herausforderungen und Lösungen sensibilisieren.
Kann Ihre Publikationsreihe „Journalismus & Nachhaltigkeit" dabei helfen?
Ja. Das Netzwerk Weitblick hat während eines ersten Qualifizierungsprojekts von 2016 bis 2018 insgesamt zwölf Lehrmodule zu verschiedenen Themen entwickelt und erfolgreich getestet. Weitblick-Mitglieder haben in Kooperation mit Bildungseinrichtungen mehr als 130 zumeist angehende Journalistinnen und Journalisten geschult. Die Module stehen modellhaft dafür, wie Ausbilder und Weiterbilder Nachhaltigkeitsfragen in ihr Angebot integrieren können.
Die daraus entstandene 12-bändige Publikationsreihe bietet hierfür Handreichungen, sowohl Sachwissen als auch journalistisches Fachwissen. Für Journalisten und andere Medienmacherinnen sind die Bände als Einstieg in neue Themen und neue Sichtweisen gedacht. Wir setzen unsere Qualifizierungsinitiative fort und wollen die Reihe ausbauen – unter anderem mit Modulen zu Biodiversität, Konsum, Ozeanen oder Stadtentwicklung - und hoffen, dafür Finanzierungen zu erhalten.
Sie sagen: „Wer andere Fragen stellt, erhält andere Antworten und schreibt andere Geschichten." Stellen wir alle die falschen Fragen?
So absolut kann man das nicht behaupten. Doch Nachhaltigkeit fällt trotz ihrer Bedeutung und Tragweite vielfach unter den Tisch. Das erklärt, dass selbst umfangreiche Firmenportraits oder ausführliche Interviews meist keine für das Geschäft oder die Gesellschaft wesentlichen Umwelt- und Sozialaspekte anschneiden. Leser, Hörer und Zuschauer erhalten folglich nur konventionelle ökonomische Informationen, nicht aber ein Gesamtbild, um die jeweiligen Akteure besser einschätzen zu können. Ähnliches gilt auch für die anderen Ressorts, von der Politik über das Feuilleton, Gesellschaftsseiten und die Mode bis hin zum Sport.
Da in den Ressorts Silodenken und Profilierungsgehabe dominieren, werden Nachhaltigkeitsthemen von einer Redaktion oft zur anderen geschoben, weil sich niemand zuständig fühlt. Aber immer mehr Ereignisse bedingen ressortübergreifende Kooperationen, um sie im Diskurs zur Zukunftsfähigkeit umfassend darzustellen. Auf diese Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg sind angehende Medienschaffende handwerklich vorzubereiten. Damit sie neue Fragen stellen und neue Perspektiven darstellen.
Sie selbst haben im Band 1 über Geldanlagen und Investoren geschrieben. Regiert Geld die Welt?
Ja und nein. Politik ist durchaus entscheidend für das Weltgeschehen. Doch hinter politischen Kräften stecken teils unermessliche Geldsummen und Wirtschaftsinteressen, die das Geschehen de facto lenken. Bizarr ist, dass die Finanzmärkte ein Vielfaches dessen an Kapital handeln, was für die Realwirtschaft verfügbar ist, und dass ein Großteil des Kapitals in fragwürdigen Geschäftsaktivitäten steckt. Zwar geraten Unternehmen aufgrund ökosozialer Missstände immer wieder in die Kritik zivilgesellschaftlicher Organisationen und mancher Medien. Doch was nutzt es, allein Unternehmen zu kritisieren, nicht aber ihre Geldgeber?
Banken, Versicherer, Vermögensverwaltungen, Pensionsfonds, Stiftungen, Kirchen – sie alle wollen möglichst hohe Renditen. Gerade börsennotierte Unternehmen können vielfach kaum anders, als sich dem Druck zu beugen und auf einem Auge blind zu sein. Folglich ist klar: Abgesehen von Gesetzgebern, Privathaushalten und der Zivilgesellschaft spielen Finanzmarktakteure eine beträchtliche Rolle dabei, ob Unternehmen künftig ökosozial verantwortlicher wirtschaften. Insofern regieren Finanziers die Welt mit. Dieser Herausforderung widmen sich nachhaltige und verantwortliche Investments.
Was sind nachhaltige Geldanlagen, was sind verantwortliche Kapitalanlagen?
Nachhaltige Geldanlagen sondieren und investieren in Akteure, die bereits glaubwürdig auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit sind, und meiden die anderen. Sie analysieren Unternehmen und Staaten mithilfe zahlloser Indikatoren und investieren in die ökosozial leistungsfähigsten. Noch strengere Konzepte stützen nur durchweg nachhaltige Geschäftsmodelle. Verantwortliche Investoren hingegen wollen die schlimmsten Vergehen gegen internationale Umwelt- und Sozialstandards meiden, sowie ihre diesbezüglichen Risiken senken. Sie wollen Unternehmen dazu bringen, sich zumindest in manchen Bereichen auf den Weg zu machen. Sie beachten einige zentrale Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte, und manche dieser Investoren sprechen direkt mit den Emittenten.
Welche Bedeutung haben beide für Gesellschaften und Ökonomien?
Entscheidender Ansatz bei nachhaltigem und bei verantwortlichem Investieren ist, dass alle Kapitaleigner und Vermögensverwalter, auch die konventionellen, beeinflussen können, wie sie ihr Eigentum beziehungsweise die ihnen anvertrauten Gelder einsetzen. Als Finanziers der Wirtschaft haben institutionelle Investoren wie etwa Kreditgeber, Asset Manager oder Altersversorger als auch Dienstleister wie Ratingagenturen kräftige Hebel in der Hand, um auf die Art des Wirtschaftens einzuwirken – zugunsten nachhaltigerer Gesellschaften oder eben nicht. Die Geldgeber von Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsunternehmen entscheiden mit, ob unsere Ökonomien und Lebensweisen zukunftsfähiger werden.
Können Finanzen als Hebel für eine zukunftsfähige Ökonomie und Gesellschaft instrumentalisiert werden?
Es geht nicht darum, Geldanlagen und Finanzierungen zu instrumentalisieren, sondern primär sollten Investitionen und Kredite aufhören, Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen zu finanzieren. Was nutzen die 17 Nachhaltigkeitsziele der Weltstaatengemeinschaft und manche Investments zugunsten einzelner dieser Sustainable Development Goals, wenn die Masse der Finanzierungen ökologisch und sozial verheerende Geschäfte ermöglicht?
Fakt ist, dass Politik und Gesellschaft den großen Einfluss der Finanziers auf unsere Art zu wirtschaften und zu leben, zumeist übersehen. Auch die Vereinten Nationen ignorierten deren Rolle für die Zukunft: Bei den UN-Zielen fehlt deshalb ein für alle anderen SDGs wichtiges Ziel: ein nachhaltiger Finanzmarkt.
Finanzakteure haben eine treuhänderische Verantwortung. Diese sollte auch die Beachtung von Umwelt- und Sozialrisiken umfassen – im Interesse der Anspruchsgruppen und der Gesellschaft. Immerhin klärt die EU-Kommission derzeit diese Treuhandverantwortung regulatorisch. Aus all dem folgt: Für Journalisten ist es nicht nur ratsam, sondern auch ihre Aufgabe, sich mit dem Handeln von Finanzakteuren unter dem Blickwinkel der Zukunftsfähigkeit zu befassen. Ihre Aktivitäten und Ergebnisse sind zu hinterfragen. Und auch, ob an nachhaltigen Kriterien ausgerichtete Geld- und Kapitalanlagekonzepte tatsächlich Hebel für zukunftsfähiges Wirtschaften sind.
Frau Bergius, wir danken für das Gespräch.
Weitere Informationen zur Publikationsreihe finden Sie hier. Im monatlichen Turnus greift forum eine Publikation und damit ein Thema in Sachen Weitblick auf.
Susanne Bergius ist selbstständige Journalistin und Moderatorin für nachhaltiges Wirtschaften und Investieren in Berlin. Im 10. Jahr schreibt sie das „Handelsblatt Business Briefing Nachhaltige Investments". Die Diplom-Geographin war 14 Jahre Auslandskorrespondentin des Handelsblatts und befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit Nachhaltigkeit. Für ihre Arbeiten erhielt sie mehrere Auszeichnungen. Seit 2015 ist sie ehrenamtlich geschäftsführende Vorstandsvorsitzende des gemeinnützigen journalistischen Netzwerks Weitblick.
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Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.
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