Mit gutem Gewissen genießen
Die Zukunft der Nutztierhaltung
Berichte über grauenvolle Massentierhaltung und industrielle Fleischproduktion gehen uns unter die Haut. Die Nutztierhaltung hat deshalb nur dann eine Zukunft, wenn sowohl Haltungsbedingungen als auch Fütterung den artgemäßen Bedürfnissen der Tiere entsprechen. Der Ökologische Landbau geht hier wegweisend voran.
Der Art des Wildschweins ist es angemessen, frei im Wald herumzulaufen und zu wühlen. Doch der Mensch hat einen Zaun um die Tiere gezogen, um ihnen nicht weiter im Wald hinterherrennen zu müssen, um sie gezielter füttern zu können und um sie daran zu hindern, die mühsam herangezogenen Feldfrüchte an seiner Stelle zu ernten. Durch eine gezielte Zuchtauswahl hat er die Tiere diesen neuen Lebensbedingungen angepasst. Die weitere Selektion nach schnellem Wachstum und magerem Fleisch hat das Schwein weit von seinem natürlichen Zustand entfernt. Um die Tiere nicht noch weiter von ihrem Ursprung zu entfernen, bleibt nichts anderes übrig, als Anforderungen für eine artgerechte Tierhaltung zu definieren.
Um beim Beispiel Schwein zu bleiben: Diese Tiere wollen wühlen. Lässt man sie’s tun, beschäftigen sie sich fast den ganzen Tag damit. Es muss ihnen deshalb wenigstens Stroh zur Verfügung gestellt werden, damit sie dieser Leidenschaft frönen können. Und: Schweine schlafen nie dort, wohin sie koten – auch das kann man beobachten, wenn man ihnen die Wahlfreiheit lässt. Es ist deshalb nicht artgerecht, Schweine auf Spaltenböden zu stellen, wo sie über den Ausdünstungen ihrer Exkremente schlafen müssen. Dass sie – und das gilt für alle Nutztiere – Anspruch darauf haben, Tageslicht, Temperaturschwankungen, Regen und Sonne wahrzunehmen, klingt selbstverständlich, ist aber fast ausschließlich in der ökologischen Schweinehaltung der Fall. Dass Hühner flattern und scharren können sollten, dass Kühe sich im Wesentlichen von Raufutter (z.B. Heu, Stroh, und Spreu) ernähren müssen, wofür ihr Verdauungsapparat gemacht ist – all das sind weitere Beispiele.
Hochleistungstiere sind sensibel
Fast keine dieser Anforderungen wird von der „modernen" industriellen Tierhaltung erfüllt. Bei den Rindern etwa haben nur extensiv gehaltene Mutterkühe mit Nachzucht sowie ein geringer Teil der Milchkühe Zugang zu einer Weide. Mastbullen und ein Großteil der Milchkühe hingegen stehen im Stall. Für maximale Zunahmen oder Milchmengen erhalten sie eine überwiegend aus Getreide stammende Nahrungszufuhr die wenig artgerecht, aber im höchsten Maße gesundheitsschädigend ist. Die Folge: Milchkühe bringen im Schnitt weniger als drei Kälber zur Welt und werden dann nach vier bis fünf Lebensjahren bereits geschlachtet, obwohl sie eigentlich zehn Jahre Milch geben könnten.
Noch sensibler sind Schweine und Geflügel. Sie werden oft in einer Art Hochsicherheitstrakt von allen Einflüssen der Außenwelt ferngehalten. Zu instabil ist dieses Produktionssystem, als dass man es den Unwägbarkeiten von Keimen oder dem Außenklima aussetzen möchte. Damit die Tiere möglichst wenig Aufwand je Kilogramm Fleisch verursachen, werden sie in Stallsystemen, die die Handarbeit auf ein Minimum reduzieren, auf engstem Raum gehalten. Hier können Sie ihr Schlachtgewicht in sehr kurzer Zeit erreichen, beziehungsweise große Mengen an Eiern legen. Damit das funktioniert, müssen die Tiere konditioniert werden, um sich nicht zu verletzen: Kühen werden die Hörner entfernt, den Schweinen Ringelschwänze und Eckzähne, dem Geflügel die Schnabelspitze. Und ähnlich wie der Hochleistungssportler, der seine Physiologie mit immer höheren Leistungen überfordert, müssen auch die Hochleistungs-Nutztiere intensiv mit Medikamenten – insbesondere Antibiotika – unterstützt werden.
Und das kommt dabei heraus
Um eine tierische Nahrungskalorie zu erzeugen, müssen zwischen drei und acht Kalorien als Futter eingesetzt werden. Das führt dazu, dass heute die Hälfte des in Deutschland erzeugten Getreides im Futtertrog landet. Und würden alle 7,4 Milliarden Erdenbewohner sich auch nur 60 Prozent unseres Fleischverbrauches angewöhnen, dann wäre bereits alles heute erzeugte Getreide (und alle Sojabohnen) im Futtertrog verschwunden!
Die Tierhaltung wird damit zum Treiber für zwei der gravierendsten Probleme unserer Zeit: den Zusammenbruch der biologischen Vielfalt und den Klimawandel. Dies geschieht ganz direkt durch den Ausstoß von Methan aus dem Verdauungstrakt von Wiederkäuern und durch das Ausgasen von Stickoxiden aus der Gülle. Und es geschieht indirekt dadurch, dass Millionen von Hektaren an Urwald gerodet oder an Steppe in Ackerland verwandelt worden sind, damit dort Sojabohnen für die Eiweißversorgung unserer Nutztiere angebaut werden können. Alleine für Deutschland, das insgesamt 12 Millionen Hektar Ackerfläche aufweist, werden 2,5 Millionen Hektar Sojabohnen vorwiegend in Südamerika angebaut. Durch die Rodungen gehen riesige Speicher für das Treibhausgas Kohlendioxid verloren und es kommt zu einer dramatischen Degradierung der Böden. Dass auf den Monokultur-Futterflächen, insbesondere durch den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide, die biologische Vielfalt beeinträchtigt wird, ist eine Begleiterscheinung.
Der Nährstoff, um den es beim Import von Futtermitteln aus Übersee geht, ist der im Eiweiß der Sojabohne vorhandene Stickstoff. Ein Teil davon wird in tierische Proteine eingebaut, der größere Teil aber verlässt die Tiere in ihren Ausscheidungen. Die hohe Konzentration der Tierhaltung in den hafennahen Gebieten, wo das Futter aus Übersee billig angelandet werden kann, führt dort zu umweltschädlichen Stickstoffüberschüssen. Die Folgen sind eine Überfrachtung des Grundwassers mit Nitrat und das Abwandern der Nährstoffe in die Weltmeere. Dort wirken sie als das, wofür sie da sind: als Dünger. Das wiederum führt zu hohem Algenwachstum. Wenn diese dann absterben, verbrauchen sie so viel Sauerstoff, dass das gesamte Ökosystem umkippt. 169 solcher „Todeszonen" hat die Umweltorganisation der Vereinten Nationen UNEP weltweit definiert. 20 Prozent der Ostsee gehören dazu.
Allein der in den Wasserwerken zu betreibende Aufwand für die Aufbereitung unseres Trinkwassers zeigt: Tierische Lebensmittel aus industrieller Produktion sind nur scheinbar billig, sie kommen uns in Wirklichkeit teuer zu stehen.
Es geht auch anders
Wir plädieren nicht dafür, mit dem Fleischessen aufzuhören. 70 Prozent der weltweiten Agrarflächen bestehen aus Grünland. Dort kann man nur über den Magen der Nutztiere Nahrung für Menschen erzeugen. Wir plädieren jedoch für eine Produktion von Eiern, Fleisch und Milch, die im Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen effizient ist. Für eine Tierhaltung, die die artgemäßen Bedürfnisse unserer Mitgeschöpfe berücksichtigt und die in so stabilen Systemen stattfindet, dass die Tiere nicht mehr in der Regel mit Medikamenten behandelt werden müssen, sondern in der Regel gesund sind. Und für eine Tierfütterung, die an die Physiologie der Tiere angepasst ist und die ihre Basis in der regional zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Fläche hat, wodurch ein Kreislauf der Nährstoffe und eine Minimierung der Nährstoff-Überschüsse möglich wird. Die Tierhaltung des Ökologischen Landbaus zeigt dafür die Richtung.
Auch die Öko-Tierhaltung muss in Zukunft noch weiterentwickelt werden. Doch etwas ganz Wesentliches hat sie schon heute erreicht: nämlich den Beweis erbracht, dass die Verbraucher nicht nur eine artgerechte Tierhaltung fordern, sondern auch bereit sind, dafür zu zahlen. Millionen von Menschen entscheiden sich bereits für Bio-Lebensmittel. Und es ist gerade dieser Markt, der den Ökolandbau zu einem so wirksamen Instrument für die notwendige Veränderung in Ackerbau und Tierhaltung macht. 10 Milliarden Euro jährlich – mit weiter stark steigender Tendenz – stellen VerbraucherInnen in Deutschland durch ihre Kaufentscheidung dafür zur Verfügung. So honorieren sie die Mehrleistungen einer artgerechten Tierhaltung und machen diese damit erst möglich. Die ökologische Tierhaltung führt zu einer weiteren, gesellschaftlich unabdingbaren Wirkung: zu einer Reduktion des Fleischkonsums. Was hier wirkt, sind wieder die Gesetze des Marktes: Bio-Fleisch ist teuer, weil es die wahren Kosten der Fleischproduktion widerspiegelt. Und wo der Preis steigt, steigt das Bewusstsein und sinkt letztlich der Konsum: Der Anteil von Bio-Fleisch liegt nicht zuletzt deshalb auch deutlich unter den 5,7 Prozent, die den Gesamtanteil von Bio am Lebensmittelmarkt derzeit ausmachen. Bio weist also auch hier den Weg: Denn eine deutliche Reduzierung des Fleischkonsums ist im Interesse des Klimas und der globalen Verfügbarkeit von Lebensmitteln dringend geboten. Die Zukunft der Tierhaltung kann deshalb nicht losgelöst vom Gesamtzusammenhang einer verantwortungsvollen Land- und Ernährungswirtschaft betrachtet werden. Mit ein paar zusätzlichen Labeln und ein bisschen mehr Einstreu hier und da ist nicht viel gewonnen. Es geht ums Gesamtpaket: Transparenz für VerbraucherInnen und den Ausbau des Ökolandbaus als Modell für umfassende Nachhaltigkeit!
Hinweis: Hersteller und Produkte aus artgerechter Tierhaltung und kontrolliert biologischem Landbau finden Sie auf ECO-World und bei den bekannten Landbauverbänden.
Dr. Felix Prinz zu Löwenstein (BÖLW), Jan Plagge (Bioland), Dr. Alexander Gerber (Demeter) und Hubert Heigl (Naturland)
machen sich für die ökologische Lebensmittelwirtschaft in Deutschland stark. Die artgerechte Tierhaltung nimmt hier einen wichtigen Platz ein.
Umwelt | Ressourcen, 10.04.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2018 - Digital in die Zukunft? Tierische Geschäfte! erschienen.
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