Verwüsten wir die Erde?
Der Weltzukunftsrat wirft den Rettungsanker
Die Wüstenbildung ist eine der größten Umweltherausforderungen unserer Zeit. Der World Future Council sucht nach Lösungen und setzt dabei auf den Future Policy Award.
Wüstenbildung, auch Desertifikation genannt, fordert heute mehr Menschenleben als jede andere Umweltkatastrophe. Diese „stille Krise" bahnt sich schleichend ihren Weg: Mehr als ein Drittel der Erdoberfläche sind Trockengebiete und sie breiten sich rasant aus. Nicht-nachhaltige Landnutzung, Rodungen und der Klimawandel verstärken und beschleunigen diesen Effekt zusätzlich. Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage und sind von Hunger und Armut bedroht. Sie sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Siedlungsdruck, Ungleichheit und Armut führen zu – oder intensivieren – soziale Konflikte. So zählen Trockengebiete zu den konfliktreichsten Regionen der Welt.
Das Global Humanitarian Forum schätzt, dass etwa 135 Millionen Menschen in den nächsten Jahrzehnten durch Wüstenbildung vertrieben werden könnten. Laut UN Water leben etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung in Regionen, die von Wasserknappheit betroffen sind. Auf dem afrikanischen Kontinent lebt etwa die Hälfte der Menschen in Trockengebieten. Das entspricht rund 325 Millionen Menschen. Auch in Europa gibt es Trockengebiete, ihr Anteil liegt bei etwa einem Viertel. Wer jetzt noch glaubt, dass Wüstenbildung ein Randproblem ist, der dürfte eines Besseren belehrt sein.
Gesetze gegen Wüsten
Dem World Future Council (WFC) ist diese Problematik nicht neu. Mit dem diesjährigen Future Policy Award (FPA), dem „Oscar für gute Gesetze", ehren wir dieses Jahr Gesetze und Maßnahmen, die Landverödung und Wüstenbildung erfolgreich bekämpfen. Die Gewinner stammen aus aller Welt: Gold gewann die äthiopische Region Tigray, Silber ging an China und Brasilien. Auch Australien, Jordanien und Niger sowie die internationale „4 per 1000"-Initiative wurden prämiert.
Alle FPA-Gewinnergesetze zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur die Wüstenbildung direkt bekämpfen, sondern gleichzeitig auch dazu beitragen, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. „Bekämpfung von Armut und Hunger" oder die „Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen", um nur einige zu nennen, werden mit den Gesetzen ebenfalls in Angriff genommen. Das macht sie so wertvoll und nachhaltig.
So ist es in der äthiopischen Tigray-Region gelungen, durch eine einzigartige Massenmobilisierung, Freiwilligenarbeit und Einbeziehung der Jugend degradiertes Land in großem Stil wiederherzustellen. Die Erosion konnte dabei signifikant reduziert werden. Die Übernahme von nachhaltigen Landwirtschaftspraktiken, die Einrichtung von abgesperrten Flächen und Gemeindewald, die Regulierung der Nutzung des Weidelands und die Ausbringung von Dung und Kompost tragen nun erheblich zur Nahrungssicherheit und zu wirtschaftlichem Wachstum bei.
Möglich wurde dies durch ein Gesetz namens Conservation-Based Agricultural Development-Led Industrialization, das 1994 für die Tigray-Region erlassen wurde.
Systematisch wurden seitdem durch die Arbeit hunderttausender Helfer Steinmauern, Wälle und Terrassen errichtet sowie Wald- und Buschgebiete angepflanzt oder geschützt. Neue Vegetation konnte sich so wieder ansiedeln und die erschöpften Grundwasservorräte füllen sich infolgedessen wieder. Seit 1991 wurde auf fast einer Million Hektar das Land auf diese Weise vor Erosion geschützt, das entspricht etwa 12 Prozent der Landfläche dieser Region. Bei den Arbeiten wurden die Menschen vor Ort eingebunden: Jeder Bürger Tigrays ist zu 20 Tagen gemeinnütziger Arbeit pro Jahr verpflichtet. Doch das Engagement der Menschen geht meist weit über dieses Soll hinaus. Besonders die Jugendlichen profitieren von dem Gesetz: Junge, landlose Menschen erhalten Land, wenn sie sich verpflichten, dieses gemäß der Landschutzverordnung zu bestellen. Das Gesetz wurde zwar „von oben" verordnet, sein Erfolg liegt aber darin, dass die Bevölkerung es voll unterstützt.
Auszeichnung für eine Initiative
Gute Gesetze erreichen viel
Gesetze sind Regulatoren der Gesellschaft: Sie stellen Ordnung her und sorgen für Sicherheit. Doch sie sind noch viel mehr: Sie bilden einen politischen Willen ab. Im Idealfall schaffen sie das Gerüst für eine stabile Gesellschaft und dienen so den Menschen, die in ihr leben.
Mit dem Future Policy Award (FPA) hat der World Future Council (WFC) den ersten Preis weltweit ins Leben gerufen, der Gesetze auszeichnet und nicht Personen. Als „Oscar für gute Gesetze" prämiert der WFC seit 2009 Gesetze und Maßnahmen, die die Rahmenbedingungen für eine gerechte, nachhaltige und friedvolle Welt schaffen. Die „best policies" oder besten Politiken qualifizieren sich dann für den Award, wenn sie eine nachhaltige Ressourcennutzung, die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit und die demokratische Partizipation fördern. Die Methodologie basiert auf den sieben Prinzipien für nachhaltige Entwicklung, die von der International Law Association (ILA) vorgestellt und auf dem Erdgipfel im Jahr 2002 in Johannesburg verabschiedet wurden. Dabei werden jene Gesetze besonders positiv bewertet, die nicht nur die oben genannten Aspekte berücksichtigen, sondern darüber hinaus friedliche Konfliktlösungen in Angriff nehmen.
Schwerpunkte setzen Akzente
Jedes Jahr wählt der World Future Council ein Politikfeld, in dem innovative Lösungen besonders wichtig sind. In den letzten Jahren würdigte der WFC Politiken aus den Bereichen Nahrungssicherheit, Biodiversität, Abrüstung und Kinderrechte, um nur einige Beispiele zu nennen. Ziel des Future Policy Awards ist es, zukunftsweisende Gesetze bekannter zu machen, damit Vertreter anderer Länder von positiven Beispielen lernen und ähnliche Gesetze bei sich einführen können. Der Gold-Gewinner aus dem Jahr 2015 war beispielsweise die Kinderschutzpolitik Sansibars, des halbautonomen Teilstaats Tansanias. Dessen innovativer Ansatz bezieht Kinder und Jugendliche in die Gesetzgebung mit ein. Und dank effizienter Anlaufstellen für von Gewalt betroffene Kinder hat sich die Sicherheit und Lebensqualität für junge Menschen ungemein verbessert. Durch die Initiative des WFC wurde so bei vielen anderen Regierungen Afrikas, Asiens und Südamerikas großes Interesse an dieser Gesetzgebung geweckt: Auf einer internationalen Tagung werden Vertreter interessierter Regierungen zusammengebracht, um vom guten Vorbild Sansibars zu lernen.
Wüsten werden grün
Das Jahr 2017 hat der Future Policy Award dem Thema Wüstenbildung gewidmet, denn die Ausdehnung von Wüsten betrifft einen großen Teil der Weltbevölkerung: Laut den Vereinten Nationen breiten sich die Trockengebiete aufgrund des Klimawandels rasant aus. Maßnahmen, die Wüstenbildung erfolgreich bekämpfen und verhindern, bringen nicht nur ökologische Verbesserungen: Sie können Menschen aus der Armut führen, Ungleichheiten bekämpfen, Selbstbestimmung und friedliche Gesellschaften fördern. In anderen Worten: Wer Landverödung in Angriff nimmt, kann die Lebensbedingungen für Millionen von Menschen verbessern und dauerhaft für Frieden und Gerechtigkeit sorgen. Der Future Policy Award 2017 zeigt, dass dies mit dem entsprechenden politischen Willen möglich ist. |
Ein anderes spannendes Beispiel ist die internationale „4 per 1000"-Initiative, die dieses Jahr mit dem Future Policy „Vision" Award ausgezeichnet wurde: Ihr liegt das geniale Konzept zugrunde, den im Ackerboden gebundenen Kohlenstoff um jährlich 0,4 Prozent zu erhöhen. Diese kleine Menge kann einen großen Effekt haben. Sie trägt dazu bei, den Anstieg der CO2-Emissionen zu reduzieren und so die Erderwärmung unter 1,5 bis 2°C zu halten. Zusätzlich kann die Fruchtbarkeit und Produktivität des Bodens erheblich gesteigert werden. Dies geschieht mittels Methoden, die wir bereits kennen, die aber in der industriellen Landwirtschaft eine zu geringe Rolle spielen – wie etwa Mischkultur, Direktsaat, Anbau von Leguminosen, Abmulchen des Bodens und der Bau von Wallhecken.
Lösungen existieren
Desertifikation ist eine der größten Umweltherausforderungen unserer Zeit. Meine Hoffnung ist, dass wir mit dem Future Policy Award nicht nur das Bewusstsein dafür stärken, sondern auch ein Schlaglicht auf funktionierende Lösungen werfen können. Etwa zwei Milliarden Hektar verödeten Landes, eine Fläche größer als Südamerika, haben laut dem World Resources Institute das Potenzial, wiederhergestellt und aufgeforstet zu werden. Eine Studie der Ohio State University besagt, dass durch die Wiederherstellung degradierten Bodens etwa drei Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden werden können. Ich sehe hier großes Potenzial für die Lösung sozialer und ökologischer Probleme.
Wir vom WFC wollen einen Akzent setzen und einen internationalen Dialog anstoßen: Es ist unsere Verantwortung, die Menschen in den von Desertifikation betroffenen Ländern nicht allein zu lassen, sondern ihr Problem auch als unseres zu betrachten. Der WFC verfügt über internationale Kontakte, um Politiker, Regionen und Gemeinden zusammenzubringen, damit diese voneinander lernen und die passende Lösung für sich finden können. Wir sind überzeugt davon, dass dies nicht nur den Betroffenen, sondern der Weltgemeinschaft als Ganzes dienen kann.
Der WFC bietet auf seiner Website hervorragende Broschüren und Studien zu aktuellen Herausforderungen unserer Epoche. |
Jakob von Uexküll engagiert sich seit seiner Jugend für benachteiligte Menschen auf der ganzen Welt. Nachdem sein Vorschlag, Akteure im Kampf gegen den Klimawandel zu ehren, bei der Nobelpreis-Stiftung 1980 auf Ablehnung stieß, gründete Uexküll auf eigene Faust den auch als „Alternativer Nobelpreis" bekannten Right Livelihood Award und rief im Jahr 2007 den World Future Council (Weltzukunftsrat) ins Leben.
Quelle: World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
Umwelt | Wasser & Boden, 01.12.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2017 - Jetzt die SDG umsetzen erschienen.
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