Vom Wissen zum Handeln
Über die Psyche zu mehr Nachhaltigkeit
Neue Erkenntnisse umzusetzen fällt schwer. Schon bekannte Wege sind bequemer. Komplexe Probleme überfordern. Psychologen beschäftigen sich generell mit diesen Themen. Ihr Fazit: Psychische Ressourcen zur Förderung von Nachhaltigkeit lassen sich stärken, auch durch Instrumente wie Coaching, Stressprävention und Psychotherapie.
Die zentrale Rolle von Psychologie für Nachhaltigkeit
Hier kommt die Psychologie ins Spiel. Als Lehre vom Verhalten und Erleben des Menschen kann sie helfen, zu verstehen, warum Wissen nicht automatisch zu Handeln führt und Verdrängung immer noch vorherrscht. Die Gründe für das „Verdrängen" sind mannigfaltig: Umweltprobleme wie Artensterben und Klimawandel entwickeln sich schleichend und somit kaum spürbar. Die Problemstellung ist häufig komplex, das menschliche Gehirn aber bevorzugt einfache Ursachen und einfache Lösungen. Menschliches Verhalten ist wechselhaft und widersprüchlich, mit vielen oft unbewussten Emotionen und Motiven, die sich über einen langen Zeitraum manifestiert haben. Statt wirklich Veränderungen anzugehen, wird der bequemste Weg gesucht, um „das Gewissen zu beruhigen". So hat sich gezeigt, dass einer guten Tat, etwa Bio-Lebensmittel gekauft zu haben, dann erst einmal keine weitere mehr folgt, da das moralische Gewissen in diesem Moment ausreichend beruhigt ist. Zudem stehen schnell wieder Alltagssorgen im Vordergrund, etwa das kaputte Auto, Konflikte in der Partnerschaft oder finanzielle Sorgen.
Dr. Andreas Meißner ist Psychiater und Psychotherapeut mit eigener Praxis in München sowie Autor etlicher Fachartikel zur Verbindung zwischen psychischen und ökologischen Aspekten. Soeben ist sein Buch „Mensch, was nun? Warum wir in Zeiten der Ökokrise Orientierung brauchen" erschienen. 2015 hat er mit anderen Stadtteilbewohnern eine Transition-Town-Gruppe in München-Trudering gegründet, die nun auch die erwähnte Tagung mitorganisiert.
97 Prozent der Deutschen meinen laut einer aktuellen Studie des Umweltbundesamtes, dass jeder Einzelne Verantwortung für die Umwelt trägt. Demnach findet eine Mehrheit der Befragten Umweltprobleme „sehr bedrohlich". Doch diese Einsichten führen nicht zu Verhaltensänderungen: Flugreisen nehmen weiter zu, der Anteil an SUV’s auf deutschen Straßen steigt, jeder Dritte nutzt nie öffentliche Verkehrsmittel. Jeder Vierte glaubt, häufig Bioprodukte zu kaufen, dabei liegt deren Marktanteil weiter bei nur fünf Prozent. Wissen um die Probleme und gute Vorsätze kommen somit nur wenig im Handeln an. Die Frage lautet: Wie kann dieser „Missing Link" überwunden werden?
Hier kommt die Psychologie ins Spiel. Als Lehre vom Verhalten und Erleben des Menschen kann sie helfen, zu verstehen, warum Wissen nicht automatisch zu Handeln führt und Verdrängung immer noch vorherrscht. Die Gründe für das „Verdrängen" sind mannigfaltig: Umweltprobleme wie Artensterben und Klimawandel entwickeln sich schleichend und somit kaum spürbar. Die Problemstellung ist häufig komplex, das menschliche Gehirn aber bevorzugt einfache Ursachen und einfache Lösungen. Menschliches Verhalten ist wechselhaft und widersprüchlich, mit vielen oft unbewussten Emotionen und Motiven, die sich über einen langen Zeitraum manifestiert haben. Statt wirklich Veränderungen anzugehen, wird der bequemste Weg gesucht, um „das Gewissen zu beruhigen". So hat sich gezeigt, dass einer guten Tat, etwa Bio-Lebensmittel gekauft zu haben, dann erst einmal keine weitere mehr folgt, da das moralische Gewissen in diesem Moment ausreichend beruhigt ist. Zudem stehen schnell wieder Alltagssorgen im Vordergrund, etwa das kaputte Auto, Konflikte in der Partnerschaft oder finanzielle Sorgen.
Apropos Finanzen: Beim Konsum steuert häufig der Geldbeutel das Verhalten. Zugfahren ist teuer, Fliegen häufig billig. Über entsprechende Preis- und Steueranreize ließe sich nachhaltiges Verhalten daher sicher noch besser fördern. Wenn dann noch ein „Wir-Gefühl" entsteht (z. B. „wir fliegen nicht mehr …"), kommt die wirksame Reputation dazu. Denn erfährt nachhaltiges Verhalten die entsprechende Anerkennung in der Gesellschaft, etwa durch Auszeichnungen, spornt dies andere Menschen umso mehr an. Das Phänomen zeigt sich momentan in der internationalen Klimapolitik: Wir Europäer und andere Nationen lassen uns nicht beirren, auch wenn ein wichtiger Partner aussteigt (und dadurch an Reputation verliert).
Psychische Ressourcen können gestärkt werden
Umweltpsychologische Erkenntnisse können daher den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt werden, damit sie durch zentrale Regelungen die beschriebenen Motive unterstützen. Dem steht oft allerdings die Sorge entgegen, bei unpopulären Maßnahmen nicht wiedergewählt zu werden – Politiker und Manager sind auch nur Menschen. Müssen daher für ein konsequentes Umsteuern erst noch mehr Katastrophen passieren? Der Schluss liegt nahe, denn Leidensdruck ist immer ein zentraler Antreiber. Psychologen weisen darauf hin, dass Umbrüche im Leben Offenheit schaffen für Änderungen von Gewohnheiten. Politisch wiederum hat man gesehen, dass ein fortschreitender Klimawandel durchaus zu entsprechenden politischen Abkommen führen kann, ebenso wie Fukushima zum Atomausstieg in Deutschland. Immer wieder klingt somit das Dilemma an, ob die Politik entsprechende Vorgaben zu machen hat oder der Einzelne sich ändern müsste. Beides ist nötig. Psychologische Interventionen setzen daher auch beim Einzelnen an. Gute Ratschläge und schnelle Lösungen erzeugen jedoch oft Widerstand und Gefühle der Minderwertigkeit, es bisher nicht richtig gemacht zu haben. In Beratung und Therapie wird daher versucht, eigene kreative Lösungen anzuregen. Denn nur wer selbst Lösungen erarbeitet und im eigenen Alltag umsetzt, erfährt das Gefühl der Selbstwirksamkeit und erlangt nicht-materielle Zufriedenheit. Auch Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Achtsamkeit, Sinngefühl und Solidarität sind wichtige psychische Quellen für Verhaltensänderungen. Sie können in Beratungs- und Coachingprozessen gestärkt werden, in Schulen und Hochschulen, Unternehmen und Non-Profit-Organisationen. So fördern etwa Repair-Cafés durch Eigenarbeit die Selbstwirksamkeit und schaffen Kommunikationsmöglichkeiten, die Sinn und Solidarität begünstigen. Gleiches gilt für die Möglichkeit, in Betrieben Vorschläge zu Nachhaltigkeit einbringen zu können.
Stressprävention und Coaching sind wichtige Felder zur Förderung von Nachhaltigkeit
Ein weiterer psychologischer Ansatz ist die Stressprävention, die nachhaltige Lebensstile begünstigen kann. So wird Achtsamkeit in Gruppenprogrammen eingeübt, was es erleichtert, materielle Werte hintanzustellen. Auch Unternehmen bedienen sich häufig dieser Methode in der Burnout-Prophylaxe. Hier weiß man inzwischen, dass Burnout nicht immer nur mit schlechten Arbeitsbedingungen zu tun hat. Vielmehr scheint es heute schon geradezu einen „Konsumburnout" zu geben. Die 10.000 Gegenstände, über die heute ein durchschnittlicher Haushalt verfügt (vor hundert Jahren waren es kaum mehr als 400), wollen benutzt und geordnet werden. Durch die Zunahme der Möglichkeiten etwa im Supermarkt, im Internet, beim Fernsehen oder auch in der Ausbildungswahl ist die Freiheit der Wahl gestiegen, gleichzeitig aber auch die Qual der Entscheidung. Ebenso kann der permanente Kommunikationsdruck Stress verursachen. Im Schnitt wird alle 18 Minuten das Smartphone entsperrt. Dem Arbeitsflow und der Konzentration tut das nicht gut, ebenso wenig dem Schlaf, wenn bis in den späten Abend vor Bildschirmen gesessen wird. Schlafmangel wiederum begünstigt Anspannung, Erschöpfung und Depression. Stressprävention und Coaching, aber auch Psychotherapie als weitere Methode können hier nicht-materielle Zufriedenheitsquellen stärken, so dass das Selbstwertgefühl anders als durch Handy und Konsum stabilisiert werden kann. Dazu muss aber der Mut zum „Nein-Sagen" psychologisch gestärkt werden, etwa gegenüber dem Chef oder den Freunden, wenn man auch einmal nicht sofort erreichbar ist.
Beziehung heilt – auch die zur Natur!Psychotherapie lehrt noch mehr: mit Blick auf die Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen können drei gut untersuchte Wirksamkeitsfaktoren dieser Behandlungsform genutzt werden. So ist eine gute emotionale Beziehung zwischen Therapeut und Patient wirksam, ebenso das Aufgreifen auftauchender Gefühle sowie das angeleitete Einüben von Verhaltensänderungen. Wie aber steht es um die Beziehung zur Natur, die ja auch heilsame Wirkungen hat? Die geht immer mehr verloren, alleine schon durch die Technisierung des Alltags. So zeigen Studien, dass viele Menschen nicht mehr antizipieren können, dass ein Aufenthalt in der Natur ihnen gute Gefühle bereiten könnte, und nehmen dann doch wieder das Auto für die Fahrt zum Bäcker oder lassen den Waldspaziergang zugunsten der vermeintlich dringend zu schreibenden Mails ausfallen. Somit ist auch hier ein – sicher oft mühsames – Lernen neuer Verhaltensmuster nötig, was ähnlich der Psychotherapie aber dann wirksam wäre. Wie in Selbsthilfe- und Therapiegruppen brauchen wir daher wohl auch Nachhaltigkeitsgruppen, die gemeinsam zukunftsfähige Lebensstile einüben. Transition-Town-Gruppen etwa setzen genau dies heute schon um, fördern damit die genannten psychischen Ressourcen und auch ein Zugehörigkeitsgefühl, das ebenso ein wesentlicher Motivator ist. Eine solchermaßen gestärkte Beziehung zur Natur aber stärkt wiederum den Drang, sich für ihren Erhalt einzusetzen.
Grenzen psychologischer Interventionen
Natürlich wird sich nicht eine ganze Gesellschaft solchen Interventionen unterziehen, doch der Wunsch nach Konsumreduktion, weniger Lärm, Stau, Stress und Informationsüberflutung wächst. Coaching, Achtsamkeitstraining und Psychotherapie haben zwar zunächst andere Ziele als Nachhaltigkeit, bieten aber die Chance, dafür zu sensibilisieren. Hilfreich wäre auch eine ausreichende Sinnkonstruktion der Arbeit im Betrieb. Manche Produktion, die in erster Linie Rohstoffe verbraucht, künstlich Bedürfnisse weckt und zu baldiger Produktentsorgung führt, wäre dabei zu hinterfragen. Dazu aber sind wiederum motivationsfördernde Anreize von außen erforderlich, im Sinne vielfach diskutierter politischer Maßnahmen.Psychologische Hilfe bei Burnout von Mensch und Erde – Thema einer Tagung in München
Die Förderung nicht-materieller Zufriedenheit und Selbstwirksamkeit, das Einüben von Veränderung mit kleinen Schritten sowie eine Verbesserung der Beziehung zur Natur sind wichtige psychologische Ansätze zur Verhinderung schlimmerer Umweltschäden, aber auch zur präventiven Förderung der Anpassungsfähigkeit an ein sich veränderndes Klima, knapper werdende Rohstoffe und damit einhergehende Krisen. Einfache Patentrezepte zur Lösung der historisch einmaligen Probleme hat auch die Psychologie nicht zu bieten, ebenso wenig wie andere Disziplinen, die sich schon mehr mit der ökologischen Krise beschäftigt haben. Aber sie kann helfen, ein angstfreies Bewusstsein der Situation zu schaffen, erste Schritte zur Verhaltensänderung anzuleiten und das nötige Durchhaltevermögen zu stärken. Psychotherapeuten und Ökologen werden daher am 6. Oktober in München Möglichkeiten diskutieren, wie Psychologie und Psychotherapie dem Burnout von Mensch und Erde entgegenwirken können. Organisiert wird die Veranstaltung von Nachhaltigkeitsinitiativen in Kooperation mit Psychotherapieinstituten. Dr. Andreas Meißner ist Psychiater und Psychotherapeut mit eigener Praxis in München sowie Autor etlicher Fachartikel zur Verbindung zwischen psychischen und ökologischen Aspekten. Soeben ist sein Buch „Mensch, was nun? Warum wir in Zeiten der Ökokrise Orientierung brauchen" erschienen. 2015 hat er mit anderen Stadtteilbewohnern eine Transition-Town-Gruppe in München-Trudering gegründet, die nun auch die erwähnte Tagung mitorganisiert.
Lifestyle | LOHAS & Ethischer Konsum, 19.07.2017
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