Oberndorf im Mündungsgebiet der Elbe hat mit Problemen zu kämpfen. Die Gemeindekasse ist leer, Arbeitsplätze sind rar, kleine Höfe werden aufgegeben. Aber die Einwohner geben nicht auf, nehmen das Wohl der Gemeinde in die eigene Hand und gründen eine Aktiengesellschaft. Der Dokumentarfilm „Von Bananenbäumen träumen" erzählt von den außergewöhnlichen Plänen und dem unerschütterlichen Engagement der Oberndorfer. Dieses und weitere Beispiele zeigen: Werden Bürger selbst aktiv, lässt sich Lebensqualität steigern und der Strukturwandel aufhalten.
Innerhalb von 20 Jahren sinkt die Zahl der örtlichen Betriebe im niedersächsischen Oberndorf von 70 auf nur noch 32. Es drohen Leerstand und Überalterung. Dann will die Gemeinde auch noch die Schule verkaufen. Sie ist für viele der Dreh- und Angelpunkt des örtlichen Lebens. Die Oberndorfer sind verzweifelt. Doch sie sind kreativ und starten im Jahr 2010 einen Dorferneuerungsprozess. Zuerst wird eine Kneipe, die Kombüse 53° Nord, eröffnet. Dort werden weitere Ideen geschmiedet, um die Rettung des Dorfes zu finanzieren. Und dann kommt der entscheidende Vorschlag: „Wir nutzen das, wovon wir am meisten haben: Gülle!"
Damit wollen die Oberndorfer Energie erzeugen, afrikanische Welse züchten und – Bananenstauden anpflanzen. Und dann kommt auch noch eine Filmemacherin, die die Bananenträume begleiten will. Ein Stoff aus dem die Träume sind. Au weia – ob das gut gehen kann …
Vom Dorf zur AG
Gesagt, getan, doch für die Umsetzung fehlt den Dorfbewohnern das nötige Know-how.
Dieses holen sie sich aus der großen Stadt. Die Projektentwickler von BE Solutions & Blue Systems Design GmbH aus Berlin sind Spezialisten für außergewöhnliche Innovationen. Ihre Ansicht, wie Dorfentwicklung unabhängig von langwierigen politischen Prozessen stattfinden kann, lautet: „Lasst die Dörfer das Geld selbst verdienen, das sie dann für die Gestaltung ihres Lebensumfeldes einsetzen können." Zusammen mit den Oberndorfern gründen die Berliner Querdenker eine Bürgeraktiengesellschaft, die erste Aktiengesellschaft der Region. Aus der Schnapsidee entsteht langsam eine Geschäftsidee, die rasant Form annimmt: Die Gülle aus den Kuhställen der umliegenden Höfe soll eine Biogasanlage betreiben, die wiederum Energie und Wärme für Fischzucht und Pflanzenanbau liefert. Und im Gesamtkreislauf des Systems entsteht als „Abfall" auch noch hochwertiger Dünger, der teuer verkauft werden kann.
Die Filmemacherin Antje Hubert ist fasziniert vom aufkommenden Enthusiasmus und begleitet mit ihrem Kameramann Andreas Stonawski die Dorfbewohner drei Jahre lang bei ihrem abenteuerlichen Projekt. Der Film erzählt davon, wie Einheimische und Zugereiste anfangen zu träumen und die Ärmel hochkrempeln. Wie Überzeugungskraft und Zweifel aufeinander stoßen. Auch die Jüngsten sind mit dabei. Sie gründen einen Umweltschutzclub und fangen an, im Ort Müll zu sammeln. Doch der Weg vom Traum in die Realität ist schwerer, als alle gedacht hatten, und die Kamera fängt die Höhen und Tiefen des Prozesses mit bewegenden Bildern ein.
Wo Welse schwimmen
In Oberndorf steht mittlerweile die Biogasanlage und die ersten afrikanischen Welse schwimmen in den Becken. Die Bananenstauden sind zwar noch nicht gepflanzt, dafür ist mit der Kombüse 53° Nord das Leben in den Ort zurückgekehrt. Regelmäßig finden dort Konzerte, Theatervorführungen und andere gemeinschaftliche Veranstaltungen statt.
Wir fragen die Regisseurin bei der Premiere des Films in Berlin, ob Oberndorf ein Vorzeigeort ist? „Das kann ich nicht beantworten, noch sind sie ja nicht am Ziel. Aber darauf kommt es auch nicht an. Viel wichtiger ist die Kernaussage: Das Schicksal selbst in die Hand nehmen, nicht ohnmächtig sein, die eigenen Träume verwirklichen." Diese Haltung möchte die engagierte Filmemacherin in die Lande tragen und damit andere Quartiere ermutigen, gemeinsam aktiv zu werden.
Der Dorfladen als Mittelpunkt
Nicht nur das Dorf an der Elbe hat mit Strukturwandel und Abwanderung zu kämpfen: In zwei Dritteln aller ländlichen Gemeinden sinkt die Einwohnerzahl. Vor allem junge, gut ausgebildete Menschen zieht es in die urbanen Räume, in denen schon jetzt über 75 Prozent der Deutschen leben. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Peripherie sind immens – Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte und Bildungseinrichtungen verschwinden. Ein Symbol für den Wandel ist die Situation der klassischen Dorfläden. Sie sind eine vom Aussterben bedrohte Spezies: Laut einer Studie des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) hat sich die Zahl der Verkaufsstellen im Lebensmitteleinzelhandel von bundesweit 160.000 Geschäften im Jahr 1970 auf unter 39.000 im Jahr 2016 reduziert. Ersetzt werden die Dorfläden durch Discounter, Supermarktketten und SB-Warenhäuser – die fast immer fernab der Ortskerne und in der Nähe der größeren Städte liegen. Für das Leben im Dorf hatte der „Tante-Emma-Laden" allerdings Funktionen, die durch die vielen Handelsketten nicht zu ersetzen sind: Er ist zu Fuß, also auch für die immer größer werdende Zahl älterer Menschen, bequem erreichbar. Und er dient als Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft. Mit den Dorfläden starb ein Teil des örtlichen Lebens. Gefragt sind daher kreative und innovative Ideen. Wie kann der klassische Dorfladen neu erfunden werden?
Die IG OMa
Von Bananenbäumen träumen
Die Authentizität dieses Filmes ist beeindruckend. Er zeigt Menschen, die in ihrem Alltag etwas anpacken und bewegen. Das geschieht in großer bildlicher Nähe, oft auch in den eigenen vier Wänden. Dabei stellt der Film schonungslos Rückschläge und Zweifel der beteiligten Personen dar: Als die Schule geschlossen wird, fließen Tränen und die Menschen verlieren zwischenzeitlich den Glauben an ihr „Bananen-Projekt". Dadurch hat man das Gefühl, den Dorfbewohnern auf Augenhöhe zu begegnen. Antje Hubert lässt den Kinobesucher am Entstehungsprozess der Idee bis hin zu ihrer Verwirklichung teilhaben – von euphorischer Aufbruchsstimmung bis hin zur Resignation. Der Landwirt Jörn Nagel nimmt eine Schlüsselrolle im Film und in der Dorfentwicklung ein, da er die Fläche für das Projekt zur Verfügung stellt. Er ist zwar von der Idee begeistert, aber auch nicht ganz ohne Zweifel, ob sie funktionieren kann. Doch wenn ein Bauer einmal ja gesagt hat, dann bleibt er dabei. Sein Wort gilt.
Auch die Filmemacherin Hubert ist von der Idee der Oberndorfer begeistert, spricht aber auch über die Schattenseiten: „Die Lust der Oberndorfer am Pläneschmieden ist ungebrochen. Und die Tatsache, dass die Anlage, mit der sie das Geld verdienen wollen, noch nicht fertig ist, scheint keine Rolle zu spielen. Doch der Ausgang der Geschichte ist immer noch offen ..."
Alle Termine, Trailer und Infos zum Film auf
www.vbbt-derfilm.de |
Diese Frage stellten sich auch die Bewohner in den bayerischen Gemeinden Oberdorf und Martinszell, nachdem vor Ort alle Gasthöfe und Supermärkte dichtgemacht hatten. Um die örtliche Infrastruktur zu stärken, gründeten sie im März 2014 die Interessengemeinschaft zur Förderung der dörflichen Entwicklung in Oberdorf und Martinszell (IG OMa). Ein neuer sozialer Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft sollte her und ein passendes Gebäude war schnell gefunden – das leerstehende Bahnhofsgebäude in Martinszell. Von da an ging es Schlag auf Schlag: Ein Mitglied der IG OMa erwarb das Haus, ab Mai 2014 wurde das Gebäude in Eigenleistung renoviert. Im Herbst 2014 eröffnete der neue Dorftreffpunkt. Er beherbergt nicht nur ein Café und einen Wochenmarkt, auch Vorträge, Ausstellungen oder Handarbeitstreffs finden dort statt. Die IG OMa wurde bereits mehrfach ausgezeichnet und jüngst als das „Gute Beispiel 2017" nominiert. Mit diesem Preis fördert der Bayerische Rundfunk innovative Projekte, die mit Mut, Engagement und Leidenschaft die Gesellschaft ein bisschen besser machen.
Digitalisierung hilft Dörflern auf die Sprünge
In „Smart Cities" ist alles vernetzt: Stoff- und Abwasserkreisläufe, Ladesäulen für Elektroautomobile und Ampeln. Digitalisierung und Vernetzung verschiedenster Bereiche gehören im urbanen Raum schon länger zur Alltagswelt. Sie bietet aber auch Chancen für den ländlichen Raum, wie die von genannter BE Solutions gestartete Kampagne „Dörfer im Aufbruch" zeigt. Mit dieser Initiative sollen Dörfer dabei ermutigt werden, ihre Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen und dabei vor allem auch digitale Chancen zu nutzen. Möglichkeiten zur Digitalisierung bieten sich an vielen Stellen, so auch beim Dorfladen. Nach dem Vorbild eines schwedischen Modells wird derzeit ein rund um die Uhr geöffneter Laden getestet, der ohne viel Personal auskommt und so in der Kostenstruktur wieder wettbewerbsfähig gegenüber den großen Supermarkt- und Discounter-Ketten wird. Auch zum immer dünner werdenden ÖPNV-Netz im ländlichen Raum kann Digitalisierung und Vernetzung eine echte Alternative darstellen. Das Prinzip des von Bürgern entwickelten Konzeptes „Roter Punkt – ich nehm‘ Dich mit" ist denkbar einfach: Ein roter Aufkleber am Auto lässt eine Mitfahrgelegenheit erkennen. Dazu gibt es markierte Bänke, die als „Haltestellen" dienen. Eine App soll das Zusammenspiel in Zukunft weiter verbessern und anzeigen, wer Fahrten anbietet und wer wann wohin mitgenommen werden möchte. Wird dieses Sharing-Konzept noch mit E-Mobilität und gemeinsamem Autokauf kombiniert, ergibt sich eine kostengünstige und klimaschonende Lösung der Nachbarschaftsmobilität, die vom unflexiblen ÖPNV-Fahrplan unabhängig ist.
Im Großen denken
Das Problem der Landflucht hört nicht an der Ortsgrenze auf – ganze Regionen sind vom Strukturwandel betroffen. Würden Bürger, Unternehmen und kommunale Politik Hand in Hand arbeiten, könnten Probleme jedoch auch in größerem Maßstab bewältigt werden. Ein gutes Beispiel ist das Emsland, ein Landkreis an der Grenze zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Steigende Geburtenzahlen, ein positives Wanderungssaldo und eine Arbeitslosenquote von 3,8 Prozent (der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 6,3 Prozent) – im Emsland scheint besonders gut zu funktionieren, was in vielen ländlichen Regionen nicht gelingt. Woran liegt das? Antworten liefert die Studie „Von Kirchtürmen und Netzwerken. Wie engagierte Bürger das Emsland voranbringen".
Die Autoren Theresa Damm und Dr. Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung sind tief in die zivilgesellschaftlichen Strukturen vor Ort eingetaucht und haben in Gesprächen mit lokalen Akteuren herausgefunden, was die Emsländer antreibt und wieso die Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft, Kirche und Vereinen dort so gut funktioniert. Die Ergebnisse ihrer Studie stellten sie am 23. März 2017 in Berlin vor. Diese zeigen: Dorf- beziehungsweise Regionalentwicklung kann gelingen, wenn die Bürger ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen – und dabei mit Know-how und Fördermitteln unterstützt werden.
Oder, wie es der Oberndorfer Landwirt Jörn Nagel im Film „Von Bananenbäumen träumen" so trocken sagt: „Mich wundert immer, was alles möglich ist. Vor dieser Dorferneuerung hätte ich das gar nicht für möglich gehalten." Beflügeln Sie deshalb auch in Ihrem Quartier die Träume und holen sie den Film in ihr Kino vor Ort!
Weiterführende Links:
www.blueeconomysolutions.de
www.ig-oma.de
www.doerfer-im-aufbruch.de
Sebastian Henkes