Leitmarkt oder Schlusslicht?
Bis 2020 sollen nach dem Plan der Bundesregierung eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen sein.
Kurz vor Halbzeit sind wir weit davon entfernt. Verliert Deutschland den Anschluss an die Elektromobilität?
Knappe 5 Jahre nach Verkündung des ehrgeizigen 2020-Ziels zeigt es sich, dass Deutschland bereits hinterher läuft. Nicht nur hinter dem 1-Million-Ziel der Bundesregierung, sondern auch im Vergleich zu anderen Ländern. In den Jahren 2011 bis 2014 wurden in Deutschland statt der geplanten 100.000 nur zirka 28.000 reine Electric Vehicles (EVs) und Plug-in-Hybride(PHEV) verkauft.

Das E-Fahrzeugangebot wird größer und attraktiver
Am mangelnden Angebot und der Reichweite der Elektroautos kann es eigentlich nicht liegen – denn die meisten Elektrofahrzeuge werden von den Herstellern weltweit angeboten, stehen also in Deutschland genauso zur Verfügung wie in Kalifornien oder Norwegen. Außerdem müsste die begrenzte Reichweite der Fahrzeuge den EV-Käufern in diesen beiden Ländern eigentlich viel größere Probleme bereiten. Den Amerikanern, weil sie täglich deutlich längere durchschnittliche Fahrstrecken zurücklegen und den Norwegern, weil sie aufgrund der kalten Winter besonders unter den Reichweitenverlusten der EVs bei niedrigen Temperaturen leiden. Aber das scheint den dortigen Markterfolgen keinen Abbruch zu tun.

Warum hinkt Deutschland hinterher?
Bei genauerem Hinsehen kann man nur einen wirklichen Unterschied zu erfolgreichen Märkten wie Kalifornien und Norwegen ausmachen: Die fehlende öffentliche Förderung, sowohl bei der Anschaffung, als auch beim Infrastrukturaufbau. In Deutschland beschränkt sich die Förderung bisher ausschließlich auf Pilotprojekte, begleitende Forschung und verstärkte Öffentlichkeitsarbeit. Doch das reicht ganz offensichtlich nicht.
Die Hoffnung der Bundesregierung, dass die Breite der Autokäufer von alleine auf die neue Antriebstechnologie schwenkt, hat sich zerschlagen. Dafür sind die konventionellen Fahrzeuge einfach zu gut, die Aufpreise der EVs zu gravierend, die öffentliche Infrastruktur mangelhaft, der „innere Schweinehund" der potenziellen Käufer zu groß und die Bereitschaft der etablierten Autohersteller, diese neue Technologie mit massiven Mitteln in den Markt zu drücken, aus verständlichen Gründen zu wenig ausgeprägt. Wer kannibalisiert schon gerne seine erfolgreiche Produktpalette konventioneller Fahrzeuge früher als es unbedingt sein muss? Wer schlachtet ohne Not eine Cash Cow?

Vom Winde verweht
Es ist müßig, im Nachhinein über den Erfolg oder Misserfolg der deutschen Förderprogramme zu philosophieren. Dennoch stimmt es traurig, wenn man sich überlegt, was man mit den öffentlichen und privaten Mitteln von fast 800 Millionen EUR aus dem Konjunkturpaket II und den seit 2011 installierten Schaufensterprojekten hätte machen können, um den Markt in Deutschland in Schwung zu bringen. Wir hätten jedem der bis heute eingeplanten 100.000 EV-Käufer eine Kaufförderung von 5.000 EUR in die Hand drücken, die Innenstädte unserer 10 größten Metropolregionen mit jeweils mindestens 1.000 Ladesäulen – zu einem Preis von 10.000 EUR pro Ladesäule inklusive Installationskosten – bestücken und immer noch 200 Mio. EUR in eine zielgerichtete Begleitforschung stecken können. Und damit wahrscheinlich eine Dynamik und Aufbruchstimmung im Markt, die „elektrisierend" wäre. Eine Dynamik, die private Unternehmen motivieren würde, freiwillig weitere, eigene Mittel in den Hochlauf des Marktes zu investieren, um am Markterfolg zu partizipieren.
Stattdessen sind die öffentlichen Mittel in viele, sicherlich gut gemeinte Pilotprojekte zu den verschiedensten Forschungsthemen geflossen, ohne dass die Öffentlichkeit wirklich viel davon mitbekommen hat. Es macht sich eine spürbare Enttäuschung breit und Autohändler berichten von einer eher sinkenden Nachfrage nach E-Fahrzeugen. Verlieren wir damit endgültig den Anschluss an die führenden Leitmärkte dieser Welt?
Bringt das EmoG die Wende?
Wird das aktuell vorbereitete Elektromobilitätsgesetz (EmoG) der Bundesregierung dem deutschen „Leitmarkt" endlich zum Durchbruch verhelfen? Nein, sicher nicht, weil es eine Kaufförderung außer Acht lässt und nur den rechtlichen Rahmen für mögliche Fördermaßnahmen setzt, die dann erst auf kommunaler Ebene umgesetzt werden müssen. Aber es ist ein Startsignal, um Regionen auf die Sprünge zu helfen, statt immer nur nach Berlin zu schielen.
Und das Konzept der Metropolregionen ist möglicherweise der Schlüssel zur Trendwende im Straßenverkehr. Fürsprecher wie Prof. Benjamin Barber aus den USA sehen Lokalregierungen sogar in der klaren Führungsrolle zur Lösung vieler anstehender Menschheitsprobleme – nicht nur beim Klimaschutz. Man traut ihnen mehr Marktnähe und Umsetzungskraft zu, denn sie kennen ihre Einwohner, Rahmenbedingungen und Zielgruppen ganz genau.
Metropolregion München macht‘s möglich?


Es fehlt an der Basis
Die Krux liegt in der Analyse. Wie verteilen sich heute die Kraftstoffverbräuche bzw. Schadstoffemissionen auf die einzelnen Fahrzeug- und Nutzergruppen innerhalb der Metropolregion? Welche der Gruppen würde sich aufgrund ihrer Mobilitätsanforderungen und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einer Umstellung auf EVs am leichtesten tun? Wo kann mit dem niedrigsten Anreiz am meisten Effekt erzielt werden? Nur auf Basis dieser Erkenntnisse lässt sich ein fokussiertes und damit erfolgversprechendes Förderprogramm erstellen. Doch diese Basisarbeit scheint bisher zu fehlen. Im Zuge unserer umfangreichen Recherchen für den Roman „Elektrisiert" waren wir zumindest in der Lage, ein erstes, klares Bild zur Aufteilung des jährlichen Kraftstoffverbrauchs im Münchner Straßenverkehr zu ermitteln.
Mit sehr interessanten Erkenntnissen. Die Privathaushalte mit mehr als einem Pkw stehen für nahezu 40% aller Münchner CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr. Die mit Abstand größte Einzelgruppe und eine sehr interessante Zielgruppe alleine deswegen, weil sie mit ihren Zweitwagen am wenigsten Probleme mit der Umstellung auf ein EV haben sollte – und in den meisten Fällen auch noch über einen eigenen Parkplatz oder Garage für das sichere und bequeme Zuhauseladen verfügt. Dagegen werden sich Ein-Auto-Haushalte, die größtenteils in Apartmentanlagen ohne eigenen Parkplatz wohnen, anfangs deutlich schwerer mit der Umstellung tun. Da helfen auch keine 2.000 Laternenladesäulen.
Der Pkw-basierte Wirtschaftsverkehr ist im Vergleich dazu eine deutlich kleinere Zielgruppe, die zudem noch harten betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterworfen ist. Hier stehen Preis und permanente Verfügbarkeit im Vordergrund, was einen schnellen und breiten Umstieg auf EVs ebenfalls sehr schwierig macht. Ausgenommen sind nur gewerbliche Flotten mit täglich wiederkehrenden, klar definierten Routen, die heute bereits problemlos mit den realen EV-Reichweiten von kaum über 100 Kilometer zurechtkommen und die höheren Anschaffungskosten durch eine sehr hohe jährliche Kilometerleistung kompensieren können.
Somit fällt das Augenmerk auf die Linienbusse, die immerhin fast 5 Prozent der straßenbasierten CO2-Emissionen in München ausmachen. Das Angebot an rein elektrisch betriebenen Bussen hat im Gegensatz zu Lkws in den letzten beiden Jahren stark zugenommen.
Linienbusse und Zweitwagen im Visier

Wer soll das bezahlen?

Warten auf den großen Wurf
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Der große Wurf muss jetzt gelingen, wenn Deutschland den Anschluss nicht verlieren will. Führende Unternehmen beginnen bereits jetzt, sich woanders hin zu orientieren. Es gibt genügend Länder und Metropolen, die auf dem Weg sind, eine Leitmarkt-Rolle zu übernehmen. Dazu darf es auf Dauer nicht kommen. Sonst werden wir in Deutschland auch die Rolle als „Leit-Anbieter-Markt" verlieren.
Michael Valentine-Urbschat
ist Experte für klimafreundliche Antriebstechnologien im Automobilbau. Nach einer Karriere bei BMW verantwortete er ab 2010 den Einstieg von Siemens in die Entwicklung von Elektroantrieben für PKWs. Heute berät er Automobilhersteller und Regierungen bei der Ausgestaltung dieser Technologiewende. Dabei begegnet er sowohl den Befürwortern, als auch den oft stillschweigenden Gegnern dieser Revolution. In seinem Debutroman enthüllt er das skrupellose Tauziehen zwischen Politik und Wirtschaft um eine neue, automobile Zukunft.
Die folgenden Vorschläge unseres Autors werden aktuell in der Münchner Stadtverwaltung diskutiert:
„Leitmarkt Metropolregion München"
Kernelemente eines massiven, lokalen Förderprogramms
zur Elektromobilität
- Umstellung aller Linienbusse auf rein elektrischen Betrieb: Ab sofort werden nur noch E-Busse beschafft, bis die komplette Flotte von ca. 1.500 Linienbussen in der Region zu 100 Prozent emissionsfrei fahren.
- Umwidmung von mindestens 1.000 hoch attraktiven Parkplätzen innerhalb des mittleren Rings (davon mindestens 30 Prozent innerhalb des Altstadtrings) zu exklusiven EV-Parkplätzen mit Ladesäulen zum barrierefreien und kostenlosen Strombezug (bis mindestens 31.12.2017)
- Grundsätzliche Befreiung aller Elektrofahrzeuge von Parkgebühren in der gesamten Region (bis mindestens 31.12.2017)
- Kaufförderung in Höhe von 5.000 EUR für private und gewerbliche Käufer von Elektrofahrzeugen (für bis zu 10.000 Fahrzeuge oder mindestens bis Ende 2017)
- Kaufförderung für Heimladesysteme in Höhe von 50 Prozent der Anschaffungs- und Installationskosten (bis max. 1.000 EUR) für bis zu 10.000 Systeme (oder mindestens bis Ende 2017)
- Verbot aller benzinbetriebenen Zweiräder innerhalb der Stadtgrenzen ab 1.1.2018
- Prüfung einer Einfahr-Maut für Nicht-E-Fahrzeuge: Vergabe eines fundierten Prüfungsauftrages zur Technik und Umsetzung eines modernen Einfahr-Maut-Systems (für eine mögliche Einführung ab 1.1.2018) als Basis für eine Entscheidung im Jahr 2016
- Absatz-Monitoring: Etablierung eines detaillierten, öffentlich zugänglichen Monitoring-Systems für den EV-Absatzerfolg innerhalb der Metropolregion (auf Monatsbasis) mit Start spätestens im September 2015.
Technik | Mobilität & Transport, 01.04.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.

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