Weine nicht, wenn der Regen fällt
Von der Wüste zur Oase
In Portugal errichtete eine internationale Gruppe von Ökologen ein Beispiel für
ein natürliches dezentrales Wassermanagement. Schon nach kurzer Zeit
regenerierte sich die Natur, die Artenvielfalt stellte sich wieder ein. Das Land
eignet sich erneut zum ganzjährigen Anbau. Die Prinzipien der
Wasserretentionslandschaft von Tamera sind weltweit anwendbar.

Doch der kapitalistische Blick auf das Wasser hat es zu einer Ware gemacht, die
gehortet, gestaut, abgeleitet, verkauft und künstlich verknappt wird: Fast eine
Milliarde Menschen weltweit hat keinen ausreichenden Zugang zu sauberem
Trinkwasser. Jedes Jahr sterben eine Millionen Kinder an Krankheiten, die durch
Wassermangel verursacht werden. Der Grundwasserspiegel sinkt weltweit, Brunnen
trocknen aus, Flüsse und Ozeane werden zu Kloaken.
In Südeuropa entvölkern sich ganze Landstriche. Es fehlt Wasser für die Tiere
und Felder. Die Ursache liegt nicht nur bei den durch Klimawandel veränderten
Regenmustern, sondern auch bei Abholzung und Übernutzung: Die kahlen, harten
Böden können den Winterregen nicht aufnehmen. Er fließt in Strömen weg, reißt
wertvolle Erde mit sich und sein Speicher fehlt im Sommer. Staudämme,
Versiegelungen von Landschaften, Kanäle, Flussbegradigungen und Drainagen sind
die falschen Methoden. Um nachhaltige Lösungen zu finden, soll man von der Natur
selbst lernen, findet Bernd Müller. Der Wasserbauingenieur aus Tamera in
Portugal erklärt: „Wasser steht allen Menschen und Tieren kostenlos und
unbegrenzt zur Verfügung, wenn wir nicht den Gesetzen des Kapitals folgen,
sondern der Logik der Natur."
Beraten vom Permakulturspezialisten und Agrar-Visionär Sepp Holzer aus
Österreich gestaltete er mit seinem Team eine Wasserretentionslandschaft – und
damit ein Modell für die Regeneration einer von Wüstenbildung bedrohten
Landschaft hin zu ertragreichem, fruchtbarem Natur-, Siedlungs- und
Wirtschaftsland.
Die Wasserretentionslandschaft von Tamera

Frühsommer 2015: An allen Ecken sprudelt, gurgelt, fließt Wasser. Teiche, Seen
und Gräben sind gefüllt. Nischen und Schattenplätze laden zum Verweilen ein.
Frösche, Krebse und Enten finden Futter und Schutz in den Uferbiotopen. Menschen
sitzen auf Steinen und kühlen ihre Füße im Wasser, Kinder toben am Mini-Strand.
Auf den Uferterrassen gedeihen Gemüse, Sonnenblumen und Obstbäume ganzjährig.
Die mit Klee und Mulch bedeckte Erde bleibt auch im Sommer feucht; wo dennoch
bewässert werden muss, ist das Wasser nicht weit. Ein Kormoran wartet auf der
Felseninsel auf unvorsichtige Fische. Sogar eine Fischotterfamilie wurde
gesehen.
Wie kam es dazu? Im März 2007 hatte die Tamera-Gemeinschaft Sepp Holzer zu einem
Beratungsgespräch eingeladen. „Ein Bauer, der das Wasser den Bach hinunter
fließen lässt", sagt der „Agrar-Rebell", „ist wie jemand, der Geld in den
Sparstrumpf steckt, der unten ein Loch hat."
Sein Vorschlag für Tamera: „Seen und Teiche voller Fische und an den Ufern so
viel Gemüse, dass ihr gar nicht alles essen könnt – und zwar nicht mit Beton
oder Plastik gebaut, sondern nur mit dem Material, das hier zu finden ist."

Das Wasser soll den Erdkörper füllen
Die Landschaft sieht natürlich aus, ganz so, als seien die Seen schon immer hier
gewesen. Wie aber kommt es, dass das Wasser nicht versickert, auch wenn der
Grund der Seen nicht versiegelt ist? „Ein Teil des Wassers versickert ja auch",
erklärt Bernd Müller, in Tamera verantwortlich für den Bau der
Wasserretentionslandschaft, „aber sehr langsam, und das ist beabsichtigt."
Denn der eigentliche Wasserspeicher, so führt er weiter aus, ist nicht der
sichtbare See, sondern der darunter liegende Erdkörper. Durch den Damm bekommt
das Wasser Zeit, in die verhärteten Erdschichten darunter einzudringen, bis es
zur wasserführenden Schicht im Erdboden gelangt.
In einer Wasserretentionslandschaft fließt Regenwasser nicht mehr ab, sondern
füllt den Erdkörper. Dafür war früher der Wald zuständig: Der lockere,
beschattete Humusboden nahm das Regenwasser auf. Es nährte das Grundwasser und
die Wurzeln der Bäume nahmen es auf.
Bernd Müller: „Da der Wald an den meisten Orten abgeholzt wurde, müssen wir der
Natur helfen, ihre Speicherfähigkeit wieder zu erlangen. Dann können auch Wälder
wieder gedeihen."
Wenn die Böden wieder Wasser aufnehmen und speichern können, dann steigt der
Wert eines Landes. Bauern können wieder wirtschaften. Teiche und Seen bieten
darüber hinaus viele ökonomische Nutzungsmöglichkeiten: Fischzucht, Gemüseanbau
an den Uferterrassen, auch sportliche oder touristische Nutzung ist möglich.
Bernd Müller: „Wasser ist immer die erste Voraussetzung, damit eine Region
wieder gesundet, auch wirtschaftlich. Wer die Gesetze des Wassers versteht und
mit ihnen arbeitet statt gegen sie, wird eine dezentrale, nachhaltige,
vielfältige Wirtschaftsregion anstreben, keine zentral organisierte Monokultur."
Dezentrale Wasserretention weltweit
Mittlerweile ist der Wasserbauingenieur als Berater im In- und Ausland gefragt –
auch in Krisenregionen. „Ohne Wasser kein Leben, keine Hygiene, kein
Lebensmittelanbau, kein Wiederaufbau. Zu den ersten Maßnahmen nach
Naturkatastrophen oder Kriegen gehört die Einführung eines gesunden
Wasserhaushaltes. Ich will dazu beitragen, dass dies auf natürliche und
nachhaltige Weise geschieht."
Die Wasserretentionslandschaft von Tamera ist nicht nur ein Modell für
Südeuropa. Sein Grundprinzip – dem Regenwasser wieder zu ermöglichen, in den
Erdkörper einzudringen – ist weltweit anwendbar. Zum Beispiel in der Slowakei:
Der Hydrologe Michal Kravcik war nicht einverstanden mit der Strategie großer
Staudämme und entwarf ein landesweites Programm für dezentrale
Wasserspeicherung. In einem ersten Modell schlossen sich 24 Dörfer zu einer
Graswurzel-Initiative zusammen. Durch dezentrale Wasserspeicherung konnten sie
den Bau eines Großdamms verhindern, das Regenwasser durch viele kleine Erddämme
auf dem Land halten und das kulturelle Erbe bewahren, das sonst überflutet
worden wäre.
Ein anderes Beispiel ist Rajendra Singh, der so genannte „Wasser-Gandhi" aus
Rajasthan in Indien. Der Alwar-Distrikt, ein ehemaliges Getreideanbaugebiet,
drohte durch Übernutzung und Abholzung zur Wüste zu werden. Flüsse trockneten
aus, die Menschen flohen. Die Thar-Wüste schien Dorf um Dorf zu verschlucken.
Rajendra Singh animierte die Bevölkerung, an vielen Orten mit Spaten und
Schaufeln Dämme und Bassins aus Steinen, Holz und Lehm zu bauen, um das
Regenwasser zu sammeln. Mit mittlerweile 8.600 solch einfacher
Regenwassersammelanlagen konnte er über 1.000 Dörfer mit Wasser versorgen, fünf
Flüsse führen wieder ganzjährig Wasser. Für seine Arbeit erhielt er 2015 den
renommierten Stockholm-Wasser-Preis.
Beispiele wie diese zeigen, dass ein anderes Wassermanagement weltweit die
Auswirkungen von Übernutzung, Monokulturen und Abholzung abpuffern kann. Darüber
hinaus schafft es die Voraussetzungen für eine Wiederbelebung der Regionen, für
eine Alternative zur wirtschaftlichen Globalisierung und macht die ländlichen
Gegenden für ihre Bewohner wieder attraktiv zum Leben.
Was ist Tamera?

Weitere Informationen:
Leila Dregger
ist Diplom-Agraringenieurin und langjährige Journalistin. Mit den
Schwerpunktthemen Frieden, Ökologie, Gemeinschaft, Frauen arbeitet sie seit 25
Jahren für Presse und Rundfunk sowie als Drehbuchautorin und Regisseurin für
Theater und Film. Sie war Herausgeberin der Zeitschrift „Die weibliche Stimme –
für eine Politik des Herzens", Pressesprecherin des Hauses der Demokratie in
Berlin und lebt heute überwiegend in Tamera in Portugal. Sie lehrt konstruktiven
Journalismus für Berufsanfänger sowie in Krisenregionen und ist Autorin mehrerer
Bücher.
Umwelt | Wasser & Boden, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.

Save the Ocean
forum 02/2025 ist erschienen
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