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Biokunststoff

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Biokunststoff gibt es seit Jahrhunderten, doch gegenwärtig erlebt er eine ungeahnte Renaissance. Eine Flut neuer Patente zeigt das enorme Interesse und Potenzial.
 
Galalith wird aus Milchprotein hergestellt. © cut, fotolia.comEs ist überraschend, was wegen schwindender Erdölreserven und drohender Klimaveränderung alles wiederentdeckt wird: z.B. Biokunststoffe. Dabei waren Biokunststoffe einst industriell hergestellte Massenkunststoffe und zudem allein auf dem Markt. Um 1870 wurde in Albany/USA die erste Fabrik zur Herstellung von Zelluloid geründet. Anstoß für die Entwicklung dieses thermoplastischen Kunststoffs auf der Basis von Zellulose war die Suche nach einer preiswerten Alternative, um Elfenbein bei der Herstellung von Billardkugeln zu ersetzen. In der Folge wurde Zelluloid sehr vielseitig für Filme, Brillenfassungen, Spielzeug, Kämme und Tischtennisbälle eingesetzt.
Galalith ist ein Biokunststoff, der seit 1897 aus Milchprotein hergestellt wird und auf klösterlichem Wissen des 16. Jahrhunderts basiert. Es ähnelt tierischem Horn und ist in allen Formen gestaltbar. Früher wurden daraus z.B. Radiogehäuse hergestellt. Erhalten hat sich bis heute die Verwendung von Galalith für Stricknadeln, Füllfederhalter und Plektren für Gitarren.
 
Billiges Erdöl verdrängte Biokunststoffe
Durch die Entwicklung von Kunststoffen auf der Basis von fossilem Mineralöl entstand schnell ein Wettbewerb, in dem die Biokunststoffe weitestgehend verdrängt wurden. Bakelite, Acryl, Polyamid oder Polystyrol kamen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Markt und wurden dank des günstigen Öls immer billiger. Ab 1950 entstanden großtechnische Herstellungsverfahren für die bis heute marktbeherrschenden Kunststoffe Polyethylen und Polypropylen.
Durch wachsende Müllberge, steigende Erdölpreise und das Wissen um die Endlichkeit der Rohstoffe entwickelte sich ab den 80ern ein wachsendes ökologisches Bewusstsein. Heute ist die Idealvorstellung, Kunststoffe möglichst aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen, die Stoffkreisläufe geschlossen zu halten und im Ergebnis eine ausgeglichene Ökobilanz herzustellen. Die Umsetzung dieses Ansatzes hat für die Kunststoffbranche erhebliche Konsequenzen und die Forschung und Entwicklung zu neuen biologischen Kunststoffen ist bereits in vollem Gange. Wenn Patente ein Indikator für die technologische Entwicklung sind, zeigt die höhere Anzahl von Patentanmeldungen für Biokunststoffe gegenüber petrochemischen Kunststoffen eine deutliche Tendenz.
 
Der Markt ist preissensibel und anspruchsvoll
Vom Radiogehäuse bis zum Gitarrenplektrum wurde schon früher vieles aus biobasierten Kunststoffen hergestellt. ©leoeye, fotolia.comWächst die Nachfrage nach Biokunststoffen, benötigt man mehr Agrarflächen zur Erzeugung der Rohstoffe. Das kann problematische Folgen für die Nahrungsmittelpreise und den Bestand von Wäldern haben. Um eine ganzheitlich positive Bilanz nach den Kriterien der Nachhaltigkeit zu erhalten sind Ressourcenschonung, Garantie sozialer Standards, Wiederverwertbarkeit und Klimaneutralität oberstes Gebot. Die Sensibilität hierfür entwickelt sich jedoch sowohl auf Seiten der Industrie als auch der Endverbraucher nur sehr langsam.
Obwohl Biokunststoffe bereits heute für viele Anwendungen eingesetzt werden können, ist die Nachfrage eher gering. Noch sind diese Werkstoffe hochpreisiger im Vergleich zu herkömmlichen Erdölprodukten. Zusätzlich erfordern Biokunststoffe hinsichtlich ihrer mechanischen, optischen und thermischen Eigenschaften gelegentlich Kompromisse bei den Ansprüchen an die Produkte. Diese Aspekte lassen sich durch konstruktive Maßnahmen kompensieren, erfordern aber einen höheren Aufwand der Produzenten. Nach aktueller Erfahrung sind B2B-Kunden nur bei erkennbarem Mehrwert zur Übernahme höherer Kosten bereit. Ein Mehrwert liegt in der konsequent nachhaltigen Konzeption eines Produkts – auch in Kleinteilen – oder in einer Alleinstellung im Markt durch Verwendung entsprechender Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen.
 
Potenziale beim Recycling
Früher wurde auch das Gitarrenplektrum aus biobasierten Kunststoffen hergestellt. © Florian Kunde, fotolia.comDurch die Wiederverwertung von Kunststoffen können erhebliche Umweltbelastungen vermieden und der Einsatz von Rohstoffen und Energie reduziert werden. Doch nimmt man z.B. die 150.000 t Verpackungsabfälle aus dem Kunststoff PET, so werden davon jedes Jahr 90.000 t thermisch verwertet – sprich, der Wertstoff wird durch Verbrennung vernichtet und Verbrennungsgase belasten das Klima. Lediglich 60.000 t werden wiederverwertet. Dabei beweisen Praxistests, dass PET-Flaschen mit einem Anteil von 65 Prozent PET-Recyclat problemlos herstellbar sind. Diese Ergebnisse sind auf die Wiederverwertbarkeit anderer Kunststoffe wie Polypropylen und Polyethylen übertragbar. Neue Sortiertechnologien zur Trennung der Kunststoffe existieren bereits. Würde dieses Kreislaufkonzept auch auf Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen angewendet, wäre deren Nachhaltigkeits-Performance einem Idealzustand nahe. Das Prinzip Cradle to Cradle – von der Wiege zur Wiege – belebt hier aktuell die Diskussion.
 
Visionäre Ideen mit Potenzial für echte Innovationen
Neben der Steigerung der Recycling-Effizienz wird die Findung neuer Verfahren und Materialien den Markt für Kunststoffe wesentlich verändern. So ist Ford auf der Suche nach neuen Bio-Materialien für den Fahrzeugbau eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Kooperation mit dem Ketchup-Hersteller Heinz eingegangen. Ziel ist es, Kunststoffe aus Tomatenresten wie Haut, Kernen und Stilen zu produzieren. Die Idee ist faszinierend, wenn man bedenkt, wie beständig allein die Tomatenhülle gegen UV-Strahlen, Stöße und selbst Magensäure ist. In Dormagen will Bayer noch in diesem Jahr damit beginnen, Polyurethan in großen Mengen mit Kohlendioxid statt Erdöl herzustellen. Dass dies in der Praxis klappt, konnte in einer Pilotanlage während einer zweijährigen Testphase bewiesen werden.
Beide Beispiele zeigen, dass die Entwicklung weg vom Erdöl auch beim Kunststoff an Fahrt gewinnt und sicher noch spannende Ergebnisse mit innovativen Lösungen hervorbringen wird.
 
Zukunftsaussichten optimistisch
Noch haben die auf Erdöl basierenden Kunststoffe einen Anteil von 99,9 Prozent. Und noch liegt die Fokussierung beim Einkauf von Kunststoffprodukten auf einem möglichst niedrigen Preis. Trotzdem wächst die Bedeutung der Nachhaltigkeit bei der Konzeption von Produkten und Dienstleistungen merkbar. Entsprechend aufgestellte Unternehmen werden zu Taktgebern für ganze Branchen. Wie grundlegend innovative Ansätze den Markt verändern können, zeigt das Beispiel Tesla. Der Elektroauto-Pionier baut derzeit seine technische Infrastruktur aus, um die Kapazität von 30.000 auf 500.000 Fahrzeuge pro Jahr zu steigern. Man darf annehmen, dass diese Mengensteigerung auch auf den Preis Auswirkungen haben wird. Und diese Dynamik zwischen steigender Menge und sinkendem Stückpreis wird sich ebenso bei Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen – dies vor dem Szenario früher oder später steigender Preise für den Rohstoff Erdöl. Die Thematisierung von Klimaschutz und Ressourcenschonung im Marketing hat bereits begonnen und wird gelegentlich zu Recht als „Greenwashing" kritisiert. Es ist aus meiner Sicht aber nur eine Frage der Zeit, bis einer der Marktführer die Chance ganzheitlicher Nachhaltigkeit erkennt, konsequent auch im Detail umsetzt und aus klimaneutral hergestellten Biokunststoffen mit hoher Recyclingquote einen Wettbewerbsvorteil macht.
 
Theo Besgen
ist leidenschaftlich-nachhaltiger Unternehmer und beschäftigt sich und 65 Mitarbeiter mit integrierten Lösungen in Kunststoff. Seit Sommer 2014 ist sein Unternehmen der erste klimaneutrale Industriebetrieb in Deutschland. Wenn Theo Besgen sich nicht mit Kunststoffen beschäftigt, kümmert er sich um die Familie und das zahme Hausschwein.

Umwelt | Ressourcen, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
     
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