Kubas stille Revolution
Aus der Not geboren - Auswege aus der Agrarchemie
Kuba hat, aus der Not geboren, eine vorbildliche, organische Landwirtschaft
aufgebaut, den Hunger besiegt und sich damit aus der Abhängigkeit von der Petro-
und Agrarchemie befreit. Ein Modell zur Krisenbewältigung, von dem die Welt nun
lernen kann. Viva la (r)evolución!
Reden wir über Kuba. Nicht über jene arme Exklave mit zentral gelenkter, also
staatlich dirigierter Volkswirtschaft, die für westliche Ökonomen ein
Paradebeispiel sozialistischer Misswirtschaft und gesellschaftlicher Unfreiheit
ist. Reden wir auch nicht über Kuba als ein preiswertes, lohnendes Reiseziel für
die Globetrotter, die ihr weltweites Reisen mit ihrem ausgeprägten Streben nach
interkultureller Bildung legitimieren. Auch nicht über jene Hollywood-Kulisse
für einen 50er-Jahre-Film oder die Musik Kubas, die durch Wim Wenders Film
„Buena Vista Social Club" als melancholisch-würdiges Lebensgefühl so pittoresk
vermittelt wurde.
Nein, reden wir von jenem Kuba, das 2006 vom WWF (World Wildlife Fund) zum Land
mit der höchsten ökologischen Nachhaltigkeit im weltweiten Vergleich erklärt
wurde. Eine Qualifikation, deren Bedeutung wir in Deutschland nicht wirklich
wertschätzen können. Wir messen Erfolg und Wohlstand am Bruttosozialprodukt und
am Pro-Kopf-Einkommen der Einwohner eines Landes. Und da liegt Kuba auf den
letzten Rängen.
Der ökologische Fußabdruck des Wohlstands
Darf und kann man den weltweit besten Standard für den ökologischen Fußabdruck
einer Bevölkerung angesichts des niedrigen Lebensstandards und der so
außergewöhnlich niedrigen Einkommen der Kubaner überhaupt als eine soziale
Qualifikation würdigen?
Die Frage einer solchen Würdigung führt zu unserem eigenen Wohlstandsverständnis
und zu der Frage, ob nicht der Grad der ökologischen Nachhaltigkeit in einem
umgekehrten Verhältnis zur Höhe des BIP und der verfügbaren Einkommen der
Menschen steht. Aber zunächst zu Kuba und seinen wirtschaftlichen Entwicklungen
seit 1960 – in aller undifferenzierten Kürze. Beginnen wir die Geschichte Kubas
mit dem Sturz des Diktators Batista im Jahre 1959 durch die kubanischen
Revolutionäre Fidel und Raul Castro sowie durch Che Guevara u.a. und mit der
Errichtung eines sozialistischen Staates im Jahre 1961. Im Zuge dieser
politischen und ökonomischen Umwälzungen wurden US-Unternehmen sowie US-Bürger
enteignet, was zur Folge hatte, dass ein umfassendes Handelsembargo seitens der
USA wie auch der meisten europäischen Staaten verhängt wurde. Das revolutionäre
Kuba suchte in der Folge die enge Zusammenarbeit mit den sozialistischen
Bruderstaaten Osteuropas, die für Kuba die wichtigsten Handelspartner wurden und
die Kuba danach zuverlässig belieferten.
Das Embargo bringt den stillen Kollaps
Mit dem Zerfall des sozialistischen Ostblocks im Zuge der deutschen
Wiedervereinigung und der Auflösung des Eisernen Vorhangs verlor Kuba in kurzer
Zeit seine wichtigsten Handelspartner und mit ihnen sowohl seinen Absatzmarkt,
wie seine Quelle für Lebensmittel, Erdöl, Agrochemikalien, Maschinenteile und
technische Infrastruktur. Bis 1993 brachen 85 Prozent des Außenhandels weg, die
Industrie, die Landwirtschaft und das Transportwesen kamen aufgrund des Mangels
an Erdöl zum Erliegen. Eine tiefgreifende Wirtschaftskrise war entstanden, die
ohne entscheidende Hilfe aus dem Ausland gemeistert werden musste. Schließlich
galt das Embargo im vollen Umfang weiter und die Deviseneinnahmen reichten für
den Importbedarf bei weitem nicht aus.
Nun wurde die überkommene landwirtschaftliche Produktionsweise, seit der
Kolonialzeit einseitig auf Zuckerrohranbau spezialisiert und auf Großbetriebe
aufbauend, zum entscheidenden Problem. Zu sehr hatte man sich zugunsten des
Exportes von Zuckerrohr auf Lebensmittelimporte verlassen. Und nur unter der
Bedingung verfügbarer, billiger Energie waren die agrarischen Großbetriebe mit
ihrem enormen Maschineneinsatz überhaupt zu bewirtschaften. Und all das fehlte
plötzlich! Es kam so zu großen Flächenstilllegungen (heute immer noch 40
Prozent) und das bei sinkenden Lebensmittelimporten aufgrund von Devisenmangel.
Es herrschte bald echter Mangel an Lebensmitteln und die Regierung musste auf
die Lebensmittelrationierung zurückgreifen. Unterernährung breitete sich aus.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks hatte für Kuba drastische
Folgen.
Von der globalen Monokultur zur Selbstversorgung
Was tat die sozialistische Regierung in dieser existentiellen Krise? Sie setzte
auf die systematische Stärkung der Selbstversorgung bei den Lebensmitteln. Sie
veranlasste eine Dezentralisierung der landwirtschaftlichen Produktion und eine
urbane Produktion von Obst und Gemüse. Auch die Kleinnutztierhaltung wurde
erlaubt und gefördert, und es begann – nolens volens – die Umstellung auf
ökologische Anbaumethoden, die überhaupt erst den Verzicht auf Düngemittel und
Pestizide erlaubten. Hiermit begann eine langjährige, außergewöhnliche,
agrarische und versorgungstechnische Entwicklung, die aus der Not und
Alternativlosigkeit geboren wurde. Die zentrale Herausforderung lautete: Wie
gelingt eine schnellstmögliche, effiziente Steigerung der
Lebensmittelproduktion, die kaum Diesel, Maschinen und Kapital erfordert? Wie
kann der Hunger der Bürger ohne externe Hilfe überwunden werden? Was ist nötig,
um das Wohlstandsverständnis der Kubaner zu befriedigen? Der spannende Aspekt
dieser Entwicklung: Die Kubaner erlebten und erleben Peak Oil, eine lang
währende Wirtschaftskrise und die Folgen des Klimawandels gleichzeitig und
nehmen damit voraus, was der Weltgemeinschaft vielleicht erst noch droht. Es
lohnt sich also, den agrarischen Weg Kubas genauer unter die Lupe zu nehmen?
All Business is Local
Mit Mischkulturen, Hochbeeten, planmäßigen Fruchtfolgen sowie mit Komposten und
Regenwurmkulturen ist dort eine postindustrielle Lebensmittelproduktion
entstanden, die hoch leistungsfähig ist und viele Menschen in sinnvolle Arbeit
integriert. Der Hunger wurde verbannt und ein bescheidener Wohlstand in
Selbstversorgung ermöglicht. Die professionelle lokale Produktion für den
lokalen Lebensmittelbedarf ist mit großem Erfolg aufgebaut worden und den
Kubanern ist es gelungen, die Versorgung mit Lebensmitteln drastisch zu
verbessern. Sie erzielen Rekordernten in Bio-Betrieben (20 kg Lebensmittel pro
Quadratmeter jährlich). Heute betreiben 500.000 Kubaner Gartenbau und selbst die
Hauptstadt Havanna kann sich bis zu 70 Prozent mit Gemüse und Obst aus der
städtischen Region selbst versorgen. Ausschließlich in Bio-Qualität! Und mit dem
geringstmöglichen CO2- Fußabdruck! Welche Rolle hierbei die vielen lokalen
Erzeugergenossenschaften spielen, welche Probleme zu bewältigen waren und wie
erfolgreich diese Entwicklung letztlich geworden ist, davon berichten der Film
von Nils Aguilar mit dem Titel „Voices of Transition" (2012) sowie ein kürzlich
erschienener Bericht des Schumacher Center for a New Economics (USA), die eine
einwöchige Kuba-Erkundungsreise im Oktober-November 2014 machten.
Was ist nun Wohlstand?
Wenn ein Land bezahlbare Lebensmittel für die gesamte Bevölkerung in bester
Bio-Qualität und bei steigender Fruchtbarkeit bereitstellen kann und dabei nicht
auf den Import von fossilen Energien angewiesen ist, dann verfügt dieses Land
über einen Wohlstand, auf den es immer noch entscheidend ankommt: eine
landesweite Daseinsvorsorge auf Basis nachhaltig produzierter Lebensmittel als
die erste, oberste Kategorie für Wohlstand und soziale Sicherheit. Das muss
gewürdigt werden. Und die Frage der Beziehung zwischen Einkommenshöhe und
Nachhaltigkeit, zwischen Bruttoinlandsprodukt und Wohlstand sollte systematisch
aufgeworfen und diskutiert werden.
Lex Janssen
Ist Vorsitzender der E. F. Schumacher-Gesellschaft für Politische Ökologie e.V.
in München und seit vielen Jahren in der Vermarktung von Bio-Lebensmitteln
aktiv. Sein Anliegen ist die Entwicklung neuer Wirtschaftsmodelle.
Umwelt | Wasser & Boden, 01.07.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2015 - Jahr des Bodens erschienen.
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