High Tech im Teppich
Desso, der niederländische Teppichbodenhersteller, gilt als einer der großen Vorreiter der Cradle to Cradle Philosophie.
Im forum Interview erklärt Alexander Collot d'Escury, CEO von Desso, wie viel Innovation im Teppichboden stecken kann.
Bis 2020 soll die gesamte Produktpalette von Desso auf das Cradle to Cradle Prinzip (C2C) umgestellt werden. Wie kam
es zu dieser Entscheidung?
Wir erlebten den Börsencrash und mussten zusehen, wie unser Markt schrumpfte. Im verbliebenen Markt wurde der Wettbewerb entsprechend hart. Gleichzeitig hatten wir die Verpflichtung, für unsere Mitarbeiter und Aktionäre für Wachstum zu sorgen. In einer Rezession sind viele Unternehmen versucht, nur noch über den Preis zu verkaufen. Vor diesem Hintergrund kämpften wir uns mit einer extrem ehrgeizigen und noch ungeprüften Strategie nach vorn, deren Hauptpfeiler unsere Vision der langfristigen Nachhaltigkeit
ist. Der zweite Pfeiler ist, basierend auf der Erkenntnis, dass
wir 90 Prozent unserer Zeit in Innenräumen verbringen, dass ein Teppichboden aktiv zu Gesundheit und Wohlbefinden beitragen soll. Wir treten also nicht über den Preis in
den Wettbewerb, sondern bieten als Mehrwert ein starkes Engagement, die Natur zu bewahren sowie Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern. Von diesem Konzept mussten wir unsere Aktionäre, Lieferanten, die Geschäftsleitung und viele andere überzeugen. Bis dahin konnte man von keinem Unternehmen behaupten,
es folge exakt dem C2C Prinzip. Es gab also nichts, auf das
wir verweisen konnten, außer unserer Überzeugung, dass unsere auf C2C, Kreativität und Funktionalität basierenden Innovationen für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sorgen würden. Ich denke, genau das macht uns zu Pionieren.
Wie sieht für die Bodenbelagsherstellung ein geschlossener Kreislauf (C2C) aus?
Ganz einfach: Man braucht für die Herstellung positiv bewertete Materialien, die für eine Trennung konzipiert sind und
ein Rücknahmesystem, das sicherstellt, dass die Produkte
zurückkommen. Anschließend werden die Teppiche mithilfe unserer Trenntechnologie Refinity recycelt, bei der die Garne und andere Fasern vom Trägermaterial getrennt werden. Nach einer zusätzlichen Reinigung liefern wir die Garne (in der erforderlichen Reinheit) an den Garnhersteller zurück. Dieser stellt daraus neue Garne her. Im gesamten Prozess werden einige neue Materialien benötigt, um Verluste und Ineffizienz beim Prozess auszugleichen. Das heute meist aus Bitumen bestehende Trägermaterial wird als Rohmaterial im Straßenbau weiterverwertet. Die restlichen, nicht recycelbaren Bruchteile werden der Zementindustrie als Sekundärbrennstoff zugeführt.
Das klingt einfach, aber es war ein langwieriger Prozess, die Hunderte von verschiedenen Chemikalien in unseren Materialien zu analysieren und sie mit der vom C2C Mitbegründer Prof. Dr. Michael Braungart geleiteten EPEA Internationale Umweltforschung GmbH anhand der 24 wichtigsten Kriterien in Bezug auf Gesundheit, Umweltschutz und chemische Klassifizierung prüfen zu lassen. Neben unserer Forschungsarbeit mussten wir unsere Lieferanten davon überzeugen, nach viel höheren Standards
der „Materialgesundheit" zu arbeiten. Zunächst waren nur wenige Lieferanten bereit, die sehr strengen C2C Prinzipien zu erfüllen, die erheblich über die Anforderungen von Richtlinien wie REACH und CE hinausgehen. Inzwischen pflegt Desso intensive Beziehungen mit vielen wichtigen Lieferanten wie DOW oder Aquafil, die unsere Anforderungen erfüllen. Aquafil hat in Depolymerisationsanlagen investiert,
um das zu 100 Prozent regenerierte Nylon, genannt Econyl, herzustellen.
Ein Teppich besteht nicht nur aus Garn
2010 war einer unserer großen Meilensteine: Die jahrelange Arbeit wurde durch die Einführung von Desso EcoBase gekrönt, einer Rückenbeschichtung für Teppichfliesen mit C2C Silber Zertifizierung. Diesen Herbst werden wir definierte, recycelte Inhaltsstoffe in unserem Trägermaterial vorstellen. Dies bedeutet, dass unsere Teppichfliesen durchschnittlich aus 50 Prozent recycelten, definierten Inhaltsstoffen bestehen. Unser Ziel ist, mehr als 95 Prozent einer Teppichfliese in einem geschlossenen Kreislauf zu recyceln. Bis 2020 wollenwir ein Level erreichen, bei dem mehr als 80 Prozent aller in
unseren Produkten verwendeten Materialen nach den C2C
Kritieren positiv bewertet sind und unsere Teppichfliesen zu
75 Prozent aus recycelten Materialien bestehen.
Sind diese strategischen Maßnahmen mit höheren Kosten
verbunden?
Gesundheit und Wohlbefinden sind unbezahlbar. Wir glauben
nicht, dass wir mit höheren Kosten als derzeit rechnen müssen.
Unser Ziel ist es, Produkte mit Mehrwert zu entwickeln,
die höhere Preise rechtfertigen. Im Fall von Teppichprodukten
wie dem AirMaster bieten wir nicht nur C2C Materialien, die
gesünder sind und später in einem geschlossenen Kreislauf
recycelt werden können, sondern auch ein Produkt, das
hilft, die Feinstaubbelastung am Arbeitsplatz zu verringern.
Damit können wir auch zu höherer Produktivität und weniger
Fehlzeiten beitragen.
Sie betonen immer wieder die Gesundheitsaspekte ihrer
Produkte. Erläutern Sie uns dazu Ihre Innovationen.
Die Teppichfliese AirMaster verbessert zum Beispiel die
Innenraumluft durch ihre patentierte Technologie der
Feinstaubaufnahme und -bindung. Die Rückenbeschichtung
SoundMaster wirkt sich positiv auf die Raumakustik aus:
Schallabsorption, Trittschalldämmung und der Nachhalleffekt
im Raum werden erheblich verbessert. Mit Desso Light
ReflectionMaster haben wir eine Teppichkollektion mit
besonders hohen Lichtreflexionswerten entwickelt. Diese
hilft, die Lichtenergiekosten zu senken.
Welche sonstigen Innovationen haben Sie noch im Köcher?
Jüngste Innovation sind die gemeinsam mit Philips entwickelten
Luminous Carpets, bei denen LED-Leuchten in
lichtdurchlässige Teppiche integriert werden. Die Teppiche
eröffnen Innenarchitekten und Planern
neue, spannende Einsatzmöglichkeiten in den
Bereichen Information, Wegweisung, Sicherheit
und Gebäudeausstattung. Ein Beispiel
ist die Führung von Menschen in Gebäuden,
einschließlich der Anzeige von Notausgängen.
Zurück zu Nachhaltigkeit und C2C: Was empfehlen Sie Unternehmen, die überlegen, C2C umzusetzen?
Entwickeln Sie eine Vision und einen Strategieplan, leben Sie tatsächlich das, was Sie versprechen, und kommunizieren Sie transparent und integer. Darüber hinaus sollten Sie mit so vielen Unternehmen wie möglich reden, die einen ähnlichen Weg wie wir eingeschlagen haben, um ein Gefühl für die Herausforderungen und den besten Einstieg zu erhalten. Überlegen Sie dann, woher Sie sich Unterstützung von Spezialisten für C2C Prozesse und Standards holen können. Sie sollten sich kurz und mittelfristige Ziele setzen, wo die Entwicklung auf lange Sicht hingehen soll. Für uns hat sich
unsere Roadmap-Planung bis 2020 als ein sehr guter Rahmen
erwiesen. Schließlich ist unbedingt sicherzustellen, dass die Geschäftsführung voll hinter dem Konzept steht und es umsetzt wie jede andere Umstrukturierung – mit Topmanagern, die die Umsetzung verantworten.
Mit wem tauschen Sie Ihre Erfahrungen aus?
Wir sind mit anderen Pionieren wie DSM, Philips, Renault
und Nissan durch Netzwerke wie die CE100 der Ellen MacArthur Foundation oder über Project Mainstream
in engem Kontakt. Letztere Initiative wurde vom World
Economic Forum und der Ellen MacArthur Foundation
mit Hilfe von McKinsey gegründet.
Diesen Beitrag finden Sie im forum Sonderdruck VERSTEHEN, UMDENKEN, GESTALTEN Cradle to Cradle - eine Lösung für Wirtschaft und Gesellschaft Gerne senden wir diesen für eine Schutzgebühr von 3,- EUR zu. |
Gibt es noch etwas, das Sie unseren Lesern – Entscheidungsträgern in Wirtschaft, Politik und Medien – mitgeben
möchten?
Wir möchten andere Unternehmen dazu ermutigen, über
die Einführung des C2C Prinzips nachzudenken und es als
Möglichkeit zu sehen, langfristig ein solides und profitables Geschäftsmodell aufzubauen, das wirklich nachhaltig ist.
Der Mensch neigt gerne dazu, Dinge so zu tun, wie er sie
immer getan hat. Wir können aber nicht so weitermachen wie bisher. Wir müssen so viele Unternehmer und Politiker wie möglich dazu bringen, dieses Thema zu unterstützen, um ihm auf breiter Front mehr Gewicht zu verleihen.
Von Fritz Lietsch
Lifestyle | Einrichten & Wohnen, 15.11.2014
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