Mit Systemaufstellungen unsichtbare Hindernisse erkennen
Unter der Wasseroberfläche lauern unsichtbare Gefahren und Hindernisse
Viele Firmen und Branchen fahren „Volle Kraft voraus". Doch unter der Wasseroberfläche lauern unsichtbare Gefahren und Hindernisse. Durch Systemaufstellungen wird das Verborgene des Eisberges sichtbar.
Branchengegebenheiten, Unternehmenspositionierung und nachhaltiges Wirtschaften können dann vorausschauend verknüpft werden.

Nachhaltigkeit ist mehr als nur Öko-Effizienz
Wo steht die Nachhaltigkeit im Unternehmen wirklich? Die häufigste Antwort von Experten auf diese Frage lautet: neben dem Gewinn! Das impliziert die übliche Vorstellung: Wer sich nachhaltiger verhält, wird zugleich erfolgreicher. Genaueres Hinsehen ergibt jedoch ein anderes Bild: In der Wirtschaftswelt steht neben dem Gewinn häufig nur ein Teilaspekt der Nachhaltigkeit – die Öko-Effizienz (Rohstoffe und Energie sparen senkt die Kosten!). Eine deutliche Reduzierung der Umweltbelastung durch eine absolute Verringerung des Ressourcenverbrauchs und der Emission lässt sich jedoch kaum beobachten. Und wie steht es mit der Nachhaltigkeit im Personalwesen? Warum reden wir so viel von Burnout und Resilienz? Wo steht die Nachhaltigkeit heute wirklich? Folgende Antwort ergab sich aus verschiedenen Aufstellungen einer Forschungsreihe an der Universität Bremen.
Aufstellung Teil 1
Die „Welt des Unternehmens" basiert zunächst auf den beiden Prämissen Funktionalität und Effizienz: „Es muss funktionieren und es muss sich rechnen." Um diese Vorstellung systemisch zu visualisieren, werden Stellvertreter/innen für den UNTERNEHMER/IN, für FUNKTIONALITÄT und EFFIZIENZ aufgestellt.
FUNKTIONALITÄT und EFFIZIENZ beäugen sich kritisch. Sie stehen in einem Spannungsfeld zueinander: Eine kostengünstige Lösung geht zuweilen auf Kosten der FUNKTIONALITÄT. Als dritte Prämisse kommt die LEGALITÄT hinzu: „Jedes Handeln muss gesetzeskonform sein." Die LEGALITÄT löst Reaktionen aus: Unbehagen bei der EFFIZIENZ. Die Umsetzung neuer Gesetze ist oft mit Kosten verbunden. Dies lässt die FUNKTIONALITÄT unruhig werden. Sie befürchtet Einsparungen auf ihre Kosten.
Neue Perspektiven durch Systemaufstellungen
Wie das Fallbeispiel zeigt, kann eine Aufstellung Wirkungen sichtbar und nachvollziehbar machen. Eine Art Raumsprache bildet verborgene Zusammenhänge ab und macht sie erlebbar. Wenn Menschen über Beziehungen sprechen, wenden sie häufig eine Raumsprache an: „Wie stehst Du dazu?" – „Das liegt mir fern." – „Er stärkt mir den Rücken!". Tatsächlich haben wir auch räumliche Bilder im Kopf, wenn wir das Geschehen in Organisationen beschreiben. Organisationen sind wie Eisberge: Nur wenige Prozent des Geschehens sind über der Wasserlinie sichtbar, das meiste findet in der Tiefe statt und ist von außen nicht ersichtlich. So manche Titanic-Berater/innen sind schon mit ihren Werte- und Verantwortungsdampfern untergegangen. Verborgene Widerstände unter der Wasserlinie haben ihre Schiffe sozusagen auflaufen lassen. Für CSR und Nachhaltigkeit heißt das: Wie deckt man versteckte Hindernisse auf und wie gelangt man an die verdeckten Kernprozesse und an tiefgreifende Lösungsstrategien?
Systemaufstellungen sind eine sehr wirkungsvolle Methode, um den unteren Teil des Eisberges sichtbar zu machen. Viele Führungskräfte sind immer wieder erstaunt, wie realistisch und wie hilfreich die Bilder über ihr Unternehmen sind, die durch Aufstellungen entstehen. Wie Aufstellungen funktionieren, lässt sich am besten in zwei Stufen erklären:

Menschen stehen im Raum für die Elemente eines Systems (z. B. Unternehmen, Effizienz, Nachhaltigkeit). Sie agieren miteinander oder gegeneinander nach ihren subjektiven Vorstellungen (Landkarten) zur Nachhaltigkeit. Ein intensiver Dialogprozess kommt in Gang. In den Köpfen der Beteiligten entsteht Raum für Assoziationen und Bilder, die neue Wege und Lösungen aufzeigen.
Den verborgenen Kernprozess erfassen
Es war eine der erstaunlichsten Erkenntnisse in der Geschichte der Aufstellungsarbeit, dass die Stellvertreter/innen (Repräsentant/innen) in Aufstellungen anfangen, Wahrnehmungen zu äußern, die sehr gut zu den Elementen passen, die sie repräsentieren. Das System fängt im wahrsten Sinne des Wortes an zu sprechen. Mit Hilfe von Aufstellungsleiter/innen können die Tiefenstruktur des Eisberges der Organisation und die Kernprozesse realitätsnah in Worte übersetzt werden. Das Aufstellungsbeispiel verdeutlicht dies eindrücklich:
Aufstellung Teil 2
Nachdem die Ethik einen Platz mit Abstand zum Kerngeschäft bekommen hat, suchen wir einen guten Platz für die Nachhaltigkeit. Sie wird zunächst hinter der Effizienz positioniert. Dadurch wird die Nachhaltigkeit zur Öko-Effizienz umdefiniert. Das macht sie klein. Auch neben der Funktionalität fühlt sie sich nicht wohl, denn die Funktionalität fürchtet eine Veränderung der Routine. Die Legalität geht mit der Nachhaltigkeit an der Seite beinahe in die Knie. Sie fühlt sich dem nicht gewachsen. Erst neben der Ethik findet die Nachhaltigkeit einen guten Platz. Kein Wunder – diese beiden Prinzipien haben ganz klar miteinander zu tun, sind aber jede für sich eigenständig. Im Schlussbild stehen das Kerngeschäft (Funktionalität, Effizienz, Legalität) auf der einen Seite, Nachhaltigkeit und Ethik mit Abstand auf der anderen Seite.
Die Unternehmer/in steht so, dass sie alles im Blick hat und seinen/ihren Fokus je nach Bedarf ausrichten kann. Als interessante Frage bleibt, wofür die Lücke steht, die sich zwischen den gegenüberstehenden Beteiligten gebildet hat. Sie steht für die Anforderungen an die Unternehmen: im Kerngeschäft zwar zu konkurrieren, aber beim Thema Nachhaltigkeit zu kooperieren. Sustainable Leadership könnte als neue Kompetenz diese Lücke schließen.
Es gibt mittlerweile hinreichend Forschungsergebnisse über den Nutzen von Aufstellungen. Quantenphysik, Spiegelneuronen, morphogenetische Felder und die Bewusstseinsforschung liefern erste Erklärungen für ein Phänomen, welches jetzt auch die Managementwelt neu bewegt. In einer aktuellen wissenschaftlichen Studie an der Universität Heidelberg wurden Studien zu Aufstellungen verglichen und in einem Experiment festgestellt, dass die Erkenntnisse aus Aufstellungen sehr viel länger wirken, als bei vergleichbaren Methoden. Zudem konnte die Fähigkeit der Teilnehmer/innen deutlich verbessert werden, sich in Systemen und ihren Beziehungen zu erleben (Heidelberger Studie zu Systemaufstellungen. Carl Auer Verlag Heidelberg). Aus unserer eigenen Praxis in Beratung und Forschung sind wir davon überzeugt: Es gibt keine andere Methode, die in so kurzer Zeit – 60 bis 90 Minuten – so viele Informationen aus der Tiefe von Unternehmen hervorholt.

Man kann auch ganze Branchen hinsichtlich ihrer Beziehung zur Nachhaltigkeit aufstellen. Jede Branche lebt in der Grundspannung von Konkurrenz versus Kooperation wie auch Nachhaltigkeit versus Effizienz. In sogenannten Dilemma-Aufstellungen wird der Platz gesucht, den die Branche in diesem Spannungsfeld derzeit hat. Was passiert, wenn das im Alltag unsichtbare Ethos der Branche hinzukommt? Wie verändert sich das System, wenn Ressourcenknappheiten und technologischer Fortschritt auftauchen, oder sich der Druck erhöht? Die systemische Branchenanalyse kann zu ganz neuen Fragen und Hypothesen über das Entwicklungspotenzial der Branche führen, die sich aus üblichen Datenanalysen nie ergeben hätten. Interessant wäre zum Beispiel die gleichzeitige Analyse von Branchen, die in einer Wertschöpfungskette verbunden sind. Im Bild unten könnten etwa der Lebensmittelhandel und die Bio-Branche im Feld des Dilemmas stehen.
Spannungsfelder sind Normalität
Die Stärke der Methode der Systemaufstellung liegt darin, dass sie die ganz natürlichen Spannungsfelder von Unternehmen und Branchen sichtbar und tatsächlich auch spürbar macht. Oft verstärkt Nachhaltigkeit die Spannungen und das macht sie in der Praxis manchmal unbeliebt. Aufstellungen erleichtern die Akzeptanz von Dilemmata und Spannungsfeldern und zeigen zuweilen eben auch richtig gute Lösungen für das Unternehmen auf. Systemaufstellungen ermöglichen ein schnelles Lernen, weil nicht nur der kognitive Wahrnehmungskanal geöffnet wird. Durch die Bilder kommen Intuition und Kreativität auf inspirierende Weise in Fluss.
Prof. Dr. Georg Müller-Christ lehrt an der Universität Bremen im Fachbereich Wirtschaftswissenschaft das Fachgebiet Nachhaltiges Management im Forschungszentrum Nachhaltigkeit.
Peter Klein ist Integral-Systemic Coach Innere Form, gibt Ausbildungen in Wien, Nürnberg, Zürich und ist Vorstand im Bereich Forschung und Entwicklung bei infosyon. Klein beschäftigt sich mit Transformationsprozessen in Unternehmen und ist Autor diverser Fachpublikationen zur Aufstellungsarbeit.www.infosyon.com
Sigrid Limberg-Strohmaier ist Coach und Lehrtrainerin für integral-systemische Beratung, Zendo-(Daishin-Zen)und Leiterin des Balance-Institut Nürnberg, das u.a. auf Coaching für Führungskräfte spezialisiert ist.
Wirtschaft | Führung & Personal, 01.01.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2015 - Grünes Reisen im Trend erschienen.

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