BIOFACH 2025

Ist die Gesellschaft reif für CRADLE TO CRADLE? Teil I

Das Konzept Abfall ist eine Einbahnstraße, sagt Katja Hansen im forum Interview.

Die Wissenschaftlerin rät Unternehmen, die Inhaltsstoffe ihrer Produkte zu definieren, um ihre Produkte fit und profitabel für eine C2C Kreislaufwirtschaft zu machen.

Katja Hansen beschäf­tigt sich seit 1990 mit Cradle to Cradle und ist in erster Linie in der Projektentwicklung und im C2C-Training international aktiv. Von 1992 bis 1998 leitete sie ein Projekt zur Bio­massennährstoffrück­gewinnung in Brasilien und China – ein Projekt, das insbesondere die sozialen Aspekte von C2C verdeutlicht.

Nach dem Cradle to Cradle Design Prinzip sollen Produkte und Produktionsprozesse so gestaltet werden, dass kein Abfall mehr anfällt. Was ist die größte Herausforderung bei der Umsetzung?
Die Vorstellung, die einige Menschen haben, wenn sie Cradle to Cradle hören, ist, dass sie Kreisläufe schließen sollen. Da kriegt jeder Produzent Panik, dass er seine Sachen wieder zurücknehmen muss. Cradle to Cradle sagt aber nur, dass wir kontinuierliche Material­kreisläufe schaffen. Da muss nicht ein ein­zelner Hersteller seine eigenen Materialien oder Produkte zurücknehmen. Aus einer Waschmaschine muss nicht unbedingt wieder eine Waschmaschine werden. Das Konzept Abfall haben wir Menschen entwickelt. In der Natur gibt es keinen Abfall. Dort ist alles immer ein Nährstoff für etwas Neues. Abfall ist eine Einbahnstraße.  Ein besserer Weg beginnt damit, dass wir alles als Ressource oder Rohstoff für etwas Neues verstehen.

Der biologische Kreislauf ist dafür geschaf­fen, Kompost und Humus herzustellen. Das mutet recht altertümlich an. Warum sollte es diesen Kreislauf geben?
Alle Produkte, die wir verbrauchen, also die ihre Identität durch Nutzung verlieren, landen im Wasser, im Boden oder in der Luft. Das sind zum Beispiel Zahnpasta, Toilettenpapier oder Duschgel. Die Mindestanforderung an alle Produkte, die wir in die Biosphäre einbringen, ist, dass sie nicht toxisch sind oder sich dort akkumulieren. Viel besser ist natürlich, wenn sie sogar dazu beitragen, dass neue Rohstoffe daraus entstehen, aus denen man wieder Produkte herstellen kann. Dazu brauchen wir auch Humus. Und Humus herzustellen ist wichtig, weil unsere Böden weltweit total verbraucht und verarmt sind. Das hat nichts mit „altertümlich" zu tun. Tatsache ist, dass wir und auch eine Vielzahl von Industrie­und Energiebetrieben von der Biosphäre leben, also ist sie dringend zu erhalten.

Im technischen Kreislauf sollen Materialien zirkulieren, die nicht an Güte oder Wert verlieren. Wie geht man da mit Abnutzungs­erscheinungen um?
Nehmen wir den Verschleiß von Autorei­fen; ein ganz realer Vorgang. Der Abrieb eines Reifens geht in die Luft, ins Wasser oder in den Boden. Das heißt, das Material aus dem dieser Teil des Produkts besteht, muss für die Biosphäre geeignet sein. Der Reifen sollte also so aufgebaut sein, dass dieser Teil des Reifens nicht schädlich ist. Ein Ansatz für einen Reifendesigner könnte also sein, den äußeren Teil des Reifens für die Biosphäre zu optimieren, den Rest des Reifens für den technischen Kreislauf. Die Materialien müssten voneinander zu trennen sein. Das ist ein wichtiger Ansatz von Cradle to Cradle – zu schauen, wo die Stoffe hingehen. Wenn Leute sagen, Reifen sind heute länger haltbar, weil der Abrieb viel geringer ist als früher, und dass das deshalb nachhaltig sei, dann ist das falsch. Gerade die Feinstpartikel sind hochproblematisch, z.B. für unsere Lungen. Man hat das Falsche optimiert, nachhaltig ist es nicht geworden.

In heutigen Herstellungsverfahren sehen wir eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien, bei denen die Inhaltsstoffe oft gar nicht zu benennen sind. Wie will man Materialien unter diesen Umständen trennen und sortenrein recyceln?
Stimmt, die meisten Produzenten kennen die Inhaltsstoffe ihrer Produkte nicht. Sie reagieren nur, wenn es neue Anforderungen gibt, zum Beispiel über die Chemikalien­verordnung REACH. Der Ansatz von Cradle to Cradle ist zu wissen, was in den eigenen Produkten enthalten ist. Seine Materialien zu definieren, ist der erste Schritt. Es ist auch ein gutes Risikomanagement für Unternehmen, zu wissen, woraus ihre Produkte entstehen. Eine Kunststoffflasche zum Beispiel ist vielleicht ein unproblematisches Material wenn Wasser darin ist, könnte aber mit der Säure aus ei­nem Orangensaft eine ungewollte Reaktion eingehen. Für Recycling ist es wichtig, die „Materialintelligenz", also die Zusammensetzung des Materials, über die verschiedenen Nutzungszyklen zu bewahren. Es gibt inzwischen schon viele verschiedene Tracking­und Taggingverfahren, die dafür eingesetzt werden könnten.

Wie wichtig ist technische Innovation für eine Produktion nach C2C Prinzipien?
Absolut wichtig. C2C ist ein Innovationskonzept, das es ermöglicht, die richtigen Fragen nach dem Zweck und der Nutzung eines Produkts zu stellen. Wenn diese Fragen richtig beantwortet werden, führt das zu Innovationen bei Produkten und auch neuen technischen Prozessen. Es ist ein positiver Ansatz für Unternehmen, sich neue Ziele zu setzen und sie gemeinsam mit der Lieferkette zu verfolgen.

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Wie funktioniert das Recycling der C2C Zukunft praktisch – zum Beispiel bei einer Verpackung, in der Reinigungsmittel verkauft werden. Und wie bei Produkten mit langer Nutzungsdauer wie Teppichen?
Bei einer Verpackung ist es besonders wichtig, dass das Material definiert ist. Wir haben inzwischen gute Möglich­keiten, verschiedene Plastikfraktionen zu trennen. Produkte mit einem längeren Nutzungsszenario können zu andern Lösungen kommen. Der Teppichhersteller Desso zum Bei­spiel hat für seine Teppiche ein eigenes Rücknahme­ und Recyclingverfahren entwickelt. Aber nicht alle Unternehmen müssen ihre eigenen Produkte zurücknehmen. Im Idealfall sind die heutigen Abfallverwerter dann die Rohstofflogistiker und haben eigene Recyclingzentren. Grundsätzlich gilt: Wenn wir wissen, was in unseren Produkten drin ist, dann können wir sie auch besser recyceln.

Wie steht es um den Energiebedarf in einer C2C Welt?
Die erste Frage sollte sein, wie der Energiebedarf gedeckt wird. Prinzipiell könnte es in Zukunft genügend erneuerbare Energien geben, um auch einen erhöhten Energiebedarf zu decken. Dafür brauchen wir Innovationen. Aber ich denke, der Energiebedarf muss nicht unbedingt höher sein als heu­te. Denn für die Herstellung nagelneuer Produkte braucht man ja auch viel Energie. Und was das Verkehrsaufkommen angeht, werden die Unternehmen, die heute Abfall fahren, dann andere Aufgaben für die Recyclingtätigkeiten überneh­men. Das könnten die gleichen Servicebetriebe sein, die wir heute haben.

Die Welt ohne Abfall – werden die Teenager von heute sie noch erleben?
Ich hoffe das! Aber sie spielen auch eine bedeutende Rolle, aktiv daran mitzuarbeiten!


Umwelt | Ressourcen, 15.11.2014
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