Ingo Leipner

In der Kathedrale der Hardware-Gläubigen

Ruhig und stoisch campieren sie vor ihrem „Gotteshaus“, sie trotzen Wind und Wetter, keine Mühe ist ihnen zu groß

Die Gläubigen harrten zum Teil zwei Nächte aus, bis in Frankfurt der „Apple Store" seine heiligen Pforten öffnete. Dann hielten sie es nach Abgabe einer beträchtlichen „Opfergabe" andachtsvoll in der Hand … das „iPhone 6"! Ein Kultobjekt, für das 1.000 Menschen Schlange standen. Was bedeutet diese globale Religiosität für den Planeten?

Die modernen Kathedralen des Konsums. Apple Stores mit Polizeischutz bei Ankunft der neuesten Handygeneration. © Lucius Kwok, flickrGoldgrube für Rohstoffe?
In einem Handy sind Rohstoffe nur im Milligrammbereich verbaut, aber das Wuppertal-Institut hat ausgerechnet: Im Jahr 2012 waren es 1.720 Kilogramm Gold, die in allen ausrangierten 85,5 Millionen Handys in Deutsch- land zu finden waren – zu einem damaligen Marktpreis von 54 Millionen Euro! Und inzwischen sind es bereits 106 Millionen Altgeräte. Doch Handys sind nicht nur eine Goldgrube: Über 60 Rohstoffe sind nötig, um sie zu produzieren. Kunststoffe, Keramik und Metalle werden gebraucht, um unter anderem Leiterplatten, Gehäuse, Displays oder Akkus zu fertigen. Dabei haben Kupfer und Silizium den größten Anteil. Seltene Metalle sind ebenfalls im Spiel: Kobalt, Gallium, Indium, Niob, Tantal, Wolfram und Platingruppenmetalle. Die EU-Kommission zählt die letztgenannten Rohstoffe zu den 14 „kritischen Metallen". Prognosen zufolge wird sich bis zum Jahr 2030 die Nachfrage nach einigen dieser Rohstoffe gegenüber 2006 mehr als verdreifachen.

Was tun, wenn es eng wird?
Droht nach dem Krieg um Öl nun auch ein Krieg um „kritische Metalle" und andere Rohstoffe? Um solche globalen Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist Recycling ein wichtiger Weg. Doch in Deutschland steckt die Wiederverwertung von Handys in den Kinderschuhen. Da erscheinen die gewaltigen Zuwächse bei Smartphones in einem neuen Licht: 2013 wurden laut Bitkom 26 Millionen Smartphones in Deutschland verkauft, der Umsatz stieg um 12 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro. Fast zwei Drittel aller 14 bis 29-Jährigen besitzen ein Smartphone.

Hängen wir in der Wachstumsfalle?
Auch der Wissenschaftler Ernst-Ulrich von Weizsäcker kommt zu dem Schluss: „Bisher ist das Wachstum an einen steigenden Ressourcenverbrauch gekoppelt, weil wir keine ernsthaften Anstrengungen unternehmen, diese zwei Entwicklungen zur trennen." Das liegt am Rebound- oder Bumerangeffekt: Selbst wenn Hersteller in einem einzelnen Smartphone weniger „kritische Metalle" verbauen, steigt in absoluten Zahlen der Rohstoffverbrauch erheblich, da die Geräte in immer größeren Mengen auf den Markt geworfen werden. Der immer schnellere Modellwechsel wird so zum Desaster für unsere Rohstoffvorräte.

Ex und hopp statt Cradle to Cradle
Wir jagen dem neuesten iPhone hinterher, und nach 18 Monaten ist es so „veraltet", dass wir es nur noch mit spitzen Fingern anfassen. Die nächste Generation verspricht doch viel mehr – und so landen wir in einem „Konsumentenrad", das sich immer schneller dreht. Fatal dabei: Wir brauchen tatsächlich das neueste iPhone! Nicht, weil es so viel besser ist als das alte. Nein, wir brauchen es, um den kurzfristigen Kitzel zu genießen, den uns das Marketing der Industrie verspricht. Der Kitzel ist zwar nur von kurzer Dauer, dann muss ihn ein neuer Reiz ablösen, der wieder für Wohlbefinden sorgt. Klingt das nicht fast wie Drogenkonsum? Gerade Apple gelingt es Jahr für Jahr, diesen Kitzel zu wecken – besonders durch die quasi-religiöse Atmosphäre, die das Unternehmen um seine Produkte schafft. Richard Gutjahr war für die „Krautreporter" am Firmensitz in Cupertino dabei, als Apple das neue iPhone vorstellte: „Im Anschluss an die Verkaufsshow dürfen Journalisten und VIPs die neuen Produkte anfassen. Die für diesen Tag eigens auf dem Gelände errichtete „Hands-On-Area" steht da wie eine Kathedrale. Ein riesiges kubistisches Gebäude mit einer strahlend weiß getünchten Haupthalle. Kein Staubkorn, nicht eine einzige Schraube ist im Inneren zu entdecken. Nichts soll von den Produkten ablenken. Flankiert wird die Eingangshalle links und rechts von zwei Seitenschiffen, wo die neuen iPhones und Armbanduhr-Prototypen auf Altaren ausliegen. Über unseren Köpfen, dort wo in Kirchen für gewöhnlich das Kruzifix hängt, thront ein schwarzes Apfel-Logo."

Der Apfel der Verführung
Unser Verhalten entspricht der These der „Nichtsättigung", die alle VWL-Studenten im ersten Semester lernen müssen. Unsere Gier ist in der Theorie unersättlich. Materielle Reize besitzen eine begrenzte Halbwertszeit und verlieren rasch ihren Wert, und so sind wir als Konsumenten immer bereit für den nächsten „ultimativen Kick", wie es Meinhard Miegel ausdrückt. Dafür beuten wir endliche Ressourcen so gedankenlos aus, als hätten wir einen zweiten Planeten in der Hinterhand. Und weil wir schon bei Religion und Kirche waren, stellt sich die Frage: Ging die Sache mit der Gier, der Verführung und dem Apfel nicht schon einmal blöd für uns Menschen aus? Sind wir auf dem Weg, aus dem Paradies geworfen zu werden?

Doch zurück zur wertfreien Wissenschaft: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, da unser ökonomisches Wachstumsmodell an deutliche Grenzen stößt", fordert Prof. Thomas Fischer, Lehrbeauftragter für Führungspsychologie (Fachhochschule Nordwestschweiz). Seine These: Der Weg führt über die Selbstreflexion der Menschen, das Sein verwandelt sich durch Bewusstsein. Der umgekehrte Weg ist zum Scheitern verurteilt. „Mehr Glück durch mehr Güter" – diese Formel der Werbung sei eine Milchmädchenrechnung: Der „psychologische Grenznutzen" materieller Güter geht gegen Null, so Prof. Fischer.

Das neue Glück
Ganz anders dagegen der „psychologische Grenznutzen" immaterieller Güter: „Ich war joggen", erzählt der Manager, „und plötzlich stand mir ein Reh gegenüber, Auge in Auge." Solche Erlebnisse können viel mehr wert sein als das neueste iPhone – und sie kosten keinen Cent. Und ihr Grenznutzen bleibt groß, denn kleine Ereignisse bringen immer wieder einen hohen seelischen Gewinn. Die Natur ist voll davon – vom Schneckenhaus bis zum Alpenpanorama. Vom Sonnen- untergang bis zu einem kleinen „Ich liebe Dich".

INGO LEIPNER
ist Wirtschaftsjournalist. Er recherchiert Themen an der Schnittstelle Ökonomie/Ökologie. Sein jüngstes Baby sind journalistische Schreibwerkstätten. Auf gute Gedanken kommt er auf seiner Waldhütte im Odenwald, wo er unter zwei mächtigen Buchen kreative und erholsame Tage verbringt.


Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2015 - Grünes Reisen im Trend erschienen.

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