Hydrogen Dialogue 2024

Notruf! Ausbeutung in der indischen Handyindustrie

Unter welchen schockierenden Bedingungen Handys produziert werden, und was getan werden kann, um jene zu verbessern.

Wien - 1,8 Milliarden Handys wurden im vergangenen Jahr weltweit verkauft, über drei Millionen davon allein in Österreich. Für viele ist das Mobiltelefon zum ständigen und unverzichtbaren Begleiter geworden. Auch für viele InderInnen ist das so, noch unverzichtbarer aber ist für sie jeder Cent ihres Hungerlohns, den sie in der Handyproduktion verdienen: meist ist das nicht einmal 1% des Verkaufspreises, berichten Südwind und die Arbeiterkammer Wien bei einem Pressegespräch heute in Wien.

Immer und überall verbunden sein
Foto: © Südwind
Ausbeutung am Fließband

Im März waren zwei Mitarbeiterinnen von Südwind vor Ort in Südindien und erfuhren den krassen Widerspruch zwischen den schicken Produkten und den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen, die die Handys herstellen: Über 20.000 ArbeiterInnen schuften tagtäglich am Fließband für den europäischen Markt: zum Beispiel für Nokia und seine Zulieferbetriebe Foxconn und Wintek in einer 2006 gegründeten Sonderwirtschaftszone nahe dem südindischen Chennai. Die meisten, die dort arbeiten, kommen von weit her, haben mindestens 12 Jahre Schulausbildung hinter sich und die Verantwortung, mit ihrem Lohn auch ihre Eltern und Geschwister daheim finanziell zu erhalten.
Um mit den ca. 100 Euro Lohn pro Monat über die Runden zu kommen, teilen sich jeweils fünf bis zehn ArbeiterInnen ein einziges, winziges Zimmer, meist ohne Fließwasser und mit Toiletten am Gang. Auch beim Essen wird gespart: "Für mich reicht das Essen in der Fabrik, für andere aber nicht. Manche Leute fallen sogar in Ohnmacht weil sie so hungrig sind. Das Management schickt sie dann in den Erste-Hilfe-Raum", berichtete ein Foxconn-Arbeiter dem Südwind-Team. Jede Woche müssen die Menschen eine andere von zwei oder drei achtstündigen Schichten übernehmen. Nach diesem Muster wird auch geschlafen - abwechselnd, am Boden auf Strohmatten. Auch das Kochen und Waschen muss genau eingeteilt werden: "In den Fabriken gibt es 24 Stunden lang Strom, zuhause haben wir jeden Tag zehn Stunden lang Stromausfall", berichtete ein anderer Arbeiter.

Gewinnbringende Bedingungen für Unternehmen

Während die Menschen mit dem Alltagsleben kämpfen, genießen die Unternehmen in der Sonderwirtschaftszone viele Privilegien: Im Gegensatz zu den Privathaushalten zahlen sie günstigste Preise für Wasser und Strom. Sie erhalten jahrelang Steuerfreiheit, und die Pacht für die mehrere hundert Quadratkilometer große Sonderwirtschaftszone beträgt eine Rupie im Jahr. Das Arbeitsrecht in der Sonderwirtschaftszone wird "konzernfreundlich" ausgelegt, bei Streiks werden mitunter alle beteiligten ArbeiterInnen gekündigt. Gewerkschaftliche Organisierung wird durch das Management unterbunden oder stark behindert. "Es ist erschreckend, wie hier junge, gut ausgebildete Menschen zwischen 20 und 26 Jahren ausgebeutet werden. Sie kommen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben durch die Arbeit bei einem internationalen Unternehmen und enden als ausgebeutete Fließbandarbeiterinnen- und -arbeiter ohne Zukunftsperspektiven!" fasst Christina Schröder von Südwind ihre Erfahrungen in Indien zusammen.

Nachfrage der KonsumentInnen ungebrochen

In Österreich scheint der Handyboom und der Bedarf nach immer neuen Telefonen ungebrochen. Die Anzahl der SIM-Karten stieg im Vorjahr um 5 % auf fast 13 Mio. Stück - jede/ jeder ÖsterreicherIn hat also im Schnitt 1,5 Handys. Schon für Kinder und Jugendliche ist das Handy ein ständiger Begleiter. Unter den 13- bis 14-Jährigen nutzen schon rund 80 Prozent Vertragshandys: "Weil sie viel telefonieren und im Internet surfen, sind Jungendliche gefährdet, sich mit hohen Smartphonerechnungen zu verschulden. Zudem sind sie für die Wirtschaft eine stabile und ständig an Neuerungen interessierte VerbraucherInnengruppe, weil sie mit dem Handy aufgewachsen ist und sich ein Leben ohne Mobiltelefon überhaupt nicht mehr vorstellen kann, wie aus vielen Studien hervorgeht" betont Gabriele Zgubic die österreichische Situation aus KonsumentInnensicht.

Faire Handys gefragt

"Unter den vielen unterschiedlichen Modellen fehlt vor allem eines am Markt - nämlich ein fair produziertes. Kein Hersteller hat so ein Handy im Sortiment", kritisiert Nora Holzmann von Südwind. Unter www.suedwind-agentur.at gibt es ab heute eine E-Mail-Petition, mit der man mit einem Klick von allen Herstellern, die ihre Handys am österreichischen Markt vertreiben, ein fair produziertes Telefon fordern kann. "Wenn wir die Unternehmen aufrufen, ihre smarte Ausbeutung zu stoppen, und neben einem guten Preis und Qualität auch die Erfüllung sozialer Standards in der Produktion verlangen, können wir zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Handyindustrie beitragen", schließt Holzmann.

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Quelle:
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 09.05.2012

     
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