Zwei Jahre "Nationale Plattform Elektromobilität"

Deutsche Umwelthilfe zieht kritische Bilanz

BERLIN, 2. Mai 2012: Zwei Jahre nach dem Start der Nationalen Plattform Elektromobilität hat die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) die Pkw-Strategie der Bundesregierung Merkel als "im Ansatz falsch und für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik im Mobilitätssektor sogar kontraproduktiv" bezeichnet. Die Kritik richtet sich gegen die immense Förderung der Elektromobilität mit einem geradezu bemitleidenswerten Ergebnis und gegen die Vernachlässigung der technologieneutralen Entwicklung effizienter Antriebe und Leichtbau-Pkw.
  • Bisherige Förderstrategie der Bundesregierung "im Ansatz falsch und kontraproduktiv"
  • DUH fordert technologieneutrale Förderung effizienter, sauberer und
    klimaschonender Pkw
  • Regierungsziel eine Million Elektroautos bis 2020 nicht erreichbar
  • Bis Ende 2011 ganze 4.541 Elektro-Pkw zugelassen
  • Aktuelle Förderpolitik treibt Blüten: Autohersteller mit Milliardengewinnen erhalten Förderung für praxisfernes Technikspielzeug und E-Fahrräder, die es längst gibt
  • Aktuell über eine Million verkaufte Hybrid-Fahrräder in Deutschland
Mindestens eine Million Elektroautos sollten nach den Vorstellungen der Bundesregierung bis 2020 auf deutschen Straßen rollen. 24 Monate später ist die Bilanz nach der Analyse der DUH ernüchternd. Ganze 4.541 Elektro-Pkw sind zum Jahresbeginn 2012 auf deutschen Straßen zugelassen. Das entspricht 0,1 Promille der gesamten Pkw-Flotte. Gleichzeitig boomen übermotorisierte Pkw - Geländewägen, SUVs und Limousinen - nirgendwo in Europa so stark wie in Deutschland.

"Die Bundesregierung blockiert mit ihrer Weigerung, spritsparende Fahrzeuge mit einem CO2-Ausstoß von weniger als 120 Gramm pro Kilometer zu fördern und Spritschlucker mit einer Strafsteuer zu belegen, die Entwicklung hin zu einem klimaverträglicheren Verkehr. Mit über einer Milliarde Euro an Steuermitteln für Elektro-Pkw wird ein populistisches Feuerwerk abgebrannt.
Im Windschatten des Budenzaubers entwickeln und verkaufen die deutschen Autobauer wie gehabt grotesk übermotorisierte und spritdurstige Fahrzeuge", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

Nach Überzeugung der DUH sollte die Elektrifizierung des Antriebsstrangs in Pkw schrittweise erfolgen. Teilelektrische (Hybrid-)Antriebe seien heute bereits marktreif und hätten bei konsequenter Ausrichtung auf Effizienz ein CO2-Einsparpotenzial von 30% auf vergleichbare reine Verbrennungsmotoren. Mit insgesamt 47.642 Hybrid-Pkw Ende 2011 seien in Deutschland immerhin zehnmal mehr solche Fahrzeuge als reine Elektro-Pkw zugelassen - und das ohne jeglichen finanziellen Anreiz aus Steuermitteln. Auch die steuerliche Subventionierung von Dieselmotoren mit ihren ungelösten Folgeproblemen bei der Luftreinhaltung passe nicht mehr in die Zeit. Sie erschwere im Gegenteil den Autoherstellern die Entscheidung für spritsparende und abgasarme Hybridantriebe.

Resch ist überzeugt, dass die Evolution von Antriebstechnologien über die Teilelektrifizierung des Antriebsstranges ohne klare Marktanreize noch zu langsam erfolgt. Um die Marktdurchdringung effizienter Technologien wie Hybridmotoren und Leichtfahrzeuge zu beschleunigen, fordert die DUH die Bundesregierung deshalb auf, besonders effiziente Fahrzeuge technologieunabhängig zu fördern. Ein solcher Anreiz sei ohne zusätzliche Steuermittel möglich. Dazu müssten die entstehenden Ausgaben durch eine Höherbesteuerung nicht mehr zeitgemäßer Spritschlucker kompensiert werden.

"Der Kardinalfehler der Bundesregierung besteht darin, dass sie genau die Segmente der Elektromobilität in den Mittelpunkt stellt, die CO2-Emissionen und Ressourcenverbrauch allenfalls in ferner Zukunft zu mindern vermögen", sagt der internationale Verkehrsberater Axel Friedrich. Dabei unterschätze oder übersehe die Regierung die Möglichkeiten, die konsequentes Downsizing, also das Verkleinern von Motoren und Fahrzeugen, sowie eine konsequente Leichtbauweise von Pkw für die Senkung des CO2-Ausstoßes von Verbrennungsmotoren leisten können. Friedrich: "Eine Halbierung kann schon heute kostengünstig erreicht werden." Die zur Förderung von Elektroautos ausgeschütteten Staatshilfen stünden in keinem vertretbaren Verhältnis zu deren verschwindend geringen Zulassungszahlen. Allein aus dem Konjunkturpaket II wurden 500 Millionen für Elektromobilität zur Verfügung gestellt. Bis Ende 2013 sollen weitere 560 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds der Bundesregierung fließen.

Die DUH kritisiert auch die Tatsache, dass in hohem Maße Autobauer von der Förderung aus Steuermitteln profitieren, die sich in den vergangenen Jahren über Milliardengewinne freuen konnten. Die Förderpolitik der Regierung treibe in dieser Hinsicht merkwürdige Blüten.
  • So erhielt Porsche (2 Mrd. Euro Gewinn im Jahr 2011) 3,7 Millionen Euro für die Umrüstung von insgesamt drei Boxter-Sportwagen mit jeweils zwei VW-E-Golf-Elektromotoren. Offizielles Entwicklungsziel dieses "Leuchtturmprojektes Elektromobilität" war es, "ein Spurtvermögen von 5,5 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100, und eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h" sicherzustellen.
  • Der bayerische Autobauer BMW lässt sich als Hauptsponsor der diesjährigen Olympischen Sommerspiele in London sein "Engagement" ungeniert aus Steuermitteln versüßen. So erhält BMW (5 Mrd. Euro Gewinn im Jahr 2011) mehr als eine Million Euro für sein Projekt "Elektro-Faltrad" - sehr zum Verdruss der mittelständischen Fahrradindustrie in Deutschland, die solche Fahrräder seit Jahren in Serie produziert, nachdem sie sie zuvor ohne Fördermittel entwickelt hatte. 200 BMW-Falt-Pedelecs sollen als Sponsoring-Leistung Besuchern und Athleten im Olympischen Dorf sowie dem London-2012-Personal zur Verfügung stehen.
Ende 2011 waren in Deutschland im Übrigen bereits 900.000 Pedelecs verkauft, für 2012 werden 500.000 weitere E-Bikes erwartet. Branchenexperten rechnen damit, dass die "Eine Million-Schwelle" im April 2012 überschritten wurde - auch das ganz ohne Förderung durch die Bundesregierung.

Die Deutsche Umwelthilfe begrüßt ausdrücklich das Konzept, Elektromobilität im Verkehrssektor als einen möglichen Weg zur Minderung von CO2-Emissionen und zur Verbesserung der Luftqualität, insbesondere in den Innenstädten.
Allerdings setze die Bundesregierung die Schwerpunkte der Förderung völlig falsch. Dringend notwendig und kurzfristig wirksam im Sinne von Klimaschutz und Luftreinhaltung seien beispielsweise die vollständige Elektrifizierung der Schieneninfrastruktur, sowie die Förderung der kommunalen Elektromobilität in Gestalt von Straßenbahn und Oberleitungsbussen. Hierauf sollten nach Überzeugung der DUH neben der Batterieforschung die Fördermillionen konzentriert werden.

Die DUH schlägt vor, die Kfz-Besteuerung aufkommensneutral so neu auszugestalten, dass besonders effiziente, saubere und klimaschonende Fahrzeuge unabhängig von ihrer Antriebstechnologie angereizt werden.
Darunter fielen dann auch Elektrofahrzeuge - vom Mild-, Voll- und Plug-In Hybrid bis hin zum reinen Elektroauto.

Für Rückfragen:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer, DUH,
Mobil: 0171 3649170,
E-Mail: resch@duh.de

Dr. Axel Friedrich, internationaler Verkehrsberater,
Mobil: 0152 29483857,
E-Mail: axel.friedrich.berlin@gmail.com



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Quelle:
Technik | Mobilität & Transport, 02.05.2012

     
        
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