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Partizipative Wirtschaftsethik

Die Mobilisierung der Verbände und Kammern zur Wertekultur

Unser Wertebegriff ist im Umbruch. Er wandelt sich von einer auf uns und unsere Generation bezogenen sozialen Ordnung zu einer generationenübergreifenden Definition, kämpft aber zugleich mit der Sehnsucht nach Altbewährtem. Denn unsere Marktwirtschaft hat bei der Bewältigung unserer globalen Probleme versagt. Langfristigkeit, Ressourcenschonung, rücksichtsvolles Wirtschaften sind nicht ihre Stärke, genauso, wie vieles der klassischen "Ehrbarkeit" verloren ging, die wir heute Corporate Social Responsibility oder CSR nennen.
Zurück zum ehrbaren Kaufmann, dazu müssen alle Räder ineinandergreifen! Foto: © Gerd Altmann/ pixelio.de

Das vollzieht sich vor dem Hintergrund epochaler Veränderungen der Globalisierung. Kommunikationsnetze sind plötzlich global und mit ihnen zwangsläufig viele marktwirtschaftliche Probleme. Unausweichlich. Niemand wird das Internet abschaffen. Die globale Beweglichkeit ist Fakt. Und damit wird die Erfüllung der Forderungen des Zeitgeistes an die Marktwirtschaft schwierig. Der Staat kann nicht mehr allein den Ordnungsrahmen definieren. Und global einheitlich sind unsere Werte nicht, die internationale Kooperation ist beschränkt. Das gilt gerade auch für die Klimafrage. Wo Armut herrscht, haben Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Ressourcenschonung keine Priorität. Und in sehr materiell eingestellten Nationen wie den USA auch nicht. Der internationale Ordnungsrahmen bleibt schwach, bremst sogar die nationale Kraft.

Damit genügt "Gesetze beachten" oder "Gesetze machen" nicht mehr. Nachhaltig zu wirtschaften wird zur Verantwortungsfrage. Unternehmer und Unternehmen sind gefordert. Sozialverantwortung als Teil der Unternehmensführung wird zur gesellschaftlichen Erwartung. Es gibt herausragende Beispiele: Von Banken, Industrie, Handel. Viele versprechen Nachhaltigkeit, Fairness, ökosoziale Vorbildlichkeit. Und manche halten das auch.

Die Gesellschaft will mehr

Aber die Gesellschaft will mehr. Sie will, dass die Wirtschaftssektoren als Ganzes in Ordnung sind. Sie will nicht eine GLS-Bank mit Nachhaltigkeitsverpflichtung oder einen Nachhaltigkeitsfond der Deutschen Bank - sie will eine saubere Finanzbranche. Insgesamt, nicht eine entartete Branche mit positiven Ausnahmen - nein, sie will Ordnung in der Finanzwelt insgesamt. Sie will Rücksicht auf Klima und globale Fairness, von allen. Das setzt Kooperation voraus, national und international. Solche Ordnung, also gemeinsam gesellschaftliche Wertvorstellungen zu erfüllen, wird zur Aufgabe der Verbände und Kammern. Sie haben die Gesamtinteressen und die Kultur einer Branche zu vertreten. Und ihre Mitglieder haben zu entscheiden, ob und wie sie das wollen. Als Raubbau, egoistisch, rücksichtslos - oder als Branche mit sozialer Verantwortung, die generationenübergreifende und ressourcenschonende Verantwortung als wichtige Herausforderungen sieht. Dies zu klären ist Verbandsaufgabe.

Es sind riesige Organisationen, sowohl die Wirtschaftsverbände, wie auch die Berufs- und Wirtschaftskammern, die das anspricht. Praktisch jedes Unternehmen ist in einem der über tausend Wirtschaftsverbände und zusätzlich ist die Zugehörigkeit zu einer Kammer gesetzliche Pflicht. Sie ist es, die über berufliche Qualifikation wacht, sie sichert den nichtstaatlichen Ordnungsrahmen, selbstverwaltend organisiert. Beide, Kammern wie auch Verbände, sind starke Interessensvertretungen, oft bremsend, wenn es um Regeln der Ressourcenschonung oder des fairen Handelns oder Kennzeichnungspflichten geht. Den Verbänden kann man das nicht verwehren. Eine selbstbezogene Lobby-Kultur zu verfolgen ist Teil eines freiheitlichen Systems. Die Mitglieder bestimmen, wofür der Verband einzutreten hat.

Kammern haben werteorientierten Ordnungsauftrag

Anders aber ist es bei den Berufs- und Wirtschaftskammern. Sie haben auch einen werteorientierten Ordnungsauftrag - einen, den sie gern verschweigen, von vielen Mitgliedern dazu gedrängt. Es ist die Verpflichtung der ersten Zeilen der meisten Kammergesetze, für eine Wirtschaftsführung "nach den Regeln des ehrbaren Kaufmanns" zu wirken. Schon die altmodische Sprache zeigt, dass der Gesetzgeber sich scheut, diese Wortwahl zu modernisieren und es zur selbstüberwachten Verpflichtung jedes Wirtschaftssektors und jedes freien Berufes zu machen. Umso mehr fällt es in die Verantwortung der Mitglieder.

Es ist unbestritten, dass dieser Auftrag zur "Ehrbarkeit" des Unternehmers die Verpflichtung zu nachhaltig verantwortungsvollem, werteorientiertem Handeln bedeutet. Heute mag man es Corporate Social Responsibility - kurz CSR - nennen, aber gemeint ist immer das Gleiche: Die Sehnsucht der Gesellschaft nach fair und maßvoll agierenden Märkten.

Kulturwandel ist eine Führungsaufgabe

Das durchzusetzen müssen wir den Kammern abverlangen. Wir können nicht warten, bis alle Welt anständig wird. Wer rasch ändern will, muss auf vorhandene Organisationen zurückgreifen, muss sie einem Kulturwandel unterziehen. Das heißt: werben, aufklären bei den Mitgliedern - und es heißt Führungsköpfe wechseln. Nicht immer, aber in der Mehrzahl. Kulturwandel ist eine Führungsaufgabe, angestoßen vom Umfeld, vom Gesetzgeber und der Zivilgesellschaft. Sie sind es, die den Änderungsdruck gemeinsam ausüben müssen. Die großen Organisationen sind Faktum, man muss sie nur nutzen. Über hundert Berufs- und Wirtschaftskammern, viele mit hunderten von Mitarbeitern, regeln das Geschäftsleben ganzer Branchen. Nachhaltigkeit ist noch nicht ihr Thema. Aber genau das ist es, was es durchzusetzen gilt.

Es ist die von innen kommende Antwort, die Unternehmer und Zivilgesellschaft gemeinsam formulieren können: Leitlinien, Wertekodices für die großen Problembereiche Energie, Klima, Finanzen, Ernährung und vielleicht auch Jugendschutz schaffen, branchenspezifisch und mit Sachverstand. Begleitet von einem Runden Tisch der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft kann jede Kammer herausarbeiten, welche Selbstverpflichtung sie hierbei übernehmen will. Unternehmen aus allen Berufs- und Wirtschaftsschichten, die sich auf das Ideal der Nachhaltigkeit verpflichten, werden sie dabei unterstützen.

Das, konsequent umgesetzt, führt zu einem anderen Wirtschaftssystem, einer branchenspezifischen Wirtschaftsethik, die durch ihre partizipative Komponente gesellschaftliche Legitimation erhält. Sie führt zu selbstverwalteten Branchen- und Berufsregeln für Anstand und Ehrbarkeit, die jedem Leitlinie gibt, die aber auch der Auftraggeber einfordern kann, der öffentliche wie auch der private. Und die in der Ehrgerichtsbarkeit der Kammern sachverständiger und weicher zu überwachen ist, als es Gerichte und Behörden können.

Freiwillig, aber umfassend wirksam

Gerne würde ich dazu ein deutsches Beispiel bringen, aber das wegweisende, wenn auch nicht am Runden Tisch erarbeitete Beispiel bleibt für mich der Ethikcode der amerikanischen Association der Medizintechnik AdvaMed gegen Korruption. Manchmal sind Amerikaner pragmatischer bei Problemlösungen. Es entspricht dem noch härteren Spannungsfeld. Dieser Kodex für das Geschäftsgebaren im Gesundheitssektor wird heute in den USA von fast allen öffentlichen und vielen privaten Auftraggebern verlangt. Er hat die Geschäftskultur dieses Wirtschaftssektors neu geformt. Er ist "soft law", halb freiwillig, nicht einklagbar, aber umfassend wirksam.

Die Grundidee dieses Kodex lässt sich kopieren, ethisch breiter, nicht nur auf Korruption bezogen. Gerade die Berufs- und Wirtschaftskammern sind die ideale Plattform für Problemdiskussionen zu Lösungswegen und Leitlinien, die praxisbezogen und damit umsetzbar und wirksam sind. Der Hebel der Kammern ist enorm, die Mitglieder müssen ihn nur ansetzen - ohne Furcht vor traditionellen Widerständen. Wer CSR ernst nimmt, wird dies auch als Charakteristik seiner Branche sehen wollen, wird den guten Ruf seines Berufs genießen. Wer es nicht will, ja für genau den brauchen wir einen guten Ordnungsrahmen. Dann bleiben auch die wilden schwarzen Schafe im Zaum.
 
 
Von Peter Grassmann


Im Profil

Dr. Ing. Peter H. Grassmann

ist Wirtschaftsethiker, Berater, Autor.

Er ist Vorstand bei Die Umwelt-Akademie e.V. und im Ökosozialen Forum e.V.




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Quelle:
Gesellschaft | Globalisierung, 15.03.2012

     
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