Ralph Thurm
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 17.01.2012
Der T(h)urmblick
Die langfristigen Konsequenzen der Kurzfristigkeit
Schauen wir auf die gängigen Definitionen der Nachhaltigkeit, so ist intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit ein wichtiger Bestandteil, wobei meist übersehen wird, dass die zweite ohne die erste gar nicht möglich ist. Die jüngsten Entwicklungen in den verwobenen Gefügen zwischen Ernährungs-, Energie-, Klima- und Wassersicherheit sind ein Beispiel.
Schon heute wird die Zukunft gestaltet: Die extremen Auswirkungen gestiegener Getreidepreise werden deutlich, wenn man deren Anteil am Gesamteinkommen betrachtet: Während 75 Prozent Preisanstieg (2010) hierzulande die Brotpreise um einige dutzend Cent nach oben treiben, ist dies für die ärmsten zwei Milliarden schlichtweg eine Katastrophe. Sie geben zwischen 50 und 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrung aus; bei uns liegt der Nahrungsmittelanteil nur bei rund 10 bis 15 Prozent. Nahrung wird mehr und mehr zum bestimmenden Faktor der Weltpolitik: Der "Arabische Frühling" ist zum großen Teil der aufbegehrenden ärmeren Landbevölkerung zuzuschreiben.
Der Grund für das Ansteigen der Getreidepreise liegt weniger an den so gerne herangezogenen Spekulationsvermutungen, sondern an der steigenden Nachfrage und den größer werdenden Produktionseinschränkungen.
Pro Tag müssen weltweit weitere 200.000 Menschen satt werden. Mit dem Ansteigen des Wohlstands essen immer mehr Menschen Fleisch und Eier, was wiederum einen erhöhten Flächenanteil für Tierfutter erfordert. In der Vergangenheit konnten sich Länder in Dürresituationen überdies gegenseitig beistehen, doch diese Puffer sind nicht mehr vorhanden, da Getreide nun auch zur Biobrennstofferzeugung herangezogen wird.
Außerdem ist auch mit modernen Methoden kein höherer Ertrag bei gleichbleibender Fläche mehr möglich. Es ist eher mit einer Verringerung durch rücksichtslose Brunnengrabung, Bodenerosion, Monokulturen und durch den Klimawandel zu rechnen. Jeder Anstieg der Durchschnittstemperatur um 1 Grad Celsius ist gleichbedeutend mit durchschnittlich zehn Prozent weniger Ernteertrag. Steigt dann durch gutgemeinte Quoten, wie der Biobrennstoffquote von zehn Prozent, oder durch Produktionsrückgang bei gewöhnlichen Brennstoffen der Preis, ist der Kreislauf geschlossen und Menschen hungern.
Immer neue Wüsten
Die Weltbank schätzt , dass in Asien bereits heute mehr als 300 Millionen Menschen nur in der Lage sind, Getreide und Reis anzubauen, indem Wasser von einer Region in die andere gepumpt wird. Dass dies über längere Sicht nicht funktionieren wird, ist absehbar. Gleichzeitig entstehen allein in China pro Jahr 36.000 Quadratkilometer neue Wüste.
Ganz nebenbei entsteht nun neuer geopolitischer Zündstoff: Wird Wasser am Oberlauf eines Flusses entnommen oder aufgestaut, fehlt es am Unterlauf, und da Flussläufe länderübergreifend sind, sind Konflikte programmiert. Nun kommt noch ein brisanter Tatbestand hinzu: Reiche Länder kaufen in ärmeren vermehrt Boden auf, um dort für sich Ernährung und Brennstoff anzubauen, während die Bevölkerung in diesen Ländern oftmals hungert. 2008 wurde in vier Millionen Hektar Ackerland investiert, 2009 waren es 56 Millionen Hektar (davon 70 Prozent in Afrika) - meist ohne Bezug zu lokalen Märkten oder Interessen. Dass dies teilweise Länder sind, die das Welternährungsprogramm unterstützen muss, setzt dem Wahnsinn die Krone auf. Wenn mit der Bodennutzung auch noch Wasserrechte verbunden sind, kann man sich ausrechnen, dass es zum Konflikt kommen wird. Süd-Korea und Saudi Arabien sind Beispiele von Bodeninvestoren in anderen Ländern. Beide Länder müssen mehr als 70 Prozent ihres Getreides importieren. Süd-Korea möchte sich auch in den USA einkaufen. Man sieht die Gewitterwolken bereits in der Ferne, außer der amerikanische Protektionismus verhindert dies vorab.
Energie, Ernährung, Wasser - bereits heute ist die intragenerationelle Gerechtigkeit nicht gegeben. Wir entziehen ihr jeden Tag ein wenig mehr den Boden. Nur durch einen koordinierten und global abgestimmten Plan, der bei der Ernährungsfrage ansetzen muss, kann diesem Toben Einhalt geboten werden. "Erst kommt das Fressen, dann die Moral", heißt es in Bertold Brechts Dreigroschenoper. Ein guter Rat!
Schon heute wird die Zukunft gestaltet: Die extremen Auswirkungen gestiegener Getreidepreise werden deutlich, wenn man deren Anteil am Gesamteinkommen betrachtet: Während 75 Prozent Preisanstieg (2010) hierzulande die Brotpreise um einige dutzend Cent nach oben treiben, ist dies für die ärmsten zwei Milliarden schlichtweg eine Katastrophe. Sie geben zwischen 50 und 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrung aus; bei uns liegt der Nahrungsmittelanteil nur bei rund 10 bis 15 Prozent. Nahrung wird mehr und mehr zum bestimmenden Faktor der Weltpolitik: Der "Arabische Frühling" ist zum großen Teil der aufbegehrenden ärmeren Landbevölkerung zuzuschreiben. Der Grund für das Ansteigen der Getreidepreise liegt weniger an den so gerne herangezogenen Spekulationsvermutungen, sondern an der steigenden Nachfrage und den größer werdenden Produktionseinschränkungen.
Pro Tag müssen weltweit weitere 200.000 Menschen satt werden. Mit dem Ansteigen des Wohlstands essen immer mehr Menschen Fleisch und Eier, was wiederum einen erhöhten Flächenanteil für Tierfutter erfordert. In der Vergangenheit konnten sich Länder in Dürresituationen überdies gegenseitig beistehen, doch diese Puffer sind nicht mehr vorhanden, da Getreide nun auch zur Biobrennstofferzeugung herangezogen wird.
Außerdem ist auch mit modernen Methoden kein höherer Ertrag bei gleichbleibender Fläche mehr möglich. Es ist eher mit einer Verringerung durch rücksichtslose Brunnengrabung, Bodenerosion, Monokulturen und durch den Klimawandel zu rechnen. Jeder Anstieg der Durchschnittstemperatur um 1 Grad Celsius ist gleichbedeutend mit durchschnittlich zehn Prozent weniger Ernteertrag. Steigt dann durch gutgemeinte Quoten, wie der Biobrennstoffquote von zehn Prozent, oder durch Produktionsrückgang bei gewöhnlichen Brennstoffen der Preis, ist der Kreislauf geschlossen und Menschen hungern.
Immer neue Wüsten
Die Weltbank schätzt , dass in Asien bereits heute mehr als 300 Millionen Menschen nur in der Lage sind, Getreide und Reis anzubauen, indem Wasser von einer Region in die andere gepumpt wird. Dass dies über längere Sicht nicht funktionieren wird, ist absehbar. Gleichzeitig entstehen allein in China pro Jahr 36.000 Quadratkilometer neue Wüste.
Ganz nebenbei entsteht nun neuer geopolitischer Zündstoff: Wird Wasser am Oberlauf eines Flusses entnommen oder aufgestaut, fehlt es am Unterlauf, und da Flussläufe länderübergreifend sind, sind Konflikte programmiert. Nun kommt noch ein brisanter Tatbestand hinzu: Reiche Länder kaufen in ärmeren vermehrt Boden auf, um dort für sich Ernährung und Brennstoff anzubauen, während die Bevölkerung in diesen Ländern oftmals hungert. 2008 wurde in vier Millionen Hektar Ackerland investiert, 2009 waren es 56 Millionen Hektar (davon 70 Prozent in Afrika) - meist ohne Bezug zu lokalen Märkten oder Interessen. Dass dies teilweise Länder sind, die das Welternährungsprogramm unterstützen muss, setzt dem Wahnsinn die Krone auf. Wenn mit der Bodennutzung auch noch Wasserrechte verbunden sind, kann man sich ausrechnen, dass es zum Konflikt kommen wird. Süd-Korea und Saudi Arabien sind Beispiele von Bodeninvestoren in anderen Ländern. Beide Länder müssen mehr als 70 Prozent ihres Getreides importieren. Süd-Korea möchte sich auch in den USA einkaufen. Man sieht die Gewitterwolken bereits in der Ferne, außer der amerikanische Protektionismus verhindert dies vorab.
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Im Profil
Ralph Thurm ist Gründer und Managing Director von A|HEAD|ahead. Für forum schreibt er regelmäßig die Kolumne "Der T(h)urmblick".
Ralph Thurm ist Gründer und Managing Director von A|HEAD|ahead. Für forum schreibt er regelmäßig die Kolumne "Der T(h)urmblick".
Kontakt
Ralph Thurm, Director Sustainability Strategies & Innovation,
Deloitte Innovation B.V., Niederlande
Blog: www.aheadahead.wordpress.com
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2011 - Stadt der Zukunft erschienen.
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