Hydrogen Dialogue 2024

Green City Energy Initiative

"Wir machen's einfach!"

Thomas Prudlo ist seit zwei Jahrzehnten für die Energiewende unterwegs. Mit der Green City Energy Initiative hat er vor kurzem den Award des Sustainability Congress gewonnen. forum-Redakteurin Tina Teucher sprach mit dem Bürgerbeweger über Verhaltensänderung, Autarkie und Energiezukunft.

Praterkraftwerk - "Grüner" Strom für 4.000 Münchner Haushalte
Foto: © Green City Energy
Die Green City Energy GmbH ist eine hundertprozentige Tochter des Green
City e.V. Wie ist der Verein entstanden?

1990 saßen sechs Leute an einem Wohnzimmertisch und hatten die fantastische und etwas größenwahnsinnige Idee, München bis zum Jahr 2000 autofrei zu machen. Der Verein hieß dann auch "Autofrei 2000 München". Das passt zur Grundidee von Green City: Think big, nimm Deine Ziele richtig ernst und setze sie hoch, das gibt Dir Kraft. 1995 wurde der Verein umbenannt in Green City, weil "Autofrei" zu negativ erschien. Wir wollten immer positiv bleiben, nach dem Motto "Wir machen's einfach". Das ist natürlich doppeldeutig: Wir handeln statt reden und wir machen es den Leuten einfach, wir bauen Brücken und zeigen positive Vision, wie man Straßen nutzen kann, wie man die Energiewende gestalten kann.

Unser Credo war immer: Wir sind Umweltmacher. Wir haben alle genügend Theorie im Hintergrund, um sagen zu können: Das reicht, wir wollen es auf die Straße bringen. In der Verhaltensforschung wurde festgestellt, dass Verhaltensänderung nicht nur über eine Einstellungsänderung funktioniert - wie gerade Nachhaltigkeitsideologen immer wieder annehmen. Sondern auch umgekehrt: eine Verhaltensänderung führt zur Einstellungsänderung. Wenn ich z.B. fünf Mal Bio-Bier getrunken habe und dabei eine schöne Erfahrung mit Freunden hatte, baue ich meine Vorbehalte gegenüber Öko-Bier ab. Wenn ich mit rollerblade, hab ich's mal ausprobiert und sehe den Verkehr nicht nur aus der Autofahrersicht. Leute investieren in Erneuerbare Energien und plötzlich sind sie gar nicht mehr für Atomkraft, weil sie einfach anfangen zu denken. Bei uns geht es nicht zuerst um den Ideologiewandel.

Spannend! So viele wissen, was sie tun müssten, aber handeln nicht! Sie setzen also bei identitätsstiftenden Erlebnissen an.
Ja, auch die Neurobiologie hat wohl festgestellt, dass man erst handelt und dann sein Handeln rechtfertigt. Natürlich kommt man mit diesen Verhaltensänderungen nicht unbedingt an die Seele eines Menschen, die ja schon früher geprägt wird, aber wir schaffen es, Menschen in ökologische Situationen zu verheddern und nicht nur in anti-ökologische. Wenn sie einmal ihr Geld, Herzblut und Engagement ökologisch eingebracht haben, dann werden sie das auch verteidigen.

Wie ist aus dem Verein die Green City Energy GmbH entstanden?
1998 bauten wir den ersten großen Solarpark als Bürgerbeteiligungsmodell in München - damals eine echte Pionierleistung und die weltgrößte Bürgerbeteiligungsanlage mit 250 kW. Darüber lacht man heute, aber das war damals riesig. Photovoltaik gab es fast noch nicht, Bürgerbeteiligungen ebensowenig, doch 140 Münchner Bürgern brachten in vier Wochen spontan ein Projektvolumen von 3,5 Millionen DM zusammen. Diese Idee ist gewachsen und schließlich haben wir 2005, nachdem wir schon viele Solarparks analog zum ersten realisiert hatten, Green City Energy gegründet. Die GmbH entstand aus fiskalischen Gründen, da der Verein sonst seine Gemeinnützigkeit riskiert hätte - so wurde der wirtschaftliche Teil in eine hundertprozentige Tochtergesellschaft ausgelagert.

Gibt es Interessenkonflikte zwischen Verein und GmbH?
Eigentlich überhaupt nicht. Wir kennen uns sehr gut, gehen zusammen essen, der Verein macht die politische Arbeit, Bildungsarbeit und wir machen Anlagenbau. Inhaltlich und persönlich sind wir uns nahe und unterstützen uns, wo es nur geht. Das hängt natürlich immer von den Personen ab.

Was ist die Zielsetzung von Green City Energy?
Die Energiewende. Das heißt vor allem: dezentral. Bauen wir Desertec und große Offshore Wind-Anlagen? Das würde bedeuten, dass wieder nur die großen Firmen die Energieversorgung dominieren. Davon wollen wir weg. Wie Wasser und Erde gehört Strom zu den Grundbedürfnissen. Elektrizität betrifft heute die Lebensgrundlagen und muss daher vielmehr zu den Menschen zurück und zivilgesellschaftlich wie demokratisch verankert werden.

Umweltfreundlicher Strom aus Windenergie: Vor allem dezentrale Anlagen verringen langfristig das Ausfallrisiko.
Foto: © Reinhard Mederer
Ich komme vom Bauernhof. Jeder der mal einen Acker bestellt hat, weiß was ein Kilo Kartoffeln wert ist und denkt beim Ausbuddeln: "Wow, das muss mindestens zehn Euro wert sein!". Er wird sich nicht über einen Kilopreis von 1,99 Euro aufregen. Und wenn ich selber mal Geld investiert und eine Anlage aufgebaut habe, die damit verbundenen Risiken kenne, dann habe ich ein anderes Gefühl dafür. Deshalb bauen wir dezentral kleine und mittlere Anlagen. Die sind nicht teurer als die großen. Offshore-Wind braucht momentan 14 Cent Vergütung, wir liegen - obwohl wir nicht dieselben Mengeneffekte erzielen können - bei 14 bis 16 Cent, z.B. weil wir nicht mit langen Kabeln arbeiten müssen oder andere Risiken haben. Wir sind weniger anfällig, denn viele kleine Anlagen sind vor Terror und Ausfällen besser geschützt. Diese Risikoverteilung kostet jetzt zunächst etwas mehr, aber rechnet sich gesellschaftlich und auch finanziell langfristig. Und das ehrenamtliche Engagement der dezentralen Energieversorgung stärkt die gesellschaftliche Entwicklung.

Was sind Ihre nächsten Pläne?
Wir sind natürlich stark gewachsen. Wir hatten zahlreiche Anfragen aus dem Ausland, die die Idee übertragen wollten. Doch unsere Dependance in Toulouse hat eineinhalb Jahre umsonst gearbeitet, weil der französische Gesetzgeber die Einspeisevergütung über Nacht einkassiert hat. Neu im Portfolio haben wir jetzt den Solarpark Europa mit italienischen, französischen und niederösterreichischen Projekten. Dank dem Erfolg auf dem Sustainability Congress erhalten wir nun auch vermehrt Anfragen von Banken, die mit uns über Anlagemodelle für Ihre Kunden sprechen wollen.

Welche Kriterien legen Sie bei der Flächenauswahl für die Anlagen an?
Das hängt von der Technologie ab. Zum Einen versuchen wir das Anlegerrisiko gering zu halten. Die meisten sind Freunde und Bekannte aus dem Netzwerk - wir müssen wahnsinnig verantwortungsbewusst mit diesem Geld umgehen. Die Anleger geben uns einen Vertrauensvorschuss, deswegen schauen wir immer auf die technologischen Risiken und entscheiden: In die und die Windmühlen würden wir auch investieren. Wir haben ja auch selbst unser komplettes Vermögen in diesen Anlagen. Der zweite Aspekt ist die ökologische Gesamtbilanz. Da wird es sehr schnell sehr komplex. Eine Windkraftanlage hat an sich einen geringen ökologischen Fußabdruck - sie braucht geringe Fläche und bringt viel Leistung. Wenn ich aber den Stahl und die sozialen Verhältnisse in der Produktion betrachte, wird es entlang der Wertschöpfungskette natürlich vielschichtiger. Ich kann kaum nachvollziehen, woher der Anlagenbauer den Stahl bezieht oder wo die Eisenerze gewonnen werden und welche Arbeitsbedingungen in der Mine herrschen. Mancher Hersteller erfüllt vielleicht diese Kriterien gut, aber sein Wassermanagement oder Arbeitgeberverhalten birgt Verbesserungspotenzial. Hier muss man genau hinterfragen - wie auch im persönlichen Leben.
Was den Schutz der Biodiversität betrifft, ist der Gesetzgeber sehr restriktiv. Seit 2010 ist in Deutschland die Photovoltaiknutzung auf Ackerflächen nicht mehr erlaubt - freistehende Photovoltaik haben wir aber ohnehin nur auf schwer belasteten Flächen genutzt. Bei jeder Anlage durchlaufen wir eine Genehmigung, die Flächen werden nach Vögeln und Kleintieren kartiert und das Immissionsschutzgesetz beachtet. Dafür haben die Naturschutzverbände in den letzten 20 Jahren hart gekämpft. Diese Entscheidungen bleiben aber immer ein Abwägen zwischen mittelbarem und unmittelbarem Naturschutz.

Würde sich die Investition in Erneuerbare auch ohne Einspeisevergütung rechnen?
Die so genannte Grid Parity oder Netzparität haben wir im privaten Bereich bereits erreicht. Und sie kommt - wenn ich die Preisentwicklung betrachte - in den nächsten Wochen und Monaten auf breiter Front. Bei Wind und Wasser liegen die Stromentstehungskosten bei sieben bis acht Cent, bei Photovoltaik zwischen 16 und 25, je nach Größe, bei Biogas bei acht Cent - wir sind in allen Bereichen nicht mehr weit von der Grid Parity entfernt. Langfristig haben wir Stromkosten von 15 Cent. Auf ewig, und das wird auch nicht teurer, weil - mit Franz Alt - die Sonne keine Rechnung schickt. Fordern Sie mal von Ihrem Energieversorger eine Preisgarantie von 15 Cent auf die nächsten 50 Jahre - das kann ich nur mit Erneuerbaren machen!

Thomas Prudlo, Geschäftsführer von Green City Energy
Foto: © Tobias Hase
Wie lautet Ihre positive Vision für 2050?
Ein dematerialisierter Lebensstil: Werte wie Nähe, Geborgenheit, geistige Freiheit zählen, wir gewinnen das Spielerische zurück und kommen raus aus dem schnelllebigen Hamsterrad, das sich mit Nachhaltigkeit nicht verträgt. Wir brauchen weniger Strom und der speist sich aus dezentraleren Strukturen. Die Rekommunalisierung wird sich fortsetzen. Denn beim Thema Autarkie bekommen alle Menschen leuchtende Augen: Unabhängig sein! Von Stromkonzernen, Schurkenstaaten und frei von Ohnmachtsgefühlen - da wollen wir hin!

... und für die Energiezukunft?
Energiewende heißt für uns: Dezentral, zu 100 Prozent erneuerbar und so schnell wie möglich. Inzwischen bestätigt uns eine Studie nach der anderen, dass das geht, man kann sich nur noch trefflich streiten, ob 2030, 2040 oder 2050 - das hängt vor allem an der großen Herausforderung der Speichertechnologien. Die Elektromobilität, die uns schon zwischen 2018 und 2020 im Millionenbereich zur Verfügung stehen wird, stellt uns natürlich eine gewisse Speicherkapazität bereit. Und durch intelligentere Netze werden wir viel Strom und Spitzen sparen.

Quelle:
Technik | Energie, 25.08.2011

     
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