Effizienz bringt die Wende
Doch nur wenn alle ihre Möglichkeiten komplett ausschöpfen
Von Rolf D. Häßler und Kristina Rüter
Die Aktienkurse der Solar- und Windkraftunternehmen schießen in die Höhe, doch das Potenzial einer systematischen Einsparung von Energie wird weitgehend vernachlässigt. Dabei liegt das Sparpotenzial in einigen Branchen bei bis zu 90 Prozent! Der Finanzmarkt kann hier eine wichtige Rolle spielen.
Politik fordert und fördert
Ende 2006 hat sich die EU im Rahmen der sogenannten "20-20-20-Strategie" verpflichtet, bis zum Jahr 2020 20 Prozent ihres jährlichen Verbrauchs an Primärenergie einzusparen, gemessen am hochgerechneten Energieverbrauch für das Jahr 2020. Ziel der Initiative ist es, die Abhängigkeit Europas von importiertem Öl und Gas zu vermindern und durch Kostenreduzierungen in Höhe von erwarteten 60 Milliarden Euro pro Jahr die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu stärken.
Die EU-Kommission hat zur Erreichung des 20 Prozent-Ziels den Aktionsplan 2007-2012 verabschiedet. Er umfasst Maßnahmen, mit denen die Energieeffizienz von Produkten, Dienstleistungen und Gebäuden verbessert und der Wirkungsgrad der Energieerzeugung und -verteilung erhöht werden soll. Die EU-Kommission sieht die größten Energieeinsparpotenziale in den Bereichen Wohngebäude und gewerblich genutzte Immobilien (Einsparpotenzial ca. 27 bzw. 30 Prozent), verarbeitende Industrie (ca. 25 Prozent) und Verkehrssektor (ca. 26 Prozent). Im Jahr 2008 wurde ein Energieeffizienzpaket vorgelegt, das auf eine Verbesserung der Rechtsvorschriften zur Energieeffizienz von Gebäuden, der Energieeffizienz-Kennzeichnung von Produkten sowie einer konsequenten Umsetzung der Richtlinien zur umweltgerechten Gestaltung (Ökodesign) und zur Kraft-Wärme-Kopplung abzielt.
Markt macht Druck
Die Politik ist nicht der einzige Treiber in Richtung Energieeffizienz, auch der Markt drängt auf Fortschritte in diesem Bereich. Hier haben zwei Aspekte besondere Bedeutung für die Unternehmen:
Die Energiekosten für die Unternehmen sind in den vergangenen Jahren zum Teil deutlich gestiegen. So kletterte der durchschnittliche Netto-Strompreis für industrielle Kunden in Europa nach Berechnungen von Eurostat von 9,41 Euro für 100 kWh im Jahr 2007 auf 10,37 Euro im Jahr 2010. Für die kommenden Jahre wird - auch wegen der Einpreisung der CO2-Kosten im Rahmen des EU-Emissionshandels in einer wachsenden Zahl von Branchen - mit einem weiteren Anstieg der Energiepreise gerechnet. In zahlreichen Branchen machen die Energiekosten einen bedeutenden Anteil der Produktionskosten aus, in der Papierherstellung beispielsweise über 14 Prozent, in der Chemieindustrie durchschnittlich 8,6 Prozent. Einsparungen beim Energieverbrauch können daher gerade angesichts steigender Energiepreise die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erhöhen und die Rentabilität steigern.
Der Energieverbrauch etwa von Elektrogeräten, Automobilen oder Immobilien hat bei der Kaufentscheidung von Geschäfts- und Privatkunden sowie der öffentlichen Hand eine steigende Bedeutung. So ist für 95 Prozent der deutschen Autokäufer der Spritverbrauch ein sehr wichtiges oder wichtiges Kriterium, beim Kauf eines Fernsehers achten 80 Prozent der Käufer auf den Energieverbrauch. Die steigende Transparenz über den Energieverbrauch von Geräten durch eine Ausweitung der entsprechenden Label wird die Aufmerksamkeit für diesen Aspekt weiter erhöhen. Unternehmen, die entsprechende Produkte anbieten, werden ihre Marktposition festigen oder sogar ausbauen können.
Gleichzeitig gibt es zahlreiche Barrieren, die eine umfassende Nutzung der Einsparpotenziale be- oder sogar verhindern. Die Internationale Energieagentur (IEA) nennt hier u. a. Informationsdefizite bei den Verbrauchern, Energiepreistarife, die Investitionen in Energieeffizienz unattraktiv machen (z. B. sinkende Preise bei höherem Verbrauch) und das Fehlen von erschwinglichen Technologien zur Einsparung von Energie.
Unternehmen haben viel zu tun
Die Herausforderungen der einzelnen Branchen sind sehr unterschiedlich. Während beispielsweise im Maschinenbau vorrangig Maßnahmen zur Reduzierung von Energie- und Treibstoffverbrauch von Produkten erforderlich sind, liegt der Schwerpunkt in der Metallbranche auf der energieeffizienten Produktion, z.B. durch den Einsatz recycelter Rohstoffe. Die von oekom research analysierten Kupferproduzenten weisen beispielsweise hinsichtlich der Energieintensität eine Spanne zwischen sechs und 75 Gigajoule pro Tonne auf. Dies verdeutlicht das enorme Einsparpotenzial bei weniger energieeffizient arbeitenden Herstellern. Für die Immobilienbranche besteht die Herausforderung in der konsequenten Umsetzung verbindlicher Richtlinien und Maßnahmen für Energieeffizienz. Laut Bundesumweltministerium lässt sich speziell der Bedarf älterer Gebäude durch Sanierungsmaßnahmen wie Wärmedämmung um durchschnittlich 50 Prozent und in Einzelfällen um bis zu 90 Prozent reduzieren.
Finanzmarkt zögert noch
Der Finanzmarkt spielt bei der Erschließung der Einsparpotenziale eine wichtige Rolle. Die Frage, ob Unternehmen energie- und damit kosteneffizient arbeiten und Produkte anbieten, die am Markt erfolgreich sein können, ist beispielsweise für Investoren relevant. Die entsprechende Leistungsfähigkeit der Unternehmen wird daher bei der Kapitalanlage, aber auch bei der Kreditvergabe zukünftig an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig kann der Finanzmarkt beispielsweise über die Bereitstellung von Risikokapital für innovative Effizienztechnologien die Entwicklung aktiv fördern. Die Möglichkeiten der Finanzwirtschaft, über die Finanzierungs- und Anlagepolitik Impulse für mehr Energieeffizienz zu geben, werden derzeit noch nicht ausgeschöpft.
Die Aktienkurse der Solar- und Windkraftunternehmen schießen in die Höhe, doch das Potenzial einer systematischen Einsparung von Energie wird weitgehend vernachlässigt. Dabei liegt das Sparpotenzial in einigen Branchen bei bis zu 90 Prozent! Der Finanzmarkt kann hier eine wichtige Rolle spielen.
Energie effizient nutzen: Für zukünftige Generationen selbstverständlich - für Unternehmen auch? |
Ende 2006 hat sich die EU im Rahmen der sogenannten "20-20-20-Strategie" verpflichtet, bis zum Jahr 2020 20 Prozent ihres jährlichen Verbrauchs an Primärenergie einzusparen, gemessen am hochgerechneten Energieverbrauch für das Jahr 2020. Ziel der Initiative ist es, die Abhängigkeit Europas von importiertem Öl und Gas zu vermindern und durch Kostenreduzierungen in Höhe von erwarteten 60 Milliarden Euro pro Jahr die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu stärken.
Die EU-Kommission hat zur Erreichung des 20 Prozent-Ziels den Aktionsplan 2007-2012 verabschiedet. Er umfasst Maßnahmen, mit denen die Energieeffizienz von Produkten, Dienstleistungen und Gebäuden verbessert und der Wirkungsgrad der Energieerzeugung und -verteilung erhöht werden soll. Die EU-Kommission sieht die größten Energieeinsparpotenziale in den Bereichen Wohngebäude und gewerblich genutzte Immobilien (Einsparpotenzial ca. 27 bzw. 30 Prozent), verarbeitende Industrie (ca. 25 Prozent) und Verkehrssektor (ca. 26 Prozent). Im Jahr 2008 wurde ein Energieeffizienzpaket vorgelegt, das auf eine Verbesserung der Rechtsvorschriften zur Energieeffizienz von Gebäuden, der Energieeffizienz-Kennzeichnung von Produkten sowie einer konsequenten Umsetzung der Richtlinien zur umweltgerechten Gestaltung (Ökodesign) und zur Kraft-Wärme-Kopplung abzielt.
Markt macht Druck
Die Politik ist nicht der einzige Treiber in Richtung Energieeffizienz, auch der Markt drängt auf Fortschritte in diesem Bereich. Hier haben zwei Aspekte besondere Bedeutung für die Unternehmen:
Die Energiekosten für die Unternehmen sind in den vergangenen Jahren zum Teil deutlich gestiegen. So kletterte der durchschnittliche Netto-Strompreis für industrielle Kunden in Europa nach Berechnungen von Eurostat von 9,41 Euro für 100 kWh im Jahr 2007 auf 10,37 Euro im Jahr 2010. Für die kommenden Jahre wird - auch wegen der Einpreisung der CO2-Kosten im Rahmen des EU-Emissionshandels in einer wachsenden Zahl von Branchen - mit einem weiteren Anstieg der Energiepreise gerechnet. In zahlreichen Branchen machen die Energiekosten einen bedeutenden Anteil der Produktionskosten aus, in der Papierherstellung beispielsweise über 14 Prozent, in der Chemieindustrie durchschnittlich 8,6 Prozent. Einsparungen beim Energieverbrauch können daher gerade angesichts steigender Energiepreise die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erhöhen und die Rentabilität steigern.
Der Energieverbrauch etwa von Elektrogeräten, Automobilen oder Immobilien hat bei der Kaufentscheidung von Geschäfts- und Privatkunden sowie der öffentlichen Hand eine steigende Bedeutung. So ist für 95 Prozent der deutschen Autokäufer der Spritverbrauch ein sehr wichtiges oder wichtiges Kriterium, beim Kauf eines Fernsehers achten 80 Prozent der Käufer auf den Energieverbrauch. Die steigende Transparenz über den Energieverbrauch von Geräten durch eine Ausweitung der entsprechenden Label wird die Aufmerksamkeit für diesen Aspekt weiter erhöhen. Unternehmen, die entsprechende Produkte anbieten, werden ihre Marktposition festigen oder sogar ausbauen können.
Gleichzeitig gibt es zahlreiche Barrieren, die eine umfassende Nutzung der Einsparpotenziale be- oder sogar verhindern. Die Internationale Energieagentur (IEA) nennt hier u. a. Informationsdefizite bei den Verbrauchern, Energiepreistarife, die Investitionen in Energieeffizienz unattraktiv machen (z. B. sinkende Preise bei höherem Verbrauch) und das Fehlen von erschwinglichen Technologien zur Einsparung von Energie.
Unternehmen haben viel zu tun
Die Herausforderungen der einzelnen Branchen sind sehr unterschiedlich. Während beispielsweise im Maschinenbau vorrangig Maßnahmen zur Reduzierung von Energie- und Treibstoffverbrauch von Produkten erforderlich sind, liegt der Schwerpunkt in der Metallbranche auf der energieeffizienten Produktion, z.B. durch den Einsatz recycelter Rohstoffe. Die von oekom research analysierten Kupferproduzenten weisen beispielsweise hinsichtlich der Energieintensität eine Spanne zwischen sechs und 75 Gigajoule pro Tonne auf. Dies verdeutlicht das enorme Einsparpotenzial bei weniger energieeffizient arbeitenden Herstellern. Für die Immobilienbranche besteht die Herausforderung in der konsequenten Umsetzung verbindlicher Richtlinien und Maßnahmen für Energieeffizienz. Laut Bundesumweltministerium lässt sich speziell der Bedarf älterer Gebäude durch Sanierungsmaßnahmen wie Wärmedämmung um durchschnittlich 50 Prozent und in Einzelfällen um bis zu 90 Prozent reduzieren.
Finanzmarkt zögert noch
Der Finanzmarkt spielt bei der Erschließung der Einsparpotenziale eine wichtige Rolle. Die Frage, ob Unternehmen energie- und damit kosteneffizient arbeiten und Produkte anbieten, die am Markt erfolgreich sein können, ist beispielsweise für Investoren relevant. Die entsprechende Leistungsfähigkeit der Unternehmen wird daher bei der Kapitalanlage, aber auch bei der Kreditvergabe zukünftig an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig kann der Finanzmarkt beispielsweise über die Bereitstellung von Risikokapital für innovative Effizienztechnologien die Entwicklung aktiv fördern. Die Möglichkeiten der Finanzwirtschaft, über die Finanzierungs- und Anlagepolitik Impulse für mehr Energieeffizienz zu geben, werden derzeit noch nicht ausgeschöpft.
Im Profil Rolf D. Häßler ist Leiter der Unternehmenskommunikation bei der oekom research AG. Kristina Rüter ist Research Director und verantwortet u. a. das Research in den Branchen Energieversorger, Öl&Gas und Bergbau. Sie sind Autoren des Themenberichts "Energy Efficiency", den oekom research im April 2011 in Kooperation mit Eurosif, dem europäischen Branchenverband für nachhaltige Kapitalanlagen, veröffentlicht hat. |
Quelle:
Technik | Energie, 16.08.2011
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2011 - Schöne Aussichten erschienen.
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