Wüste(n) Visionen - Masdar City
Erste Öko-Stadt der Welt entsteht in Abu Dhabi
Staubig ist es und glühend heiß. Aber daran scheint sich die Armada von Bauarbeitern, Handwerkern, Technikern und Bauingenieuren gewöhnt zu haben. Pro Schicht schuften hier mehr als 3.000 Arbeitskräfte. Drei Schichten täglich, also rund um die Uhr, wird hier an diesem Wüstentraum gearbeitet. Sieben Tage die Woche. Denn es geht um ein ehrgeiziges Projekt: Masdar City soll die erste Öko-Stadt der Welt werden. Das Modellprojekt gibt sich selbstbewusst: "Eines Tages werden alle Städte so gebaut werden", behauptet der Slogan dieser Unternehmung. An die 50.000 Menschen sollen hier schließlich permanent auf sechs Quadratkilometern wohnen, arbeiten, forschen und gute Geschäfte mit Cleantech und vor allem mit erneuerbaren Energien machen. Die ersten Bewohner wollen bereits in diesem Sommer einziehen.
Masdar City, die Öko-Modellstadt in Abu Dhabi, möchte nicht nur im nachhaltigen Städtebau Maßstäbe setzen, sondern auch weltweit im Business mit Cleantech. Wir haben unsere Redakteure Christoph Santner und Maximilian Heinz für Sie in die Wüste geschickt.
Vom Schwarzen Gold zum unendlichen Sonnengold
Was bewegt den Erdöl-Exporteur Abu Dhabi, nun ein Exempel in erneuerbaren Energien zu statuieren? Man weiß, dass das Schwarze Gold endlich ist. Alles nur eine Frage der Zeit. Trotzdem will man auch dann, wenn die Öl- und Erdgasquellen versiegen, den Spitzenplatz im Energiesektor behalten. Deshalb arbeitet man fieberhaft daran, das heiße Gold, die Sonnenkraft, in nutzbare Energie zu verwandeln - und in Geld. Erste Photovoltaikanlagen sind bereits errichtet und speisen Strom in das Netz von Abu Dhabi ein. Masdar stellt sich damit den beiden vermutlich größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Dem Klimawandel und der rasant wachsenden Nachfrage nach Rohstoffen und Energie. "Wir von Masdar sind davon überzeugt, dass wir ganz praktisch Führerschaft in diesen Themen übernehmen werden, indem wir zeigen, was heute alles getan werden kann und wie man es ganz konkret macht", sagt Dr. Sultan Ahmed Al Jaber, der selbstbewusste CEO der Masdar Initiative, und er fährt fort: "Das ist ein ambitioniertes Ziel, aber wir sind davon überzeugt, dass wir es auch erreichen können".
Die Stadt soll ihren Energiebedarf kompromisslos ausschließlich aus erneuerbaren Quellen decken. Sie soll CO2-neutral sein und so gut wie keinen Abfall produzieren - alles wird recycliert. Damit hat man schon jetzt
in der Bauphase begonnen: Nicht mehr benötigte Holzverschalungen zum Beispiel werden geschreddert und dienen zum Humusaufbau in den Gartenanlagen. Diese wiederum werden bewässert aus Entsalzungsanlagen, die rein solarbetrieben errichtet werden. Und insgesamt, so die ehrgeizige Vorgabe, soll es nur noch einen Energieaufwand von 25 Prozent pro Kopf, verglichen mit dem heutigen Verbrauch in Abu Dhabi, geben. Das offizielle Ziel, die grünste Stadt der Welt zu werden, klingt so überzeugend, dass WWF und BioRegional bereits heute Masdar City in ihr "One Planet Living Community"-Programm aufgenommen haben.
Auch die Schweizer gehen in die Wüste
Unter großer internationaler Beachtung wurde das Projekt "Masdar" 2006 aus der Taufe gehoben. Es geht dabei nicht nur darum, diese Modell-Stadt aufzubauen, die 22 Milliarden Dollar kosten soll. Das ganze Emirat am persischen Golf hat sich dem langfristigen Ziel verschrieben, innovative Cleantech-Firmen anzuziehen und neue zu gründen. Rund 1.500 Unternehmen aus der ganzen Welt wollen sich mittlerweile in Masdar City ansiedeln, davon rund 100 aus der Schweiz. So wird es ein eigenes "Swiss Village" geben. Ein weiterer Coup war die Gründung des Masdar Institute of Science and Technology, das eng mit dem renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technology) kooperiert. 2009 hat der erste Studiengang für Post-Graduierte mit 85 Studenten aus der ganzen Welt begonnen. Die ersten Patente wurden bereits entwickelt. Die Institute und Studentenwohnheime werden bereits im Sommer 2010 bezogen. Während rundum noch gebaut wird, forschen die jungen Wissenschaftler nicht nur im Labor. Die ganze, täglich wachsende Stadt ist dann ein einziges, großes Laboratorium, in dem angewandte Wissenschaft studiert, verwirklicht und weiterentwickelt wird. "Wir haben hier eine Weltklasse-Fakultät aufgebaut und zielen darauf ab, die klügsten Köpfe der Welt anzuziehen", gibt sich Prof. Dr. John Perkins, der Rektor des Masdar Institutes, selbstbewusst.
Prof. Perkins beweist, dass Wissenschaft und Wirtschaft in Masdar Hand in Hand gehen: Eines der größten Projekte, an denen gearbeitet wird, bezieht sich auf die Entwicklung von Bio-Treibstoffen. Die ehrgeizige Initiative besteht aus dem Masdar Institute, Boeing, Honeywell und Etihad. Diese offizielle Fluglinie Abu Dhabis will ihren Teil dazu beitragen, das ehrgeizige Ziel des Emirates zu erreichen: Bis 2020 mindestens sieben Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu generieren. Im konkreten Fall werden Integrated Seawater Agriculture Systems (ISAS) aufgebaut. Neben den bereits bestehenden Mangrovenwäldern an der Küste soll vor allem Salicornia angepflanzt werden. Dieses Salzwassergewächs gilt als geeignet, um daraus Biokraftstoff zu gewinnen. Ein Pionier dieser Technologie, Dr. Carl Hodges von Global Seawater Inc., berät das Projekt. Damit es schließlich gelingt, die Boeing-Maschinen von Etihad künftig mit Bio-Kerosin zu fliegen.
Big Business mit erneuerbarer Energie
Natürlich steht ein cleveres Business- Modell hinter diesem Engagement. Die Masdar Initiative hält staatliche Förderprogramme und Risiko-Kapital bereit, um Projekte und Firmen in Masdar City aufzubauen. In einem eigenen Cleantech-Fund engagieren sich jedoch u.a. auch Credit Suisse, Siemens Venture Capital und die Consensus Business Group. So ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Kommerzialisierung neuer Erfi ndungen, an denen die Masdar Initiative dann beteiligt ist, Geld in die Kassen des Emirates spült. Der Sinn für's Geschäft und der Handel mit begehrten Gütern haben eine lange Tradition in den Vereinigten Arabischen Emiraten. So ist die Masdar Initiative ein Schlüssel zur Vision der Emirate, eine Quelle für Energie, Wissen und Innovation zu werden. "Wir wollen ganz einfach ein globales Center für Cleantech und erneuerbare Energien werden", sagt Ahmed Ali Al Sayyegh, der Vorsitzende der Masdar Initiative.
Ein globales Center für Business ist man heute schon. Masdar bedeutet "Quelle" auf arabisch. Und diese permanent sprudelnde Quelle für gewinnbringende Greentech-Lösungen wird systematisch und mit Weitblick aufgebaut. Eine Reihe von Maßnahmen unterstreicht den Ernst, mit dem Abu Dhabi den Fokus auf Cleantech setzt: Im Januar 2010 fand zum dritten Mal der World Future Energy Summit statt. Rund 200 renommierte Referenten aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie Staatspräsidenten und Minister aus der ganzen Welt skizzierten die Zukunft der erneuerbaren Energien. Aus Deutschland u.a. Dr. Hans-Jörg Bullinger, der Präsident der Fraunhofer- Gesellschaft, der an gemeinsamen Projekten mit Masdar City arbeitet, sowie CEOs und Vorstände von Siemens, Eon, Deutsche Bank, BASF, Bayer oder Schott Solar. Sie alle und weitere 600 Firmen, die beim Goldrush auf die erneuerbaren Energien dabei sein möchten, präsentierten ihre Firmen auf Messeständen in zehn Hallen des neuen Ausstellungszentrums Abu Dhabis. Gemessen an der Anzahl der Aussteller kommt Deutschland nach den arabischen Firmen noch auf Platz zwei, bereits dicht gefolgt von China. Doch das Wettrennen um die Zukunft hat eben erst begonnen.
So sagt auch Roland Berger, der Grand Seigneur der deutschen Strategieberater mit eigenem Offi ce in Abu Dhabi: "In diesem Bereich waren wir in Deutschland mal ganz vorne, aber die Welt holt rasant auf. Die Konkurrenz wächst. Wir sollten vor allem die Amerikaner nicht unterschätzen, die ganz massiv dabei sind, ihre Green Technologies zu entwickeln, Obama fördert sie ja auch. Da bleibt uns keine Zeit zum Ausruhen. Wir wissen, dass gerade auch die Chinesen sehr stark sind in der Solartechnologie, auch da laufen sie uns von der Kosten- und Effizienzseite den Rang ab." Und Berger, der sowohl die deutsche, als auch die globale Wirtschaft wie kaum jemand anderer kennt, fährt fort: "Wir sind in einem gnadenlosen weltweiten Wettbewerb. Aber was diese Region hier so spannend macht: Es gibt viel Geld, und damit erwirbt man weltweites Knowhow. Hier streitet sich die ganze Welt um die arabischen Investitionsmittel. Deutschland darf hier seine Chancen nicht verschlafen!"
Deshalb waren kritische Beobachter aus dem Cleantech-Lager auch nicht erfreut, dass Abu Dhabi neben den enormen Anstrengungen in Sachen erneuerbare Energien für den nach wie vor rasant steigenden Energiebedarf noch einen zweiten Weg beschreitet: Atomkraft. So wie US-Präsident Obama neuerdings auf diese Technologie setzt, macht es auch Abu Dhabi. Die Vereinigten Arabischen Emirate betrauten im Februar ein von der Korea Electric Power Corporation (KEPCO) angeführtes Konsortium mit dem Bau von vier Reaktoren, die jeweils eine Leistung von 1.400 Megawatt haben. Wert des Auftrages: 20 Milliarden Dollar. Die Südkoreaner haben zudem gute Chancen auf Anschlussaufträge im Wert von weiteren 20 Milliarden Dollar. Damit stachen die Asiaten den amerikanischen Konzern General Electric und den französischen Nuklear-Riesen Areva aus. "Dieses Geschäft ist das größte Mega-Projekt in der koreanischen Geschichte", teilte das Büro des südkoreanischen Staatspräsidenten Lee Myung Bak mit.
"Warum soll uns verwehrt sein, was ihr in den USA und Europa seit Jahrzehnten praktiziert?", antwortet der Chef der Masdar Initiative, Dr. Sultan Ahmed Al Jaber, seinen Kritikern. Er wurde letztes Jahr von UNO Generalsekretär Ban Ki Moon in die UN-Beratergruppe für Energie und Klimawandel berufen.
Masdar - Utopie oder Holzweg?
Es ist also noch ein weiter Weg zum wirklichen Öko-Musterland. Es dauert noch, bis sich alle Bauvorhaben des Emirates dem grünen Gedanken unterordnen. Obwohl die Öko-Architektur des Masdar-Masterminds Sir Norman Foster bereits Schule macht und auf mehr und mehr Gebäude der Manhattan-gleichen Skyline Abu Dhabis abfärbt. Foster, der renommierte Doyen der britischen Architektenszene, entwarf mit seinem Büro den Masterplan für die grüne Wüstenstadt.
Einerseits orientiert sich Foster dabei an traditionellen arabischen Lösungen: Die Schatten spendenden und kühlen engen Gassen bilden zusammen mit Gärten und Parkanlagen die Grundelemente der Stadt. Die Luftzirkulation im Schatten bildet eine natürliche Klimaanlage. Darüber hinaus soll die bewährte lokale Idee der Kühlung durch Windtürme in modernisierter Form aufleben: Einige große Gebäude werden um riesige "Modern Wind Towers" herum gruppiert, kombiniert mit verschiedenen ökologischen Energiegewinnungstechniken.
Der Verkehr wird weitgehend in den Untergrund verbannt - und auch dort gibt es nur futuristische Elektrofahrzeuge. Sie haben weder Lenkrad noch Brems- und Gaspedal: Über einen Touchscreen gibt man das Ziel ein. Wie von Geisterhand bewegt, fährt das Elektroauto dann von selbst an den gewünschten Ort. Die ersten Fahrzeuge sind heute schon im Einsatz. Der Erfinder und Betreiber dieses futuristischen Konzepts ist die niederländische Firma 2getthere. Geschäftsführer Carel van Helsdingen gibt sich visionär: "Die Städte der Zukunft werden diese Art von vollautomatischen Fahrzeug- und Verkehrssystemen haben. Das Auto funktioniert wie Ihr persönliches automatisches Taxi on demand und bringt sie genau dort hin, wo sie wollen. Einer der großen Vorteile neben der Energiebilanz: Sie brauchen keinen Parkplatz für Ihr Auto, da es eben wie ein Taxi immer verfügbar ist".
Masara Y. Alameri ist Verkehrsspezialistin in der Stadtplanung von Masdar City. Sie treibt den Aufbau dieses Personal-Rapid-Transit-Netzes voran, das hier weltweit erstmals realisiert wird: "Das Beste daran: Diese automatischen Fahrzeuge werden ohne Chauffeur und mit Solarstrom betrieben. Doch zusätzlich bauen wir diese Stadt sehr fußgänger- und fahrradfreundlich auf. Sie werden hier jede Menge Fahrräder und Tricycles sehen."
Traditionelle Benziner bleiben auf Parkplätzen draußen vor den Toren der Stadt. Von dort führen neben den Elektroautos auch Straßenbahnen und eine Schnellbahn zu den wichtigsten Plätzen. Die Stadt soll trotz der neuesten Technologie, die in ihr steckt, vertraut und menschlich wirken - hat sie doch die Aufgabe, Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Nationen einen attraktiven Lebensraum zu bieten. Da spielt auch die Moschee neben verschiedensten Cafés, Restaurants und Öko-Hotels als Ort der Begegnung eine zentrale Rolle.
Labor zur Weltveränderung
Wenn hier von Nachhaltigkeit geredet wird, geht es nicht nur um technische und ökonomische Dimensionen. Der soziale Aspekt wird sehr ernst genommen, blicken doch die Augen der Welt auf dieses Vorzeigeprojekt. Die Direktorin für Nachhaltigkeit ist Dr. Nawal Al-Hosany. Für sie ist Masdar City ein zentrales Pilotprojekt für unseren Planeten: "Wir bauen ja hier nicht nur ein Modellprojekt auf, sondern vor allem neues Wissen, das der ganzen Welt dienen soll. So geht es uns sehr stark auch um das richtige Bewusstsein und um soziale Nachhaltigkeit für alle Beteiligten. Wir wollen nicht nur saubere Luft und höchstmögliche Lebensqualität, sondern vor allem eine menschengerechte Stadt errichten, die fußgängerfreundlich ist und Orte für die Gemeinschaftsbildung bereit hält. Diversität ist dabei ein großes Ziel - wir wollen ja eine Lösung für die Menschen aus allen Kulturen schaffen."
Die engagierte Direktorin hat nicht nur ihren Doktor in Sustainable Architecture gemacht, sondern in Harvard auch Innovationsstrategie studiert. Denn Ideen ohne die Kraft, sie auch umzusetzen, bleiben heiße Luft. Und dass Projekte oft nicht an der technischen Umsetzung scheitern, sondern an den "weichen", zwischenmenschlichen Faktoren, weiß sie: "Das ist natürlich eine große Herausforderung. Wir haben lokale und internationale Studien angestellt, um herauszufinden, wie sich Menschen verschiedenster Kulturen wirklich als aktiver Teil dieses einen Modells begreifen und gemeinsam an unseren Zielen arbeiten können. Ich muss sagen: Alles was bisher läuft, ist extrem ermutigend. Es handelt sich hier ja um ein wirkliches Pionier-Projekt, wo wir das meiste erst selbst erfinden müssen. Wir lernen täglich dazu. Doch was heißt täglich - stündlich! Es ist unglaublich, was hier alles geschieht, und es ist ein großes Privileg, hier mit dabei sein zu dürfen".
Nachhaltigkeit für alle ist das Motto. Auch für die Bauarbeiter, die meist aus Indien, Pakistan und Bangladesch kommen. Über die schlechten Arbeitsbedingungen, die viele von ihnen in den Emiraten vorfinden, wird heute oft berichtet. Besonders im benachbarten Dubai, das sich noch stärker als Abu Dhabi auf Immobiliengeschäfte konzentrierte, sitzen jetzt viele asiatische Bauarbeiter nach dem Ende des Booms wie Strandgut fest. Gerade auch hier will die Öko-Stadt einen Unterschied machen: Die Baufirmen haben klare Richtlinien unterschrieben, wie sie die Arbeiter zu behandeln haben: Klimaanlagen in den Unterkünften, gesundheitliche Versorgung und geregelte Arbeitszeiten sind garantierte und kontrollierte Minimalstandards. Dass ein Arbeiter im Schnitt hier fünf bis zehn Mal so viel verdient, wie zu Hause in Bangladesch, macht die Jobs immer noch sehr begehrt.
Die Zukunft auf dem Prüfstand
"Wir können nur das predigen, was wir auch praktizieren", sagt Khaled Awad, der charismatische Entwicklungsdirektor von Masdar. "Es geht uns darum, in allen Bereichen den höchstmöglichen Lebensstandard zu realisieren - aber mit dem niedrigsten Umwelt-Fußabdruck. Wir demonstrieren, wie ein "Greenprint" heute aussehen kann - CO2-neutral und ohne Abfall".
Technik, die hier zum Einsatz kommt, muss zuerst auf den Prüfstand. So werden zum Beispiel die Solaranlagen von 45 Anbietern getestet, um die besten Systeme zu identifizieren. Sieben deutsche Firmen sind mit dabei. Aber auch Gebäudetechnologien kommen zum Einsatz, die speziell für und mit Masdar entwickelt werden. Groß im Geschäft ist etwa Siemens Building Automation. Deren CEO Andreas Schierenbeck berichtet: "Unsere konkrete Vision für eine nachhaltige Zukunft hier in Abu Dhabi ist das Zusammenspiel eines Smart Grids mit Smart Buildings und Smart Consumption. Die Herausforderung besteht darin, dass wir intelligente Gebäude errichten, die den Strom dann nutzen und speichern, wenn er zur Verfügung steht. Denn was machen Sie in der Nacht, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht? Wie sollen da trotzdem Licht, Kühlung und E-Cars laufen?"
Aber es sind nicht nur die globalen Player, die in Masdar punkten können. Sogar kleine Projekte aus der Region finden hier einen Inkubator, in dem sie wachsen können. Der solarbetriebene Wüsten-Rollstuhl ist ein konkretes Beispiel. Er ist die Erfindung eines Körperbehinderten. Haider Talib Erabeh demonstrierte seinen Prototypen, den er in Kooperation mit der Masdar Initiative nun weiterentwickelt, auf dem World Future Energy Summit. Einmal aufgeladen, fährt der solarbetriebene Rollstuhl sechs Stunden lang mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h. Dass die Solarpanels in der Gluthitze zusätzlich ein Dach bilden und Schatten spenden, ergibt absolut Sinn. Der querschnittgelähmte Erfinder bewältigte mittlerweile auch den Dauertest: Er fuhr 170 km von seiner Heimatstadt Sharjah nach Abu Dhabi und erntete damit großes Echo in der Presse.
Hauptberuflich ist Haider Talib Erabeh General Manager des Al Thiqah Projects in Sharjah. Dort leben und arbeiten 300 körperbehinderte Menschen. Er stellte für sie ein Reha-Programm auf die Beine und kümmert sich um Arbeitsplätze. Sollte er nun auch noch Investoren finden, möchte er seinen Solar-Rollstuhl in Serie fertigen. Das wird ihm wohl gelingen - denn bisher ließ sich der energische Erfinder von nichts stoppen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen Markt dafür gibt. Dass wir für die nächste Entwicklungsstufe meiner Erfindung mit Masdar kooperieren, gibt mir zusätzlich Sicherheit und Selbstvertrauen, dass dieses Projekt ein Erfolg wird".
Big Business CO2-Handel - ein wüstes Schurkenstück?
Globale Unternehmen wie Eon kooperieren im großen Stil mit Masdar. Im konkreten Fall werden Windparks aufgebaut. Und auch das Thema Carbon Storage wird mit der Masdar Initiative vorangetrieben. "Dieses Projekt ist eine einzigartige Gelegenheit für uns, den Bereich der erneuerbaren Energien weiter auszubauen", sagt Frederic Boeuf, Regionaldirektor bei Eon, der eben ein Joint Venture mit eingefädelt hat. Der Name dieses neuen Entwicklungsunternehmens für CO2-Projekte heißt EMIC (E.on Masdar Integrated Carbon) und hat nun seinen Sitz in Masdar City. Schwerpunkt des neuen Joint Ventures ist die Entwicklung von Projekten zur Reduktion des Kohlendioxidausstoßes vor allem im Nahen Osten, in Asien und Afrika. Dabei wird die Emissionsreduzierung, die sich aus der Verbesserung der Energieeffizienz von Industrieanlagen ergibt, in Kapital umgewandelt. Denn der globale CO2-Markt hat in den vergangenen Jahren ein starkes Wachstum verzeichnet: Nach dem 68-prozentigen Anstieg des globalen Handelsvolumens im Jahr 2008 wurde 2009 ein Umsatz von 168 Milliarden Dollar erzielt. So erstaunt es nicht, dass Eon selbst nach Angaben Frederic Boeufs acht Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investiert, um an diesem großen Kuchen mitzunaschen.
Kritiker bemängeln eine Milchmädchenrechnung bei dem Konzept einer CO2-neutralen Ökostadt wie Masdar City: Die Stadt soll u.a. auch über den Clean Development Mechanism finanziert werden. Diese Prozedur ist im Kyoto-Protokoll vorgesehen und beschrieben. Dies bedeutet, dass die eingesparten Treibhausgas-Emissionen Masdars als so genannte Certified Emissions Reductions zertifiziert und verkauft werden. Der Käufer darf dann die Emissionen seinerseits emittieren. Zur Berechnung der Reduktion wird eine Stadt angenommen, wie sie in dieser Region "normalerweise" gebaut würde. Auf Grund des hohen Treibhausgasausstoßes der Region winken durch die Differenz zu Masdar City also satte Gewinne. Ist Big Business in Masdar also nur für Global Players möglich? Einer, der viel vor Ort ist und seine eigenen Erfahrungen gemacht hat, ist Prof. Manfred Norbert Fisch. Er unterrichtet Energieeffizientes Bauen und Solartechnik an der TU Braunschweig und ist in seinem Fachgebiet ein ausgewiesener Experte. In Masdar City und Abu Dhabi hat er Energiekonzepte erstellt und für bestehende Gebäude die entsprechenden Energiekennzahlen erhoben. Sein Befund ist niederschmetternd: Die rund 500 Wohn- und Bürotürme, die in den letzten Jahren errichtet wurden, haben im Schnitt einen zehnmal höheren Energieverbrauch als vergleichbare Gebäude in Deutschland. "Sie müssten dort in ihrem Bestand nur um den Faktor 2 runterkommen mit ihrem Energieverbrauch - das würde locker mehr einsparen, als Masdar City je erreichen kann."
Prof. Fisch ist um klare Worte nicht verlegen: Für kleine und mittelständische Unternehmen aus Deutschland ist es nicht so einfach, in Abu Dhabi Fuß zu fassen. "Verträge durchzuarbeiten und zu unterschreiben, die 2-3 cm dick sind, das können große amerikanische Firmen mit ihren Rechtsabteilungen, aber nicht wir", bekennt er gerade heraus. "Und da hat auch unsere Politik versagt: Während dort ständig große amerikanische Delegationen vor Ort sind, sehen Sie da von offizieller deutscher Seite nicht viel." Die Konsequenzen, die er für sich und seine EGS-plan Ingenieurgesellschaft in Stuttgart zieht: "Meine Message ist klar: Wir müssen 100 Masdar Citys in Deutschland bauen - modellhafte Städte und Stadtquartiere. Die paar Plusenergie-Gebäude und Fabriken, die ich plane, sind zu wenig, wenn man bedenkt, dass sich irgendwann zwischen 2040 und 2050 Erdöl und Erdgas erschöpfen. Die Chancen, die jetzt etwa in Berlin Tempelhof und Tegel entstehen, die gilt es zu nutzen."
Masdar Citys in Deutschland? Kann das eine Vision sein? In einem Land, das träge geworden ist und in dem Visionen oft an politischen Vorgaben scheitern? Wie sieht Roland Berger den Vergleich zwischen Abu Dhabi und Deutschland? Er denkt kurz nach und sagt: "Hier in den Emiraten hat man die Chance und die Notwendigkeit, alles von Grund auf aufzubauen, da kann man natürlich auch eine neue Stadt konzipieren. Was mich eher traurig macht ist, dass wir in Deutschland nicht auf die Idee gekommen sind, solche Städte beim Aufbau Ost und in den verschiedenen wachsenden Regionen der Welt zu errichten, etwa auch in Afrika oder Lateinamerika. Mit deutschem Know-how und deutschem Investitionsgeld hätten wir solche Städte mit aufbauen können. Das erachte ich als Versäumnis. Und wir könnten ja auch bei uns selbst in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren eine Modellstadt komplett auf 'green' und Energie-Effizienz umstrukturieren." Bleibt zu hoffen, dass es mit grüner Technologie nicht so endet wie mit dem Computer oder dem Fax - erfunden in Deutschland, zum Geschäftserfolg gemacht in den USA oder Japan. Noch mischt Deutschland im Wettlauf um das große grüne Geschäft mit. Aber wie lange noch? Ende des Jahres 2010 präsentiert sich Masdar City in Deutschland. Für heimische Firmen und auch die Politik wird das eine Chance, sich ein Beispiel zu nehmen - wie man mit Visionen und Tatkraft sogar in der Wüste blühende Gärten und prosperierende Öko-Städte baut.
www.masdar.ae
IRENA und die Kraft weiblicher Visionen
Hélène Pelosse ist die neu gekürte Generaldirektorin von IRENA , der international renewable energy Agency. Mittlerweile sind dieser globalen initiative 143 Nationen beigetreten. die Vision ist klar: erneuerbare Energien sollen so schnell wie möglich weltweit die traditionellen Energiequellen ersetzen. IRENA unterstützt diesen Prozess auf politischer und ökonomischer Ebene, berät Nationen im Prozess der Umstellung und baut ein Center of excellence auf, das als Informations- und Wissensbasis dient. Dabei hat Hélène Pelosse nicht nur die Umstellung in den Industrienationen im Auge: ihr liegen gerade auch die 1,6 Milliarden Menschen am Herzen, die bis heute keinen Zugang zu Elektrizität haben, obwohl im Januar 2009 in Deutschland gegründet, schlägt irenA nun das Hauptquartier in Masdar City auf. Abu Dhabi hat also auch hier das Rennen gemacht - unter anderem mit der Zusage, IRENA bis 2015 jährlich mit 13,7 Millionen Dollar zu unterstützen. vor ort interviewten wir die rührige französische Visionärin. sie ist die Enkelin einer der ersten französischen Ökologinnen und Umweltpolitikerinnen. Die 40-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin wurde in Montreal geboren. Sie war andelsbeauftragte des französischen Premierministers und verantwortlich für internationale Belange im Ministerium für Ökologie, Energie und nachhaltige Entwicklung. 2007 war sie während der deutschen Euratspräsidentschaft Beraterin im Büro von Angela Merkel. sie ist stolz darauf, mit IRENA künftig einen wichtigen Part in Masdar City zu spielen. "Wir müssen der Welt zeigen, dass wir ganz einfach alles ändern müssen, wirklich alles. Heute sind Städte für 80 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Wie können wir diesen Wert auf null Prozent bekommen? Masdar macht eines vor: es stellt sich diesem Traum und verwandelt ihn in eine neue Realität. Wir zeigen hier, dass dieses große Ziel erreichbar ist." Hélène Pelosse hat aber nicht nur die Vision, die 18 Prozent der globalen Energie, die heute aus erneuerbaren Quellen kommen, dramatisch nach oben zu fahren. "Als Frau und Mutter von drei Kindern bin ich davon überzeugt, dass wir langfristige Visionen brauchen. Wir müssen uns der Zukunft stellen - in allen Bereichen. Meine Großmutter war eine der ersten Ökologinnen Frankreichs. ich schulde ihr das versprechen, IRENA mit 50 Prozent Frauen zu besetzen. Hier werde ich mit gutem Beispiel voran gehen."
Masdar City, die Öko-Modellstadt in Abu Dhabi, möchte nicht nur im nachhaltigen Städtebau Maßstäbe setzen, sondern auch weltweit im Business mit Cleantech. Wir haben unsere Redakteure Christoph Santner und Maximilian Heinz für Sie in die Wüste geschickt.
Vom Schwarzen Gold zum unendlichen Sonnengold
Herzstück von Masdar City wird das Masdar Institute of Science and Technology. Schon jetzt wurden erste Cleantech-Patente entwickelt.Foto: © Masdar |
Die Stadt soll ihren Energiebedarf kompromisslos ausschließlich aus erneuerbaren Quellen decken. Sie soll CO2-neutral sein und so gut wie keinen Abfall produzieren - alles wird recycliert. Damit hat man schon jetzt
in der Bauphase begonnen: Nicht mehr benötigte Holzverschalungen zum Beispiel werden geschreddert und dienen zum Humusaufbau in den Gartenanlagen. Diese wiederum werden bewässert aus Entsalzungsanlagen, die rein solarbetrieben errichtet werden. Und insgesamt, so die ehrgeizige Vorgabe, soll es nur noch einen Energieaufwand von 25 Prozent pro Kopf, verglichen mit dem heutigen Verbrauch in Abu Dhabi, geben. Das offizielle Ziel, die grünste Stadt der Welt zu werden, klingt so überzeugend, dass WWF und BioRegional bereits heute Masdar City in ihr "One Planet Living Community"-Programm aufgenommen haben.
Auch die Schweizer gehen in die Wüste
Unter großer internationaler Beachtung wurde das Projekt "Masdar" 2006 aus der Taufe gehoben. Es geht dabei nicht nur darum, diese Modell-Stadt aufzubauen, die 22 Milliarden Dollar kosten soll. Das ganze Emirat am persischen Golf hat sich dem langfristigen Ziel verschrieben, innovative Cleantech-Firmen anzuziehen und neue zu gründen. Rund 1.500 Unternehmen aus der ganzen Welt wollen sich mittlerweile in Masdar City ansiedeln, davon rund 100 aus der Schweiz. So wird es ein eigenes "Swiss Village" geben. Ein weiterer Coup war die Gründung des Masdar Institute of Science and Technology, das eng mit dem renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technology) kooperiert. 2009 hat der erste Studiengang für Post-Graduierte mit 85 Studenten aus der ganzen Welt begonnen. Die ersten Patente wurden bereits entwickelt. Die Institute und Studentenwohnheime werden bereits im Sommer 2010 bezogen. Während rundum noch gebaut wird, forschen die jungen Wissenschaftler nicht nur im Labor. Die ganze, täglich wachsende Stadt ist dann ein einziges, großes Laboratorium, in dem angewandte Wissenschaft studiert, verwirklicht und weiterentwickelt wird. "Wir haben hier eine Weltklasse-Fakultät aufgebaut und zielen darauf ab, die klügsten Köpfe der Welt anzuziehen", gibt sich Prof. Dr. John Perkins, der Rektor des Masdar Institutes, selbstbewusst.
Prof. Perkins beweist, dass Wissenschaft und Wirtschaft in Masdar Hand in Hand gehen: Eines der größten Projekte, an denen gearbeitet wird, bezieht sich auf die Entwicklung von Bio-Treibstoffen. Die ehrgeizige Initiative besteht aus dem Masdar Institute, Boeing, Honeywell und Etihad. Diese offizielle Fluglinie Abu Dhabis will ihren Teil dazu beitragen, das ehrgeizige Ziel des Emirates zu erreichen: Bis 2020 mindestens sieben Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu generieren. Im konkreten Fall werden Integrated Seawater Agriculture Systems (ISAS) aufgebaut. Neben den bereits bestehenden Mangrovenwäldern an der Küste soll vor allem Salicornia angepflanzt werden. Dieses Salzwassergewächs gilt als geeignet, um daraus Biokraftstoff zu gewinnen. Ein Pionier dieser Technologie, Dr. Carl Hodges von Global Seawater Inc., berät das Projekt. Damit es schließlich gelingt, die Boeing-Maschinen von Etihad künftig mit Bio-Kerosin zu fliegen.
Big Business mit erneuerbarer Energie
Natürlich steht ein cleveres Business- Modell hinter diesem Engagement. Die Masdar Initiative hält staatliche Förderprogramme und Risiko-Kapital bereit, um Projekte und Firmen in Masdar City aufzubauen. In einem eigenen Cleantech-Fund engagieren sich jedoch u.a. auch Credit Suisse, Siemens Venture Capital und die Consensus Business Group. So ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Kommerzialisierung neuer Erfi ndungen, an denen die Masdar Initiative dann beteiligt ist, Geld in die Kassen des Emirates spült. Der Sinn für's Geschäft und der Handel mit begehrten Gütern haben eine lange Tradition in den Vereinigten Arabischen Emiraten. So ist die Masdar Initiative ein Schlüssel zur Vision der Emirate, eine Quelle für Energie, Wissen und Innovation zu werden. "Wir wollen ganz einfach ein globales Center für Cleantech und erneuerbare Energien werden", sagt Ahmed Ali Al Sayyegh, der Vorsitzende der Masdar Initiative.
Ein globales Center für Business ist man heute schon. Masdar bedeutet "Quelle" auf arabisch. Und diese permanent sprudelnde Quelle für gewinnbringende Greentech-Lösungen wird systematisch und mit Weitblick aufgebaut. Eine Reihe von Maßnahmen unterstreicht den Ernst, mit dem Abu Dhabi den Fokus auf Cleantech setzt: Im Januar 2010 fand zum dritten Mal der World Future Energy Summit statt. Rund 200 renommierte Referenten aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie Staatspräsidenten und Minister aus der ganzen Welt skizzierten die Zukunft der erneuerbaren Energien. Aus Deutschland u.a. Dr. Hans-Jörg Bullinger, der Präsident der Fraunhofer- Gesellschaft, der an gemeinsamen Projekten mit Masdar City arbeitet, sowie CEOs und Vorstände von Siemens, Eon, Deutsche Bank, BASF, Bayer oder Schott Solar. Sie alle und weitere 600 Firmen, die beim Goldrush auf die erneuerbaren Energien dabei sein möchten, präsentierten ihre Firmen auf Messeständen in zehn Hallen des neuen Ausstellungszentrums Abu Dhabis. Gemessen an der Anzahl der Aussteller kommt Deutschland nach den arabischen Firmen noch auf Platz zwei, bereits dicht gefolgt von China. Doch das Wettrennen um die Zukunft hat eben erst begonnen.
Prof. Roland Berger vor Ort im Gespräch mit Christoph Santner, der für forum Nachhaltig Wirtschaften beispielhafte Initiativen vor Ort untersucht. Der Zukunftsmacher, Autor und Redner organisiert |
Deshalb waren kritische Beobachter aus dem Cleantech-Lager auch nicht erfreut, dass Abu Dhabi neben den enormen Anstrengungen in Sachen erneuerbare Energien für den nach wie vor rasant steigenden Energiebedarf noch einen zweiten Weg beschreitet: Atomkraft. So wie US-Präsident Obama neuerdings auf diese Technologie setzt, macht es auch Abu Dhabi. Die Vereinigten Arabischen Emirate betrauten im Februar ein von der Korea Electric Power Corporation (KEPCO) angeführtes Konsortium mit dem Bau von vier Reaktoren, die jeweils eine Leistung von 1.400 Megawatt haben. Wert des Auftrages: 20 Milliarden Dollar. Die Südkoreaner haben zudem gute Chancen auf Anschlussaufträge im Wert von weiteren 20 Milliarden Dollar. Damit stachen die Asiaten den amerikanischen Konzern General Electric und den französischen Nuklear-Riesen Areva aus. "Dieses Geschäft ist das größte Mega-Projekt in der koreanischen Geschichte", teilte das Büro des südkoreanischen Staatspräsidenten Lee Myung Bak mit.
"Warum soll uns verwehrt sein, was ihr in den USA und Europa seit Jahrzehnten praktiziert?", antwortet der Chef der Masdar Initiative, Dr. Sultan Ahmed Al Jaber, seinen Kritikern. Er wurde letztes Jahr von UNO Generalsekretär Ban Ki Moon in die UN-Beratergruppe für Energie und Klimawandel berufen.
Masdar - Utopie oder Holzweg?
Es ist also noch ein weiter Weg zum wirklichen Öko-Musterland. Es dauert noch, bis sich alle Bauvorhaben des Emirates dem grünen Gedanken unterordnen. Obwohl die Öko-Architektur des Masdar-Masterminds Sir Norman Foster bereits Schule macht und auf mehr und mehr Gebäude der Manhattan-gleichen Skyline Abu Dhabis abfärbt. Foster, der renommierte Doyen der britischen Architektenszene, entwarf mit seinem Büro den Masterplan für die grüne Wüstenstadt.
Einerseits orientiert sich Foster dabei an traditionellen arabischen Lösungen: Die Schatten spendenden und kühlen engen Gassen bilden zusammen mit Gärten und Parkanlagen die Grundelemente der Stadt. Die Luftzirkulation im Schatten bildet eine natürliche Klimaanlage. Darüber hinaus soll die bewährte lokale Idee der Kühlung durch Windtürme in modernisierter Form aufleben: Einige große Gebäude werden um riesige "Modern Wind Towers" herum gruppiert, kombiniert mit verschiedenen ökologischen Energiegewinnungstechniken.
Der Verkehr wird weitgehend in den Untergrund verbannt - und auch dort gibt es nur futuristische Elektrofahrzeuge. Sie haben weder Lenkrad noch Brems- und Gaspedal: Über einen Touchscreen gibt man das Ziel ein. Wie von Geisterhand bewegt, fährt das Elektroauto dann von selbst an den gewünschten Ort. Die ersten Fahrzeuge sind heute schon im Einsatz. Der Erfinder und Betreiber dieses futuristischen Konzepts ist die niederländische Firma 2getthere. Geschäftsführer Carel van Helsdingen gibt sich visionär: "Die Städte der Zukunft werden diese Art von vollautomatischen Fahrzeug- und Verkehrssystemen haben. Das Auto funktioniert wie Ihr persönliches automatisches Taxi on demand und bringt sie genau dort hin, wo sie wollen. Einer der großen Vorteile neben der Energiebilanz: Sie brauchen keinen Parkplatz für Ihr Auto, da es eben wie ein Taxi immer verfügbar ist".
Masara Y. Alameri ist Verkehrsspezialistin in der Stadtplanung von Masdar City. Sie treibt den Aufbau dieses Personal-Rapid-Transit-Netzes voran, das hier weltweit erstmals realisiert wird: "Das Beste daran: Diese automatischen Fahrzeuge werden ohne Chauffeur und mit Solarstrom betrieben. Doch zusätzlich bauen wir diese Stadt sehr fußgänger- und fahrradfreundlich auf. Sie werden hier jede Menge Fahrräder und Tricycles sehen."
Traditionelle Benziner bleiben auf Parkplätzen draußen vor den Toren der Stadt. Von dort führen neben den Elektroautos auch Straßenbahnen und eine Schnellbahn zu den wichtigsten Plätzen. Die Stadt soll trotz der neuesten Technologie, die in ihr steckt, vertraut und menschlich wirken - hat sie doch die Aufgabe, Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Nationen einen attraktiven Lebensraum zu bieten. Da spielt auch die Moschee neben verschiedensten Cafés, Restaurants und Öko-Hotels als Ort der Begegnung eine zentrale Rolle.
Labor zur Weltveränderung
Wenn hier von Nachhaltigkeit geredet wird, geht es nicht nur um technische und ökonomische Dimensionen. Der soziale Aspekt wird sehr ernst genommen, blicken doch die Augen der Welt auf dieses Vorzeigeprojekt. Die Direktorin für Nachhaltigkeit ist Dr. Nawal Al-Hosany. Für sie ist Masdar City ein zentrales Pilotprojekt für unseren Planeten: "Wir bauen ja hier nicht nur ein Modellprojekt auf, sondern vor allem neues Wissen, das der ganzen Welt dienen soll. So geht es uns sehr stark auch um das richtige Bewusstsein und um soziale Nachhaltigkeit für alle Beteiligten. Wir wollen nicht nur saubere Luft und höchstmögliche Lebensqualität, sondern vor allem eine menschengerechte Stadt errichten, die fußgängerfreundlich ist und Orte für die Gemeinschaftsbildung bereit hält. Diversität ist dabei ein großes Ziel - wir wollen ja eine Lösung für die Menschen aus allen Kulturen schaffen."
Die engagierte Direktorin hat nicht nur ihren Doktor in Sustainable Architecture gemacht, sondern in Harvard auch Innovationsstrategie studiert. Denn Ideen ohne die Kraft, sie auch umzusetzen, bleiben heiße Luft. Und dass Projekte oft nicht an der technischen Umsetzung scheitern, sondern an den "weichen", zwischenmenschlichen Faktoren, weiß sie: "Das ist natürlich eine große Herausforderung. Wir haben lokale und internationale Studien angestellt, um herauszufinden, wie sich Menschen verschiedenster Kulturen wirklich als aktiver Teil dieses einen Modells begreifen und gemeinsam an unseren Zielen arbeiten können. Ich muss sagen: Alles was bisher läuft, ist extrem ermutigend. Es handelt sich hier ja um ein wirkliches Pionier-Projekt, wo wir das meiste erst selbst erfinden müssen. Wir lernen täglich dazu. Doch was heißt täglich - stündlich! Es ist unglaublich, was hier alles geschieht, und es ist ein großes Privileg, hier mit dabei sein zu dürfen".
Nachhaltigkeit für alle ist das Motto. Auch für die Bauarbeiter, die meist aus Indien, Pakistan und Bangladesch kommen. Über die schlechten Arbeitsbedingungen, die viele von ihnen in den Emiraten vorfinden, wird heute oft berichtet. Besonders im benachbarten Dubai, das sich noch stärker als Abu Dhabi auf Immobiliengeschäfte konzentrierte, sitzen jetzt viele asiatische Bauarbeiter nach dem Ende des Booms wie Strandgut fest. Gerade auch hier will die Öko-Stadt einen Unterschied machen: Die Baufirmen haben klare Richtlinien unterschrieben, wie sie die Arbeiter zu behandeln haben: Klimaanlagen in den Unterkünften, gesundheitliche Versorgung und geregelte Arbeitszeiten sind garantierte und kontrollierte Minimalstandards. Dass ein Arbeiter im Schnitt hier fünf bis zehn Mal so viel verdient, wie zu Hause in Bangladesch, macht die Jobs immer noch sehr begehrt.
Die Zukunft auf dem Prüfstand
"Wir können nur das predigen, was wir auch praktizieren", sagt Khaled Awad, der charismatische Entwicklungsdirektor von Masdar. "Es geht uns darum, in allen Bereichen den höchstmöglichen Lebensstandard zu realisieren - aber mit dem niedrigsten Umwelt-Fußabdruck. Wir demonstrieren, wie ein "Greenprint" heute aussehen kann - CO2-neutral und ohne Abfall".
Technik, die hier zum Einsatz kommt, muss zuerst auf den Prüfstand. So werden zum Beispiel die Solaranlagen von 45 Anbietern getestet, um die besten Systeme zu identifizieren. Sieben deutsche Firmen sind mit dabei. Aber auch Gebäudetechnologien kommen zum Einsatz, die speziell für und mit Masdar entwickelt werden. Groß im Geschäft ist etwa Siemens Building Automation. Deren CEO Andreas Schierenbeck berichtet: "Unsere konkrete Vision für eine nachhaltige Zukunft hier in Abu Dhabi ist das Zusammenspiel eines Smart Grids mit Smart Buildings und Smart Consumption. Die Herausforderung besteht darin, dass wir intelligente Gebäude errichten, die den Strom dann nutzen und speichern, wenn er zur Verfügung steht. Denn was machen Sie in der Nacht, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht? Wie sollen da trotzdem Licht, Kühlung und E-Cars laufen?"
Aber es sind nicht nur die globalen Player, die in Masdar punkten können. Sogar kleine Projekte aus der Region finden hier einen Inkubator, in dem sie wachsen können. Der solarbetriebene Wüsten-Rollstuhl ist ein konkretes Beispiel. Er ist die Erfindung eines Körperbehinderten. Haider Talib Erabeh demonstrierte seinen Prototypen, den er in Kooperation mit der Masdar Initiative nun weiterentwickelt, auf dem World Future Energy Summit. Einmal aufgeladen, fährt der solarbetriebene Rollstuhl sechs Stunden lang mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h. Dass die Solarpanels in der Gluthitze zusätzlich ein Dach bilden und Schatten spenden, ergibt absolut Sinn. Der querschnittgelähmte Erfinder bewältigte mittlerweile auch den Dauertest: Er fuhr 170 km von seiner Heimatstadt Sharjah nach Abu Dhabi und erntete damit großes Echo in der Presse.
Hauptberuflich ist Haider Talib Erabeh General Manager des Al Thiqah Projects in Sharjah. Dort leben und arbeiten 300 körperbehinderte Menschen. Er stellte für sie ein Reha-Programm auf die Beine und kümmert sich um Arbeitsplätze. Sollte er nun auch noch Investoren finden, möchte er seinen Solar-Rollstuhl in Serie fertigen. Das wird ihm wohl gelingen - denn bisher ließ sich der energische Erfinder von nichts stoppen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen Markt dafür gibt. Dass wir für die nächste Entwicklungsstufe meiner Erfindung mit Masdar kooperieren, gibt mir zusätzlich Sicherheit und Selbstvertrauen, dass dieses Projekt ein Erfolg wird".
Big Business CO2-Handel - ein wüstes Schurkenstück?
Globale Unternehmen wie Eon kooperieren im großen Stil mit Masdar. Im konkreten Fall werden Windparks aufgebaut. Und auch das Thema Carbon Storage wird mit der Masdar Initiative vorangetrieben. "Dieses Projekt ist eine einzigartige Gelegenheit für uns, den Bereich der erneuerbaren Energien weiter auszubauen", sagt Frederic Boeuf, Regionaldirektor bei Eon, der eben ein Joint Venture mit eingefädelt hat. Der Name dieses neuen Entwicklungsunternehmens für CO2-Projekte heißt EMIC (E.on Masdar Integrated Carbon) und hat nun seinen Sitz in Masdar City. Schwerpunkt des neuen Joint Ventures ist die Entwicklung von Projekten zur Reduktion des Kohlendioxidausstoßes vor allem im Nahen Osten, in Asien und Afrika. Dabei wird die Emissionsreduzierung, die sich aus der Verbesserung der Energieeffizienz von Industrieanlagen ergibt, in Kapital umgewandelt. Denn der globale CO2-Markt hat in den vergangenen Jahren ein starkes Wachstum verzeichnet: Nach dem 68-prozentigen Anstieg des globalen Handelsvolumens im Jahr 2008 wurde 2009 ein Umsatz von 168 Milliarden Dollar erzielt. So erstaunt es nicht, dass Eon selbst nach Angaben Frederic Boeufs acht Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investiert, um an diesem großen Kuchen mitzunaschen.
Kritiker bemängeln eine Milchmädchenrechnung bei dem Konzept einer CO2-neutralen Ökostadt wie Masdar City: Die Stadt soll u.a. auch über den Clean Development Mechanism finanziert werden. Diese Prozedur ist im Kyoto-Protokoll vorgesehen und beschrieben. Dies bedeutet, dass die eingesparten Treibhausgas-Emissionen Masdars als so genannte Certified Emissions Reductions zertifiziert und verkauft werden. Der Käufer darf dann die Emissionen seinerseits emittieren. Zur Berechnung der Reduktion wird eine Stadt angenommen, wie sie in dieser Region "normalerweise" gebaut würde. Auf Grund des hohen Treibhausgasausstoßes der Region winken durch die Differenz zu Masdar City also satte Gewinne. Ist Big Business in Masdar also nur für Global Players möglich? Einer, der viel vor Ort ist und seine eigenen Erfahrungen gemacht hat, ist Prof. Manfred Norbert Fisch. Er unterrichtet Energieeffizientes Bauen und Solartechnik an der TU Braunschweig und ist in seinem Fachgebiet ein ausgewiesener Experte. In Masdar City und Abu Dhabi hat er Energiekonzepte erstellt und für bestehende Gebäude die entsprechenden Energiekennzahlen erhoben. Sein Befund ist niederschmetternd: Die rund 500 Wohn- und Bürotürme, die in den letzten Jahren errichtet wurden, haben im Schnitt einen zehnmal höheren Energieverbrauch als vergleichbare Gebäude in Deutschland. "Sie müssten dort in ihrem Bestand nur um den Faktor 2 runterkommen mit ihrem Energieverbrauch - das würde locker mehr einsparen, als Masdar City je erreichen kann."
Prof. Fisch ist um klare Worte nicht verlegen: Für kleine und mittelständische Unternehmen aus Deutschland ist es nicht so einfach, in Abu Dhabi Fuß zu fassen. "Verträge durchzuarbeiten und zu unterschreiben, die 2-3 cm dick sind, das können große amerikanische Firmen mit ihren Rechtsabteilungen, aber nicht wir", bekennt er gerade heraus. "Und da hat auch unsere Politik versagt: Während dort ständig große amerikanische Delegationen vor Ort sind, sehen Sie da von offizieller deutscher Seite nicht viel." Die Konsequenzen, die er für sich und seine EGS-plan Ingenieurgesellschaft in Stuttgart zieht: "Meine Message ist klar: Wir müssen 100 Masdar Citys in Deutschland bauen - modellhafte Städte und Stadtquartiere. Die paar Plusenergie-Gebäude und Fabriken, die ich plane, sind zu wenig, wenn man bedenkt, dass sich irgendwann zwischen 2040 und 2050 Erdöl und Erdgas erschöpfen. Die Chancen, die jetzt etwa in Berlin Tempelhof und Tegel entstehen, die gilt es zu nutzen."
Masdar Citys in Deutschland? Kann das eine Vision sein? In einem Land, das träge geworden ist und in dem Visionen oft an politischen Vorgaben scheitern? Wie sieht Roland Berger den Vergleich zwischen Abu Dhabi und Deutschland? Er denkt kurz nach und sagt: "Hier in den Emiraten hat man die Chance und die Notwendigkeit, alles von Grund auf aufzubauen, da kann man natürlich auch eine neue Stadt konzipieren. Was mich eher traurig macht ist, dass wir in Deutschland nicht auf die Idee gekommen sind, solche Städte beim Aufbau Ost und in den verschiedenen wachsenden Regionen der Welt zu errichten, etwa auch in Afrika oder Lateinamerika. Mit deutschem Know-how und deutschem Investitionsgeld hätten wir solche Städte mit aufbauen können. Das erachte ich als Versäumnis. Und wir könnten ja auch bei uns selbst in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren eine Modellstadt komplett auf 'green' und Energie-Effizienz umstrukturieren." Bleibt zu hoffen, dass es mit grüner Technologie nicht so endet wie mit dem Computer oder dem Fax - erfunden in Deutschland, zum Geschäftserfolg gemacht in den USA oder Japan. Noch mischt Deutschland im Wettlauf um das große grüne Geschäft mit. Aber wie lange noch? Ende des Jahres 2010 präsentiert sich Masdar City in Deutschland. Für heimische Firmen und auch die Politik wird das eine Chance, sich ein Beispiel zu nehmen - wie man mit Visionen und Tatkraft sogar in der Wüste blühende Gärten und prosperierende Öko-Städte baut.
www.masdar.ae
IRENA und die Kraft weiblicher Visionen
Auch IRENA-Chefin Hélène Pelosse steuert ihre Aktivitäten in 142 Ländern künftig von Masdar City aus. Foto: © Maximilian Heinz |
Quelle:
Gesellschaft | Green Cities, 12.05.2010
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2010 - Cleantech erschienen.
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