Die Philosophie des Geldes

Welche Investitionen zählen wirklich?

Vor über 100 Jahren kam ein spannendes Buch auf den Markt, das angesichts der heutigen Hilflosigkeit in der Finanzwelt sehr interessante - wirtschaftliche wie gesellschaftliche - Beobachtungen zusammenführt und dennoch von kaum jemandem so richtig zur Kenntnis genommen wurde: die "Philosophie des Geldes" von Georg Simmel.

Der Kulturphilosoph und Soziologe schrieb dieses Buch in der Überzeugung, dass "Geld" ein gesellschaftliches Phänomen sei, dem viel zu wenig Bedeutung beigemessen würde. Er beschreibt es als den "Generalnenner aller Werte", als einen neuen Maßstab, der die Frage nach dem "Wieviel?" zur Leitlinie des gesellschaftlichen Handelns hat werden lassen. Aber was eigentlich ist Geld? Es ist ein Mittel, um Waren und Dienstleistungen in ein Verhältnis zu setzen, das sie berechen- und kontrollierbar macht - auch um sie möglicherweise einfach nur (aufzu-)bewahren. Nicht mehr und nicht weniger. Um dauerhaft Werte zu schaffen, muss es jedoch im Unternehmensalltag um weit mehr gehen als um Geld.

Durch den Wechsel von einer Tausch zu einer Geldwirtschaft wird es leichter, Waren, denen wir einen bestimmten Wert zusprechen, auf einen Preis festzulegen. Dieser Preis wird allerdings weniger von einem absoluten Wert, sondern durch die wenig berechenbare Entwicklung von Angebot und Nachfrage bestimmt. Was also schon beim morgendlichen Gang zum Bäcker passiert, ist, dass wir der Welt ein Raster zugrunde legen, von dem wir mittlerweile vergessen zu haben scheinen, dass es eine rein menschliche Erfindung ist. Das Geld dient allein dazu, Dinge in Zahlen beschreibbar zu machen, aber von dieser rein deskriptiven Funktion haben wir uns längst entfernt. Wie der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau bereits kritisierte, verwechseln die meisten von uns den Wert einer Sache mit dem Preis, den wir ihr aufgeklebt haben. Und wir lassen sogar den Umkehrschluss zu: Was nichts kostet, ist nichts wert.

Verhängnisvolle Doppelrolle
Manche Dinge lassen sich bekanntermaßen nicht direkt in Geld messen und diese Unterscheidung geht weit über die banale Weisheit von Kalenderblättern hinaus. Georg Simmel beschreibt das Geld als den Gipfel eines rein wirtschaftlichen Wertes, der nichts mit sozialen Werten gemein hat und haben darf, sich aber in unserer Zeit dazu entwickelt. Damit bekommt das Geld eine Doppelrolle, die bedeutet, dass es zugleich objektiver Maßstab der materiellen Werte als auch ein eigener Wert an sich sein soll: "(...) die Doppelrolle des Geldes ist, daß es einerseits die Wertverhältnisse der austauschenden Waren untereinander mißt, andererseits aber selbst in den Austausch mit ihnen eintritt und so selbst eine zu messende Größe darstellt; denn nicht nur wird (...) das Geld selbst mit Geld bezahlt, was das reine Geldgeschäft und die zinsbare Anleihe ausdrücken, sondern das Geld des einen Landes wird (...) zum Wertmesser für das Geld des anderen. Das Geld gehört also zu denjenigen normierenden Vorstellungen, die sich selbst unter die Norm beugen, die sie selbst sind."

Das ursprüngliche Mittel "Geld" ist zum (Selbst-)Zweck geworden. Es ist keine Strukturhilfe mehr, mit der wir Vielfalt und Unterschiedlichkeit in ein praktisches Verhältnis setzen, sondern selbst zum Ziel der eigenen Bemühungen geworden. Für bestimmte langfristige Ziele und Sicherheiten ist die eigentliche Verwahrung des Geldes natürlich weiterhin sinnvoll und notwendig. Aber häufig ist der dahinterstehende Grund der Wunsch nach einer Steigerung des Sozial-, des Imagekapitals - ein Anliegen, das eben aus der beschriebenen Doppelrolle des Geldes entsteht. Wir stehen nicht als Persönlichkeit da, nicht als Vertreter einer Idee oder einer Überzeugung, sondern als "Verwalter eines Budgets", das den (sozialen) Wert der eigenen Person steigern soll. Und dies gilt ganz genauso für gesellschaftliche Kollektive und Unternehmen.

Irrationale Gewinnmaximierung
Das heißt: Unternehmerische Gewinnmaximierung als Selbstzweck (!) vernachlässigt die Gestaltung der eigentlichen Unternehmenswerte: Es sichert sie eben gerade nicht. Vielfach werden Firmen gegründet, nicht weil der Gründer seine Idee für besonders klug oder bereichernd hält, sondern weil er denkt, dass sie sich zu "Geld machen" lässt. Das ist meist der Anreiz und wir halten ihn oft genug für plausibel und selbstverständlich. Dennoch steckt eine Auffassung von Geld dahinter, die bedenkenswert und alles andere als selbstverständlich ist. Denn auch hier gilt: Trotz aller Beteuerungen hat ein solches Handeln nichts mit dem Erhalt der eigenen Existenz oder der anderer zu tun. Es geht nicht um nüchterne Bilanzen oder harte Fakten, sondern um einen Erfolg, der sich irgendwie in Geld sichtbar machen lässt. Der Wunsch nach diesem "Mehr" ist in höchstem Maße irrational und emotional - und möglicherweise durch Geld gar nicht zu erfüllen. Eine Vermischung beziehungsweise Verwechslung, die sich weit besser nutzen ließe, wenn man sich auch in Finanzkreisen nicht immer dagegen wehrte, sondern diesem Gedanken einmal den nötigen Raum ließe. Jeder Student der Betriebswirtschaftslehre lernt beziehungsweise stellt nicht in Frage, dass das Erreichen des (finanziellen) Maximums auch gleichzeitig das (wirtschaftliche) Optimum ist. Das ist vollständiger Unsinn.

Organisches Optimum oder mögliches Maximum?
Wenn wir uns organische Prozesse einmal anschauen - denn auch die Wirtschaft ist Teil eines größeren Organismus -, dann gibt es einen bestimmten Wachstumsgrad, in dem ein einzelner Organismus sein Optimum erreicht hat, um langfristig stabil und sinnvoll zu agieren und zu operieren. Wir arbeiten zwar in allen möglichen Bereichen daran, dieses Optimum zu verschieben, aber wenn man sich Bereiche wie die Landwirtschaft ansieht, wird der Ertrag zwar maximiert, die Lebensdauer der Kühe etwa aber sinkt. Damit sind wir bei der Frage, warum sich diese Verschiebung in unserer Wirtschaftsordnung durchsetzen konnte. Was ist daran erstrebenswert? Das, was dadurch erreicht wird, ist der kurzfristige finanzielle Erfolg weniger Einzelpersonen. Allerdings zeigt sich auch hier: Ab einer bestimmten Grenze verschwindet sogar bei diesen Wenigen die "Gier" nach dem reinen Geld: Es geht auch ihnen nicht um einen Geldspeicher à la Dagobert Duck, sondern um die Wertsteigerung des eigenen "Imagekapitals", wie der Philosoph Peter Sloterdijk in einem Interview jüngst anmerkte. Seine Beobachtung sehr wohlhabender Menschen habe ergeben, dass sich die vielleicht ursprüngliche Gier irgendwann in "Stolz" verwandele und das Geld dann nur dafür eingesetzt werde, um die eigene Person beziehungsweise die eigenen Werte für eine Steigerung von Anerkennung und Image zu nutzen.

Wert und Werte durch Wertschätzung
Nun stellt sich die Frage sowohl für Privatpersonen wie auch für Unternehmen, ja, sogar Banken, die es mit nichts anderem zu tun haben als Geld: Lässt sich diese Schleife nicht vermeiden? Kann es nicht gelingen, den menschlichen Wunsch nach "sinnvoller" Steigerung des eigenen Wertes auch ohne das Fundament eines rein monetären Feldzuges zu erfüllen? Also: Wie können wir unterscheiden, wann es tatsächlich um Geld gehen muss, um bestimmte Werte abzusichern, und wann es aber eben gerade diese Werte selbst sind, die wir zu thematisieren haben, um das wirtschaftliche Optimum zu stabilisieren? Zunächst ist es notwendig, auch andere Methoden der "Wertschätzung" zuzulassen, um den Austausch von Gütern oder Dienstleistungen als Kapitalleistung anzuerkennen. Damit erschließen sich völlig neue Dimensionen im Umgang mit dem sogenannten "Human Capital" - also den Fähigkeiten und Kompetenzen von Menschen. Wie kann Wissen und Erfahrung grenzüberschreitend genutzt werden?

Wenn Auszubildende beispielsweise eine Mentorenrolle für Oberstufenschüler übernehmen, dann gewinnt das Unternehmen als Ganzes, ohne dass wirklich viel Geld investiert werden müsste, das sonst auch in Trainings oder die Entwicklung von Führungsnachwuchs gesteckt würde. Ähnlich sieht es aus, wenn die Erfahrung von älteren Mitarbeitern in anderen Kontexten eingesetzt wird: Ob als Berater für Existenzgründer oder Begleiter für junge Mitarbeiter, hier entsteht eine Wertschätzung des eigenen Wissens schon allein dadurch, dass es gebraucht und nicht auf dem Sondermüll für "altes Eisen" entsorgt wird. Es lassen sich eine Vielzahl solcher Modelle nutzen, die allerdings eines gemeinsam haben: Die Investition, die sie erfolgreich machen, ist selten Geld, sondern drei Qualitäten, die in vielen Unternehmen leider zur Mangelware geworden sind: Mut, Zeit und das Vertrauen, dass es nicht allein die fi nanziellen Werte sind, die unternehmerischen Erfolg ausmachen - einen Erfolg, der sich letztendlich sogar wieder in Bilanzen und Umsatzzahlen darstellen lässt.



Dr. Ina Schmidt ist Kulturwissenschaftlerin und Philosophin, außerdem Inhaberin der denkraeume, einer Beratungspraxis zur Anwendung philosophischer Denkansätze für Unternehmen (Schwerpunkt CSR und Leadership) und Einzelpersonen. ina.schmidt@denkraeume.net www.denkraeume.net


Carl-Ernst Müller ist Bank- und Diplomkaufmann. Als Inhaber der Unternehmensberatung Carl-Ernst Müller - Nachhaltigkeitsmanagement führt er 15 Jahre Berufserfahrung aus der hypoVereinsbank Gruppe und der pro Natur GmbH zusammen und bietet Produkte und Beratungsdienstleistungen an, die auf seinem Studienschwerpunkt an der Universität Lüneburg, dem Nachhaltigkeitsmanagement, basieren. cem@cemueller.de www.cemueller.de

Quelle:
Lifestyle | Geld & Investment, 20.11.2009

     
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