Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.03.2025
Lieferkettengesetz: Fortschritt oder Rückschlag?
Wie das Lieferkettengesetz Unternehmen nachhaltiger macht – und warum ein Aussetzen fatale Folgen hätte
Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) und rund um die Bundestagswahl flammt die Diskussion über dessen Sinnhaftigkeit erneut auf. Während einige Kritiker das Gesetz als überbordende Bürokratie bezeichnen, zeichnet eine aktuelle Studie von IntegrityNext und dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) ein anderes Bild: Das LkSG treibt nicht nur die Transparenz in Lieferketten voran, sondern wird von vielen Unternehmen als strategisches Instrument für nachhaltiges Wirtschaften genutzt. Nick Heine, CCO von IntegrityNext, liefert dazu klare Einschätzungen.

Die Studie liefert erstmals fundierte Einblicke von Unternehmen, die seit 2024 den Anforderungen des LkSG unterliegen – und zeigt: Das Gesetz entfaltet weit über den gesetzlichen Rahmen hinaus Wirkung. Obwohl ein Drittel der befragten Unternehmen nicht direkt dem Gesetz unterliegt, setzen 81 Prozent von ihnen die Anforderungen freiwillig um. Hauptgründe dafür sind die Vorbereitung auf die kommende EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), die von 71 Prozent der Unternehmen als wichtiger Treiber genannt wird, sowie der steigende Druck von Kundenseite (65%). Diese Entwicklung verdeutlicht: Nachhaltigkeit ist längst mehr als eine regulatorische Pflicht. Sie ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, der Unternehmen die Chance bietet, globale Lieferketten transparenter, fairer und nachhaltiger zu gestalten.
Fortschritte in der Umsetzung: Digitalisierung als Schlüssel
Unternehmen, die seit 2023 den Anforderungen des LkSG unterliegen, berichten von deutlichen Fortschritten. Besonders auffällig ist der Einsatz digitaler Lösungen: 85 Prozent der Großunternehmen setzen auf Software und Automatisierung, primär von Drittanbietern, um die Einhaltung der Sorgfaltspflichten effizient zu überwachen. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden) liegt dieser Anteil bei 40 Prozent, was auf unterschiedliche Ressourcenverfügbarkeit hinweist. Hier besteht also noch Nachholbedarf. Digitale Lösungen sind der Motor für eine effektive Umsetzung des LkSG. Sie helfen nicht nur, Risiken frühzeitig zu erkennen und zu managen, sondern schaffen auch die notwendigen Einblicke in komplexen Lieferketten-Strukturen.
Nachhaltigkeit als Hebel für die Zukunft
Für 69 Prozent der Großunternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden sind Lieferketten ein entscheidender Hebel für mehr Nachhaltigkeit. Gleichzeitig bleibt die Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg eine Herausforderung: 47 Prozent der Unternehmen geben an, unzureichende Kenntnisse über die Nachhaltigkeitsrisiken ihrer mittelbaren Lieferanten zu haben.
Trotz dieser Hürden sieht mehr als die Hälfte der Unternehmen das LkSG als Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsziele. Zu den größten positiven Effekten gehören erhöhte Transparenz (79%), Risikoprävention (68%) und die Unterstützung der eigenen Nachhaltigkeitsstrategien. Das LkSG wurde seit seiner Einführung vielfach kritisch hinterfragt, insbesondere hinsichtlich seiner praktischen Umsetzbarkeit und der Belastung für Unternehmen, doch die Ergebnisse zeigen, dass regulatorische Rahmenbedingungen nicht nur Herausforderungen mit sich bringen, sondern auch konkrete Fortschritte ermöglichen und einen wichtigen Beitrag zu verantwortungsvollem Wirtschaften leisten.
Langfristige Auswirkungen auf die Unternehmensstrategie
Das LkSG hat das Potenzial, tiefgreifende Veränderungen in Unternehmensstrukturen anzustoßen. 70 Prozent der befragten Unternehmen erwarten einen verstärkten Fokus auf Lieferkettenmanagement und -transparenz. 56 Prozent gehen davon aus, dass Nachhaltigkeit stärker in die Unternehmensstrategie integriert wird. Bereits heute passen 52 Prozent der Unternehmen ihre Ziele und KPIs an die neuen Anforderungen an.
Einige Unternehmen gehen sogar noch einen Schritt weiter und richten ihre Produkt- und Serviceportfolios grundlegend neu aus – mit weitreichenden Konsequenzen für die gesamte Lieferkette. Parallel dazu investieren sie verstärkt in digitale Lösungen, die eine effizientere Überwachung der Lieferketten ermöglichen. Diese Technologien setzen neue Standards für Transparenz und Effizienz und tragen dazu bei, die gestiegenen Anforderungen an Nachhaltigkeit und Sorgfaltspflichten zu erfüllen. 80 Prozent der Unternehmen setzen auf moderne Technologien, während explizite KI-Tools bislang von lediglich fünf Prozent der Befragten eingesetzt werden.
Fazit: Nachhaltigkeit als strategischer Imperativ
Die Studie von IntegrityNext zeigt deutlich: Das Lieferkettengesetz ist nicht nur eine regulatorische Pflicht, sondern ein Impulsgeber für nachhaltiges und verantwortungsvolles Wirtschaften. Unternehmen, die jetzt handeln, profitieren von besserer Übersicht, gestärkten Prozessen und einer optimalen Vorbereitung auf kommende EU-Richtlinien. Ein Aussetzen des Gesetzes würde nicht nur diese Fortschritte gefährden, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen schwächen. Denn Nachhaltigkeit und Transparenz sind längst keine rein regulatorischen Fragen mehr. Sie sind strategische Grundpfeiler für zukunftsfähiges Wirtschaften. Unternehmen, die dies erkennen, sichern sich nicht nur einen Wettbewerbsvorteil, sondern leisten auch einen wertvollen Beitrag zu global verantwortlichem Handeln.
Nick Heine ist Mitgründer und Chief Customer Officer von IntegrityNext und ein führender Experte für Nachhaltigkeit in der Lieferkette.
IntegrityNext bietet Software-Lösungen für nachhaltige Lieferketten. Seit 2016 nutzen Unternehmen die Plattform, um ESG-Vorgaben einzuhalten, Risiken zu minimieren und Themen wie Sorgfaltspflichten, Dekarbonisierung und Nachhaltigkeitsberichterstattung zu adressieren. Über 500 Kunden und 2 Millionen Lieferanten in 190 Ländern sind Teil des Netzwerks.
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