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Wenn Klimaschutz zum Verbrechen wird

Besorgniserregende Verurteilungen von gewaltfreien Klimaschützer*innen

Das Amtsgericht Nürnberg verurteilte die engagierte Klimaschützerin Dr. Maiken Winter wegen einer friedlichen Straßenblockade zu einer hohen Geldstrafe. Das Urteil sorgt für Empörung, wirft Fragen zur Gleichbehandlung vor Gericht auf und stellt den Schutz der Klimabewegung infrage. Ist ziviler Ungehorsam im Kampf gegen die Klimakrise kriminell? Ein Kommentar von forum-Kurator Hans-Josef Fell.
 © LeoSch, pixabay.com
Am letzten Freitag stand Dr. Maiken Winter mit anderen engagierten Menschen der Kirchenvernetzungsgruppe der ehemals „Letzten Generation" vor dem Amtsgericht Nürnberg. Sie wurden wegen Nötigung angeklagt. Der Grund für die Anklage: Eine kurzzeitige Straßenblockade, bei der sie sich am Nürnberger Hauptbahnhof friedlich auf die Straße setzten. Die Aktion war eingebettet in den Evangelischen Kirchentag im Juni 2023, bei dem an vielen Orten über Klimaschutz diskutiert wurde. Ihr Anliegen: Protest gegen die mangelhafte Klimapolitik in Deutschland. Ich kenne und schätze Maiken seit vielen Jahren als integre und engagierte Klimaschützerin.

Sie wurde schuldig gesprochen und zu 60 Tagessätzen verurteilt. Das entspricht zwei Monatsgehältern oder auch der Strafe bei schwerem Hausfriedensbruch.

Ich erachte dieses Urteil als nicht gerechtfertigt. Es besteht längst kein Zweifel mehr daran, dass sich die gesamte Menschheit aufgrund der rasant zunehmenden Erderhitzung in einem planetaren Notstand befindet. Mit jedem weiteren Tag unzureichenden Handelns von Gesellschaft und Politik verschärft sich die Lage – wie selbst UN-Generalsekretär Guterres unermüdlich betont.

Die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung sind sogar laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts unzureichend. Damit ist aus meiner Sicht höchstrichterlich belegt, dass alle rechtlichen Maßnahmen ausgeschöpft sind und somit die Voraussetzungen des § 34 StGB einen Freispruch vorliegen – insbesondere die Gegenwärtigkeit der Gefahr, die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Notstandshandlung sowie deren Angemessenheit.

Maiken berichtete mir nach dem Urteil, dass die Dringlichkeit der Klimakrise für den Fall als belanglos angesehen wurde. Es ging ausschließlich um das Recht der Autofahrer, Auto zu fahren – ein Recht, das jedoch im Gegensatz zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen keinen Verfassungsrang hat. Es ging nicht um unser aller Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, auf Eigentum und um den Schutz der Freiheiten kommender Generationen.

Das Unverständnis der Gerichte für die Klimanotlage zeigt sich auch darin, dass der Prozess – wie es wohl oft geschieht – vor einem Verkehrsgericht geführt wurde.

Maiken Winter:
„Ich stehe fassungslos vor diesem Ergebnis, tief erschüttert darüber, dass die Gerichtsbarkeit nicht unabhängig erscheint und sich nicht erlaubt, die klimatische Notlage anzuerkennen. Tief erschüttert darüber, dass all unser Einsatz, unsere ehrlichen, offenen, engagierten Reden die Mauer des Nicht-Wissen-Wollens nicht aufweichen konnten. Unfassbar ist auch, dass wir angeblich Gewalt ausgeübt haben sollen. Ist es Gewalt, wenn man friedlich auf der Straße sitzt und sich ohne Gegenwehr wegtragen lässt? Das Absurde war, dass ein Polizeivideo als Beweis für unsere ‚Gewalt‘ gezeigt wurde – ein Video, in dem in zwei Fällen Polizeigewalt zu sehen ist. Diese Aufnahmen verstören mich seit Tagen. Der Gewaltbegriff muss dringend klarer definiert werden.

Unsere Intention, die klimatische Notlage, unser gesamter Beitrag zur Gesellschaft, unser Glaube und unsere Weltanschauung – nichts davon zählte. Es war erschütternd und lässt mich traurig und sehr besorgt zurück. Wohin führt es, wenn diejenigen, die sich für Grundrechte einsetzen, als Straftäter verurteilt werden? Wir sind doch diejenigen, die besonders an den Staat und die Gerichtsbarkeit geglaubt haben. Dieser – wohl leider naive – Glaube ist nun gebrochen. Kann das die Intention des Staates sein?"

Auch andere Gerichtsurteile sind unverhältnismäßig hart
Mir liegt keine Übersicht über die Verurteilungen in ähnlichen Fällen vor, aber sie dürften wohl in die Hunderte gehen.

Krass ist die Aburteilung von Karl Braig, den ich ebenfalls als engagierten Klimaschützer kenne und schätze. Er wurde wegen einer kurzzeitigen, gewaltfreien Straßenblockade zu fünf Monaten Haft verurteilt. Die Beweggründe für seine Klimaaktivitäten beschreibt er auf seiner Internetseite. 

Ungleichbehandlung gegenüber Bauernprotesten
Tausende Bauern haben im letzten Winter mit Traktoren Straßen blockiert – meist nicht nur kurzzeitig wie Maiken Winter, sondern oft stundenlang. Aus meiner Sicht waren diese Straßenblockaden wesentlich gefährlicher als die der ehemals „Letzten Generation". Im Internet habe ich vergeblich nach Verurteilungen von Bauern gesucht, die im Prinzip dasselbe taten wie die Klimaschützer. Das Ziel der Bauernproteste war jedoch das genaue Gegenteil: Sie protestierten, um eine für alle Steuerzahler belastende Subvention für den fossilen Agrardiesel aufrechtzuerhalten. Damit setzten sie sich dafür ein, das Klima weiter aufheizen zu dürfen und den Klimanotstand zu verschärfen. Diese Tatsache wurde vom Anwalt einer der Angeklagten ausdrücklich thematisiert – blieb jedoch von der Richterin unkommentiert.

Eine Verurteilung eines Landwirts habe ich jedoch gefunden: Ein Traktorfahrer verletzte bei einer Straßenblockade sogar einen einschreitenden Polizisten. Doch während viele Mitglieder der „Letzten Generation" für kurzzeitige, gewaltfreie Straßensperrungen Gefängnisstrafen erhielten, bekam er keine Haftstrafe, sondern ein besonders mildes Urteil – selbst bei der Verletzung eines Polizisten! Die Geldstrafe von 3.000 Euro ist genauso hoch wie die von Maiken. Wo bleibt da die Gleichbehandlung vor Gericht?

Namhafte Persönlichkeiten reichten Stellungnahmen im Prozess von Maiken Winter ein
Hans-Josef Fell © EWGDas Gericht ließ alle eingereichten Stellungnahmen von herausragenden internationalen Persönlichkeiten nicht zu: So zum Beispiel von Prof. Hans-Joachim Schellnhuber, dem ehemaligen Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, der als direkter Berater von Ex-Kanzlerin Merkel bei den Verhandlungen zum Pariser Klimaschutzabkommen tätig war. Auch ich hatte vor Gericht einen Beweisantrag gestellt und für einen Freispruch plädiert. Lesen Sie hier meinen vollständigen vor Gericht eingebrachten Beweisantrag.
 
Siehe auch: 
Hans-Josef Fell ist forum-Kurator und war von 1998 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen. Als Mitautor des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) in Deutschland hat er maßgeblich zur Entwicklung von Photovoltaik, Biogas, Windkraft, Wasserkraft und Geothermie beigetragen und die Grundlage für eine nachhaltige Energiepolitik in über 60 Nationen gelegt. Heute ist er Initiator und Präsident der Energy Watch Group, einem Think Tank für Klimaschutz.

Unter "Der aktuelle Kommentar" stellen wir die Meinung engagierter Zeitgenossen vor und möchten damit unserer Rolle als forum zur gewaltfreien Begegnung unterschiedlicher Meinungen gerecht werden. Die Kommentare spiegeln deshalb nicht zwingend die Meinung der Redaktion wider, sondern laden ein zur Diskussion, Meinungsbildung und persönlichem Engagement. Wenn auch Sie einen Kommentar einbringen oder erwidern wollen, schreiben Sie an kommentar@forum-csr.net.

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