Warum ist Deutschland bei der Innovationskraft im weltweiten Vergleich zurückgefallen?
Christoph Quarch im forum-Interview
Einer jüngst veröffentlichten Studie zufolge ist Deutschland bei der Innovationskraft im weltweiten Vergleich um zwei Ränge zurückgefallen und belegt nun Platz 12. Die Top 10 der insgesamt 35 untersuchten Volkswirtschaften werden ausnahmslosen von kleineren Staaten belegt, Großbritannien, die USA und Frankreich liegen hinter Deutschland. Gute Note bekommt Deutschland vor allem in den Bereichen Forschung und Entwicklung. Mängel gibt es vor allem bei der Umsetzung des Wissens, besonders im Blick auf Produktions- und Energietechnologien. Die PS sind also da. Nur bekommen wir sie nicht auf die Straße? Warum? Ist Deutschland zu ängstlich? Sind wir zu konservativ? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, wie erklären Sie sich die Innovationsschwäche in unserem Land?
Ich bin eigentlich kein großer Fan von Spekulationen über kollektive nationale Charaktereigenschaften und dergleichen. Aber in diesem Fall ist schon auffällig, dass sich die Deutschen historisch gesehen nie sonderlich innovationsfreudig gezeigt haben. Ganz Unrecht hatte Lenin jedenfalls nicht, als er das Bonmot prägte: „Bevor die Deutschen einen Bahnhof stürmen, lösen sie eine Bahnsteigkarte". Und ich kann auch dem Satze eines niederländischen Kollegen etwas abgewinnen, der mir unlängst sagt: Die Deutschen fragen bei jeder Innovation „Why?", die Niederländer „Why not?" Was ich damit sagen will: Es gibt in unserem Land eine Mentalität des Bedenkentragens, Rückversicherns, Kontrollierens, die jeder Innovation und Transformation im Wege steht. Und diese Mentalität hat sich meines Erachtens in den letzten 20 Jahren flächendeckend ausgeweitet – sehr zum Schaden unserer Volkswirtschaft.
Auf der anderen Seite wird in unserem Land ein hohes Niveau bei Forschung und Entwicklung bescheinigt. Wie passt das zusammen?
In Wissenschaft und Technik sind Sorgfalt und Gründlichkeit die Garanten hoher Qualität – und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Tugenden dort hochgehalten werden. Es ist ein Umsetzungsproblem – und an diesem Punkt sind Wirtschaft und Politik in die Pflicht zu nehmen. Und zwar in dieser Reihenfolge. Aus irgendeinem Grund hat sich in unserem Diskurs die Idee durchgesetzt, wirtschaftliche Krisen wie derzeit bei Volkswagen seien durch die Politik verursacht. Dabei liegt es auf der Hand, dass es sich hier um die Folgen fataler Managementfehler handelt. Dass die AutomobilIndustrie es nicht hingekriegt hat, bei der Entwicklung der Elektromobilität an der Weltspitze zu stehen, liegt nicht an der Politik, sondern an mangelnder geistiger Flexibilität, um nicht zu sagen einem bärbeißigen Festhalten am Bewährten.
Mängel werden Deutschland vor allem bei der Umsetzung neuer Energietechnologien bescheinigt. Wie erklären Sie sich, dass es ausgerechnet in diesem Bereich hapert?
Das ist mir ein Rätsel. Deutschland war noch Anfang der 2000er Jahre ein weltweiter Vorreiter im Bereich ökologischer Zukunftstechnologien. Bei der letzten Bundestagswahl wären die Grünen um ein Haar stärkste Partei geworden. Und heute sind sie der Buhmann für alles, was Land schiefläuft, namentlich der Wirtschaftsminister, der unermüdlich für die Förderung genau der innovativen Technologien einsetzt, bei deren Umsetzung uns die größten Defizite bescheinigt werden. Und das liegt nicht an ihm, sondern an einer Opposition, die jede ökologische Innovation behindert – und eine anti-grüne Stimmung im Land verbreitet, die denen in die Hände spielt, die einen ängstlichen Konservativismus füttern. Das ist schlimm, denn für ein Technologieland wie Deutschland ist der Weg in eine prosperierende Zukunft grün.
Sie sagen: Die Politik allein kann man für die Innovationsschwäche nicht verantwortlich machen. Was muss geschehen, damit wir die deutsche Wirtschaft fit für die Zukunft bekommen?
Patentrezepte gibt es nicht. Hier geht es um einen Mentalitätswechsel und das ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist Vertrauen: Vertrauen in die Menschen, Vertrauen in Technologien, Vertrauen in die Politik. Anstelle einer Kultur des Vertrauens haben wir jedoch eine Kultur des Misstrauens geschaffen, in der Organisationen Unsummen fürs Controlling und umständliche Genehmigungsverfahren ausgeben – Geld, das man gut gebrauchen könnte, um Innovationen zu erproben: Why not? Und wir müssen diesen toxischen anti-ökologischen Affekt aus den Köpfen verbannen – ebenso die Fetischisierung überalterter Technologien wie Verbrennungsmotoren und Kernkraft. Das bringt uns nicht voran. Wir brauchen Mut und Zuversicht. Und wir haben allen Grund dazu, denn – wie die Studie zeigt - Deutschland hat ein großartiges Potenzial. Wir dürfen es nur nicht durch unsere Kleingeisterei verspielen.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Technik | Innovation, 21.09.2024
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