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Gewerbegebiete als Keimzellen der Nachhaltigkeit?

Das Konzept "Zero Emission"


© sxc.hu
Zero Emission ist ein Schlagwort, welches gegenwärtig von der Politik gerne gehört und von den Unternehmen schnell verstanden wird. Der Klimawandel zwingt zu intensiven Maßnahmen zur Reduzierung der treibhausrelevanten Emissionen. Erstmals fällt der Blick auch auf Gewerbe- und Industriegebiete als Einheit, die durch Kooperationen Energie einsparen und somit Emissionen verringern könnten. Zero Emission kann aber auch als Metapher verstanden werden für Emissionen im weitesten Sinne, also unerwünschten Nebenwirkungen des betrieblichen Handelns. Dann hat das Konzept der Zero Emission eine große Schnittmenge zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung.

Was Nachhaltigkeit in Gewerbegebieten bedeutet, hängt vom gewählten Nachhaltigkeitsverständnis ab. Meist wird bei dem Thema Nachhaltigkeit in Gewerbegebieten an die so genannte öko-industrielle Entwicklung gedacht. Dass der Begriff Nachhaltigkeit eigentlich nicht für Ökologie oder Umweltschutz steht, sondern für eine generelle Ressourcenperspektive, verhindert nicht, dass in der Praxis zumeist Umweltschutzfragen an erster Stelle stehen. Das Thema Umweltschutz in Gewerbegebieten ist indes schon wesentlich älter und an sich nur eine Teilmenge des Themas Nachhaltigkeit in Gewerbegebieten, das man auch unter dem Begriff Eco-Industrial Development und Eco-Industrial Parks kennt.

Entlastungen für die Umwelt

Seit 1994 werden in den USA Eco-Industrial Parks geplant und inzwischen versucht man weltweit, solche ökologisch orientierten Gewerbegebiete zu schaffen. Das "Ökologische" ist dabei sehr eng gefasst und orientiert sich vor allem an der Erfassung von Stoffströmen, der Steigerung der Öko- und Materialeffizienz sowie der Reduzierung von Verkehr. So sind Eco-Industrial Parks Gewerbegebiete, in denen die Unternehmen allein oder in Kooperation miteinander einen besonders hohen Umweltschutzstandard realisieren. Diese Standards zeigen sich in einer umweltfreundlichen Bauweise, in einer wassersparenden, energieeffizienten Produktionsweise, in einem gemeinsamen Abfallwirtschaftskonzept oder in besonderen Emissionsvermeidungsanstrengungen.

Die Attribute rund um "ökologische Gewerbegebiete" werden zuweilen sehr großzügig verwendet. Entlastungen für die Umwelt entstehen, wenn:
  • eine Vielzahl von Unternehmen bezüglich der Stoffströme vernetzt sind,

  • neben Recycling-Unternehmen auch Umwelttechnologiefirmen am Standort sind oder zumindest solche, die ökologische Produkte herstellen,

  • das Gewerbegebiet mehr bietet als einen Solarpark oder überwiegend "Green Buildings" genutzt werden.


Nachhaltiges Gewerbegebiet

Ein nachhaltiges Gewerbegebiet ist ein lokales oder interkommunales System freiwilliger, aber organisierter Kooperationen zwischen den verschiedenen Akteuren, die eine gemeinsame Vision einer nachhaltigen Sicherung der gemeinsamen ökonomischen, sozialen und ökologischen Ressourcenquellen teilen und die dafür bereit sind, kollidierende Interessen zu akzeptieren und in Aushandlungsprozessen zu bewältigen.

Derartige Standortfaktoren tragen sicherlich zu einer Reduzierung der Umwelteinwirkungen bei, stellen aber nur eine kleine Teilmenge des möglichen Engagements für Umweltschutz dar. Bei aller Schwierigkeit in der Umsetzung sollte die Idee eines öko-industriellen Parks anspruchsvollere Ziele in der Umweltentlastung beinhalten.

Darum sind Eco-Industrial Parks vom Leitbild des Kreislaufprozesses geprägt. Unsere Ökosysteme hatten jedoch Millionen von Jahren Zeit, um in einem Versuch-Irrtums-Prozess die heutigen effizienten Lösungen zu entwickeln. Dieses gemächliche Innovationstempo können wir uns nicht leisten, schon gar nicht in Anbetracht des Klimawandels oder der erforderlichen Geschwindigkeit selbst bei komplexen Produktionsprozessen - Stichwort hier: Time to Market.

Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft

Es gibt drei Gründe, warum das Leitbild der öko-industriellen Entwicklung eine Herausforderung darstellt:

1. In den meisten Branchen reicht der Marktdruck nicht aus, damit Unternehmen sich auf die großen Investitionen einlassen, die nötig sind, um Stoffströme im Kreislauf zu führen. Die Kunden honorieren selten das Engagement auf der Produktionsseite für mehr Umweltschutz.

2. Rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Unternehmen müssten sich auf eine enge strukturelle Kopplung ihrer Stoffströme einlassen, die ihnen sehr viel Planungs- und Gestaltungsautonomie nähme.

3. Ferner schließen die komplexen Produktionsprozesse mit ihren hohen Anforderungen an die Produktionsmaterialien die Versuch-Irrtums-Methode im Innovationsprozess aus.

Es gibt nur wenige Praxisbeispiele wie das Verwertungsnetzwerk Oldenburger Münsterland und die Città delle Langhe, wo die Bedingungen entsprechend günstig waren, dass sich Unternehmen tatsächlich auf eine öko-industrielle Entwicklung einließen, um durch Abstimmung ihrer Stoffströme Material und Energie zu sparen. So im Beispiel des Verwertungsnetzwerks Steiermark, wo Steinmetzbetriebe sich zusammenschlossen, um Granitrückstände zu sammeln, die auf Deponien gelagert wurden. Die Granitrückstände werden farblich getrennt und anschließend in verschiedene Korngrößen gebrochen, um so wieder in den Produktionsprozess eingebracht zu werden. Eine Lösung fand man in der Steiermark auch für Farbreste. Farbrestpulver aus der Trockenlackierung werden nicht mehr deponiert, sondern gesammelt und für die Grundlackierung in der Industrie oder eine innovative Farbgestaltung genutzt. Diese Beispiele belegen: Gewerbegebiete können Inseln effizienter Stoffströme sein. Jedoch tritt eine wirkliche Umweltentlastung nur ein, wenn diese Inseln eingebettet sind in ein nationales und internationales Zero-Emission-System. In einem solchen Industriesystem der Zukunft ließen sich vielfältige Probleme wie Arten- und Umweltschutz beziehungsweise des Klimawandels besser meistern. Prämisse dafür wäre jedoch, dass man sich strukturell völlig von der Durchflusswirtschaft, also Rohstoff - Produktion - Konsum - Abfall, verabschiedet und diese zur Kreislaufabfallwirtschaft Rohstoff - Verwertung - Rohstoff - Verwertung entwickelt.

Netzwerke und Symbiosen

Für die bisherigen Bemühungen in der Praxis, Stoff- und Energieströme zwischenbetrieblich zu koordinieren, haben sich die Begriffe Verwertungsnetzwerk oder industrielle Symbiose durchgesetzt. Sehr bekannt geworden sind die Industriesymbiose Kalundborg in Dänemark oder das Verwertungsnetzwerk Pfaffengrund bei Heidelberg.


Das Konzept der Industrial Ecology

Die zwei Lesarten des wissenschaftlichen Konzeptes der "Industrial Ecology":

1. Ökosystem als Vorbild
Ähnlich wie in Ökosystemen, wo die Stoffströme im Kreislauf fließen, soll in ökologischen Gewerbegebieten durch Netzwerke versucht werden, Produktionsabläufe so zu gestalten, dass Abfälle, sowie Zwischen- und Kuppelprodukte in hohem Maße die vormals ausschließlich verwendeten frischen Rohstoffe im Produktionsprozess ersetzen können. Eine vollständige Schließung der Stoff- und Energieströme nach dem idealtypischen Vorbild geschlossener Ökosysteme ist jedoch im Falle der Wirtschaft nicht möglich. Angestrebt wird gleichwohl nach der so genannten "3-V-Philosophie" eine gezielte Vermeidung, Verminderung und umweltverträgliche Verwertung von Abfällen.

2. Naturverträglichkeit als Maßstab
Die Abstimmung der Produktions- und Konsumprozesse der Menschheit mit den Eigengesetzlichkeiten der Natur lässt mehr Alternativen zu als von naturwissenschaftlicher Seite vermutet. Naturverträgliches Wirtschaften ist ein Instrument einer humanen Lebensweise und muss von der Seite der Humanität aus mit bewertet werden, nicht allein von der Seite der Ökologie aus. Nachhaltigkeit wird in dieser Lesart mit Umwelt- und Ressourcenschutz gleichgesetzt.

Verwertung in diesen Netzwerken bedeutet, dass Rückstände der Produktion anders verwertet werden als durch Entsorgung. Abfälle dienen als Rohstoffe für benachbarte Produktionsunternehmen. Die Einrichtung dieser Verwertungsnetzwerke setzt eine umfassende Kenntnis über Stoff- und Rückstandsströme voraus. Bei Neuplanungen von Gewerbegebieten können diese zu einer abgestimmten Ansiedlung von Unternehmen führen, wie es beispielsweise in der Industriesymbiose Kalundborg ab 1961 gelang.

Bei bestehenden Gewerbegebieten muss die Information über die laufenden Stoff- und Energieströme von außen geschaffen werden, um dann mögliche Kooperationspartner zu suchen. So haben in den Verwertungsnetzwerken Pfaffengrund und Steiermark wissenschaftliche Einrichtungen die Stoff- und Energieströme analysiert und die Netzwerkbildung moderiert. Es hat sich gezeigt, dass zum Erfolg eines ökologisch orientierten Industrienetzwerks mehrere Punkte erfüllt sein müssen.

Wesentlich ist beispielsweise, dass die Partner eine kritische Produktionsgröße haben, dass die Kooperationen freiwillig eingegangen werden und sich ökonomisch lohnen, dass die Partner keine Konkurrenzängste haben und zwischen den Betrieben eine kurze räumliche Distanz herrscht.
Die Tatsache, dass in den letzten Jahren relativ wenige Verwertungsnetzwerke entstanden sind, lässt vermuten, dass das Management der Einrichtung und die Entwicklung der Netzwerke eine relativ aufwändige Angelegenheit sind. Die Hauptmotive für die Kooperation in einem Verwertungsnetzwerk liegen für die Unternehmen in der Ent- und Versorgungssicherheit sowie in der Kosten- und Umweltentlastung.

Da einige Rohstoffe wie Kupfer, Palladium oder Aluminium immer knapper werden, steigt jedoch der Anreiz für Unternehmen, über Verwertungsnetzwerke nachzudenken. Ab einem bestimmten Schwellenwert bei den Rohstoffpreisen werden viele Unternehmen bereit sein, Versorgungssicherheit und Kostenentlastung durch überbetriebliche Kooperationen anzustreben. Investitionen in die Versorgungssicherheit sind letztlich Investitionen in die Nachhaltigkeit des Unternehmens, welche ohne eine Einbeziehung lokaler Mitbewerber nicht umzusetzen ist.

Gewerbegebiete als Ressourcengemeinschaft

Durch eine Steigerung der Nachhaltigkeitsbemühungen können sich Unternehmen in Gewerbegebieten mittelfristig in engere Stoffstromkooperationen begeben. Es geht also um so etwas wie eine "regionale Kreislaufwirtschaft": eingebettet in die Umweltschutzanstrengungen einer Kommune und regional in eine Partnerschaft mit anderen Betrieben zur Reduzierung der Transportkosten und zur Steigerung der regionalen Wertschöpfung.

Neben der interorganisatorischen Gestaltung von Nachhaltigkeit kann natürlich auch jedes Unternehmen für sich nach Ansatzpunkten einer innerorganisatorischen Nachhaltigkeit suchen. Es gibt also zwei wechselseitig verbundene, jedoch jeweils unabhängige Möglichkeiten, die nachhaltige Entwicklung eines Gewerbegebietes zu fördern.

Den sichtbarsten Ausdruck für ein unternehmerisches Engagement stellen beispielsweise zertifizierte Umweltmanagement- oder integrierte Managementsysteme dar. Ein nach EMAS, ISO 14000 oder einem der vielen kleineren Managementsysteme wie Öko-Profit oder Ecostep zertifiziertes Unternehmen drückt bereits aus, dass es bereit ist, in seinen Managemententscheidungen Umwelt- und Sozialziele zu berücksichtigen. Diese Firmen setzen bereits Geld, Zeit und Personal ein, um eigene Umweltauswirkungen zu reduzieren. Allerdings wird dieses Engagement nicht immer auch mit einer Reduzierung von Kosten belohnt.

Ein Netzwerk unter Gleichgesinnten zu bauen, verbunden mit gemeinsamen Zielen wie einer Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung oder dem Austausch von Mitarbeitern beginnend bei den Auszubildenden, schafft Synergien und stärkt das Engagement aller Beteiligten für das Gewerbegebiet als Gemeinschaftsprojekt. Durch eine enge Verzahnung lassen sich viele Anknüpfungspunkte beim Stoffstrommanagement, Einkauf und Warenan- wie -auslieferung finden, was Wegekosten spart und die Transportkapazitäten der Betriebe auslastet. Bewährt hat sich dabei eine unabhängige Koordinierungsstelle, die den Kommunikationsprozess lenkt und für Transparenz bei den Verrechnungseinheiten für wiederverwertbare Stoffe schafft. Effizienzsteigerungen und Gewinne aus der Wiederverwertung können dann nach den Leistungen der beteiligten Unternehmen anteilig verteilt werden.

Die unterschiedlichen Ressourcenprobleme zu bewältigen, die von vielerlei Faktoren abhängen, ist dabei die Herausforderung für das Facility-Management des Gewerbeparks. Nötig ist dazu ein tiefes Wissen um die Produktionsprozesse in den einzelnen Unternehmen sowie Know-how in den Bereichen Supply-Chain-Management, Einkauf und Transport.



Literatur:

Isenmann, R.; Hauff, M. von (Hrsg.) (2007): Industrial Ecology. Mit Ökologie nachhaltig wirtschaften. München: Elsevier.

Müller-Christ, G.; Arndt, L.; Ehnert, I.(Hrsg.) (2007): Nachhaltigkeit und Widersprüche. Eine Managementperspektive. Münster et al.: Lit.





Kontakt:

Prof. Dr. Georg Müller-Christ

Universität Bremen
Fachgebiet: Nachhaltiges Management
Fachbereich Wirtschaftswissenschaft und Forschungszentrum Nachhaltigkeit
Telefon +49 (0)421 / 2 18 31 97
E-Mail gmc@uni-bremen.de
www.wiwi.uni-bremen.de/gmc
www.artec.uni-bremen.de




PD Dr. habil. Ralf Isenmann

Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI)
Breslauer Straße 48
76139 Karlsruhe
Telefon +49 (0)721 / 6 80 93 93
E-Mail ralf.isenmann@isi.fraunhofer.de
www.isi.fraunhofer.de

und Universität Bremen
Institut für Projektmanagement und Innovation (IPMI)


Quelle:
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 12.12.2008

     
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