Die Essenz des Politischen
Die Verantwortung Europas - Partizipationsprozesse als Lernorte demokratischen Denkens und Handelns in Europa
Im Dreiklang der europäischen Gesellschaftstheorie ist neben einer rechtlich geschützten Privatsphäre und dem sozial regulierten Markt ein wesentlicher Grundton die Demokratie. Längst schon ist diese sehr vielfältig geworden, denn neben der repräsentativen Demokratie wird die direkte Demokratie (z.B. unmittelbare Abstimmung über politische Sachfragen in Bürger- und Ratsbegehren) und die dialogorientierte Beteiligung (z.B. in der konsultativen Form von Bürgerräten) praktiziert. Der Wille und der Wunsch nach mehr Teilhabe und Mitbestimmung durch die Zivilbevölkerung wird zunehmend deutlicher erkennbar.
Der Ruf nach Partizipation ist fest verwurzelt in der Tradition des europäischen, politischen Denkens: „Die politische Praxis Europas ist die Partizipation", schreibt der Philosoph Christoph Quarch. Und er fährt fort: „So jedenfalls sieht es der Geist Europas vor. Als er in Delphi aus der Taufe gehoben und in Athen in rechtliche Formen gegossen wurde, zeitigte er ein politisches System, das auf beispiellose Weise auf die Mitwirkung der Bürgerschaft setzte – und auf deren Fähigkeit zur Mitwirkung vertraute."
Partizipation ist jedoch kein klar definierter Begriff. Vielmehr handelt es sich bei diesem Wort um einen jeweils kontextuell zu definierenden Prozessbegriff, der vom lateinischen participatio hergeleitet ist und sich mit „Teilhaben, Teilnehmen, Beteiligt-Sein" übersetzen lässt. Im heutigen Sprachgebrauch gilt Partizipation als wesentliches Element einer demokratischen Gesellschaftsform: als politische Partizipation bzw. als „die Teilhabe und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen", wie es im Kleinen Politik-Lexikon (Lenz/Ruchlank, 2001) heißt.
Co-kreative Partizipation
Zu Lernorten für Demokratie können Partizipationsprozesse jedoch nur werden, wenn sie in Gestalt von Dialog und Aushandlung beziehungsweise als Co-Kreation angelegt sind und nicht als „Alibipartizipation", bei der es lediglich um Information, Anhörung oder Beschwichtigung geht. Echte, co-kreative Partizipationsprozesse werden auch als Akte einer deliberativen Demokratie verstanden: als ein Dialog- und Diskursraum auf Augenhöhe, in dem keine moralischen Imperative und Hierarchien gelten, sondern „der zwanglose Zwang des besseren Argumentes", um Jürgen Habermas zu zitieren. In seiner Diskurstheorie vertritt er den Standpunkt, dass in einer deliberativen Kommunikation die individuellen Präferenzen zur Disposition gestellt und gegebenenfalls zugunsten von kollektiven Interessen aufgegeben werden.
Meinungsbildung und Diskussion
Damit sind die zentralen Lernaufgaben einer demokratischen, politischen Bildung angedeutet: Argumentationsfähigkeit erfordert vor allem die Fähigkeit zu subjektiver Meinungsbildung und kritischem Denken. Für die politische Philosophin Hannah Arendt hatte in der politischen Diskussion die „Pluralität" von Menschen und Meinungen ebenso wie der Austausch darüber eine große Bedeutung. Sie war der Meinung, dass man zwar allein denken könne und solle („Denken ist das Durchsprechen einer Sache mit sich selbst"), das Produkt des Denkens aber im Anschluss in die Öffentlichkeit gestellt werden müsse („die Gedanken müssen ‚Rede stehen‘"), um das Gedachte argumentativ zu vermitteln und im Austausch mit anderen zu einem Konsens zu bringen. „So zwingt die Rede den Gedanken wieder aus der Einsamkeit des Denkens in das Miteinander." (Hannah Arendt)
Kompromiss und Konsens
Auf diese Weise werden Zuhören und Empathie geschult und Selbstwirksamkeit im Austausch mit anderen erfahren. Verantwortungsbewusstsein, soziales Engagement und Interaktionsfähigkeit führen zur eigenen Identitätsbildung und begünstigen die Ausbildung von Kompromissbereitschaft und Konsensfähigkeit. Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche werden bestenfalls als notwendig und sinnvoll erfahren, denn die Demokratie ist eine Organisationsform, in der Widerspruch einen Verfassungsrang hat.
Voraussetzung dafür ist eine geistige Transformation, ein Wandel der sozialen Prozesse und die Ausarbeitung eines wertorientierten Narrativs zur Demokratie, das dem Politischen im ursprünglichen Sinne als Gestaltung gesellschaftlicher Kooperation und im Zeichen des Gemeinwohls neu zur Geltung verhilft.
Ruth Beilharz ist selbstständige Beraterin, Trainerin und Moderatorin partizipativer Kommunikationsformen. Als Expertin begleitet sie das Projekt „Allianz Vielfältige Demokratie" der Bertelsmann Stiftung und gehört zum Gründungsteam der School of Participation. Seit 2023 ist sie Mitglied der Akademie 3.
Ankündigung Sommerakademie 2024
Erkenne dich selbst! Europas Identität und Verantwortung in der Welt
Vom 13. bis 16. Juni 2024 wird die zweite Sommerakademie „Dreaming Europe" der Akademie 3 im Hotel Schloss Burgellern in Scheßlitz bei Bamberg stattfinden. Das diesjährige Thema lautet „Erkenne dich selbst! Europas Identität und Verantwortung in der Welt".
Wie schon im Vorjahr erwartet die Teilnehmenden ein vielseitiges Programm aus inspirierenden Vorträgen von Top-Speakern, kreativen Workshops voller Musik, Kunst und Poesie sowie lebendigen Gesprächen mit Teilnehmenden und Experten. Ziel der Sommerakademie ist es, die geistigen Grundlagen Europas zu ermitteln und so aufzubereiten, dass sich die Menschen neuerlich für das Projekt eines gemeinsamen politischen Europas begeistern können.
Die Sommerakademie ist erstmalig öffentlich. Anmeldungen und weitere Infos unter www.akademie-3.org oder per Telefon +49 661 9525954.
Wichtiger Hinweis: Junge Erwachsene bis 30 Jahre haben die Möglichkeit, sich um eine kostenlose Teilnahme zu bewerben. Interessenten wenden sich bitte mit einem kurzen Motivationsschreiben bis zum 15. April 2024 an christine.teufel@akademie-3.org.
Gesellschaft | Politik, 01.03.2024
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2024 mit dem Schwerpunkt "Der Weg zum Mehrweg – Transport und Logistik" - Jede Menge gute Nachrichten erschienen.
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