Gleiches Klima-Recht für alle!
Für eine „gesunde, saubere und nachhaltige Umwelt“
Im Juli 2022 wurde das Menschenrecht auf „gesunde, saubere und nachhaltige Umwelt" von der UN-Vollversammlung beschlossen. Doch wie kann dieses Recht für alle Mitglieder der lebenden und zukünftigen Generationen gesichert werden? Ein Weg zum Ziel ist die Begrenzung des Überverbrauchs an Umweltressourcen durch eine ökonomische Elite mit hoher finanzieller Kaufkraft. Die Umsetzung könnte mit individuellen Umweltkonten erfolgen, kombiniert mit „ökologischen Preisausweispflicht" für sensible Produkte und Dienstleistungen.
In die Klimadebatte kommt Dynamik. Angesichts des Versagens aller bisherigen Bemühungen, die Treibhausgasemissionen drastisch zu vermindern machte der Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber in der ARD-Sendung Monitor Anfang des Jahres einen Vorschlag für individuell begrenzte Emissionsbudgets, konkret dass „jeder Mensch drei Tonnen CO2 pro Jahr kriegt".
Für seinen Vorstoß spricht eine Reihe von Argumenten. Zum einen reichen alle bisherigen Maßnahmen nicht annähernd aus, den Wachstumstrend umzukehren und das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Der globale Ressourcenverbrauch hat sich seit 1970 vervierfacht, die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre erreichte 2021 und 2022 neue Rekorde, und im Vorjahr wurden von den neun planetaren Grenzen Nummer fünf („green water" alias Bodenfeuchtigkeit) und sechs („neue Entitäten", konkret Mikroplastik) überschritten.
Die Klimafrage ist eine globale und intergenerationale Gerechtigkeitsfrage
Während der Durchschnittskonsum einer Inder*in problemlos auch für 8 Milliarden Menschen globalisierbar wäre, würde dies im Falle der durchschnittlichen Deutschen oder Österreicherin mehrere Planeten Erde erfordern. Die Tatsache, dass die Menschheit bereits heute 1,75 Planeten verbraucht, täuscht darüber hinweg, dass nur eine wohlhabende Minderheit stark rüber ihre ökologischen Verhältnisse lebt. Denn entgegen aller Effizienz-, Verzichts- und Reduktionsrhetorik feiert der Luxuskonsum fröhliche Urständ: Die Zahl der Privatflüge legte im Vorjahr in Deutschland um zehn Prozent zu, Rolls Royce steigerte seinen globalen Absatz um acht Prozent, die neue Privatyacht von Jeff Bezos kostet eine halbe Milliarde US-Dollar, und der Jet von Taylor Swift emittierte in nur sieben Monaten 8.300 Tonnen CO2: aufs Jahr gerechnet ist das das 4700-fache des Schellnhuberschen Pro-Kopf-Budgets.
Der Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber schlägt individuell begrenzte CO2-Budgets vor. Damit stößt er eine wichtige Debatte an.
Am Klima zeigt sich anschaulich, wie eine „Tragödie der Allmende*" funktioniert: Gibt es keine verbindlichen und wirksamen Nutzungsregeln, wird das Gemeinschaftseigentum zerstört. Genauer: von einer Minderheit von Überverbrauchern, die das Gemeinwohl aus dem Blick verlieren. Die Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat gezeigt, dass dies kein Schicksal ist. Die Allmende kann bewahrt werden und zum Nutzen aller funktionieren, wenn es für alle gleiche Zugangsrechte gibt und Regelverstöße sanktioniert werden.
Individuelles Umweltkonto
Die Umsetzung der Schellnhuberschen Grundidee könnte zum Beispiel so funktionieren: Alle Menschen erhalten ein Umweltkonto, auf das jährlich das individuelle Budget aufgebucht wird. Bei jedem klimarelevanten Konsum wird nicht nur der finanzielle, sondern auch ein „zweiter Preis" (Niko Paech), der ökologische, abgebucht, in entsprechender Währung. Letzterer müsste für relevante Produkte berechnet und ausgewiesen werden. Im Sinne eines planbaren Übergangs könnten im Jahr eins nur Yachten und Privatjets ökopreispflichtig sein, im Jahr zwei auch Flugreisen und Autos mit hohen Verbrauchswerten, danach Tankfüllungen und die Stromrechnung und so weiter. Weder muss jedoch die Nachhaltigkeitstransparenz jeden Groschenkonsum erfassen noch wird dadurch das Bargeld infrage gestellt. Eine einfache Lösung wäre, dass relevante Umweltverbräuche nicht mehr bar bezahlt werden können. Für das Verständnis des Vorschlags ist wichtig, dass das Ökokonto genauso dem Bankgeheimnis unterliegen würde wie das Finanzkonto, der Staat hätte keine Einsicht und wüsste nichts über konkretes Verhalten und Ausgaben der Bürger*innen, dies unterliegt dem Datenschutz.
Ökodiktatorisch oder liberal?
Bevor dennoch reflexhaft das Argument der Ökodiktatur bemüht wird: Dieser Vorschlag ist genuin liberal, weil alle Menschen, egal wo sie leben und welche Präferenzen sie haben, dieselbe Grundausstattung erhalten: Wie sie damit verfahren, wofür sie das Budget aufbrauchen, ob sie es denn aufbrauchen oder einer Klimaschutz-NGO schenken, damit Aktivist*innen an internationalen Konferenzen teilnehmen können, ist ihnen völlig freigestellt. Das Klimabudget verhält sich wie das Wahlrecht: Wem ich meine Stimme gebe und ob ich zur Wahl gehe, ist meine private Entscheidung. Ich erhalte aber selbst dann nicht mehr Stimmrechte als andere, wenn ich länger studiert habe oder einen höheren IQ aufweise. Gleiches Recht für alle ist der Kern des liberalen Denkens. Illiberal wäre es, wenn eine Minderheit der lebenden Generation sich herausnähme, so viel zu verbrauchen, dass die Mehrheit der lebenden Generation und alle Folgegenerationen geringere oder gar keine Lebenschancen mehr vorfänden.
Offene Fragen
Am Schellnhuber-Vorschlag muss noch vieles diskutiert werden: Zum einen haben wir nicht nur ein Klimaproblem, sondern neun planetare Grenzen, s. o. Dieser Problemvielfalt könnte man mit einer breiter gefassten Verrechnungswährung wie dem „ökologischen Fußabdruck" beikommen. (Aktuell stehen jedem Menschen 1,6 globale Hektar zur rechnerischen Nutzung zu.) Außerdem müsste die öffentliche Infrastruktur eines Landes als Fixverbrauch auf alle Bewohner*innen verteilt werden, damit nicht jeder Schul- oder Arztbesuch einen Ökopreis erhält. Drittens könnten die historischen Verbräuche in den Hochverbrauchsländern vom dortigen Budget abgezogen werden, um auch den globalen Süden schneller ins Boot zu bekommen. Ein Vorausgang des Nordens ist zwar denkbar, eine globale Lösung wäre aber besser.
Auf den vielleicht wichtigsten Fallstrick weist die Journalistin Ulrike Herrmann hin: Wären diese Budgets auch handelbar, könnten die Reichsten sich die nötigen Kontingente einfach zukaufen – was Jeff Bezos und Taylor Swift vermutlich wenig beeindrucken, aber die Akzeptanz des Projekts untergraben würde. Eine Lösung könnte dahin gehen, dass die Reichsten maximal zwei oder drei Jahresbudgets von den Ärmsten zu definierten Preisen zukaufen könnten, wodurch sie „weicher landen" würden und die Ärmsten aus der schlimmsten Armut kämen. Das wäre eine sozial-ökologische win-win-Lösung zwischen Nord und Süd. Kein Design wird alle glücklich machen, aber die Alternative zu Pro-Kopf-Budgets ist die Tragödie der globalen Klima-Allmende. Der damit verbundene Verlust und Verzicht ist sicher schmerzhafter als eine möglichst gerechte Lösung für alle.
Mag. Christian Felber ist Autor zahlreicher Bücher und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie. Der vorliegende Text erschien zuerst in leicht abgewandelter Form am 15. Februar im österreichischen „Standard".
*Almende: Die Allmende ist ein Teil des Gemeindevermögens, das als gemeinschaftliches Eigentum von der gesamten Bevölkerung benutzt werden darf. Eine intakte Umwelt ist folglich ein Allmendegut, weil niemand von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden kann und eine Rivalität der Nutzer besteht. Die Wirtschaftssubjekte/Menschen tragen jedoch unterschiedlich stark zur Umweltverschmutzung bei.
Umwelt | Klima, 01.06.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2023 mit dem Schwerpunkt: Künstliche Intelligenz - Künstliche Intelligenz oder natürliche Dummheit? erschienen.
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