Für ein neues Zeitalter von Unternehmertum?! - Wege in ein Resonanz-Unternehmertum. 11. bis 13. Juni 2024

Klasse statt Masse

Alte Sorten und Rassen wiederentdeckt

Das Artensterben in der Natur schreitet dramatisch voran. Ganze Pflanzen- und Tierarten werden ausgerottet, Lebensräume gehen verloren. Auch in der Landwirtschaft kam es zu einem immer größeren Verlust an Biodiversität. Zugleich findet nun aber etwas anderes statt: Die Wiederentdeckung alter Rassen und Sorten.

Genügsam und trittfest – der 'Arche-Passagier' Hinterwälder Rind, die kleinste Rinderrasse Mitteleuropas stammt von den Höhenlagen des südlichen Hochschwarzwaldes und ist hervorragend an diese speziellen Bedingungen angepasst © Joshua KaissDas Thema Artensterben in der Natur ist nicht neu. Längst wurde es von Politik und Medien aufgegriffen, seine Dramatik erkannt. Doch beinahe unbemerkt geschieht der Verlust an Biodiversität noch woanders, nämlich in den Gärten, auf Äckern, Wiesen und Ställen. Denn auch die Vielfalt an Kulturpflanzen und Nutztieren nimmt ab. Wenige Hochleistungssorten und -rassen dominieren. Was sie damit verdrängen, sind ihre ursprünglichen Vorgänger: Sorten, die zwar vielleicht weniger ertragreich, dafür aber an die jeweiligen regionalen Bedingungen angepasst sind.

Schwindende Vielfalt bei Kulturpflanzen und Nutztierrassen

Das "Verzeichnis der Apfel- und Birnensorten" von Votteler aus dem Jahr 1986 liefert noch Beschreibungen von 1240 Sorten, die einstmals in Deutschland verbreitet waren. Das Standardsortiment im Handel umfasst heutzutage maximal noch ein Dutzend.

Freilich sind nicht alle verbreiteten Pflanzen- und Tierarten in Menschenobhut grundsätzlich erhaltenswert. Viele haben sich schlicht nicht bewährt, etwa dann, wenn Menge und Güte der Sorte bereits für frühere Verhältnisse weit hinter dem Durchschnitt zurückblieben. Doch drohten und drohen auch andere Sorten in Vergessenheit zu geraten und auszusterben, Sorten mit wichtigen Eigenschaften und besonderen Qualitäten.

Auch wenn im Biohandel vereinzelt wieder mehr alte Obst- und Gemüsesorten angeboten werden und Gastronomen allmählich die Güte etwa von Teltower Rübchen oder die Qualität eines Schwäbisch-Hällischen Landschweins wiederentdecken, so dominieren doch moderne Nahrungsmittel einheitlicher Qualität. Dafür sichert die industrielle Landwirtschaft dank ihrer hohen Erträge die Versorgung der Bevölkerung in verlässlicher Weise, was ein großer Fortschritt ist im Vergleich zu früheren Mangelzeiten.

Deshalb stellt sich auch die Frage: Sind die Bemühungen um den Erhalt von ursprünglichen Sorten und Rassen nur ein nostalgisches Hobby von Liebhabern und Traditionalisten, die sich den modernen Errungenschaften der wissenschaftlichen Pflanzen- und Tierzucht verweigern?

Gute Gründe für den Erhalt
Fast vergessene Gemüse- und Obstsorten wie die Bamberger Birnförmige Zwiebel © Gerhard Schneider-Rose
Zur Beantwortung dieser Frage lohnt ein Blick zurück auf ein trauriges Kapitel der Historie, nämlich auf die große Hungersnot in Irland zwischen den Jahren 1845 und 1849, in deren Folge eine Million Menschen starben. Auslöser dieser Katastrophe war eine Kartoffelfäule, die das damalige Hauptnahrungsmittel vernichtete. Zu diesem Zeitpunkt wurden in Irland lediglich zwei Sorten Kartoffeln angebaut, von denen sich beide als anfällig erwiesen
.
Das Beispiel verdeutlicht, welche Folgen eine genetische Verarmung durch die Konzentration auf wenige Sorten mit sich bringen kann. Deshalb entstehen heutzutage in Laboren und Zuchtanstalten auch Kreationen von Nutzpflanzen, bei denen gezielt alte Sorten eingekreuzt werden, um etwa die Widerstandsfähigkeit gegen bestimmte Krankheiten zu erhöhen.

... der Dickkopfweizen © Dr. Michael Immendörfer
Neben der Risikoverminderung durch einen möglichst großen Genpool gibt es jedoch noch eine Reihe weiterer Gründe, die für den Erhalt und die Wiederverbreitung ehemals angebauter und gezüchteter Nahrungsspender sprechen: Manche der Apfelsorten, die es heute kaum noch zu kaufen gibt, wie etwa die wohlschmeckende "Goldrenette Freiherr von Berlepsch", besitzen einen höheren Anteil an Vitamin C und gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen als viele der neueren Züchtungen. Zudem zeigen Untersuchungen, dass einige der älteren Sorten bei empfindlichen Menschen offenbar weniger Allergien auslösen. Sie wachsen häufig noch in Streuobstwiesen oder auf Feldrainen bäuerlicher Betriebe, also in wichtigen, erhaltenswerten Lebensräumen bedrohter Tiere und Pflanzen.

... die Ermstäler Knorpelkirsche © Anette Braun-LüllemannWer auf Bauernmärkten oder im Biohandel noch seltene Obstsorten erwirbt, leistet damit also auch einen Beitrag zum Artenschutz in freier Natur.

Der wohl wichtigste Grund, sich für den Erhalt lebendiger Kulturgüter zu engagieren, liegt jedoch in der Form des Anbaus und in der Haltung seltener Spezies. Der Grund: Diese eignen sich mangels Produktivität meist nicht für den großflächigen Intensivanbau beziehungsweise für die Massentierhaltung und stammen somit überwiegend von kleinbäuerlichen (Bio-)Betrieben. Folglich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Rind noch auf der Weide grasen durfte und das Gemüse nicht mit Hilfe jeder Menge Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln gezogen wurde. Keine Frage, wir müssen unseren Fleischkonsum deutlich reduzieren.
 
... und der Schöne von Herrnhut © Margret Artzt warten auf ihre Wiederentdeckung.Wer jedoch zumindest auf seinen Sonntagsbraten nicht verzichten möchte, sollte beim Einkauf auf tiergerechte Haltungsformen achten, könnte sich aber zusätzlich auch für die oftmals besondere Qualität alter Rassen entscheiden. Generell sind diese Tiere meist stressresistenter und robuster, und somit besser auf besondere klimatische Verhältnisse und karges Futter angepasst als ihre hochgezüchteten "Turbo-Pendants". Oft sind sie zudem kleiner und leichter, weshalb sie an steilen Hanglagen weniger Trittschäden verursachen. Nicht von ungefähr setzten Bauern im Schwarzwald früher auf ihre kleinen Hinterwälder Rinder.

"Arche des Geschmacks"

Um der genetischen Verarmung durch die industrielle Landwirtschaft entgegenzuwirken, rief die "Slow Food Stiftung für Biodiversität" das Projekt "Arche des Geschmacks" ins Leben. Das Ziel: regional bedeutsame Lebensmittel, Nutztierarten, Kulturpflanzen sowie traditionelle Zubereitungsformen vor dem Vergessen und Verschwinden zu bewahren. Weltweit sind derzeit bereits über 5.200 "Passagiere" in der "Arche des Geschmacks" gelistet. Aufgenommen werden Sorten, Rassen sowie Produkte, die einen charakteristischen Geschmack besitzen, mit einer bestimmten Region und deren kulturellen Gedächtnis verbunden und in ihrer Existenz bedroht sind; alles Sorten und Rassen, die in der heutigen Lebensmittelproduktion als unrentabel gelten. Mit Hilfe der "Arche-Passagiere" erleben Menschen: Die an regionale Klima- und Bodenverhältnisse angepassten vielfältigen alten Rassen und Sorten schmecken nicht nur einzigartig, sondern sie erhalten auch Bodenfruchtbarkeit, Kulturlandschaften sowie spezifische landwirtschaftliche Praktiken.
Das Slowfood-Motto lautet: 
Essen, was man retten will!
Denn: Was nicht gegessen wird, wird nicht nachgefragt, kann folglich nicht verkauft werden und wird daher nicht produziert.
Slowfood

Spezifische Vermarktung als Erfolgsfaktor
Entscheidend dabei ist folglich, dass die Konsumenten überhaupt von Anbietern und der besonderen Qualität der entsprechenden Produkte erfahren. Ein gezieltes Marketing für regionale Spezialitäten seltener Spezies ist also unerlässlich.

Hierfür gibt es zunehmend ermutigende Beispiele wie etwa die konkrete Benennung ursprünglicher Sorten und Rassen auf Speisekarten. Auch manche Erfolgsgeschichte gibt es, wie etwa die vom Murnau-Werdenfelser Rind. Dessen Bestand war einst von über 200 000 Tieren auf lediglich 160 reinrassige Individuen zusammengebrochen. Und dies, obwohl Fleisch und Milch dieser Rasse nicht zuletzt auch aufgrund der üblichen Haltungsform und Fütterung eine hervorragende Qualität besitzen.

Retter in der Not
Einige Sorten und Arten verdanken ihre fortdauernde Existenz allein dem Engagement weniger Personen. Bisweilen sogar einer einzelnen, wie etwa das "Bunte Bentheimer Landschwein" durch ihren letzten Züchter Gerhard Schulte-Bernd aus Isterberg in der Grafschaft Bentheim.

Schulte-Bernd hielt beharrlich an der Haltung seiner "Swatbunten" fest und setzte sich bei Behörden und Landwirten für die Weiterzucht und Vermarktung ein. Spätestens mit der Gründung des "Vereins zur Erhaltung des Bunten Bentheimer Schweines e.V.", ging es mit der alten Landrasse wieder aufwärts, so dass die Existenz dieser anspruchslosen und fruchtbaren Haustierart mit ihrer hohen Fleischqualität derzeit als gesichert gilt.

Ein Dickkopf setzt sich durch
Die Rettung alter Sorten in der Praxis: Der Dickkopfweizen findet sich im 'Dickköpfle' Brot wieder. © Bäckerhaus Veit
Auch beim Getreide gibt es "Wiederentdeckungen". Dazu zählt der so genannte Dickkopfweizen. Einst prägte er neben dem Dinkel die süddeutsche Landwirtschaft. In Konkurrenz mit den ertragreicheren Weizenzuchtsorten ging der Dickkopfweizen jedoch als Anbauprodukt unter und geriet immer mehr in Vergessenheit. Die Folge: Die alte Sorte mit ihrem nussigen, frischen, dinkelähnlichen Geschmack starb beinahe aus. 2011 wurde sie schließlich in die Rote Liste der gefährdeten Nutzpflanzen in Deutschland aufgenommen.

Doch auch er feiert nun ein Comeback, was ebenfalls vor allem den Bemühungen einer einzelnen engagierten Person zu verdanken ist: Der pensionierte Hochschul-Professor Jan Sneyd widmet sich im Schwäbischen der Rekultivierung dieses seltenen Getreides. Dabei kooperiert er mit der Handwerksbäckerei Veit mit Stammsitz in Bempflingen. Da die Backwaren aus der proteinreichen und mineralstoffhaltigen Sorte in den über 50 Bäckereifilialen und Cafés der Bäckerei zusehends Liebhaber finden, wird die Anbaufläche von Jahr zu Jahr leicht vergrößert. Derzeit wird der Dickkopfweizen auf insgesamt knapp acht Hektar angebaut.
Der Laufener Landweizen hat seinen Weg in die Bierflaschen gefunden. © Privatbrauerei M.C. Wieninger
 
Eine ähnliche Wiederauferstehung erlebte eine Getreidesorte aus der deutsch-österreichischen Grenzregion. Eher zufällig fand ein Landschaftsökologe in einer Samenbank noch ganze 40 Körner des "Laufener Landweizens" und baute diese versuchsweise in einem Feldflorareservat an. Zu seinem Erstaunen entwickelte sich aus dem überraschenderweise noch keimfähigen Saatgut ein bis zu zwei Meter hohes Getreide. Auf diese ersten Anbauversuche der lange für verschollen gehaltenen und unverhofft wiederentdeckten Sorte wurde der Hotelier Hannes Lichtmannegger aus Ramsau bei Berchtesgaden aufmerksam und erwarb kurzerhand einen Acker, um eine eigene Weizentestfläche anzulegen. Der Ertrag fiel erwartungsgemäß bescheiden aus und auch die Beschaffenheit des Mehls genügte nicht den Ansprüchen der kontaktierten Bäcker. Schließlich bat Lichtmannegger den befreundeten Chef einer Brauerei versuchsweise einen hellen Weizenbock zu brauen.
 
Das Ergebnis: Die Bierprobe Ende 2016 fiel derart positiv aus, dass Gäste in Lichtmanneggers’ Berghotel Rehlegg seitdem in den besonderen Genuss eines heißbegehrten "Rehbocks" kommen. Und auch die Wieninger Brauerei selbst bietet inzwischen mit großem Erfolg eine Biobier-Linie vom Laufener Landweizen an.

Von Peter Grett

Weiterführende Informationen über alte Sorten und Rassen und zur Arche des Geschmacks gibt es bei

Umwelt | Naturschutz, 01.03.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2023 mit dem Schwerpunkt: Zukunft gestalten - Krieg & Klimakatastrophe erschienen.
     
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