"Jedes Kunstwerk öffnet ein Fenster zur Welt des Geistes"
Christoph Quarch hat kein Verständnis für die aktuellen Museumsaktionen der "Letzten Generation"
Tomatensuppe für Van Gogh, Kartoffelbrei gegen Monet und Klebeband an Raffaels Sixtinischer Madonna. Klima-Aktivisten der Bewegung „Letzte Generation" haben eine neue Form des Protestes erfunden. Sie beschmutzen bekannte Kunstwerke, um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Das Echo auf die Reaktionen fällt unterschiedlich aus: Klimaforscher Stefan Rahmstorf etwa solidarisierte sich mit der jüngsten Aktion im Potsdamer Barberini-Museum, bei dem ein Monet-Gemälde beschmutzt wurde, ein FDP-Politiker hingegen verglich die Aktivisten mit den Taliban. Wer hat Recht? Darüber sprechen wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, Taliban oder Kämpfer für die gute Sache: Wie stehen sie zu den Aktionen von „Letzte Generation"?
Der Taliban-Vorwurf schießt sich über das Ziel hinaus, aber in der Tendenz sehe ich das ähnlich: Kunstwerke anzugreifen ist ein Akt der Gewalt, der nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass es hier um ein höheres Ziel wie den Klimaschutz geht. Denn Aktion und Anliegen stehen in keinem erkennbaren Zusammenhang. Ein Kunstwerk zu beschädigen, hilft dem Weltklima in keiner Weise. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht nur darum, ein größtmögliches Maß an Aufmerksamkeit zu gewinnen. Aber wofür: Für ein Thema oder für sich selbst? Ich werde den Verdacht nicht los, dass letzteres zutrifft.
Die Aktivisten zeigen aber doch Mut, riskieren einiges und nehmen negative Konsequenzen in Kauf.
Warum sollten sie das tun, wenn es ihnen nicht um die Sache ginge?
Ich sehe das anders. Bei Lichte besehen riskieren diese Leute nicht viel. Die Kartoffelbrei-Aktivisten wussten genau, dass der von ihnen angegriffene Monet verglast ist und dass sie keinen großen Schaden anrichten können. Daran kann ich nichts Mutiges finden. Eher ist es ein Akt der Feigheit, ein Bild anzugreifen, das sich nicht wehren kann. Wobei das Bild eigentlich völlig egal ist. Ob eine Madonna – oder ein Heuhaufen, egal: Hauptsache, die Medien springen an. Wenn am nächsten Tag die Potsdamer Aktivistin mit der Überschrift „Ich war das!" in der Bildzeitung erscheint, dann neige ich dazu, dem Kommentator zuzustimmen, der in ihr und ihren Kollegen nichts anders sieht als Bürgerkinder, die nach Aufmerksamkeit schreien.
Die von Ihnen erwähnte Aktivistin fragt auf dem bei der Potsdamer Aktion gedrehten Video: „Braucht es Kartoffelbrei auf einem Gemälde, damit ihr zuhört?" Ist diese Frage nicht berechtigt?
Nein, ist sie nicht. Wer ist dieses „ihr", das hier adressiert wird? Dieses „ihr" ist so abstrakt, dass es niemandem gilt. Und ebenso abstrakt ist der Protest. Er ist lediglich ein Ausdruck moralischer Empörung ohne jeden Handlungsvorschlag, ohne Forderung, ohne Ziel. Mehr noch: Er ist ein Ausdruck der moralischen Hybris von Leuten, die sich als Opfer oder als Richter über Gut und Böse aufspielen und dabei nicht in der Lage sind zu reflektieren, ob ihre Aktion ihrem Anliegen förderlich ist. Wäre das anders, müssten sie nämlich erkennen, dass Kartoffelbrei auf Kunst dem Klimaschutz eher hinderlich als förderlich ist und dass solche Aktionen am Ende dazu führen, dass Klimaschützer nicht mehr ernst genommen werden.
Aber braucht es nicht moralische Appelle, um die Menschen für den Klimaschutz zu sensibilisieren?
Nein. Moralische Appelle bewirken nichts außer Schulterklopfen von denen, die einem zustimmen und immer schärfere Ablehnung von denen, die das nicht tun. Und selbst Klimaschützer schütteln der Kopf. Meine Tochter, selbst aktiv bei Fridays for Future, ist entsetzt darüber, dass ausgerechnet Kunst instrumentalisiert wird, um nach Aufmerksamkeit zu fischen. Und sie hat Recht. Jedes Kunstwerk öffnet ein Fenster zur Welt des Geistes – derjenigen Kraft, die als einzige ein echtes Umdenken und Umlenken erwirken kann. Sich mit moralischer Hybris über den Geist zu stellen, ist absolut kontraproduktiv. Es ist ein symbolischer Akt gegen das Einzige, was uns angesichts des Klimawandels wirklich retten kann – ein geistiger Aufbruch, was etwas anderes ist als eine bilderstürmerische Selbstinszenierung.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel"
Gesellschaft | Politik, 29.10.2022
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