Mir geht’s schlecht, ich kann nicht klagen
Die Natur hat keine Rechtsmittel
Eine Firma kann auf ihre Rechte pochen, die Natur nicht. Ist das noch zeitgemäß? Nein, sagen viele Tier- und Naturschützer. Deshalb gibt es revolutionäre Ansätze, dies zu ändern – und Pioniere, die es schon getan haben. Es kommt Fahrt in unser Rechtsleben.
Das Erbgut von Schimpansen gleicht dem des Menschen zu 99 Prozent. In der Tat sind ihre Fähigkeiten erstaunlich. So verwenden Schimpansen Werkzeuge, sind empathisch, verarzten verletzte Angehörige, sie planen und fühlen. Schimpansen und andere Menschenaffen können über vierhundert Wörter der amerikanischen Gebärdensprache erlernen und am Computer komplexe Aufgaben lösen, erzählt die Forscherin Jane Goodall in ihrem Buch „Das Buch der Hoffnung".
Dennoch werden die Großen Menschenaffen – so wie alle anderen Tiere – rechtlich nach wie vor wie Sachen behandelt. Und ihre Zahl ist rapide gesunken. Alle afrikanischen Menschenaffen stehen auf der Roten Liste, das heißt, sie gelten entweder als stark gefährdet oder als vom Aussterben bedroht. Viele Aktivisten fordern deshalb, den Lebensraum unserer tierischen Verwandten unter Schutz zu stellen und Aufzuchtstationen zu betreiben. Doch es existiert noch ein anderer Ansatz, um die Menschenaffen zu retten – der revolutionärste.
Affen mit Klagerecht?
1993 gründeten die Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer das „Great Ape Project" und plädierten angesichts der genetischen Verwandtschaft dafür, den Großen Menschenaffen Grundrechte zu verleihen. Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos sollten damit das Recht auf Leben, auf individuelle Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit erhalten. Mithilfe eines Sachwalters könnten sie dadurch ihre Rechte einklagen und sich gegen Jagd, Tierversuche und die Zerstörung ihres Lebensraums wehren.
Vor 15 Jahren versuchte der Verein gegen Tierfabriken (VGT) die Frage der Grundrechte für Affen über den Rechtsweg zu klären. VGT-Obmann Martin Balluch hatte für einen Schimpansen am zuständigen Bezirksgericht Mödling einen Sachwalter beantragt, der Personen vertritt, die geistig behindert oder psychisch stark beeinträchtigt sind. Dem Schimpansen namens „Matthias Pan" drohte durch die damalige Pleite des Wiener Tierschutzvereins eine „Delogierung", das heißt, theoretisch hätte er jederzeit an ein Labor für Tierversuche verkauft werden können.
„Tiere haben keine Rechtsmittel", sagt Balluch. „Als eine Person hat man ganz andere Mittel als eine Nichtperson." Im „Hiasl"-Prozess zog der VGT bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der den Fall aber aus formalen Gründen abblitzen ließ.
Erst im Februar dieses Jahres wurde die Frage der „Grundrechte für Primaten" in der Schweiz zum Politikum. Zum ersten Mal weltweit durfte eine Stimmbevölkerung demokratisch darüber abstimmen, ob nicht-menschliche Tiere Grundrechte erhalten sollen. Die Tierwohl-Organisation „Sentience Politics" hatte die Volksinitiative ausgerechnet in Basel gestartet, wo Affen nicht nur im Zoo gehalten werden, sondern in der Vergangenheit immer wieder für Forschungsversuche eingesetzt wurden. Die Bevölkerung stimmte mehrheitlich gegen die Initiative. Aber immerhin ein Viertel der Baseler war dafür.
Das Recht als Überwindung von Undenkbarkeiten
Die Rechtsgeschichte sei „ein permanentes Überwinden von Undenkbarkeiten", referierte Österreichs bekannteste Klimaanwältin Michaela Krömer beim Symposion Dürnstein Ende März. Dass Frauen den Männern gleichgestellt sind, die Sklaverei abgeschafft wurde und Schwarze die gleichen Rechte wie Weiße haben, galt vor nicht allzu langer Zeit noch als unvorstellbar. „Recht ist das Abbild der Gesellschaft, die wir sind, und verdeutlicht wie nichts anderes die Werte, die wir haben", sagte Krömer. Die Klimakrise und die Biodiversitätskrise seien nun „ein Auftrag zur Transformation", denn „das System, wie wir es jetzt haben, fährt an die Wand". Die große Transformation müsse logischerweise auch das Rechtssystem umfassen.
„Warum sollen wir besonders wertvollen Ökosystemen, die unsere Lebensgrundlage sichern, nicht auch Rechtspersönlichkeit zubilligen?"
Erika Wagner, Umweltjuristin
„Naturschutz ist ein öffentliches Recht, das heißt, die Behörde muss sich darum kümmern", erklärt Erika Wagner, Vorständin des Instituts für Umweltrecht an der Johannes Kepler Universität Linz, „aber diese Konstruktion greift zu kurz. Denn die Behörde muss ja alle Interessen vertreten und einen Kompromiss zwischen diesen machen." Vereinfacht gesagt heißt das: Während ein Projektbewerber für sein Bauvorhaben sich von seinem Anwalt vertreten lassen kann, hat das Ökosystem keinen ebenbürtigen Verteidiger, um sich auf Augenhöhe zu wehren. Die Umweltanwaltschaften seien durch die entsprechenden Landesgesetze in ihren Rechten beschränkt, kritisiert Wagner. Inwieweit die Natur geschützt wird, hänge also stark davon ab, wie engagiert Naturschutz-Sachverständige und Beamte ihren Job machen.
„Selbst eine Insolvenzmasse hat eine Rechtspersönlichkeit. Eine Stiftung ebenso. Warum sollen wir besonders wertvollen Ökosystemen, die unsere Lebensgrundlage sichern, nicht auch Rechtspersönlichkeit zubilligen", fragt Wagner und stellt zugleich klar: „Es geht dabei nicht darum, dass jeder Wurm durch seinen Anwalt ausrichten lässt: ‚Wenn du mir etwas mit der Schaufel tust, verklag ich dich!‘, sondern darum, dass man unabhängig von der Behörde Rechte für besonders geschützte Gebiete geltend machen kann."
Pioniere mit Signalwirkung
Die Forderung ist nicht neu. Schon 1972 sprach sich der amerikanische Rechtsprofessor Christopher Stone in seinem Aufsatz „Should Trees Have Standing" dafür aus, Lebewesen wie Bäume zu nicht-menschlichen Rechtspersonen zu machen.
In Deutschland nimmt die Debatte gerade Fahrt auf. Zum internationalen Tag der Erde im April dieses Jahres forderte das „Netzwerk Rechte der Natur" eine Reform des deutschen Grundgesetzes. Wissenschaftler, Juristen und Umweltschützer hatten dafür einen Vorschlag erarbeitet, wie die Rechte der Natur im Grundgesetz verankert werden können. „Die Festschreibung der Rechte der Natur in Verfassungen würde beim Kampf um Schutz der Natur und bei der Auslegung von Gesetzen durch die Gerichte einen ganz entscheidenden Unterschied machen", heißt es in der Stellungnahme der Initiative.
Vorbilder für die Ökologisierung des Rechts gibt es bereits. 2017 erhob Neuseeland den Fluss Whanganui und den Nationalpark Te Urewera, die für die Maoris von wichtiger Bedeutung sind, zu Rechtspersonen mit Rechten und Pflichten. Im selben Jahr entschied auch das indische Höchstgericht, die für die Hindus heiligen Flüsse Ganges und Yamuna als Lebewesen und Rechtspersonen anzuerkennen.
Als wichtigster Pionier gilt Ecuador. 2008 verpasste sich der südamerikanische Staat eine neue Verfassung und erkannte dabei als erstes Land der Welt die Natur als Rechtssubjekt an und verankerte die Naturrechte im Grundgesetz. Im April 2022 sprach das Höchstgericht in Ecuador schließlich aufgrund dessen ein wegweisendes Urteil: In einem Streit um eine Primatin namens Estrellita erkannte das Gericht Wildtieren das Recht zu, nicht gejagt, gefischt, gefangen und gehandelt zu werden. Es sichert ihnen nun die „freie Entfaltung ihres tierischen Verhaltens" zu. Angesichts all des Tierleids, das Menschen Tieren weltweit zufügen, eine Sensation. - www.rechte-der-natur.de
Von Benedikt Narodoslawsky. Der Text erschien im Original in der Zeitschrift „Falter". Kürzung und Redigatur: Alrun Vogt. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.
Umwelt | Naturschutz, 01.06.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2022 mit dem Schwerpunkt: Wirtschaft im Wandel - Habeck Superstar? erschienen.
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