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Everything-as-a-Service – Europas nächstes Geschäftsmodell und Wegbereiter für die Kreislaufwirtschaft

Licht vermieten statt Glühbirnen zu verkaufen – Geschäftsmodelle, in denen nicht Produkte, sondern Leistung, Funktionalität und Service verkauft werden, sind auf dem Vormarsch. Dadurch können Unternehmen nicht nur nachhaltiger, sondern auch profitabler wirt­schaften. Eine Entwicklung mit großem Zukunftspotenzial.

Wenn hochpreisige Maschinenen wie etwa Laserschneider nicht mehr gekauft sondern gemietet werden, ist der Anreiz für Hersteller umso größer Ihre Produkte kreislauffähig zu entwickeln und im Besitz des Gerätes zu bleiben. © TRUMPF GroupVom Erfrischungsgetränk aus dem Kühlschrank über die Autofahrt ins Grüne bis hin zum mühelosen Voll-Waschgang: viele Annehmlichkeiten sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Dieser Ausdruck materiellen Wohlstands fußt jedoch auf einem zutiefst linearen Wirtschaftssystem, in der die Industrie den Anreiz hat möglichst viel, möglichst günstig zu produzieren. Diese vorherrschende Produktions- und Konsumlogik stößt jedoch an die planetaren Belastungsgrenzen. Ressourcenextraktion und Verarbeitung verursachen 50 Prozent der globalen Emissionen und beeinflussen 90 Prozent des Biodiversitätsverlusts. Die verarbeitende Industrie, die unter anderem Produkte wie Kühlschrank, Auto und Waschmaschine produziert, ist für ungefähr ein Drittel aller CO2 Emissionen in Europa verantwortlich. Hinzu kommen direkte und indirekte Emissionen – vor allem durch Stromerzeugung – und Ineffizienzen während der Nutzungsphase. Autos mit Verbrennungsmotoren stoßen etwa 80 Prozent der Lebenszyklusemissionen während der Nutzungsphase aus und stehen zum Beispiel 92 Prozent der Zeit ungenutzt zumeist im öffentlichen Raum.

Aber, wie kann die Abkehr von einer linearen Wertschöpfung funktionieren? Die Antwort: Durch eine erhöhte Ressourcenproduktivität, also durch die Entkopplung von Wohlstand und Lebensqualität vom Ressourceneinsatz. Für Kühlschrank, Auto, Waschmaschine und Co. bedeutet das eine konsequente Optimierung über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg – vom Produktdesign, über den Materialeinsatz und die Herstellung bis hin zu Nutzung, Wiederaufbereitung und Recycling. Damit das wirtschaftlich funktioniert, sind neue Geschäftsmodelle gefragt.

Everything-as-a-Service
Wie sehen Geschäftsmodelle aus, bei denen Produkte deutlich produktiver genutzt werden können? Was wäre zum Beispiel wenn BSH nicht mehr nur Waschmaschinen verkauft, sondern auch vermietet (BlueMovement); wenn Hilti nicht mehr Bohrmaschinen verkauft, sondern deren Nutzung und Service verleast (fleet management); wenn TRUMPF Werkzeugmaschinen im Bezahlmodell-pro-Teil betreibt; wenn VW Elektroautos im Auto-Abo anbietet; wenn Rolls-Royce Turbinen pro Betriebsstunde abrechnet; wenn Signify sich auf Licht-als-Service fokussiert oder wenn Michelin Reifen nach gefahrenen Personenkilometern in Rechnung stellt? All diese Angebote sind bereits Realität oder werden aktuell getestet.

Sie sind Beispiele für sogenannte XaaS-Geschäftsmodelle (XaaS: Anything as a Service), in denen nicht Produkte, sondern Leistung, Funktionalität und Service verkauft werden. Diese Modelle sind ein wichtiger Hebel, um Ressourcenproduktivität in wirtschaftlich attraktive Geschäftsprozesse zu übersetzen und ein Kundenbedürfnis oder einen gesellschaftlichen Nutzen zu erfüllen. Das bedeutet zum Beispiel nicht den Verkauf einer Glühbirne, sondern die Bereitstellung von Licht, nicht den Verkauf von Teppichfließen sondern die Bereitstellung von Trittschalldämmung, Wohlbefinden, Raum-Ästhetik und Funktionalität. Dadurch, dass XaaS-Anbieter Eigentum über das Produkt behalten und sich auf die Leistung der Produkte fokussieren, entstehen Anreize, die Produkte haltbarer zu designen und produktiver zu nutzen, um Kosten zu sparen. Wenn also anstatt Glühbirnen Licht verkauft wird, entstehen für den Anbieter Anreize, qualitativ hochwertige, langlebige und effiziente Glühbirnen zu benutzen. Wenn diese Modelle richtig und ambitioniert gestaltet werden, entsteht eine Wertschöpfungslogik für ein regeneratives und nachhaltiges Wirtschaftssystem.

Optimierung von ökologischem und ökonomischem Mehrwert
Vier zentrale Bausteine für das Design von XaaS-Modellen
Gemeinsam mit dem SUN Institute Environment & Sustainability hat SYSTEMIQ das ökonomische und ökologische Potenzial von XaaS-Modellen in einer Studie untersucht, die anhand von Fallbeispielen für je Elektroautos, Industriemaschinen und Waschmaschinen zeigt, dass XaaS-Modelle CO?-Emissionen um bis zu 65 Prozent und die Total Cost of Ownership (TCO, also die Gesamtkosten der Herstellung und des Betriebs) um bis zu 39 Prozent reduzieren können. Um diese Potenziale zu realisieren, müssen Anbieter das Produktdesign konsequent nachhaltig gestalten, die Nutzungsphase optimieren, und die Kreislaufführung des Materials sicherstellen. Also im o.g. Fallbeispiel, das Elektroauto auf eine längere Lebensdauer auslegen, eine höhere Auslastung ermöglichen und die Materialrückgewinnung garantieren. Doch obwohl diese Geschäftsmodelle ein großes Potenzial haben, ist die Idee, zu einem XaaS-Modell zu wechseln für viele Unternehmen und Verbraucher noch neu und fremd. Nachfolgend die fünf gängigsten Einwände:

Produkte „as-a-service" zu nutzen ist nicht automatisch nachhaltiger, als sie zu kaufen
Das kann richtig sein, denn "nur” das Geschäftsmodell zu verändern reicht nicht. Laut einer kürzlich erschienenen Studie der ETH Zürich, sind zum Beispiel XaaS-Modelle für E-Roller und E-Bikes aktuell noch oft klimaschädlicher als deren privater Besitz. XaaS-Anbieter müssen deshalb vier Aspekte einer nachhaltigen Gestaltung berücksichtigen (siehe Abbildung 1): a) Entwicklung eines kundenzentrierten Wertversprechens, das echten Kundennutzen mit nachhaltigen (systemischen) Impact kombiniert. Im Beispiel Mobilität bedeutet der Kundennutzen: das Bedürfnis von A nach B zu kommen. Die Impact Ambition ist der nachhaltige Systemwandel in der Mobilität. Zu beachten sind hierbei potenzielle Rebound Effekte – also ungeahnte negative Auswirkungen – die es zu antizipieren und zu managen gilt. Diese können zum Beispiel auftreten, wenn XaaS-Modelle für E-Roller die klimafreundliche Fortbewegung zu Fuß anstelle von klimaschädlicheren Autofahrten ersetzen und wenn durch Vandalismus zerstörte Roller und Fahrräder zur Umweltbelastung werden. b) Ein zirkuläres Produktdesign und Operating Modell, um Kosten und Ressourcen zu sparen. Hierbei liegt der Fokus darauf, die Produktlebensdauer zu verlängern, die Nutzung zu intensivieren, die Material- und Energieeffizienz zu optimieren, mehrere Lebenszyklen zu ermöglichen und Materialkreisläufe zu schließen. c) Das richtige Geschäftsmodell, um die Anreize für gesteigerte Ressourcenproduktivität zu maximieren und den Ertrag zu gewährleisten. d) Passende Partner und die richtige internen Organisation, gerade im digitalen Bereich, um die zirkuläre Wertschöpfung zu maximieren.

Es ist günstiger Produkte zu kaufen, als sie „as-a-service" zu nutzen
Unsere Analyse zeigt, dass XaaS-Modelle – bei gleichbleibendem Nutzen – signifikant günstiger als Produktkäufe sein können. Es kommt dabei jedoch auf zwei Faktoren an. Erstens, ob der XaaS-Anbieter Zirkularität in das Operating Modell integriert, wie zum Beispiel ein möglichst langlebig designtes Produkt, optimalen Service und Wartung sowie möglichst intensive Nutzung. Dies kann zu deutlichen Kosteneinsparungen führen (im Sinne der TCO – Total Cost of Ownership). Bei Elektroautos zum Beispiel ist der TCO Vorteil bis zu 39 Prozent und bei Waschmaschinen bis zu 24 Prozent im Vergleich zum Produktkauf. Zweitens kommt es auf die Preisstrategie des Anbieters an und wie viel dieser Einsparungen an den Kunden weitergegeben werden. Hier bedarf es intelligenter win-win Lösungen und gegebenenfalls einen rechtlichen Rahmen, um Verbraucher zu schützen.

XaaS-Modelle sind ein Verlustgeschäft für Anbieter
Dieser Mythos hat sich durch die Berichterstattung über die anfänglichen Profitabilitätsprobleme von Carsharing-Anbietern wie Car2Go oder DriveNow in der Öffentlichkeit gefestigt. Ein Kernproblem war oft das Nutzerverhalten: Don’t be gentle, it’s a rental. Anbieter müssen dem möglichen Fehlverhalten von Nutzern entgegenwirken, indem sie Produkte und das Operating Modell explizit für XaaS designen, durch langlebige, reparaturfreundliche Produkte, gute Wartung und optimierte Nutzung. Ermöglicht wird das durch Produktkonnektivität und analytische Datenintelligenz über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Die Digitalisierung schafft heute in vielen Unternehmen die Voraussetzung, dass akkumulierte Erlöse durch XaaS-Modelle mittel- bis langfristig deutlich profitabler sein können als der klassische Produktverkauf. Um Kunden schon heute langfristig an sich zu binden, setzen Hersteller auf zusätzliche Services zu ihren Produkten. Die Wertschöpfung erfolgt dann verstärkt über die Service-Komponente.

„As-a-service" Modelle funktionieren nur für bestimmte Produkte – Man denkt bei XaaS sofort an Mobilitätsanbieter wie Nextbike, Tier oder WeShare, aber es gibt ein stark wachsendes XaaS-Ökosystem über verschiedene Industrien und Anwendungen hinweg – von Spielzeug über die Büroausstattung bis hin zu großen Industriemaschinen oder industriellen Robotern. Sogar Chemicals-as-a-Service Modelle werden aktuell in der Praxis strategisch untersucht. Große Unternehmen, aber auch viele Start-ups bieten XaaS-Lösungen, Marktplattformen, oder unterstützende Innovationen in Versicherung oder IT an. Immer mehr Akteure sind sicher, dass servicebasierte Geschäftsmodelle der nächste große Schritt für sie sind. Diese Entwicklung wird durch erhöhten Wettbewerb, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusätzlich getrieben.
 
Die Transformation zum „as-a-service" Anbieter ist zu komplex
Ja es stimmt. Diese Transformation erfordert mehr Interdisziplinarität, neue Fähigkeiten und Agilität. Kernfragen sind zum Beispiel, ob man das Servicegeschäft ausgliedert (z.B. Bosch – Blue Movement) oder nicht (z.B. Hilti), oder wie man das passende Partnernetzwerk aufbaut (z.B. TRUMPF mit MunichRe und Relayr). Unternehmen haben allerdings gute Erfolgsaussichten, wenn sie proaktiv diesen Wandel angehen. Sie können durch die XaaS-Wertschöpfungslogik Kundenbeziehungen dauerhaft vertiefen, planbare und zusätzliche Umsatzströme durch Dienstleistungen schaffen und Nachhaltigkeit zum Unterscheidungsmerkmal machen.

Fazit: Serviceorientierte Geschäftsmodelle – bei denen statt Produkten Leistungen oder Resultate verkauft werden – sind ein Paradigmenwechsel für unsere Wirtschaft. Wenn Firmen das Eigentum an Produkten de facto behalten und in der Folge Mobilität anstatt Autos verkaufen, oder Licht anstatt Glühbirnen, Maschinenleistung anstatt Maschinen, werden Anreize für eine produktivere Ressourcennutzung geschaffen. Und schon beim Design wird eingeplant, was mit den Produkten am Ende vom Lebenszyklus passieren soll. Mit dem richtigen Ansatz, können XaaS-Modelle den Weg in eine Kreislaufwirtschaft ebnen: indem sie die Lebensdauer von Produkten verlängern und Materialkreisläufe schließen. Das bietet auch eine ökonomische Chance für alle Beteiligten, denn wenn die Kosten einer Produktnutzung deutlich sinkt, wird gesellschaftlicher Wohlstand geschaffen. XaaS ist somit die goldene Formel, die für die Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch bisher gefehlt hat. 
 

Dr. Mauel Braun arbeitet im Bereich Nachhaltigkeitsökonomie und Kreislaufwirtschaft am Systemwandel in den Bereichen Energie, Materialwirtschaft und Landnutzung. Er entwirft mit Pionieren neue Geschäftsstrategien, investiert Wachstumskapital in junge Unternehmen mit innovativen Lösungen und ist Dozent für Nachhaltigkeit und Innovation an der Technischen Universität München.

Dr. Carl Kühl unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung und Implementierung nachhaltiger und profitabler Geschäftsmodelle für eine Kreislaufwirtschaft. Er treibt die Dekarbonisierung der Schwerindustrie voran und ist Dozent für zirkuläres Lieferkettenmanagement an der Cranfield School of Management (UK).

Wirtschaft | Branchen & Verbände, 01.07.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2022 mit dem Schwerpunkt: Wirtschaft im Wandel - Habeck Superstar? erschienen.
     
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