Waffen liefern, bis die Welt brennt?

Der aktuelle Kommentar von Sahra Wagenknecht

„Wir werden die Ukraine weiter unterstützen, mit Geld, mit humanitärer Hilfe aber – auch das muss gesagt werden – wir werden sie unterstützen, dass sie sich verteidigen kann, mit Waffenlieferungen." Dies sagte derselbe Scholz, der eine Woche vorher im „Spiegel" noch davor gewarnt hat, uns mit der Lieferung schwerer Waffen immer mehr in diesen Krieg hineinziehen zu lassen und dadurch einen dritten Weltkrieg und womöglich einen russischen Atomschlag zu provozieren. Das alles scheint jetzt plötzlich nicht mehr wahr zu sein. Plötzlich sind wir die Helden, die der Gefahr eines atomaren Infernos unerschrocken trotzen und das angeblich deshalb tun müssen, weil, wie man uns erzählt, in der Ukraine ja der freie Westen verteidigt wird.

Kompromisse sind im Ukraine-Konflikt möglich und dringend gefordert, sagt Sahra Wagenknecht. © Alexandra Koch, pixabay.comHerr Scholz, ich will kein Held sein. Und ich denke, so geht es den meisten Menschen in unserem Land. Ich habe Angst vor Krieg, ich will, dass unser Land bewohnbar bleibt. Und ich will, dass alles dafür getan wird, dass auch die ukrainische Bevölkerung bald wieder in Frieden leben kann. Und ich bin überzeugt, die Lieferung von immer mehr und immer brutaleren Waffen – das ist doch kein Weg zum Frieden. Das ist der Weg in einen endlosen Krieg. Das ist doch wirklich nicht so schwer zu verstehen. Mehr Waffen heißt mehr Leid mehr Zerstörungen, mehr Tote.

Uns nicht in einen dritten Weltkrieg ziehen lassen

Und jetzt schauen wir mal, wie die SPD-Vorsitzende Scholz’ Wendung erklärt: „Der Bundeskanzler entwickelt seine Position weiter, weil die internationale Staatengemeinschaft die Position weiterentwickelt. Deutschland wird niemals einen Alleingang wagen. Das ist der Grund, warum man in einem Spiegel-Interview unter Umständen nicht erklären kann, was drei Tage später in Ramstein bekannt gegeben wird." Das ist ja wirklich interessant. Also wenn die Amerikaner die Ansage machen, dass wir einen dritten Weltkrieg riskieren sollen, dann machen wir das, Gewehr bei Fuß? Wie irre ist das denn?

Ja klar, von ukrainischer Seite werden immer mehr Waffen gefordert. Das ist ja sogar von ihrer Warte aus verständlich. Und, sicher, die Ukraine ist ein überfallenes Land. Und in dem Zusammenhang verdient sie unsere Solidarität. Die Frage ist ja nur: Was ist Solidarität? Solidarität ist, dass wir humanitär unterstützen. Solidarität ist, dass wir alles dafür tun, diesen Krieg zu beenden. Aber Solidarität ist nicht, auszublenden, dass es selbstverständlich unterschiedliche Interessen gibt. So zu tun, als seien die ukrainischen Interessen automatisch unsere Interessen, das sollten wir nicht tun. Natürlich ist es ukrainisches Interesse, die Nato in diesen Krieg hineinzuziehen. Denn nur dann haben sie eine Chance, diesen Krieg zu gewinnen. Aber genau da müssen wir sagen: „Stopp".

Warum Deutschland im Kreuzfeuer steht
Ich bin der Gruppe der 28 Intellektuellen und Künstler sehr dankbar, die Scholz in einem öffentlichen Brief wegen seines jetzigen Kurses gewarnt hat. Und sie sind nicht die einzigen, die warnen. Auch eine Gruppe altgedienter US-Geheimdienstoffiziere hat jetzt einen Brief an Biden geschrieben, in dem sie eindringlich davor warnen, Putin weiter in die Enge zu treiben. Eben weil nicht auszuschließen ist, dass er sonst, wie sie schreiben, einen begrenzten Atomschlag mit modernen Raketen genehmigen könnte. Und übrigens auch der Noch-Nato-Generalsekretär Stoltenberg soll in einem internen Meeting, wie der „Stern" berichtet, gewarnt haben: „Es wäre schrecklich, wenn Russland siegt, aber womöglich noch schrecklicher, wenn es verliert."

Es gibt ein interessantes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das deutlich ausführt, dass vielleicht noch nicht mit der Lieferung von Waffen, aber spätestens mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten wir nach dem Völkerrecht Kriegspartei sind. Und nun muss man wissen, diese Ausbildung läuft bereits hier in Ramstein. Und was machen wir eigentlich, wenn es dann eine russische Rakete auf Ramstein gibt? Das muss ja noch nicht mal eine atomare Rakete sein. Was passiert dann? Schießen wir dann aus vollen Rohren zurück? Dann hätte der dritte Weltkrieg tatsächlich begonnen. Und dann ist es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, ob er irgendwann auch atomar ausgetragen wird. Das muss einem doch verdammt Angst machen, dass es eine solche Möglichkeit auch nur gibt.

Die Strategie des Westens
Wenn wir uns die Situation in der Ukraine angucken, läuft es ganz sicher nicht so, wie die russische Seite sich das vorgestellt hat. Aber glaubt man wirklich, dass Russland irgendwann seine Kapitulation unterschreibt, ohne alle seine militärischen Möglichkeiten – und das heißt auch seine letzte Option, und das ist dann die Atomare – ausgereizt zu haben? Ich halte das für völlig realitätsfremd. Das heißt, wer auf einen ukrainischen Sieg setzt, der setzt auf einen endlosen Krieg mit unkalkulierbarem Eskalationspotenzial. Ich finde das ist unverantwortlich.

Das Schlimme ist ja, das scheint sogar Strategie zu sein. Die Amerikaner sprechen das teilweise ganz offen aus: Man will den Krieg gar nicht kurzfristig mit einem Kompromiss beenden, man will sich gar nicht darum bemühen, eine Verhandlungslösung zu finden, weil es letztlich – aller geheuchelten Anteilnahme mit den Opfern zum Trotz – gar nicht um die Ukraine und das Leid der dortigen Bevölkerung geht, sondern um das endgültige Niederringen des alten Rivalen Russland. Das wird teilweise von den Amerikanern öffentlich gesagt. Der US-Verteidigungsminister sagte zum Beispiel deutlich: Das Interesse der Amerikaner ist nicht Frieden, ihr Interesse ist es, Russland in die Knie zu zwingen. Ja und wenn man Russland in die Knie zwingen will, dann heißt es, man setzt auf einen möglichst lange währenden Krieg, der von anhaltenden westlichen Waffenlieferungen am Laufen gehalten wird.

Was heißt das Setzen auf die militärische Karte?
Das bedeutet, die Ukraine ist dann ein entvölkertes, völlig zerstörtes Land und die Menschen sterben über Jahre. Und das wird einfach ins Kalkül gefasst. Ich finde, das ist wirklich unglaublich. Und die Chiffre dafür, dass man gar keine Verhandlungslösung sucht, das ist das Setzen auf die militärische Karte. Seit einiger Zeit wird das ganz offen immer wieder betont. Der Außenbeauftragte der EU tönte in einem Tweet nach seinem Besuch in Kiew: „Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld entschieden." Na schönen Dank auch. Wie viele Jahre soll da noch geschlachtet werden?

Im Klartext heißt das, die Ukraine soll die Entscheidung mit der Atommacht Russland auf militärischem Wege auf dem Schlachtfeld suchen. Und wir werden sie dafür mit immer mehr und immer tödlicheren und brutaleren Waffen beliefern, was natürlich zur Folge haben wird, dass auch Russland immer mehr und immer brutalere Waffen einsetzen wird. Und das nehmen wir in Kauf, so die Strategie, weil das dann Russland nachhaltig schwächen wird. Sind die denn alle verrückt geworden? Wo soll denn das enden? Schon Kennedy wusste, dass man eine Atommacht niemals in eine Situation bringen darf, aus der sie keinen gesichtswahrenden Ausweg mehr findet. Und deswegen ist das ganze Gequatsche vom ukrainischen Siegen und der Entscheidung auf dem Schlachtfeld wirklich nur eines: Unverantwortlicher Schwachsinn.

Kompromisse sind möglich
Die entscheidende Frage ist: Gäbe es denn mögliche Kompromisse, auf deren Grundlage ein Verhandlungsfrieden erreichbar wäre? Wäre das wirklich so unerreichbar, wie es dargestellt wird? Um das zu beantworten, muss man sich darüber im Klaren sein, worum es in diesem Krieg geht. Geht es um die große Auseinandersetzung zwischen Autokratie und Demokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung, wie es immer wieder dargestellt wird? Dann wäre ein Kompromiss tatsächlich kaum denkbar. Aber ich glaube, dass diese Darstellung falsch ist. Der Ukraine-Krieg ist ein typischer geopolitischer Krieg, bei dem es um Interessen und Einflusssphären geht. Konkret geht es darum, dass Russland nicht zulassen will und wohl auch nicht zulassen wird, dass auch noch die Ukraine teil der US-Einflusszone wird und da irgendwann, wie in Polen und Rumänien, Raketenbasen stehen, von denen aus Raketen in weniger als fünf Minuten Moskau erreichen können.

Nun kann man sagen, die Russen haben kein Recht, sich in die ukrainischen Entscheidungen und Bündnisorientierungen einzumischen. Aber das ist der Kern des Konflikts und die Frage ist, ist man hier zu Kompromissen bereit oder meint man ernsthaft, dass ein Beharren auf diesem Punkt das furchtbare Leid und den Tod von tausenden Ukrainern und sogar eine Eskalation zu einem möglichen atomaren Konflikt wert ist.

Tod oder Verhandlungen

Im übrigen kann ich das scheinheilige Gerede von der freien Bündniswahl nicht mehr hören. Wir haben gerade ein aktuelles Beispiel, wie es mit der freien Bündniswahl aussieht, wenn US-amerikanische Bündnisinteressen berührt sind. Da gibt es eine kleine Inselgruppe im Südpazifik, die Salomonen. Und dieses kleine Land will von seinem Recht auf freie Bündniswahl Gebrauch machen und eine Militärallianz mit China eingehen und damit China auch die Möglichkeit geben, einen Marinestützpunkt auf seinem Territorium zu errichten. Die amerikanische Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Das weiße Haus drohte den Salomonen unverhohlen mit einem Militärschlag. Also die Russen sind paranoid, wenn sie sich über US-Militär und mögliche Raketenbasen unmittelbar an ihren Grenzen beschweren, aber die USA drohen mit Krieg selbst dann, wenn es sich um eine Inselgruppe im Südpazifik handelt. Und ich glaube wir müssen nicht darüber reden, was passieren würde, wenn Russland je auf die Idee käme, einen Militärstützpunkt zum Beispiel in Venezuela einzurichten.

Sahra Wagenknecht © DiG/TrialonDeswegen sollten wir uns nicht länger für dumm verkaufen lassen. Ja der Krieg gegen die Ukraine ist furchtbar und er ist ein Verbrechen. Aber umso mehr  muss man jetzt alles dafür tun, auf diplomatischem Weg einen Kompromiss zu suchen und möglichst schnell einen Verhandlungsfrieden zu erreichen. Fast alle Kriege sind irgendwann mit Verhandlungen beendet worden. Die Frage ist also nicht, ob man irgendwann verhandelt, die Frage ist: Wie viele Menschen sind bis dahin gestorben. Ist der Krieg bis dahin auch in Europa angekommen? Steht hier noch ein Stein auf dem anderen? Leben die Menschen hier noch? Das ist doch das Entscheidende. Wir brauchen also Verhandlungen, um uns alle vor der Gefahr eines verheerenden Weltbrands zu bewahren.

Der Text ist eine leicht gekürzte, freundlich genehmigte Abschrift eines Videokommentars von Sahra Wagenknecht.

Sahra Wagenknecht ist Bundestagsabgeordnete und ehemalige Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE.

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Lesermeinungen zu Sahra Wagenknechts Kommentar:

"Wir müssen gewaltig aufrüsten, sonst stehen die Russen morgen vor Warschau und übermorgen vor Berlin". So ähnlich lautet die von unserer Regierung und unseren Massenmedien derzeit verbreitete Überzeugung. Ausgeblendet bleibt seltsamerweise immer die Frage, wann die Gefahr eines Angriffs tatsächlich realistisch ist und wann nicht. Der Angreifer ist ja immer im Nachteil, der Verteidiger im Vorteil. Deshalb muss der Angreifer dem Angegriffenen deutlich überlegen sein. Sind die Russen der Nato überlegen? Nein. Ist die Nato den Russen überlegen? Ja. Und zwar 16-fach, wenn man die Militäretats der Mitgliedsstaaten zusammenzählt. Wenn jetzt auch noch Finnland und Schweden beitreten, wohl 17-fach. Braucht es da noch 100 Mrd. Euro Sondervermögen für die Bundeswehr? Die Antwort kann nur „Nein" lauten. Eine solch hohe Überlegenheit der Nato lässt sogar noch viel Spielraum für Kürzungen der Militäretats zugunsten der sehr wichtigeren Aufgabe: der ökologischen Transformation unserer Gesellschaft. Denn auch eine nur 10-fache Überlegenheit reicht für unsere Sicherheit noch völlig aus, eine 5-fache wohl auch.

G.H.

"Für alle Beteiligten ist der Krieg mit Beginn schon verloren. Für eine mündig gewordene Menschheit ist er ein letzter Aufruf:
Das Anthropozän verträgt keine Kriege mehr. Die Eine Welt der Einen Menschheit auf der Einen Erde: sie sind auf Gedeih' und Verderb‘ miteinander verbunden. Krieg ist dem nicht mehr angemessen; denn es gibt letztendlich nur noch eine Partei,- und die kann und darf sich nicht selbst bekriegen; sie muss den einen, den entmenschenden, alle Kultur und Welt zerstörenden Gegner überall identifizieren und jederzeit bekämpfen: sie muss den Krieg besiegen. Das geht nicht mit Waffen. Das geht nur im Frieden. Und nur, wenn wir bereit sind, dafür alles zu geben...
Es ist an der Zeit: Nie wieder Krieg!"
F.S.


Gesellschaft | Politik, 15.05.2022

     
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