Das Trauma – nicht nur in Covid-Zeiten ein kollektives Phänomen

Glosse: Im Visier von Bobby Langer

Warum sich mit dem Trauma beschäftigen? Weil die Zeit dafür reif ist. Noch nie haben so viele Menschen davon berichtet, ja regelrecht darauf beharrt, verstört zu sein.
 
Die Covid-Traumatisierten
Meine Vermutung, beim Trauma handele es sich um ein Zeitgeist-, wenn nicht gar Modethema, wird von Google unterstützt. Die Suchmaschine förderte dafür im Februar dieses Jahres 228 Millionen Einträge zutage. An manchen Fronten registrieren Experten einen regelrechten Trauma-Wettbewerb, wie sich am Fall Covid eindrucksvoll belegen lässt.
 
Bobby Langer sieht die Zivilisation als lebenslängliche, traumatisierende Situation. © chenspec, pixabay.comDa sind einmal die von einer echten Erkrankung Traumatisierten; der Schweregrad ihres Leidens spielt allerdings nur bedingt eine Rolle. Die zweite Trauma-Gruppe bilden all jene, die noch gar nicht an Corona erkrankt sind, aber daran erkranken könnten. Oftmals ist ja das Ungeheuer vor der Tür größer als das im Zimmer; Corona als Scheinriese. Die dritte Betroffenen-Gruppe ist das medizinische Personal. Es ist polytraumatisiert, denn einerseits muss es, in Raumanzüge gehüllt, gefasst und souverän dem Überleben der Menschheit dienen, andererseits muss es den Vorwurf einstecken, dass Covid doch gar nicht so schlimm sei, und drittens muss es mit dem Dauerfrust umgehen, die angemessene Lohnerhöhung nicht zu erhalten, die ebenso oft angekündigt wie nicht gewährt wurde. Doch all diese Traumata sind nichts im Vergleich zur Not all jener, die von einer ebenso ratlosen wie tatenreichen Coronapolitik an den Rand des Wahnsinns getrieben werden und nun vor den Nervenheilanstalten Schlange stehen.
 
Wann entsteht ein Trauma?
Sie alle blieben ohne den eitlen Lohn der Publizität, gäbe es da nicht dieses tägliche, 24-stündige Public-Trauma-Viewing von A wie ARD-Alpha bis zu Z wie ZDF. Ein anderes kollektives Trauma wird bei all dieser medialen Covid-Begeisterung beharrlich vergessen und verschwiegen. Doch zunächst die Frage: Ab wann entsteht denn nun ein Trauma?
 
Zur Klarheit sei angemerkt: Ein Trauma wird nicht durch Viren verursacht, auch nicht durch Bakterien oder anderes, lästiges Kleinzeugs. Das Wort hat auch nichts mit „Traum" zu tun, sondern wurde von klugen Psychologen dem Griechischen entlehnt, wo trauma „Wunde" bedeutet. Ein wesentliches Merkmal des Traumas ist die empfundene oder tatsächliche Ausweglosigkeit für die Betroffenen. Dabei gibt es nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Traumata, wie die nach dem 1. Weltkrieg entstandene Traumaforschung herausgefunden hat. Massenmorde und Genozide gehören dazu. Und jetzt Corona?
 
Das Arme-Schlucker-Trauma
Für ein kollektives Trauma brauchen wir Covid-19 gar nicht. Dafür genügt das Trauma der Zivilisation. Ein Symptom dafür ist das Arme-Schlucker-Trauma (AST): Erben reicher Vermögen sind weniger traumatisiert als die Kinder armer Schlucker. Die Erben können sich nämlich zum Beispiel aus Problemsituationen freikaufen. Was sagt uns das? Es sagt uns: Arme Schlucker, und dazu zähle ich all jene, die arbeiten müssen, befinden sich in einer ausgesprochen traumatischen Situation, die sie obendrein nahezu ausnahmslos weitervererben; sie müssen mit körperlicher und geistiger Not und/oder gesellschaftlicher Ächtung rechnen, wenn sie nicht tüchtig arbeiten gehen. Sie verkaufen ein Drittel ihrer besten Lebenszeit, ein weiteres Drittel verschlafen sie, um genügend Kraft für das erste Drittel zu gewinnen, und das dritte Drittel nutzen sie, um das erste Drittel zu vergessen. Die traumatisierende Situation, Zivilisation genannt, bleibt nicht nur vorübergehend erhalten, sondern ein Leben lang.
 
Die ganze Menschheit ist betroffen
Bobby Langer. © privatEs sieht also danach aus, als ob sich die Mehrheit der Bevölkerung der westlich organisierten Gesellschaften laufend traumatisiert und Covid hier in Sachen kollektivem Trauma wenig wettbewerbsfähig ist. Die exponentiell steigenden Zahlen psychischer Störungen sprechen eine klare Sprache. Bleibt zu fragen: Wer denn, bitte schön, ist, rein statistisch gesehen, noch nicht traumatisiert? Meine Vermutung richtet sich auf unterentwickelte Homo-Sapiens-Gruppen, die sich in fernen Urwäldern oder Hochgebirgstälern verstecken, dort fröhlich vor sich hin jagen und sammeln, ackern und zeugen und den Segnungen der westlichen Zivilisation noch widerstehen. Erst wenn auch sie traumatisiert sind, werden wir sie anerkennend in die gezückten Messer der entwickelten Menschheitsfamilie laufen lassen. Wir sind ja keine Unmenschen.
 
Bobby Langer ist freier Journalist, Gründer der Grünen PR-Agentur ecoFAIRp und engangiertes Mitglied bei Ökoligenta.

Gesellschaft | Politik, 21.02.2022
     
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