Die Lieferketten halten – trotz Corona
Millionen Seeleute sichern unseren Alltag unter prekären Bedingungen
Anlässlich des Tags der Seefahrer am 25. Juni fordert das zivilgesellschaftliche Bündnis Fair übers Meer! die Bundesregierung und die maritime Wirtschaft auf, endlich die Arbeitssituation von Seeleuten substantiell zu verbessern. Dazu zählt auch, ihnen medizinische Informationen und Versorgung sowie Kontaktmöglichkeit zu den Familien zu gewähren. Weltweit sind noch immer 200.000 Seeleute an Bord gefangen. Es ist längst überfällig, die Seeleute als wichtigstes Glied der Lieferketten anzuerkennen und ihnen insbesondere in Pandemiezeiten Schutz und Vorrang zu gewähren.
Auch während der COVID-Pandemie werden 90 Prozent der weltweiten Güter werden auf dem Seeweg transportiert. Seeleute fahren in Hoch-Risikogebiete und liefern Waren, dürfen aber nicht von Bord und können von vielen Häfen auch nicht nach Hause reisen. Im Sommer 2020 waren 400.000 Seeleute an Bord gefangen. Mittlerweile sind es immer noch ca. 200.000 Menschen, die mit geringer Versorgung wochenlang auf den Weltmeeren unser aller Alltagsversorgung am Laufen halten. Das zivilgesellschaftliche Bündnis Fair übers Meer! fordert angesichts ihrer oft prekären Arbeitsbedingungen, ihnen endlich Systemrelevanz zuzuerkennen und dies mit entsprechenden Maßnahmen zu stützen und zu fördern.
Matthias Ristau, Seemannspastor der Nordkirche, schildert die dramatische Lage: „Für die Seeleute ist die Corona-Krise noch lange nicht vorbei. 200.000 Seeleute hängen immer noch an Bord fest und an vielen Orten nehmen die Beschränkungen wieder zu. Ein Seemann drückte es mir gegenüber so aus: ‚Die Waren wollen die Menschen haben, aber uns Seeleute wollen sie nicht‘. Viele Seeleute sind am Ende ihrer Kräfte. Körperlich und seelisch. In vielen Häfen wird Seeleuten in der Corona-Krise die medizinische Behandlung an Land verwehrt. Folge sind verschleppte Erkrankungen, schlecht verheilte Verletzungen nach Unfällen und auch Todesfälle."
Peter Geitmann, Nationaler Schifffahrtssekretär von ver.di, erklärt: „An Bord bekommen die Seeleute oft nur wenige Informationen über COVID-19. Dabei kommen diese aus den verschiedenen Herkunftsländern, aus dem Land der Reederei, aus dem Flaggenstaat und aus den Häfen. Das ist verwirrend und kaum durchschaubar. Immer wieder berichten Seeleute, dass sie nicht ausreichend mit Schutzausrüstung ausgestattet werden und dass Behörden und Firmen in verschiedenen Häfen ihre Leute ohne Masken usw. an Bord schicken. Durch die neuen Varianten des Virus ist zu beobachten, dass zunehmend Seeleute an Bord infiziert werden. Schiffen mit Corona-Fällen an Bord wird in Häfen, auch in Deutschland, immer wieder die Einfahrt verwehrt oder sie werden sogar aus dem Hafen weggeschickt."
Nelly Grotefendt, Politik-Referentin beim Forum Umwelt und Entwicklung, macht deutlich: „Auch in der Corona-Krise gelten die internationalen Rechte der Seeleute. Das haben nicht zuletzt die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) und Internationale Arbeitsorganisation (ILO) mehrfach betont. Seeleute sind "systemrelevant" und daher müssen sie auch so behandelt werden. Umfragen der Deutschen Seemannsmission zeigen, dass die meisten Seeleute seit ihrem Anmustern kein einziges Mal an Land konnten, teilweise bis zu 20 Monate lang. Dabei ist Landgang unerlässlich, da die Seeleute dann ‚auftanken‘ können nach ihrer oft monatelangen Zeit an Bord."
Das Bündnis Fair übers Meer! fordert von Bundesregierung und maritimer Wirtschaft:
- Alle Seeleute, die länger als 11 Monate an Bord sind, müssen von Bord und wenn irgend möglich nach Hause. Das muss auch die deutsche Hafenstaatkontrolle durchsetzen.
- Landgang muss überall dort ermöglicht werden, wo kein Hochrisikogebiet ist.
- Seeleute müssen gute Schutzausrüstung kostenfrei gestellt bekommen.
- An Bord muss es freies Internet geben.
- Alle Seeleute, die in deutsche Häfen kommen, müssen dort geimpft werden können. Sie sind für uns ständig unterwegs und haben deshalb sonst kaum Möglichkeit dazu. Impfen ist schon deshalb wichtig, weil Seeleute auf den Weltmeeren kein Krankenhaus, keinen Arzt und an Bord auch keinen Sauerstoff haben, um sachgerecht behandelt zu werden.
- Schiffe, auf denen es Corona-Fälle gibt, müssen in Häfen gelassen und die Seeleute dort betreut und versorgt werden. Quarantäne sollte an Land erfolgen.
- Erkrankte müssen psychosozial versorgt werden.
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 24.06.2021
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