Hydrogen Dialogue 2024

BWL gleich Blenden – Wuchern – Lamentieren

Wann und wie kommt der Wandel?

Zwei Professoren zeigen im forum-Interview auf, welch gravierende Auswirkungen das Prinzip der Gewinnmaximierung auf die verschiedensten Bereiche unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens hat. Es fördert Konkurrenzdenken und egoistisches Verhalten, es führt zu Umweltzerstörung, Sozialabbau und einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft.
 
Doch sie zeigen auch ermutigende Alternativen, wie jeder Einzelne dazu beitragen kann, die Probleme des menschenverachtenden Prinzips der Gewinnmaximierung zu überwinden und es durch menschengerechte Ziele zu ersetzen. Dazu wollten wir mehr wissen.
 
Meine Herren, Sie haben für Ihr Buch einen provokanten Titel ausgewählt. Wie kam es dazu? 
Heinz Siebenbrock © Thomas MohnHeinz Siebenbrock (HS): Die gesamte Betriebswirtschafts-lehre, kurz BWL, baut auf dem alles überragenden Glaubenssatz auf, dass Unternehmen ihre Gewinne oder ihre Renditen maximieren sollen. Dieser eigentlichen Provokation wollen und müssen wir etwas entgegensetzen.
Christian Kreiß (CK): Im Namen der Gewinnmaximierung plündern wir unseren Planeten, beuten viele Beschäftigte aus, drehen Kunden schlechte, kurzlebige oder unnötige Produkte an. Gewinnmaximierung predigen heißt, Egoismus, Geiz und Gier zu predigen. Und wir Hochschullehrer tun genau das Tag für Tag von den Lehrkanzeln. Das kann doch nicht so bleiben. Es gibt kaum ein schlimmeres und schädlicheres Dogma in der heutigen Welt. Da dachte ich mir: Dagegen muss ich was tun! Und Heinz hatte genau den gleichen Gedanken. So haben wir uns zusammengetan.

Wen wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?
HS: Mit unserem Buch nehmen wir das zentrale Paradigma einer wissenschaftlichen Disziplin auseinander, die allein in Deutschland 15 Millionen Menschen unmittelbar prägt, denn ein Drittel aller Erwerbstätigen verfügt über ein beträchtliches betriebswirtschaftliches Wissen.
CK: Und diese 15 Millionen Menschen prägen ihrerseits die gesamte Gesellschaft. Wo Sie auch hinschauen: Die Politik, Aus- und Weiterbildung, unser Sozialwesen, sämtliche Bereiche unserer Gesellschaft unterliegen einer wachsenden Ökonomisierung, auch der Kultur- und Literaturbetrieb, die Wissenschaft, das Gesundheitswesen und noch viele andere Bereiche. Dabei steht nicht die Qualität, sondern die Profitabilität im Vordergrund.  
 
Ist das denn ein Gegensatz? Profit bringt doch nur das, was Qualität hat!
HS: Schön wäre es, wenn es immer, oder zumindest meistens, so wäre. Leider ist dies ein weitverbreiteter Trugschluss. Schauen wir doch einmal genau hin: Im Alltag begegnen uns  überall  Abzocke  und  Ausbeutung.  Produkte  werden  so  konstruiert, dass sie früher als nötig kaputtgehen oder sich nicht reparieren lassen. Wir werden mit Werbung zugemüllt, die wir selber bezahlen. Und schließlich zahlen wir hart arbeitenden Menschen so wenig, dass sie von ihrem Einkommen nicht leben können. Ist es nicht oft auch so, dass wir Produkte kaufen, die wir eigentlich gar nicht benötigen, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen?
CK: Und  der  Treiber  ist  die  Gewinnmaximierung,  das  zentrale Dogma der Betriebswirtschaftslehre. Die Gewinnmaximierung führt gleichzeitig zu Absurditäten wie "Geiz ist geil" und einer grenzenlosen Unersättlichkeit, auch Konsumismus genannt.
 
Aber Unternehmen müssen doch Gewinne machen, um stabil finanziert zu sein und investieren zu können?
Christian Kreiß © Kreiß privaHS: Das stimmt natürlich. Aber es macht einen riesigen Unterschied, ob Gewinn das Ergebnis oder das Ziel eines Unternehmens ist. Ein Beispiel: Wir müssen essen, um zu leben. Aber wenn wir leben, um zu essen: Wie arm wird dann das Leben? Und außerdem werden wir dann zu dick. 
 
CK: Wenn das Ziel eines Unternehmens ist, gute Produkte oder Dienstleistungen anzubieten, die die Kunden wirklich brauchen, und als Ergebnis ein Gewinn hängen bleibt, so ist das eine feine Sache. Wenn Unternehmen jedoch das oberste Ziel haben, die Gewinne zu maximieren, kommen zwangsläufig immer mehr Missstände auf. Dann werden die Unternehmen dazu getrieben, die Kunden nach dem Motto zu behandeln: Wir wollen doch nur dein Bestes – dein Geld. Maximale Renditen heiligen die Mittel, dann werden alle Tricks, Machenschaften und Tücken erlaubt – das wird von Tag zu Tag schlimmer.
 
Können Sie das genauer beschreiben?
CK: Nehmen Sie doch einfach die Entwicklungen und die ganzen Skandale der letzten paar Jahre: zunehmende Arbeitsverdichtung, Leistungsdruck, Burnout, Lohndrückerei, Leiharbeit, Werkverträge, Scheinselbstständigkeit, falsche Werbeversprechungen, übergroße Verpackungen, nicht auswechselbare Akkus, mit vorsätzlichem Betrug eingebaute Dieselsoftware, die ganze Diskussion um die Abgasgrenzwerte, Glyphosat, Greenwashing, Cum-Ex-Steuerbetrug in zweistelliger Milliardenhöhe und die gesamte Finanzkrise. Sie können das alles auf einen Nenner bringen: Gewinnmaximierung. Immer geht es darum, auf Teufel komm raus so viel Rendite wie möglich rauszuholen. Ich war früher sieben Jahre lang Investmentbanker. Wenn wir ein Unternehmen in den Fingern hatten, gab es immer nur drei Ziele: Profit, Profit, Profit. Die Manager müssen durch den brutalen Druck der Kapitalmärkte oft über die Grenze des Legalen hinausgehen.
 
Haben Sie nicht Sorge, mit Ihren Aussagen als Nestbeschmutzer dazustehen?
CK: Ja, natürlich. Aber das hilft nichts. Die Wahrheit tut eben manchmal weh.
HS: Und in Wahrheit beschmutzen wir unser wissenschaftliches Nest nicht wirklich, im Gegenteil: Endlich trauen wir uns, den Schmutz zu beseitigen, denn der Kern der aktuellen BWL ist menschen- und umweltfeindlich. Dieser Schmutz belastet nämlich nicht nur die Wirtschaft, sondern unsere gesamte Gesellschaft.
 
Also verroht die Gewinnmaximierung die Gesellschaft?
HS: Genau das wollen wir mit unserem Buch zum Ausdruck bringen ...
CK: ... und wir wollen Wege aufzeigen, wie wir es besser machen können.
 
Würden Sie bitte konkreter werden, meine Herren?
HS: Dazu gehört zuallererst, dass wir Ökonomen uns an die eigene Nase fassen müssen. Das unsägliche Paradigma der Gewinnmaximierung muss aus unseren Lehrbüchern verschwinden. Stattdessen brauchen wir Zielsetzungen, die den Menschen, die Umwelt und das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellen.
CK: Drei Ebenen haben wir dabei im Blick. Zunächst zeigen wir, was jeder Einzelne für eine freundliche Zukunft tun kann. Danach stellen wir Unternehmen vor, die bereits heute für eine menschen- und umweltorientierte Ausrichtung stehen. Mit dem Konzept "Faires Management" und der "Gemeinwohlbilanz" beschreiben wir Ideen, die Unternehmen sofort übernehmen können. Schließlich skizzieren wir mit einigen Forderungen zum Wirtschafts- und Gesell-schaftsrecht Möglichkeiten, die die Politik aufgreifen sollte.
 
Prof. Dr. Heinz Siebenbrock studierte BWL an der Universität Münster, war Assistent am Lehrstuhl für BWL sowie als Vorstandsassistent, Geschäftsführer und Mitglied der Geschäftsführung in verschiedenen Unternehmen tätig. Seit 2000 lehrt er an der Hochschule Bochum Allgemeine Betriebswirtschaftslehre sowie die Fächer Unternehmensorganisation und Führungslehre.
 
Prof. Dr. Christian Kreiß arbeitete nach Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte neun Jahre als Bankier, davon sieben Jahre als Investmentbanker. Seit 2002 unterrichtet er als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Christian Kreiß veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel, hält Vorträge und tritt auch im Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte auf.

Wirtschaft | CSR & Strategie, 01.12.2020

     
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