Verliert die politische Elite in Berlin den Bezug zu ihrer Bevölkerung?

Christoph Quarch fordert dringend klare Zeichen der Solidarität mit der Jugend.

Nach dem Inkrafttreten des November-Lockdowns ist plötzlich wieder viel von Solidarität die Rede. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble etwa sagte in einem SWR-Interview, er sehe in der Corona-Pandemie „die Chance auf eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts" und begründete das damit, dass es nicht so furchtbar schlimm sein könne, mal ein paar Wochen nicht essen gehen und feiern zu können – ja, dass es im Gegenteil begrüßenswert sei, wenn im Lockdown die Familien enger zusammenrücken. Unser Philosoph Christoph Quarch sieht in diesen Aussagen einen Hinweis darauf, dass die politische Elite in Berlin den Bezug zu ihrer Bevölkerung verliert, vor allem zur jungen Bevölkerung.
© Orna Wachman, pixabay.com 
Herr Quarch, was stört sie an den Worten Schäubles?
Es ist ja nicht Schäuble allein. Mich stört die zunehmende Ignoranz gegenüber weiten Teilen unserer Gesellschaft, die von der vielbeschworenen Solidarität nichts zu spüren bekommt – und die solche Reden mit Recht nur zynisch finden kann. Dabei denke ich vor allem an die jungen Leute, für die es durchaus schlimm ist, nicht essen gehen und nicht feiern zu dürfen – ja, die sich auch nicht im öffentlichen Raum treffen dürfen und deren Leben durch den Lockdown massiv beeinträchtigt wird. Tatsächlich kann ich jeden jungen Menschen verstehen, der sich heute als Corona-Verlierer fühlt und darüber klagt, dass es um die Solidarität mit den Jungen im Lande nicht weit her ist.
 
Immerhin sind Schulen und Hochschulen weiter geöffnet.
Ja, aber das Leben besteht aus Mehr als aus Schule und Hochschule. Gerade für junge Leute ist es so wichtig, sich mit Gleichaltrigen zu treffen und ihren eigenen Lebensstil zu entfalten. Familie ist da zweitrangig. Auf heute.de klagte vor wenigen Tagen ein junger Autor namens Nils Hagemann, seine Generation werde allzu oft übergangen. Man werde als „partywütig" geblamed oder als „Superspreader" verdächtigt. Dabei gehe es den Jugendlichen gar nicht um abgesagte Clubnächte oder verschobenen Barabende, sondern „um verlorene Jugendjahre, die wir nie wieder aufholen werden". Als ich das las, habe ich an meine eigene Jugend zurückgedacht - und muss sagen: Das stimmt, darüber machen wir Ältere uns viel zu wenig Gedanken.
 
In der Breite verhalten sich die jungen Leute aber gleichwohl regelkonform. Ein Aufbegehren der Jugend findet jedenfalls nicht statt.
Aber es rumort. Sehr zu denken hat mir gegeben, dass der gerade erwähnte Autor im gleichen Artikel schreibt: „Seit Jahren gehen wir auf die Straße und fordern Eure Solidarität für unsere Zukunft und nichts passiert. Und jetzt geht es einmal um Eure Zukunft und von uns wird das erwartet, was wir seit Jahren von Euch nicht bekommen: Solidarität." Da hat er einfach Recht: Es gibt in unserer Gesellschaft eine viel zu große Ignoranz gegenüber den Zukunftssorgen der jungen Generation angesichts des Klimawandels. Politiker wie Schäuble sind da nur die Spitze des Eisbergs. Wir kreisen viel zu sehr um uns selbst und gefährden damit die Zukunft unseres Landes.
 
Ist das nicht ein bisschen überdramatisiert?
Nein. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete vor ein paar Tagen, dass während des Frühjahrslockdowns die Zahl der Depressionen bei jungen Menschen deutlich zugenommen habe, währen bei der Gruppe der Ü 60 keinerlei Veränderung erkennbar wurde. Das muss alarmieren. Man schickt uns in den Lockdown, um einen „Gesundheitsnotstand" zu vermeiden und ignoriert dabei, dass wir immer mehr junge Menschen in Stress und Depression stürzen. Das kann so nicht bleiben. Es braucht dringend klare Zeichen der Solidarität mit der Jugend. Das Beste wäre, endlich ihren Forderungen nach einem radikalen ökologischen Wandel zu genügen, um ihnen auf diese Weise wieder die Lust an der Zukunft zu geben.

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."

Hören Sie ihn persönlich im SWR-Podcast Frühstücks-QuarchLesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de
 
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".

Gesellschaft | Politik, 07.11.2020

     
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