Jane Muncke
Lifestyle | Gesundheit & Wellness, 04.12.2019
Gesund verpackt?
Unser Lebensstil stellt die Verpackungsindustrie vor Herausforderungen
In der Diskussion um Lebensmittelverpackungen dreht sich aktuell meist alles um den Abfall und wie dieser vermieden bzw. besser gehandhabt werden kann. Recycling, Pfandsysteme und Zero Waste sind die dominierenden Stichwörter. Aber ein Thema, das von grundsätzlicher Relevanz ist, wird oftmals nicht beachtet: Chemikalien, die sich aus der Verpackung lösen und ins Lebensmittel übergehen.
Die erschreckende Meldung: Synthetische Substanzen aus Lebensmittelverpackungen können mit der Nahrung vom Menschen aufgenommen werden und über den Magen-Darm-Trakt in den menschlichen Körper gelangen. Tatsächlich sind Lebensmittelverpackungen eine der Hauptquellen für die menschliche Belastung mit synthetischen Chemikalien – wenngleich eine, die wenig Beachtung findet.Seit über 40 Jahren gibt es wissenschaftliche Studien, die den Übergang von Chemikalien aus Lebensmittelverpackungen (oder, im Fachjargon, Lebensmittelkontaktmaterialien) untersuchen. Unter Experten wird von Migration gesprochen: Chemische Substanzen diffundieren dabei aus Plastik, Papier oder den Beschichtungen von Konservendosen in die Nahrung. Bei Glasverpackungen können nur die Deckel eine Quelle sein, denn bei den inerten Materialien wie Glas oder unbeschichtetem Metall (z.B. Edelstahl) findet Migration nur auf der Oberfläche statt aber niemals aus dem Materialinneren oder gar durchs Material hindurch. Anders sieht es bei den nicht-permanenten Materialien Papier und Plastik aus: Hier können Inhaltsstoffe aus Drucktinte oder Klebstoff migrieren, wenn keine geeignete Barriere wie zum Beispiel Aluminium verwendet wird.
Die Dosis macht ja das Gift
Menschen nehmen also synthetische Substanzen aus der Verpackung mit ihrer Nahrung auf. Doch diese liegen ja nur in niedrigen Konzentrationen im Lebensmittel vor und sollten daher unbedenklich sein?
Ja, aber... Natürlich macht die Dosis das Gift. Diese Faustregel, die auf den im Mittelalter lebenden Arzt und Forscher Paracelsus zurückgeht, hat nach wie vor Gültigkeit. Allerdings bezieht sich „Gift" tatsächlich auf sogenannte akute Toxizität, sprich Leben oder Tod, bzw. akute, unmittelbare Effekte, die relativ direkt mit der Einnahme toxischer Substanzen korrelieren. Bei Chemikalien, denen man tagtäglich in kleinen Mengen ausgesetzt ist, spricht man von chronischer Toxizität. Hier ist es schwierig, einen Zusammenhang nachzuweisen mit chronischen Krankheiten, wie Krebs, Herzkreislauf-Erkrankungen, metabolischen Krankheiten wie Diabetes oder Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit, neurologischen Krankheiten oder Erkrankungen des Immunsystems.
Bei der Zulassung von Chemikalien für die Herstellung von Lebensmittelverpackungen werden vor allem Effekte auf das Erbgut untersucht. Man fokussiert also hauptsächlich auf Krebs, was mit Sicherheit ein sehr wichtiger Aspekt ist. Aber es gibt Daten, die darauf hinweisen, dass Chemikalien auch bei der Entstehung von anderen chronischen Krankheiten eine wichtige Rolle spielen, und diese Erkrankungen nehmen in der Gesellschaft zu.
Erkenntnisse aus der Wissenschaft
Während der letzten 30 Jahre hat das Wissen über die Wirkung von Chemikalien auf die Gesundheit stark zugenommen. Trotzdem werden fundamentale Erkenntnisse der Wissenschaft bisher nicht systematisch bei der Zulassung von Chemikalien für Lebensmittelverpackungen berücksichtigt. Die wichtigsten Aspekte meiner Meinung nach sind insbesondere:
- Effekte im Niedrigdosiswirkungsbereich, insbesondere von synthetischen Substanzen, die mit dem Hormonsystem interagieren und es entweder stimulieren oder blockieren – beide Wirkungsweisen können zu gesundheitlichen Problemen führen und je nach menschlichem Entwicklungsstadium auch zu irreversiblen Schäden z.B. des Gehirns oder der Fruchtbarkeit. Diese Chemikalien heißen auch endokrine Disruptoren und stellen ein bekanntes Risiko dar.
- Mischungseffekte von Chemikalien, insbesondere wenn mehrere Substanzen gleichzeitig aus einer Lebensmittelverpackung migrieren und alle auf das gleiche biologische Ziel im menschlichen Körper schädlich einwirken. Diese Cocktail-Effekte sind wissenschaftlich erwiesen und der Handlungsbedarf wurde erkannt.
- Effekte während der frühkindlichen Entwicklung und während weiterer besonders empfindlicher Entwicklungsstadien des Menschen, z.B. auf die Mutter während der Schwangerschaft, wenn Chemikalien auf ein verändertes Hormonsystem treffen und dessen Funktion verändern und so zu irreversiblen Schäden wie Diabetes führen können.
Mineralölbelastung in Weihnachtskalendern
Eine kurzfristige Intervention ist beispielsweise das Verbot bekannter, toxischer Substanzen. Hier wurde schon einiges unternommen, wie das Verbot von Bisphenol A. Das Problematische an Bisphenol A ist, dass es von Verpackungen in die Nahrung gelangt. BPA gilt als eine Art hormoneller Schadstoff, da er eine östrogen-ähnliche Wirkung hat und den Hormonhaushalt verändert. Gefährlich ist das besonders in sensiblen Lebensphasen wie beispielsweise in der Schwangerschaft. Seine Wirkung wird in Zusammenhang mit Störungen der Entwicklung von Mädchen und Jungen gebracht (Frühreife), Verhaltensstörungen, aber auch mit einer reduzierten Spermienanzahl, Impotenz, Unfruchtbarkeit, Diabetes und Brustkrebs.
Doch man sollte nicht auf Verbote warten, sondern Warnungen nachgehen. In den USA hat im März 2018 eine Gruppe von Lebensmittelherstellern eine Liste von Chemikalien veröffentlicht, die sie – trotz gesetzlicher Zulassung – nicht in Lebensmittelverpackungen haben möchte bzw. deren Grenzwerte diejenigen der Behörden unterschreiten. Solche Schritte tragen dazu bei, der Migration von Chemikalien mehr Aufmerksamkeit zu widmen und pragmatischen Lösungen zu entwickeln. Dies minimiert das Risiko für Lebensmittelhersteller Opfer von Rufschädigung zu werden, denn immer mehr Aktivisten messen Chemikalien in Produkten und setzen dann zu „name and shame"-Kampagnen an, wie beispielsweise Foodwatch mit den Mineralölen in Deutschen Adventskalendern.
Schutz des Lebensmittels oder der Umwelt
Mit der Notwendigkeit, Ressourcen im Sinne der Nachhaltigkeit effizienter zu nutzen, ist es wichtig, nicht nur auf Verpackungen an sich zu fokussieren, sondern das ganze System „Lebensmittel" zu betrachten. Tatsächlich ist die Lebensmittelverpackung nur Symptom dieser größeren Herausforderung, den Lebensmittelkonsum und die Lebensmittelproduktion ressourcenschonender zu gestalten. Die erste und allerwichtigste Funktion der Verpackung ist der Schutz des Lebensmittels, für dessen Produktion immense Ressourcen aufgewendet wurden und dessen Verderben daher verhindert werden muss. Doch in der modernen Welt der Massenproduktion, auch von Lebensmitteln, muss Verpackung viel mehr als nur vor Verderben schützen – sie muss in der gesamten, hochtechnisierten Logistikkette funktionieren, sie muss Informationsträgerin sein und sie ist zentral fürs Marketing.
In den Anfängen der Nachhaltigkeitsdiskussion hieß es oft: Think global, act local. Diese Faustregel scheint auch auf die Lebensmittelproduktion gut zu passen. Doch wie gelingt der Wechsel von einem globalisierten System hin zu einer regionalen, ressourcenschonenden Landwirtschaft mit saisonalen Produkten und lokalem Konsum? Für solche Lebensmittel bieten sich, je nach lokalen Gewohnheiten, wiederverwendbare Verpackungen an, die mit Pfand belegt sind und möglichst aus inerten oder toxikologisch unbedenklichen Materialien bestehen, die nicht zur Migration neigen, zum Beispiel Gläser mit dem Pano Blueseal-Verschluss. Beispiele für verpackungsoptimierte, regionale Kreisläufe sind in der Solidarischen Landwirtschaft zu finden, wie etwa bei der Basimilch-Genossenschaft in Zürich.
Trotzdem wird auch weiterhin Bedarf an Einwegverpackungen bestehen. Doch sollten diese aus Materialien bestehen, deren Toxizität gründlich untersucht wurde – auch hinsichtlich Mischungstoxizität und Effekten auf die fötale Entwicklung sowie Bodentoxizität, falls die Verpackungen kompostiert werden sollen. Verschiedene Labore arbeiten schon jetzt an kostengünstigen, zellbasierten und relativ schnellen Tests, um den sog. Cocktail-Effekt des gesamten Migrates einer Verpackung zu bestimmen, beispielsweise die Biodetection Systems in den Niederlanden. Doch vorerst braucht es mehr Bewusstsein für die Problematik und einen Gesetzgeber, der die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft in Regulierungen umsetzt, so wie 2016 vom Europaparlament in seinem Bericht zu Lebensmittelkontaktmaterialien gefordert.
Unsere Arbeit beim Food Packaging Forum wird sich daher auch in Zukunft darum drehen, das umfangreiche Wissen zum Thema zu verbreiten und allen Akteuren zur Verfügung zu stellen. Denn in der gegenwärtigen Diskussion um Kreislaufwirtschaft und Recycling ist das Thema Chemikaliensicherheit noch nicht ganz angekommen – obwohl es zentral sein wird bei der Suche nach guten, nachhaltigen Lösungen.
Dr. Jane Muncke ist Mitglied wissenschaftlicher Vereinigungen wie der Society of Toxicology , der American Chemical Society , der Society of Environmental Toxicology and Chemistry (SETAC), and der Endocrine Society. Sie ist wissenschaftlicher Vorstand beim Food Packaging Forum und dessen Geschäftsführerin.
Dieser Artikel ist in forum 04/2019 - Food for Future erschienen.
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