Erstes Schachtkraftwerk am Netz

Neues Wasserkraftwerk verbindet Klima- und Naturschutz

Im bayerischen Fluss Loisach ist das weltweit erste Schachtwasserkraftwerk in Betrieb gegangen. Es produziert klimafreundlich Strom und schont gleichzeitig die Natur stärker als konventionelle Wasserkraftwerke. Die Turbine wird in einem Schacht im Flussbett versteckt. Fische können über das Kraftwerk hinweg flussabwärts wandern. Entwickelt wurde der neue Anlagentyp an der Technischen Universität München (TUM).
 
Vom neuen Wasserkraftwerk in der Loisach ist lediglich ein kleines Technikhäuschen zu sehen. Die Turbinen verstecken sich in Schächten vor der alten Rampe. © Frank Becht / TUMWasserkraftwerke tragen mit erneuerbarer Energie zum Klimaschutz bei, verursachen aber gleichzeitig ökologische Probleme: Bei herkömmlichen Flusskraftwerken wird das Wasser durch ein Maschinenhaus umgeleitet, um die Turbine anzutreiben. Von der Strömung können Fische zum Kraftwerk getrieben und an Turbine und Gittern tödlich verletzt werden. Natürliche Lebensräume, Fischwanderwege und Uferlandschaft werden geschädigt. Die ökologischen Vorgaben für neue Anlagen lassen sich in Deutschland so kaum mehr erfüllen.
 
Ein Team am Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft der TUM hat deshalb ein Wasserkraftwerk entwickelt, das die Natur deutlich stärker schont. Für den neuen Kraftwerkstyp muss der Flusslauf nicht umgeleitet werden. Stattdessen wird vor einem Wehr ein Schacht ins Flussbett gebaut, in dem Turbine und Generator untergebracht werden. Das Wasser fließt in den Schacht, treibt die Turbine an und wird unter dem Wehr in den Fluss zurückgeleitet. Ein kleinerer Teil fließt über den Schacht und das Wehr hinweg.
 
Die Ingenieure haben es geschafft, die Strömung so zu steuern, dass das Kraftwerk effizient Strom erzeugt, aber gleichzeitig der Sog in den Schacht gering ist. Zahlreiche Untersuchungen an einem Prototypen haben gezeigt, dass die meisten Fische deshalb sicher über dem Schacht schwimmen. Mehr noch: Durch zwei Öffnungen im Wehr können sie gefahrlos flussabwärts wandern. Flussaufwärts gelangen sie über eine übliche Fischtreppe.
 
So funktioniert das Schachtkraftwerk:

Bestehende Wehre werden durchgängiger
Das Schachtkraftwerk hat neben dem Fischschutz einen weiteren Vorteil für die Gewässerökologie: Es ist auch für Geröll und Treibholz, die der Fluss mit sich führt, durchlässig. Die Bewegung und Ablagerung dieses „Geschiebes" ist beispielsweise für Laichplätze wichtig. Ein Gitter, der sogenannte Rechen, der auf dem Schacht liegt, hält es von der Turbine ab. Dann wird es von der Anlage regelmäßig flussabwärts geschoben. Dafür wird ein Verschluss im Wehr geöffnet. Auf diese Weise kann auch Hochwasser abgelassen werden.
 
„Wenn wir sowohl das Klima als auch die Natur schützen wollen, müssen wir Technologien entwickeln, mit denen wir beide Ziele so gut wie möglich in Einklang bringen", sagt Projektleiter Prof. Peter Rutschmann. „Dabei ist klar, dass es eine hundertprozentige Erhaltung des Naturzustands mit keinem Wasserkraftwerk geben kann." Sehr kleine Fische können in das Schachtkraftwerk gesogen werden, wobei auch von ihnen ein Großteil das Kraftwerk unverletzt passiert.
 
Das Schachtkraftwerk erfüllt so strenge ökologische Kriterien, dass die erste Anlage in einem Natura-2000-Gebiet genehmigt werden konnte. In der Loisach bei Großweil im Landkreis Garmisch-Partenkirchen wurden die Fischwanderwege durch den Bau sogar verbessert: Das Kraftwerk wurde von der Wasserkraft Großweil GmbH an einer bereits vorhandenen Rampe errichtet, die für Fische bislang nur schwer überwindbar war. Ein neues Wehr musste nicht gebaut werden. Die Anlage erzeugt Strom für rund 800 Haushalte und leistet so einen Beitrag für eine dezentrale Energieversorgung. Sie hat sich bereits mehrere Wochen am Netz bewährt, inklusive eines Hochwassers.
 
„Weltweit wertvolle Lebensräume erhalten"
Das Schachtkraftwerk eignet sich sowohl für unterschiedlich große Flüsse als auch für unterschiedliche Fallhöhen. Je nach Gewässergröße und Bedarf wird in mehreren Schächten nebeneinander Strom erzeugt, in der Loisach sind es zwei, die Fallhöhe beträgt 2,5 Meter.
 
Die TUM hält mehrere Patente auf die Erfindung. Eine Ausgründung der TUM, die Hydroshaft GmbH um den Ideengeber des Konzepts Albert Sepp, hat Nutzungsrechte erworben und vergibt wiederum Lizenzen an Kraftwerksbetreiber. In Planung sind derzeit insgesamt zwölf Anlagen in der Iller, der Saalach, der Würm und im Neckar.
 
„Weltweit sollen zahlreiche neue Wasserkraftwerke gebaut werden, oft in Regionen mit hoher Biodiversität", sagt Peter Rutschmann. „Das Schachtkraftwerk kann helfen, die ökologisch wertvollen Lebensräume in Flüssen zu bewahren."
 
Mehr Informationen:
Die Forschungsarbeiten wurden zum Teil durch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und durch das Bayerische Umweltministerium gefördert. Patentierung und Lizensierung erfolgten in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Patentallianz. An der Pilotanlage in der Loisach wird der TUM-Lehrstuhl für Aquatische Systembiologie im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt das Verhalten der Fische untersuchen.
 
Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 600 Professorinnen und Professoren, 43.000 Studierenden sowie 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006, 2012 und 2019 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.
 
Kontakt: Prof. Dr. Peter Rutschmann, Technische Universität München (TUM)

Technik | Energie, 20.07.2020

     
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